“(…) dazu sein übergroßes Foto-Porträt: dieses Gesicht! Wer oder
was verleiht Rang? Die Leistung tut es zum Teil. Verleiht einer den Rang
sich selbst? Auch der Gescheiterte kann Rang haben. Wodurch? Rang
bedeutet noch nicht Ruhm. Ich kenne Leute, die ihren Ruhm verloren haben
zur Lebzeit; der Rang ist ihnen geblieben. Rang ist nicht der Glanz des
Siegers. Wie bekundet sich Rang? Ich bin Leuten von Rang begegnet,
Männern und Frauen, älteren und jüngeren, berühmten und anderen; ich bin
Giacometti nie begegnet. Die Begegnung mit Leuten von Rang (sie müssen
nicht von der gleichen Fakultät sein) macht Mut auf merkwürdige Weise;
sie bedienen sich nicht des Lobes, um Mut zu machen. Sie verleihen Rang,
ob sie zustimmen oder widersprechen; noch eine Fehde führen sie in der
Erwartung von Rang. Solche Erwartung kann natürlich enttäuscht werden.
Bei Leuten von Rang besteht die Erwartung von Rang nicht blindlings,
aber unabhängig von Erfolg oder Nichterfolg; sie selber setzen die
Maßstäbe. Das kennzeichnet sie untrüglicher als ihre Leistungen, die der
andere in vielen Fällen ja nicht beurteilen kann. Ihr Rang beglänzt
ihre Leistung. Sie sind nicht immer freundlich; nur lassen sie sich in
ihrer Erwartung nicht irritieren, wenn jemand sich gelegentlich unter
seinem Rang verhält. Die Selbstzweifel, die ihnen vorgetragen werden,
nehmen sie ernst, doch fallen sie nicht auf Selbstbezichtigung herein
wie die andern, die, sobald sie nicht mit Allüre überrannt werden, ihre
Erwartung unwillkürlich herabsetzen und gnädig werden in einer Art, die
alles eine Nummer zu klein nimmt, aber auch alles.“
Max Frisch, Montauk, S. 25