Juli 1974. Achtdreiviertel. Fotos von meinem Bruder. Nein, das ist nicht mein Bruder, das sind Fotos, die er von mir gemacht hat. Das Cordjackett war von ihm, die Krawatte und der Hut waren vom Fasching. Die himbeerrosa Baumwollhose mit Schlag war meine Lieblingshose. Da habe ich mich langsam durchgesetzt und Hosen anziehen dürfen, die viel bequemer waren als die Kleidchen mit kratziger Strumpfhose darunter. Ich wollte kein Junge sein, hatte nur Lust mich zu verkleiden. Wenn mein Bruder, der schon zehn war, Fotos von mir gemacht hat, durfte ich alles machen, wozu ich Lust hatte. Aufs Mäuerchen steigen und eine Schnute ziehen. Böse gucken und andere Mätzchen. Eben einfach alles. Für Juli sieht es ein bißchen unsommerlich aus. Ich vermute, das war ein bedeckter Nachmittag nach der Schule oder am Wochenende, und wir wollten uns die Zeit vertreiben. Verkleiden war immer eine feine Sache. Es gibt eine Internetseite, wo man schauen kann, wie das Wetter früher war. Da heißt es: „Kalt ist der Juli des Jahres 1974. 134 Sonnenstunden sorgen für eine Durchschnittstemperatur von nur 15,8° C.“ Das erklärt das herbstliche Verkleidungsoutfit. Sommerkleider habe ich nämlich gerne angezogen, wenn es schön warm war, da musste man ja keine Strumpfhose dazu anziehen. Mein Lieblingshit vom Juli 1974 war Rock Your Baby von George McCrae, mehrere Wochen auf Platz Eins in Deutschland, der Schweiz, Österreich, England und Amerika. Ich denke, da hatte ich schon meinen Radiorekorder und habe meine Lieblingslieder auf Kassette aufgenommen. Mein Bruder auch, nämlich von der Sendung „Die Schlager der Woche“ vom Rias Berlin. Das war keine Spartensendung für „Deutsche Schlager“, sondern für angesagte Hits, quer durch den Gemüsegarten, also auch Disco-, Soul-, Country-, Pop- und Rockmusik. Da war man nicht kleinlich.

4 Antworten auf „14. Dezember 2022

  1. Schön, was Sie alles durften…
    Da wird mir ganz warm ums Herz… (und werd‘ komischerweise ein wenig traurig)

  2. Das ist aber nur eine Seite der Medaille. Es gab in mancher Hinsicht ein strenges Regiment, aber das möchte ich nicht so gerne hier ausbreiten. Gerade deswegen suche ich auch Erinnerungen heraus, die man gerne im Herzen behalten mag.

  3. Lydia G.
    Früh zeigt sich die kreative Ader!

    Gaga Nielsen
    Und Du hast Dich doch bestimmt auch gerne verkleidet! Und tust es heute noch. Und ich ja auch 👗👙👘👠🎀

    Lydia G.
    oh ja! Aber Fasching fand ich blöd.

    Gaga Nielsen
    ich dann als Teenie auch… aber als Kind war es schon ein Ereignis, dass man ein extra Kostüm bekommen durfte. In meinem Fall oft von der Tante genäht, aber die Indianerperücke und der Cowboyhut waren aus der Faschingsabteilung vom Kaufhaus. In Bayern war der sogenannte Fasching aber ein eher kleines Ereignis, das nur an zwei, drei Tagen begangen wurde, nicht so wie der Karneval im Rheinland, als wochenlanges Volksfest.

    Valerian Seethaler
    Swag

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