05. November 2024

Gestern, Kino Hackesche Höfe. Place to Be, Documentary to See. Nach dem Film gab es ein Gespräch mit Kino-Chef Gerhard Gross und dem Regisseur Andres Veiel. Ich habe mich in den vergangenen zwanzig Jahren immer wieder intensiv mit Leni Riefenstahl und ihrer zwiespältigen Selbstdarstellung beschäftigt.

Setzt natürlich Faszination voraus. Die unterstelle ich auch dem Regisseur und der Produzentin Sandra Maischberger, sowie dem Rest der Menschheit. Der Film war für mich in gewisser Weise eine Fortsetzung von Ray Müllers hervorragender Doku „Die Macht der Bilder“ aus dem Jahr 1993, die zu Lebzeiten Riefenstahls, mit ihrer Mitwirkung entstand und daher gewisse Aufnahmen nicht beinhaltete, die Müller bei den Gesprächen mit ihr gemacht hatte.

Diese neue Doku von Veiel arbeitet sehr stark mit dem Archiv von Riefenstahl, dem gesamten Nachlass. Sie hat sehr viel aufgehoben. Einiges vielleicht auch sehr gezielt nicht. Für mich waren relativ wenig Neuigkeiten in der neuen Doku, ich habe mich aber auch sehr gut auf dem Laufenden gehalten. Neu tatsächlich waren dann die Filmfragmente von Müller, die Leni Riefenstahl zeigen, wie sie sich während der Gespräche stark echauffiert und abbricht und auch privates Material, wie Privatfilme der späten Leni Riefenstahl beim Spaziergang im Schnee mit dem aus dem Gefängnis entlassenen Albert Speer und auch Aufzeichnungen von Telefonaten über Gagenhöhen. Die beiden hatten ihre alte Freundschaft weiter gepflegt und waren offenbar Partners in Crime, man gab sich Tipps in Richtung Vermarktung der eigenen Story.

Leni Riefenstahl rief stolze Gagenforderungen auf, wenn sie sich auf ein Gespräch einließ. Konnte sie sich offensichtlich erlauben, interessant genug war ihre schillernde und in Teilen fragwürdige Selbstdarstellung. Das Interessanteste an ihr, neben ihrem visuellen Talent, ist wohl, das sie immer wieder Sympathien errungen hat, auch von Gegnern. Sogar, wenn man ihre offensichtliche Selbstschutz-Strategie durchschaut hatte. Die Doku von Veitel arbeitet sehr stark mit Bildern aus Riefenstahl-Filmen, man kommt abermals nicht umhin, von der reinen Ästhetik gefangen und fasziniert zu sein. Es ist eben kontrovers. Der Film stand ganz oben auf meiner to do-Liste. Ich empfehle ihn. Veitel spart nicht mit Kritik an Riefenstahls Verschleierungsaktivitäten, muss ihr aber als visueller Künstlerin, in Hinsicht Kamera und Schnitt, Respekt zollen. Und abermals komme ich nicht umhin, die alte Queen Elizabeth II. zu zitieren: „Life is full of contradictions.“

09. April 2022

Es fällt mir schwer, eine kurz gefasste, angemessene Beurteilung zu geben, die insbesondere Jenny und Ina (da beide daran interessiert gewesen wären, aber auf Reisen) vermitteln kann, ob es nun ein Verlust oder zu vernachlässigen ist, die Aufführung von „7 Deaths of Maria Callas“ in der Deutschen Oper gesehen zu haben. Ich war selten in einer Aufführung, die in gleichem Maß faszinierende wie auch peinliche Elemente hatte.

Vorweg muss ich erhellen, dass nicht die Performance-Künstlerin Abramović, sondern die thematisierte Callas die Attraktion für mich war, diese Inszenierung erleben zu wollen. Mir war Abramović ein Begriff; dass sie sich nicht demütig zurücknehmen wird, um Callas zu würdigen, war absehbar, da ihr daran gelegen ist, die Identifikation ihrer selbst mit Callas zu fokussieren und zu transportieren. Es gibt zudem seit zwei Jahren Videomaterial und Kritiken, da die Uraufführung im April 2020 in der Bayrischen Staatsoper in München stattfand, und gestern nur die Berliner Premiere war.

So war mir bekannt, dass, abgesehen vom letzten Akt hauptsächlich eine Videoprojektion zu sehen ist, in der Abramović und der mit ihr befreundete Willem Dafoe, als Callas und quasi Onassis agieren, jeweils im sehr individuell interpretierten Setting von sieben großen Opernrollen, in denen Callas auf der Bühne den Tod fand. Spannend, nicht wahr.

Spannend war in der Tat das Spiel von Willem Dafoe, der mit großer Intensität und Hingabe seinen jeweiligen Part ausführte. Leider war Marina Abramović keine ebenbürtige Darstellerin. Die von mir erwähnten Peinlichkeiten spielten sich hauptsächlich in diesen Filmsequenzen ab, in denen in Großaufnahme die mimischen Unzulänglichkeiten von Abramović auszuhalten waren, als da wären: in Stummfilm-Manier zum Zwecke der Darstellung von Entsetzen und persönlichem Drama, aufgerissene Augen und Münder, sprich Abramovićs kosmetisch aufgeplusterte Lippen, begleitet von rudernden Armen. Ein Potpourri von walkürenhaft plumpen Bewegungen in karnevalesken Kostümierungen.

Der offenkundig auch körperlich filigranere Willem Dafoe konnte da nichts ausrichten und retten. Mit der Aura und dem Charisma von Maria Callas hatte das soviel zu tun, wie Cindy aus Marzahn. Dass die fünfundsiebzigjährige Selbstdarstellerin in diesem Videoreigen ohne erkennbaren Sinn auch einen Platz für die Präsentation ihrer unbekleideten Brüste findet, wundert dann auch nicht mehr.

Das durchwachsene Bildmaterial wurde jeweils von Gesang begleitet, den sieben hochprofessionelle Sopranistinnen in Einzelauftritten absolvierten, wir hörten bekannte Arien der Hauptrollen von Callas. Musikalisch war das unter der Leitung von Yoel Gamzou tadellos. Die im Vergleich zu Abramović bedeutend jüngeren und attraktiveren Sängerinnen mussten sich in einer Art grauem Dienstbotengewand auf die Bühne stellen. So sollte wohl sichergestellt werden, dass keine visuelle Konkurrenz entsteht, die den Blick von Abramovićs filmischen Bemühungen ablenkt.

Nicht zu vergessen: während die graugewandeten Sängerinnen vor dem Videogeschehen performten, stand das Todesbett der Callas rechts auf der Bühne, darin die regungslose Abramović, mit dem Kopf aus der Bettdecke hervorguckend. Sie kam also nicht erst am Ende auf die Bühne, sondern war in dieser Form durchgängig präsent. Erstaunliche Leistung, so lange so bewegungslos zu verharren. Wer je Modell in einem Zeichenkurs gestanden hat, weiß das zu würdigen.

Bevor die jeweilige Parade-Arie zum Auftritt kam, gab es eine Tonbandaufnahme mit Abramovićs Stimme zu hören, in der sie einleitende Worte fand. Sie trug diese auf Englisch vor. Da ihre Aussprache derart von einem schweren osteuropäischen Akzent mit Betonungen an der falschen Stelle dominiert wurde, hatte ich durchweg Probleme das Vorgetragene zu verstehen und las sicherheitshalber die Worte als Obertitel über der Bühne mit. Wahlweise in Deutsch oder Englisch.

Das ist grob zusammengefasst, was mir nicht gefiel. Aber: es gab in diesem multimedialen Gemenge auch sehr sehens- und hörenswerte Elemente, die geradezu entschädigten. Zwischen den Video-Rollenspielen gab es metaphysisch gemeinte Visuals mit viel dramatischen Wolken zu sehen, was manchmal kitschig und banal wirkte, aber immer wieder auch faszinierend und hypnotisch. Letzteres war auch der eigens dazu komponierten Musik von Marko Nikodijević zu verdanken. Ganz grandios wurde es nach Ende des siebten Todes, als der schwarze Vorhang fiel und ein langes donnerndes Unwetter zu hören war, sphärische Winde und Grollen und aufregende Stille.

Der letzte Akt verabschiedete sich von der Bühnenfigur Callas und der Videoprojektion. Der schwarze Vorhang hob sich und wir erblickten das nachgebaute Schlafzimmer von Maria Callas, in dem sie 1977 starb. In ihrer Wohnung in Paris in der Avenue Georges Baume. Ich versuchte zu recherchieren, anhand welcher Fotografien Abramović das Schlafzimmer rekonstruierte. Ich fand nichts. Mich würden ihre Quellen sehr interessieren. Es gibt lediglich Fotografien ihrer Wohnräume. Nun sahen wir das Bett, das bislang rechts vor der Videowand stand, integriert in die Kulisse des Schlafzimmers.

Ein aristokratisches Gemach mit elfenbeinfarbenen Holzvertäfelungen, Antiquitäten und Gemälden. Die weiterhin regungslose Abramović kam nun in Bewegung und setzte sich auf. Aus dem Off wieder ihre Stimme, sie erinnerte Menschen, die ihr wichtig waren. Ihre Todesstunde. Sie richtete sich vollständig auf und verließ in langsamen Schritten die Bühne, entschwand durch die Tür. Unmittelbar danach erschienen die sieben Sopranistinnen als Dienstmädchen, die das Sterbezimmer reinigten und das Bett und die Spiegel und Möbel mit schwarzem Chiffon verhängten. Das gefiel mir sehr.

Nun erklärte sich auch die seltsame Gewandung der Sängerinnen, während ihrer Auftritte. Ich hätte ihnen dennoch für ihren großen Auftritt eine andere Garderobe zugestanden. Irene Roberts als Carmen. Diana Gouglina als Floria aus Tosca. Valeriia Savinskaia als Desdemona. Adela Zaharia als Lucia. Flurina Stucki als Norma. Antonia Ahyoung Kim als Butterfly. Mané Galoyan als Violetta Valéry aus La Traviata.

Von mir aus hätte es damit auch beendet sein dürfen, aber Abramović wollte zu gerne noch eine Callas-Performance als letztes Bild geben. Der Vorhang fiel abermals und sie erschien von links, an den Rängen vorbei, zu den Klängen der Original Aufnahme von Maria Callas der Arie Casta Diva aus Norma, mit Kopfbewegungen und Gesten Gesang andeutend. Das Goldlamé-Kleid glitzerte fast unwirklich, als sei ein Avatar auf der Bühne. Aber auch da nicht an Callas erinnernd, sondern an Abramović in ihrer Lieblingsprojektion von sich selbst. Mitten in der Arie brach der Gesang ab und es wurde dunkel. Sie verschwand. Abramović verschwand. Nicht Maria Callas. Denn das war eine andere, und diese ist nicht auszulöschen, da: unsterblich.

Trotz ihrer Unzulänglichkeiten in darstellerischer Hinsicht, ringt mir Marina Abromovićs Eigensinn und Durchsetzungsvermögen Respekt ab. Zwar wird es niemals eine in meinem Sinn veränderte Inszenierung dieses interessanten Bühnenprojekts geben, aber ich hatte Freude an der Vorstellung. Man fühlt sich auch ermuntert und inspiriert, eigene Ideen zu forcieren und umzusetzen. Sie ist der beste Beweis, dass ein ausgeprägter Wille etwas zu erschaffen, wichtiger für die Umsetzung einer Idee ist, als die wasserdichte Qualität der Substanz. Wenn’s einmal läuft. Das ist mir wirklich Inspiration, dafür danke, Frau Abramović.