30. November 2014

14-05-15 Café Central (1)

Café Central. Wikipedia. „Das Café Central ist ein Kaffeehaus in Wien. Es befindet sich in der Herrengasse 14 im Ersten Bezirk im ehemaligen Bank- und Börsengebäude, das heute nach seinem Architekten Heinrich von Ferstel Palais Ferstel genannt wird (…) Das Café wurde 1876 von den Gebrüdern Pach eröffnet; im späten 19. Jahrhundert wurde es, auch durch den Abriss des Café Griensteidl, zu einem der wichtigsten Treffpunkte geistigen Lebens in Wien. Zu den Stammgästen zählten unter anderem Peter Altenberg, Alfred Adler, Egon Friedell, Hugo von Hofmannsthal, Anton Kuh, Adolf Loos (der das Café Museum entwarf), Leo Perutz und Alfred Polgar. Der Schriftsteller Alfred Polgar schrieb in Die Theorie des Café Central: „Das Central ist nämlich kein Caféhaus wie andere Caféhäuser, sondern eine Weltanschauung. Seine Bewohner sind größtenteils Leute, deren Menschenfeindlichkeit so heftig ist wie ihr Verlangen nach Menschen, die allein sein wollen, aber dazu Gesellschaft brauchen. Die Gäste des Central kennen, lieben und gering schätzen einander. Es gibt Schaffende, denen nur im Central nichts einfällt, überall anderswo weit weniger. (…)“

Dieses Polgar-Zitat findet man auf ungefähr zwanzigstausend Seiten im Internet, aber nur selten einen anderen Auszug oder gar den gesamten Text. Ich hatte keine rechte Lust, abermals nur diese breit getretenen Zeilen zu kopieren und so stagnierte die Inspiration für den Café-Central-Eintrag ein wenig. Denn ich war ja nicht drin, wie ich schon bekannt habe. Dennoch ist es mir möglich gewesen, diese Bilder zu fotografieren. Das geht, indem man nah an der Scheibe der Glastür steht. Nicht, dass man uns nicht als Gäste gewollt hätte. Wir hatten beim Blick auf das Geschehen, keine Lust, vor der Tür im Regen zu stehen. Wartend, bis die ebenfalls wartende japanische Reisegruppe vor uns Einlass erhalten haben würde und wir demzufolge die nächsten Nachrücker wären, eine halbe oder dreiviertel Stunde später. Sicher wären wir eine Bereicherung gewesen. Der Anteil an Literaten im Kaffeehaus hätte dadurch zwar keinen so hohen Prozentsatz wie vor hundert Jahren erlangt, aber immerhin. Im direkten Vergleich mit den mutmaßlich überwiegend nur Ansichtspostkarten schreibenden Gästen des heutigen Café Central des Jahres 2014, wären wir beide wohl annähernd Premium-Literaten. Duke hat immerhin einen vielseitigen Roman und diverse Verse veröffentlicht, und ich beglücke die Welt meinerseits seit bald elf Jahren mit schriftlich fixierten Befindlichkeiten, Literatur hin, Literatur her. Wir wollen nicht kleinlich sein. Aber man ist sich auch nicht immer nur selbst genug.

Und dann geht man in die Welt und sucht Inspiration. Nicht nur in schöner, alter Kaffeehaus-Architektur. Das Publikum ist durchaus von Bedeutung. So wirft man einen Blick durch die polierten Scheiben und verzichtet dann ohne Wehmut darauf, den Knauf zu drücken, und schaut statt mit eigenen Augen später im Internet an, wie das Café en detail von Innen ausgeschaut hätte. Jetzt, ein paar Tage, nachdem ich mit meiner nicht vorhandenen Inspiration für diesem Eintrag schwanger gegangen bin, habe ich über den Wikipedia-Eintrag zu Alfred Polgar doch noch den ganzen Text von ihm zum Central gefunden. Ich entsinne mich, in den Achtziger Jahren begeistert einige Werke von Alfred Polgar gelesen zu haben, in der Amerika-Gedenk-Bibliothek ausgeliehene Bücher, es ist so lange her, dass ich nicht mehr sagen könnte, welche das waren, aber sie handelten immer von Berlin, der Berliner Theater- und Literatenszene, selten von Wien, und sie waren immer gleichermaßen launig, gebildet wie auch boshaft. Es waren wahrscheinlich Texte, die er als Kritiker für das Feuilleton des Berliner Tageblatts und des Böse Buben Journals verfasst hat.

Dass er einen Wiener Hintergrund hatte, wusste ich nur aus einem Klappentext von einem Buch. Im Wikipedia steht es natürlich genau, wie es sich verhält: „(…)1908 erschien Polgars erstes Buch Der Quell des Übels. Der Ort, an dem Polgar zu dieser Zeit am häufigsten verkehrte, war das Café Central, in dem er in Gesellschaft von (s. o.) anzutreffen war und er viel Material für seine scharfsinnigen Beobachtungen und Analysen fand. (…) Gemeinsam mit Egon Friedell schrieb er ab 1921 das Böse Buben Journal. In den 1920er Jahren lebte Polgar überwiegend in Berlin. Viele Artikel von ihm erschienen in dieser Zeit im Berliner Tageblatt (…) Nach der Machtergreifung Hitlers in Deutschland wurden seine Bücher verbrannt und Polgar musste über Prag nach Wien zurückkehren. 1938 war er nach dem Anschluss Österreichs abermals gezwungen, die Flucht zu ergreifen. (…) Über Zürich emigrierte er nach Paris (…) Nach dem Einmarsch der Deutschen in Frankreich 1940 floh er nach Marseille, von wo aus ihm (…) über Spanien und Lissabon die Emigration in die USA gelang. In Hollywood arbeitete er unter anderem als Drehbuchautor für Metro-Goldwyn-Mayer. Ab 1943 lebte er in New York, wo er die amerikanische Staatsbürgerschaft erhielt. Er schrieb für Exilzeitungen, wie den Aufbau, und amerikanische Magazine, wie Time sowie Panorama in Buenos Aires. 1949 kehrte er nach Europa zurück (…) und ließ sich in Zürich nieder.“ (Wo er starb.)

Hier ein paar schöne Auszüge aus dem Polgar-Text zum Central: „Der Centralist lebt parasitär auf der Anekdote, die von ihm umläuft. Sie ist das Hauptstück, das Wesentliche. Alles übrige, die Tatsachen seiner Existenz, sind Kleingedrucktes, Hinzugefügtes, Hinzuerfundenes, das auch wegbleiben kann. Die Gäste des Café Central kennen, lieben und geringschätzen einander. Auch die, die keinerlei Beziehung verknüpft, empfinden diese Nichtbeziehung als Beziehung, selbst gegenseitiger Widerwille hat im Café Central Bindekraft, anerkennt und übt eine Art freimaurerischer Solidarität. Jeder weiß von jedem. Das Café Central ist ein Provinznest im Schoß der Großstadt, dampfend von Klatsch, Neugier und Médisence. (…) die schiefe Lichtbrechung ihres Mediums zu mancherlei Kurzweil nützend, immer voll Erwartung, aber auch voll Sorge, daß einmal was Neues in den glänzenden Bottich fallen könnte (…) Teilhaftig der eigentlichsten Reize dieses wunderlichen Caféhauses wird allein der, der dort nichts will als dort sein. Zwecklosigkeit heiligt den Aufenthalt. Der Gast mag vielleicht das Lokal gar nicht und mag die Menschen nicht, die es lärmend besiedeln, aber sein Nervensystem fordert gebieterisch das tägliche Quantum Centralin. Mit Gewöhnung allein ist das kaum zu erklären, auch nicht damit, daß es den Centralmenschen, wie den Mörder an den Ort der Tat, immer dorthin ziehe, wo er schon so viel Zeit totgeschlagen, ganze Jahre ausgerottet hat. Also was denn ist es? Das Fluidum! Ich kann nur sagen: das Fluidum! Es gibt Schreiber, die nirgendwo anders wie im Café Central ihr Schreibpensum zu erledigen imstande sind, nur dort, nur an den Tischen des Müßigganges, ist ihnen die Tafel der Arbeit gedeckt, nur dort, von Faulenzlüften umweht, wird ihrer Trägheit Befruchtung. Es gibt Schaffende, denen nur im Central nichts einfällt, überall anderswo weit weniger. (…) die Drohungen der Ewigkeit dringen nicht durch die Wände des Café Central, und zwischen diesen geniessest du der holden Wurschtigkeit des Augenblicks. Über das Liebesleben im Café Central, über den Ausgleich der sozialen Unterschiede in ihm, über die literarischen und politischen Strömungen, von denen seine ausgefransten Küsten bespült werden, über die in der Centralhölle Verschütteten die dort sehnsüchtig ihrer Ausgrabung harren, hoffend, daß sie nie stattfinden werde, über das Maskenspiel von Witz und Dummheit, das in jenen Räumen jede Nacht zur Fastnacht wandelt, über dies und anderes wäre noch viel zu sagen. Aber wer sich für das Café Central interessiert, der weiß das alles ohnehin, und wer sich nicht für das Café Central interessiert, an dessen Interesse haben wir keines.“ Und da sind in der Tat noch viele schöne Passagen, die man zitieren könnte. Wie es einmal war. Vor langer, langer Zeit.

Ein wenig muss ich beim nochmaligen Lesen des Polgar-Aufsatzes denken, dass man viele Beobachtungen auf das große, virtuelle Kaffeehaus der Blogosphäre übertragen könnte. (Probieren Sie es aus, einfach „Centralisten“ durch „Blogger“ oder „Twitterer“ oder „Internet-Leute“ ersetzen und „Café Central“ durch „Blogosphäre“ oder „Twitter“ oder „Internet“ – Nein, „Facebook“ eher nicht. Oder? Ihnen fällt schon etwas Passendes ein.) Dass im Wikipedia-Eintrag zum Central kein einziger zeitgenössischer Autor vorkommt, ist ja leider auch ein Hinweis, dass das heutige Café neben seiner fulminanten Architektur und Tradition von einer Aura von versunkenem geistigem Leben profitiert, das man holprig aus der Vergangenheit channeln muss. Die Gegenwart gibt in dieser Richtung nichts her, offenkundig, obwohl es auch WLAN gibt. Ich kann mich nicht entsinnen, an einem Tisch jemand mit Notebook gesehen zu haben. Aber wer schreibt schon in einem Museum. Wer heute in Wien mit einem Schreibgerät am Kaffeehaustisch sitzt, tut das vielleicht noch eher bei Starbucks, wie überall auf der Welt. Wenn ich in der Rosenthaler Straße in Berlin an dem Laden vorbeilaufe, der in der Tat mit seinen ausgefeilt durcheinander gewürfelten, gemütlichen Polstermöbeln wie ein zeitgenössisches Kaffeehaus-Zitat wirkt, sehe ich an zehn von zehn Tischen Zwanzig- bis Dreißigjährige aus aller Welt vor einem Notebook sitzen und tippen. Vielleicht auch nur digitale Ansichtspostkarten, wer weiß. Ich tippe hier ja auch nur Reisenotizen, ich sollte mir die Überheblichkeit sparen. Vielleicht sitzen die Wiener Literaten ja im Rüdigerhof, von einem weiß ich es bestimmt. Oder vielleicht auch im Jelinek, wo wir dann hin sind. Mit einem Taxi durch den Regen.
: : alle Wiener Geschichten : :

25. November 2014

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Wenn es kein Brot gibt, dann isst man eben Kuchen! (»S’ils n’ont pas de pain, qu’ils mangent de la brioche«) Die gern zitierte Anspielung geht wohl gar nicht auf die geköpfte Antoinette zurück, sondern stammt aus einem Roman von Rousseau. Und warum fällt mir das jetzt ein… – – ah – ein Palais. Ja natürlich, das Palais Ferstel. In so einem Palais da fühle ich mich ja immer gleich daheim. Obwohl das Ferstel, streng genommen, schon von jeher eine Passage war, und keineswegs ein Palais. („Die Bezeichnung Palais ist unhistorisch.“) Aber es klingt doch so prachtvoll. Und das sind die zahllosen Bogengänge und reichverzierten schmiedeeisernen Tor- und Fenstergitter mit ihren Arabesken ganz zweifellos. Der alte Ferstel (der war nämlich der Baumeister) hat schon gewusst, was was hermacht. Ein königlicher Bogen jagt den nächsten. Das reinste Bogen-Schießen! Schon großartig, das Ferstel. Auch wieder so ein Name, wo ich mich frage, woher mir der so geläufig ist. „Palais Ferstel“. Keiner hat mir je davon erzählt. Mein Architektur-Studium liegt nun auch schon so weit zurück, dass ich mich jetzt direkt gar nicht mehr richtig daran erinnern kann, ob es sich dabei vielleicht doch nur um Wunschdenken handelt. Eventuell ein dunkles Raunen von der einen oder anderen durchblätterten, reichhaltig bebilderten Geschichte über Wien und seine schönsten Einkaufsgeschäfte in einer alten Vogue. Das klingt mir doch recht wahrscheinlich. (Man soll auch nicht zu viel lügen.)


Das macht sich ja auch alles ganz exzellent für Modefotografie. So hindrapiert, an so einen Bogen. Oder im Café Central. Das ist auch da, das hochberühmte Kaffeehaus. Es ist aber nicht in der Strecke, weil ich die paar wenigen Bilder, die ich vom Central habe, extra präsentieren will. Das macht mehr her! Das war nämlich unser Kaffeehaus-Tag, dieser schöne Regentag in Wien, unser letzter. Obwohl wir nicht im Central waren, weil es viel zu voll war, werde ich ein klein wenig so tun als ob. Merkt ja keiner. Nächste Strecke. Und dann kommen nur noch Kaffeehäuser, wo wir auch drin waren. Denn es war ja, wie erwähnt, der perfekte Regentag.




Freuen Sie sich also nicht nur auf einen als-ob-Kaffeehaus-Besuch im Central, sondern auch noch auf richtige. Im Jelinek, und im Griensteidl am Michaelerplatz und zuguterletzt im ganz und gar unverzichtbaren Hawelka. Und vorher gibt es noch ein schönes Essen im Ristorante Fratelli mit Adriano Celentano (leider nur im Radio) und einem Regenspaziergang durch den Hof der Hofburg. Und fast hätten wir es auch noch ins Sisi-Museum geschafft. Aber alles kann man halt nicht auf einmal machen. Und dann heißt es auch schon bald Abschied nehmen. Aber noch dürfen Sie uns ein bißchen begleiten. Ich wollte nur schon einmal ganz dezent ankündigen, dass es nicht mehr ewig so weiter gehen wird. Also genießen Sie die letzten Stunden in Wien bitte noch umso mehr.




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23. November 2014

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Noch gemeinsam etwas trinken. Nach ein bißchen herumschauen um den Karlsplatz herum (ist der nah zum Kunsthistorischen Museum? Muss ich direkt mal schauen… tatsächlich nur wenige Schritte entfernt, mir war auch, dass wir nicht weit gelaufen sind), wo in einem modernen Lokal, das Victor und mir sehr gut gefallen hätte, die Küche schon zu war, sind wir ein bißchen ratlos Richtung Club U in dem einen Otto-Wagner-Pavillon am Karlsplatz, wo unten nicht viel los war. Und dann nach ganz oben, unters Dach vom Pavillon, wo sich eine etwas improvisiert wirkende Lokalität befindet. Schon eine richtige Bar, aber dann im hinteren Bereich ein Raum, wohl eine ehemalige Wartehalle, vermute ich, wo ein paar ausrangierte Polstermöbel gestanden haben. An der Wand waren über der Siebziger-Jahre-Kunstledercouch lustige, so streetartmäßig improvisiert, auf Pappkarton geklebte, bunte Kunstwerke. Dass es da eher nichts zu essen geben würde, war mir schon recht bald klar, weil es ja auch keine Tische gab, wo man einen Teller hätte draufstellen können. Ich habe dann begriffen, dass ich mich wohl von der Vorstellung verabschieden muss, den Abend, als Krönung, in einem lauschigen Restaurant mit einem drei-Gänge-Menü und besten Weinen zu beschließen. Ich glaube, ich habe einen Filterkaffee getrunken, schwarz. Und Duke und Victor Bier aus der Flasche, wie das Männer so gerne machen. Nun hatte ich mich ja den ganzen Abend mit Alkohol zurückgehalten, weil ich noch in der Rekonvaleszenz war und dachte, ich müsste meine Kapazitäten für das opulente Abendessen aufsparen, wo ich dann nicht mehr mit alkoholischer Begleitung geizen wollte. Wir erinnern uns: es war noch immer der 14. Mai, an dem ich ziemlich verkatert und anlehnungsbedürftig mit Duke zum Belvedere gelaufen bin. Das letzte, was ich gegessen hatte, war das Schnitzel im Belvedere-Café, gegen Mittag. Und danach nur noch mehrere Tassen Kaffee, einmal im Schwarzenberg und dann vielleicht noch dazwischen, als wir kurz heim sind, vor dem abendlichen Ausflug zum Ganymed, wo ich im Kuppelcafé auch wieder nur Kaffee getrunken hatte. Mittlerweile ging es mir auch schon wieder recht prima. Zumal die schönen Erlebnisse beim Ganymed meinem Befinden auch insgesamt zuträglich waren. Jedenfalls habe ich dann in der Kneipe im Otto-Wagner-Pavillon – ich nenne das Lokal mangels genauerer Kenntnis einfach „Otto-Wagner-Club“, meinen Kaffee getrunken und meine Fotos durchgeschaut und ein bißchen herumgeknipst, während sich Duke und Victor sehr nett unterhalten haben. Über ihre künstlerischen Projekte, und an was sie gerade schreiben, und wie man so überlebt. Einmal ging es irgendwie darum, dass ich bestimmt habe, wann wir aufstehen und frühstücken und aufbrechen oder so ähnlich, also während der letzten Tage, in der Ferienwohnung in Wien, und da dachte ich so bei mir, das hört sich an, als wären wir dreißig Jahre verheiratet, wie Duke das gerade Victor erzählt. Das hat mich ganz seltsam berührt, weil wir ja kein Paar sind und er damals, vor dreizehn, vierzehn Jahren, als man davon hätte reden können, nie solche leicht vereinnahmenden, vertraulichen Bemerkungen gemacht hatte. Ob es damit zu tun hatte, dass er die Geschichte von Victor und mir kannte und rückwirkend ein bißchen Revier markieren wollte? Duke und ich kannten uns seit Neunzehnhundertdreiundachtzig und hatten uns heimlich angeschmachtet, er war anderweitig liiert und ließ sich daher wenig anmerken. Und ich mir auch so wenig wie möglich.

Das unerfüllte Sehnen zog sich fast drei Jahre hin und dann begegnete mir Victor und ich verliebte mich sehr in ihn. Da wurde nicht lange gefackelt, ich musste ihn nicht ein paar Jahre lang vergeblich anbeten. Es währte ein paar Monate, und dann zog ich im April ’86 weit weg, nach Berlin, wo ein anderes Leben begann. Ca. 1987 ließ mir Duke aus der Ferne einen Gruß übermitteln, durch einen gemeinsamen Freund, der mich in Berlin besuchte, mehr geschah nicht. Durch eine selten schicksalshafte Fügung bekam ich im Januar 2000, also fünfzehn Jahre, nachdem ich Duke das letzte mal gesehen hatte, vielleicht bei diesem Nico-Konzert 1985, ein Theaterprogramm in die Hände, auf dem vermerkt war, dass im Theater am Südwestkorso in Berlin, ein Stück namens „Uhrwerk Banane“ gespielt wird, von dem Autor Duke Meyer. Es durchzuckte mich, und ich nahm per Mail Kontakt mit der Leitung des Theaters auf, um zu erfragen, ob sie eine Mail-Adresse des Autors haben und eine kleine Botschaft von mir weiterleiten könnten. Ich schrieb nur wenige Zeilen, „ich weiß nicht, ob du dich noch an mich erinnerst….“ usw., nur wenige Stichworte und einen Gruß. Das war am 13. Januar 2000. Immer wieder schaute ich in mein Mail-Postfach, aber da kam nichts. Und dann, etwa fünf Tage später, sah ich eine Mail. Sie war von Duke. Es war die längste E-Mail, die ich je von jemandem bekommen hatte. Ich druckte sie aus. Es waren in kleingedruckter Schrift, höchstens 9 Punkte, 8 DIN A4-Seiten. In denen er mir nicht nur mitteilte, dass er sich sehr wohl an mich erinnern würde, sondern auch, dass es ihm damals genauso ging wie mir. Was mir all die Jahre nicht klar war. Ich hatte nur so ein bestimmtes Gefühl. Auf den übrigen Seiten erzählte er mir sein Leben seither, all die Jahre. Und dass er bis vor zwei Monaten noch in Berlin gewohnt hätte. Das hat mir einigermaßen die Sprache verschlagen. Er hatte, wenn auch nur für etwa zwei Jahre, in Berlin gelebt und ich hatte nichts davon gewusst. Und nun war er – der Liebe wegen – gerade wieder weggezogen, in eine kleine Stadt in Süddeutschland, wo seine neue Liebe ihren Lebensmittelpunkt hatte. Von dieser Mail an schrieben wir uns täglich. Bis wir uns in Berlin wiedertrafen, es war im April Zweitausend, hatten wir uns gut und gerne schon tausend Mails geschrieben. Im April kam er nach Berlin und wir trafen uns am Alexanderplatz im Verlagsgebäude vom Berliner Verlag, wo er ein Interview hatte. Es würde zu lange dauern, und wäre mir auch zu aufwühlend, zu beschreiben, was nach dieser Begegnung geschah. Wir mussten nach dieser siebzehn Jahre zurückliegenden, unerfüllten Sehnsucht etwas nachholen. Und das taten wir. Er zog nicht wieder nach Berlin, aber war ab und zu hier. Und während dieser Zeit entstanden auch die Filmaufnahmen, die ich im April letzten Jahres digitalisieren ließ und verarbeitete.

Das letzte mal sah ich ihn Mitte Dezember 2002, so lange ging unsere Geschichte. Und dann brach der Kontakt ab. Ich hörte nie mehr von ihm. Alles, was ich seither über ihn erfahren konnte, war durch das Internet, wo er ab 2004 einmal im Monat etwas schrieb, was ihn bewegte und was er tat. Das Netz macht es möglich, dass man sich auch nach Ende eines Kontaktes noch weiter ein Bild von jemandem machen kann. Ich brauchte lange, um über das plötzliche Ende hinwegzukommen. Aber im Jahr 2007 hatte ich es endlich verarbeitet. Ich wusste auch, dass er eine Frau, eine Wienerin, gefunden und sogar geheiratet hatte, die – wie ich fand – sehr gut zu ihm passte. Ich spürte keinen Argwohn mehr, ich wünschte ihm innerlich Glück und Frieden. Als ich die Filmaufnahmen wieder fand, und sie digitalisiert nach und nach verarbeitete, war mir recht bald klar, dass es unangemessen wäre, ihm das nicht zu Kenntnis zu geben. Was ich mit einer Mail-Notiz tat, ohne viele Worte. Ich schickte ihm immer einen Link, wenn ein neues Opus mit ihm fertig war. Er dankte meistens kurz, das war es dann auch. Das war im Sommer 2013, im Juli. Und dann starb mein Neffe, Ende Juli. Und ich hatte das dringende Bedürfnis, ihm das mitzuteilen, weil er indirekt damit zu tun hatte, dass sich die Eltern meines Neffen, mein Bruder und die Mutter des Jungen überhaupt trafen. November 1983. Ich war bei einem Konzert von Dukes Band und lange vorher da. Und die spätere Lebensgefährtin meines Bruders auch. Sie sprach mich an. Wir befreundeten uns und so lernte sie meinen Bruder kennen. Ich war nur wegen Duke bei diesem Konzert. Wäre er nicht aufgetreten, wäre ich nicht dort gewesen, hätte ich die Frau, die später eine gute Freundin wurde, nicht getroffen, hätte sie vielleicht meinen Bruder nie kennengelernt und wäre mein Neffe vielleicht nie geboren worden… Wie das Leben so spielt. Ich wollte Duke auch deshalb über den Tod in Kenntnis setzten, weil ich sah, dass die beiden auf facebook befreundet waren und ich wissen wollte, ob sie sich überhaupt tatsächlich kannten, oder ob es nur so eine facebook-Bekanntschaft war. Duke schrieb mir auf die Mitteilung des Todes meines Neffen sehr bewegt und einfühlsam zurück, nein, er konnte sich nicht erinnern, ihn je persönlich getroffen zu haben. Aber mein Neffe wusste ziemlich gut, wer Duke war, weil seine Mutter ihm manchmal von früher erzählte, wie sie seinen Vater kennengelernt hatte. Duke war gerade in einem Sommerurlaub bei Freunden in Spanien, als er mir zurückschrieb. Seither wurde unser Austausch wieder persönlicher und wortreicher. Und die Idee kam auf, dass wir uns noch einmal sehen wollten, bevor wir selbst das Zeitliche segnen. Was zunächst pathetisch wirken mag, angesichts unseres mittleren Alters, Duke ist 1959 geboren und ich 1965. Aber wenn man gerade einen achtundzwanzigjährigen, jungen, gesunden Mann begraben hat, kommen einem solche Gedanken. Und weil Duke immer wieder so begeistert von Wien schrieb, dachte ich, es wäre eine schöne Idee, dass wir uns in Wien noch einmal treffen. In Frieden und Versöhnung. In Freundschaft und Verbundenheit. Und wie es das Schicksal so will, erfuhr ich gerade in diesen Monaten, Ende 2013, Anfang 2014, dass es Victor noch gab. Lange fand ich keine Spur von ihm im Netz, obwohl ich all die Jahre immer einmal wieder schaute. Und nun doch. Ich fand ihn und sah, dass er mittlerweile in Wien lebte. Ich kommentierte unter einem Video, das er gemacht hatte und daraufhin kommentierte er zurück. So hatten wir auch wieder Kontakt. Ihn hatte ich seit 1988 nicht mehr gesehen, als er mich einmal kurz in Berlin besucht hatte. Also sechsundzwanzig Jahre. Als es sicher war, dass Duke und ich uns im Mai in Wien treffen würden, teilte ich es Victor mit und er war auch dafür, dass wir uns bei der Gelegenheit doch einmal wiedersehen sollten, in der Stadt, in der er nun seit vielen Jahren lebte. So war das also. Das ist die Hintergrundgeschichte. Und nun saß ich mit Duke und Victor in Wien in einer kleinen Kneipe, die mich sogar ein bißchen an unsere Zeiten in den Achtziger Jahren, im Kunstverein erinnerte. So schließt sich der Kreis. Wir tranken zum Abschied noch einen oder auch zwei Bourbon an der Bar, auf die guten alten Zeiten. Und die Gegenwart. Und die Zukunft. Und Alles. Das tat sehr gut. Wir verabschiedeten uns mit einer warmen Umarmung und Victor fuhr heim und Duke und ich nahmen ein Taxi zur Wohnung in der Lambrechtgasse, wo wir ja noch viele Sachen im Kühlschrank hatten und auch Wein. Wir saßen also wieder an unserem mittlerweile vertrauten Treffpunkt in der riesigen Wohnung, dem Tisch in der Küche, und ließen den Tag Revue passieren und hörten und sprachen über Musik. Auch seine. Ich hatte in all den Jahren auch mitbekommen, was er gemacht hatte und dass er einmal im Jahr bei einem Projekt von Songwritern dabei ist, wo über den ganzen Monat Februar vierzehn Songs geschrieben und im Internet hochgeladen werden müssen, wohlgemerkt von jedem einzelnen Songwriter, um den trüben, nutzlosen Februar über die Bühne zu bringen. Es nennt sich FAWM, Abkürzung für February Album Writing Month. Ich hatte im Februar 2014 in seine Sachen reingehört und eine Skizze hatte es mir besonders angetan. Die Songs sind nicht fertig produziert, sondern Schnellschüsse, first Takes, Work in Progress. Das wäre ja auch gar nicht zu schaffen, wenn man alle zwei Tage ein neues Werk hochladen muss, um dieses sehr sportliche Ziel dieser weltweiten Community zu erreichen. Jedenfalls mochte ich einen Song ganz besonders und ich klickte immer wieder mal auf die Seite, um ihn hören zu können. Er erinnerte mich ein bißchen an die Sachen von Grace Jones aus den Achtzigern, die wir damals auch gehört hatten. Das Album „Warm Leatherette“ lief rauf und runter, Duke hörte das mindestens genauso oft wie ich, damals. Ich erinnere mich an Abende in Wohngemeinschaftsküchen, wo die Platte lief. Damals hatten wir noch keine CDs. Und er zuckte zum Beat mit seinen langen Gliedmaßen. In seiner Leopardenhose, klopfte mit den beringten und bereiften Händen und Armen den Rhythmus auf den Küchentisch und ich freute mich am Vibrieren. Deshalb wohl mochte und mag ich den Song auch so gerne. Er heißt „Wo…?“ und ist mittlerweile auch zum Anhören auf seiner Seite. Es ist immer noch dieselbe Rohskizze, aber dafür finde ich den Song erstaunlich fertig. Ich fragte Duke, ob ich den Song vielleicht bekommen dürfte, damit ich ihn anhören könnte, wann immer ich wollte. Er freute sich darüber und wir klappten beide unsere Rechner auf und er mailte mir den Song über den Küchentisch. Dank der archivierten Mail und ihrer Sendedaten kann ich einwandfrei rekonstruieren, dass das am 14. Mai war:
……………………………………………………………………………………………..
14.05.2014 um 23:12 Uhr
Wo find ich dich
Von: Duke Meyer
An: Gaga Nielsen

Huhu, Königin des verfeinerten Geschmacks,
hier kommt die Skizze „Wo find ich dich“, die in dieser Urfassung nur „Wo?“ heißt (die ich aber nicht umbenenne, weil sie immer noch für FAWM verlinkt ist so). Wir hoffen, diese Sendung entspricht Ihren Erwartungen.
XXX
Duke

……………………………………………………………………………………………..
Ich musste lachen, als ich die Mail las, weil jeder andere hätte einfach die Datei angehängt und kommentarlos gepostet. Aber Duke ließ es sich nicht nehmen, noch eine formvollendete Mitteilung dazu zu posten. Er schreibt tatsächlich leidenschaftlich gerne. Das hatten wir immer gemeinsam und immerhin das wird sich wohl auch nie ändern. Und weil wir sowieso schon dabei waren, Sachen auszutauschen, fiel mir ein, dass ich ja auch noch die digitalisierten Songs von seiner Band aus den Achtziger Jahren auf meinem Rechner hatte, die er selbst gar nicht besaß. Und ich hatte sie auch nur durch diese erstaunliche Fügung, dass bei der Trauerfeier für meinen Neffen, der frühere Bandkollege und Tontechniker von Dukes Band neben mir saß. Der, der mir als ich schon in Berlin war, einen Gruß von Duke ausgerichtet hatte. Und der meinen Neffen und seine Brüder gut kannte und deswegen bei der Beisetzung und der Trauerfeier war. Wir hatten uns lange und intensiv unterhalten und es kam die Rede darauf, ob er die alten analogen Aufnahmen je digitalisiert hat. Natürlich! Selbstverständlich! meinte Schwarzmann. Und: „Warte! Ich bin gleich wieder da!“ Sprang auf, packte sein Fahrrad und fuhr um die Ecke zu seinem Tonstudio, um mir mal eben zwischendurch, zwischen Kaffee und Kuchen, die alten Songs auf CD zu brennen. Nach zwanzig Minuten war er wieder zurück und gab mir die alten Aufnahmen auf zwei CDs. Und diese Dateien schob ich nun in Wien auf einen USB-Stick, und reichte ihn Duke über den Küchentisch. Einer meiner liebsten Songs darauf war „Ich fühl mich gut„. Ich hatte ihn in dem ersten Video verarbeitet, mit dem alten Material von Duke. Damals hatte ich keine digitale Version davon und nahm einfach direkt aus dem Raum vom laufenden Kassettenrekorder in meinem Atelier auf. Aber nun saßen wir in der Küche im schönen Wien und hörten fasziniert und gerührt noch einmal gemeinsam die ganzen alten Lieder von damals, aus der Zeit, als wir ineinander verliebt waren und es keiner zugab. Wir hatten auch noch Kartoffelchips und andere Sachen zu essen und einen unheimlich guten österreichischen Rotwein, einen blauen Zweigelt von der Weinmanufaktur Krems. Der absolut allerbeste Wein, den wir bislang auf diesem Tisch hatten, da waren wir uns einig. Angemessen, um diesen so erlebnisreichen Tag mit Klimts Kuss im Belvedere und dem Schwarzenberg und dem Karlsplatz und der Secession und dem Ganymed und dem Abschied von Victor, und unseren gemeinsamen Erinnerungen zu beschließen.

Ich war im großen Zauberwald
Tief unten auch bei den Maschinen
Ich sah für Stunden nur Asphalt
Und fuhr dir nach auf tausend Schienen
Ich war im sauberen Büro
Und lugte in die Besenkammern
Im Dschungel war ich sowieso
Auch dort, wo Herzen sich anklammern
Im Film hab ich dich nicht gesehen
Und in den Büchern nicht gefunden
Die Menschen können mich nicht verstehen
Du wärst seit ewig schon verschwunden
Du weißt, ich bin dir auf der Spur
Komm dich zurück nach Hause holen
Versteckst dich hinter Politur
Hörst schon das Schlurfen leiser Sohlen
Du bist die letzte vom Verein
Die anderen hab ich schon gerettet
Du wirst die Auslöserin sein
Der Anstoß der Ereigniskette
Dann ist der Zauber bald vorbei
Und alle sehen die Maschinen
Dann grüßen wir die Wirklicheit
Wollen niemand anderem mehr dienen

© Duke Meyer 2014, Wo…
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23. November 2014

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Noch gemeinsam etwas trinken. Nach ein bißchen herumschauen um den Karlsplatz herum (ist der nah zum Kunsthistorischen Museum? Muss ich direkt mal schauen… tatsächlich nur wenige Schritte entfernt, mir war auch, dass wir nicht weit gelaufen sind), wo in einem modernen Lokal, das Victor und mir sehr gut gefallen hätte, die Küche schon zu war, sind wir ein bißchen ratlos Richtung Club U in dem einen Otto-Wagner-Pavillon am Karlsplatz, wo unten nicht viel los war. Und dann nach ganz oben, unters Dach vom Pavillon, wo sich eine etwas improvisiert wirkende Lokalität befindet. Schon eine richtige Bar, aber dann im hinteren Bereich ein Raum, wohl eine ehemalige Wartehalle, vermute ich, wo ein paar ausrangierte Polstermöbel gestanden haben. An der Wand waren über der Siebziger-Jahre-Kunstledercouch lustige, so streetartmäßig improvisiert, auf Pappkarton geklebte, bunte Kunstwerke. Dass es da eher nichts zu essen geben würde, war mir schon recht bald klar, weil es ja auch keine Tische gab, wo man einen Teller hätte draufstellen können. Ich habe dann begriffen, dass ich mich wohl von der Vorstellung verabschieden muss, den Abend, als Krönung, in einem lauschigen Restaurant mit einem drei-Gänge-Menü und besten Weinen zu beschließen. Ich glaube, ich habe einen Filterkaffee getrunken, schwarz. Und Duke und Victor Bier aus der Flasche, wie das Männer so gerne machen. Nun hatte ich mich ja den ganzen Abend mit Alkohol zurückgehalten, weil ich noch in der Rekonvaleszenz war und dachte, ich müsste meine Kapazitäten für das opulente Abendessen aufsparen, wo ich dann nicht mehr mit alkoholischer Begleitung geizen wollte. Wir erinnern uns: es war noch immer der 14. Mai, an dem ich ziemlich verkatert und anlehnungsbedürftig mit Duke zum Belvedere gelaufen bin. Das letzte, was ich gegessen hatte, war das Schnitzel im Belvedere-Café, gegen Mittag. Und danach nur noch mehrere Tassen Kaffee, einmal im Schwarzenberg und dann vielleicht noch dazwischen, als wir kurz heim sind, vor dem abendlichen Ausflug zum Ganymed, wo ich im Kuppelcafé auch wieder nur Kaffee getrunken hatte. Mittlerweile ging es mir auch schon wieder recht prima. Zumal die schönen Erlebnisse beim Ganymed meinem Befinden auch insgesamt zuträglich waren. Jedenfalls habe ich dann in der Kneipe im Otto-Wagner-Pavillon – ich nenne das Lokal mangels genauerer Kenntnis einfach „Otto-Wagner-Club“, meinen Kaffee getrunken und meine Fotos durchgeschaut und ein bißchen herumgeknipst, während sich Duke und Victor sehr nett unterhalten haben. Über ihre künstlerischen Projekte, und an was sie gerade schreiben, und wie man so überlebt. Einmal ging es irgendwie darum, dass ich bestimmt habe, wann wir aufstehen und frühstücken und aufbrechen oder so ähnlich, also während der letzten Tage, in der Ferienwohnung in Wien, und da dachte ich so bei mir, das hört sich an, als wären wir dreißig Jahre verheiratet, wie Duke das gerade Victor erzählt. Das hat mich ganz seltsam berührt, weil wir ja kein Paar sind und er damals, vor dreizehn, vierzehn Jahren, als man davon hätte reden können, nie solche leicht vereinnahmenden, vertraulichen Bemerkungen gemacht hatte. Ob es damit zu tun hatte, dass er die Geschichte von Victor und mir kannte und rückwirkend ein bißchen Revier markieren wollte? Duke und ich kannten uns seit Neunzehnhundertdreiundachtzig und hatten uns heimlich angeschmachtet, er war anderweitig liiert und ließ sich daher wenig anmerken. Und ich mir auch so wenig wie möglich.

Das unerfüllte Sehnen zog sich fast drei Jahre hin und dann begegnete mir Victor und ich verliebte mich sehr in ihn. Da wurde nicht lange gefackelt, ich musste ihn nicht ein paar Jahre lang vergeblich anbeten. Es währte ein paar Monate, und dann zog ich im April ’86 weit weg, nach Berlin, wo ein anderes Leben begann. Ca. 1987 ließ mir Duke aus der Ferne einen Gruß übermitteln, durch einen gemeinsamen Freund, der mich in Berlin besuchte, mehr geschah nicht. Durch eine selten schicksalshafte Fügung bekam ich im Januar 2000, also fünfzehn Jahre, nachdem ich Duke das letzte mal gesehen hatte, vielleicht bei diesem Nico-Konzert 1985, ein Theaterprogramm in die Hände, auf dem vermerkt war, dass im Theater am Südwestkorso in Berlin, ein Stück namens „Uhrwerk Banane“ gespielt wird, von dem Autor Duke Meyer. Es durchzuckte mich, und ich nahm per Mail Kontakt mit der Leitung des Theaters auf, um zu erfragen, ob sie eine Mail-Adresse des Autors haben und eine kleine Botschaft von mir weiterleiten könnten. Ich schrieb nur wenige Zeilen, „ich weiß nicht, ob du dich noch an mich erinnerst….“ usw., nur wenige Stichworte und einen Gruß. Das war am 13. Januar 2000. Immer wieder schaute ich in mein Mail-Postfach, aber da kam nichts. Und dann, etwa fünf Tage später, sah ich eine Mail. Sie war von Duke. Es war die längste E-Mail, die ich je von jemandem bekommen hatte. Ich druckte sie aus. Es waren in kleingedruckter Schrift, höchstens 9 Punkte, 8 DIN A4-Seiten. In denen er mir nicht nur mitteilte, dass er sich sehr wohl an mich erinnern würde, sondern auch, dass es ihm damals genauso ging wie mir. Was mir all die Jahre nicht klar war. Ich hatte nur so ein bestimmtes Gefühl. Auf den übrigen Seiten erzählte er mir sein Leben seither, all die Jahre. Und dass er bis vor zwei Monaten noch in Berlin gewohnt hätte. Das hat mir einigermaßen die Sprache verschlagen. Er hatte, wenn auch nur für etwa zwei Jahre, in Berlin gelebt und ich hatte nichts davon gewusst. Und nun war er – der Liebe wegen – gerade wieder weggezogen, in eine kleine Stadt in Süddeutschland, wo seine neue Liebe ihren Lebensmittelpunkt hatte. Von dieser Mail an schrieben wir uns täglich. Bis wir uns in Berlin wiedertrafen, es war im April Zweitausend, hatten wir uns gut und gerne schon tausend Mails geschrieben. Im April kam er nach Berlin und wir trafen uns am Alexanderplatz im Verlagsgebäude vom Berliner Verlag, wo er ein Interview hatte. Es würde zu lange dauern, und wäre mir auch zu aufwühlend, zu beschreiben, was nach dieser Begegnung geschah. Wir mussten nach dieser siebzehn Jahre zurückliegenden, unerfüllten Sehnsucht etwas nachholen. Und das taten wir. Er zog nicht wieder nach Berlin, aber war ab und zu hier. Und während dieser Zeit entstanden auch die Filmaufnahmen, die ich im April letzten Jahres digitalisieren ließ und verarbeitete.

Das letzte mal sah ich ihn Mitte Dezember 2002, so lange ging unsere Geschichte. Und dann brach der Kontakt ab. Ich hörte nie mehr von ihm. Alles, was ich seither über ihn erfahren konnte, war durch das Internet, wo er ab 2004 einmal im Monat etwas schrieb, was ihn bewegte und was er tat. Das Netz macht es möglich, dass man sich auch nach Ende eines Kontaktes noch weiter ein Bild von jemandem machen kann. Ich brauchte lange, um über das plötzliche Ende hinwegzukommen. Aber im Jahr 2007 hatte ich es endlich verarbeitet. Ich wusste auch, dass er eine Frau, eine Wienerin, gefunden und sogar geheiratet hatte, die – wie ich fand – sehr gut zu ihm passte. Ich spürte keinen Argwohn mehr, ich wünschte ihm innerlich Glück und Frieden. Als ich die Filmaufnahmen wieder fand, und sie digitalisiert nach und nach verarbeitete, war mir recht bald klar, dass es unangemessen wäre, ihm das nicht zu Kenntnis zu geben. Was ich mit einer Mail-Notiz tat, ohne viele Worte. Ich schickte ihm immer einen Link, wenn ein neues Opus mit ihm fertig war. Er dankte meistens kurz, das war es dann auch. Das war im Sommer 2013, im Juli. Und dann starb mein Neffe, Ende Juli. Und ich hatte das dringende Bedürfnis, ihm das mitzuteilen, weil er indirekt damit zu tun hatte, dass sich die Eltern meines Neffen, mein Bruder und die Mutter des Jungen überhaupt trafen. November 1983. Ich war bei einem Konzert von Dukes Band und lange vorher da. Und die spätere Lebensgefährtin meines Bruders auch. Sie sprach mich an. Wir befreundeten uns und so lernte sie meinen Bruder kennen. Ich war nur wegen Duke bei diesem Konzert. Wäre er nicht aufgetreten, wäre ich nicht dort gewesen, hätte ich die Frau, die später eine gute Freundin wurde, nicht getroffen, hätte sie vielleicht meinen Bruder nie kennengelernt und wäre mein Neffe vielleicht nie geboren worden… Wie das Leben so spielt. Ich wollte Duke auch deshalb über den Tod in Kenntnis setzten, weil ich sah, dass die beiden auf facebook befreundet waren und ich wissen wollte, ob sie sich überhaupt tatsächlich kannten, oder ob es nur so eine facebook-Bekanntschaft war. Duke schrieb mir auf die Mitteilung des Todes meines Neffen sehr bewegt und einfühlsam zurück, nein, er konnte sich nicht erinnern, ihn je persönlich getroffen zu haben. Aber mein Neffe wusste ziemlich gut, wer Duke war, weil seine Mutter ihm manchmal von früher erzählte, wie sie seinen Vater kennengelernt hatte. Duke war gerade in einem Sommerurlaub bei Freunden in Spanien, als er mir zurückschrieb. Seither wurde unser Austausch wieder persönlicher und wortreicher. Und die Idee kam auf, dass wir uns noch einmal sehen wollten, bevor wir selbst das Zeitliche segnen. Was zunächst pathetisch wirken mag, angesichts unseres mittleren Alters, Duke ist 1959 geboren und ich 1965. Aber wenn man gerade einen achtundzwanzigjährigen, jungen, gesunden Mann begraben hat, kommen einem solche Gedanken. Und weil Duke immer wieder so begeistert von Wien schrieb, dachte ich, es wäre eine schöne Idee, dass wir uns in Wien noch einmal treffen. In Frieden und Versöhnung. In Freundschaft und Verbundenheit. Und wie es das Schicksal so will, erfuhr ich gerade in diesen Monaten, Ende 2013, Anfang 2014, dass es Victor noch gab. Lange fand ich keine Spur von ihm im Netz, obwohl ich all die Jahre immer einmal wieder schaute. Und nun doch. Ich fand ihn und sah, dass er mittlerweile in Wien lebte. Ich kommentierte unter einem Video, das er gemacht hatte und daraufhin kommentierte er zurück. So hatten wir auch wieder Kontakt. Ihn hatte ich seit 1988 nicht mehr gesehen, als er mich einmal kurz in Berlin besucht hatte. Also sechsundzwanzig Jahre. Als es sicher war, dass Duke und ich uns im Mai in Wien treffen würden, teilte ich es Victor mit und er war auch dafür, dass wir uns bei der Gelegenheit doch einmal wiedersehen sollten, in der Stadt, in der er nun seit vielen Jahren lebte. So war das also. Das ist die Hintergrundgeschichte. Und nun saß ich mit Duke und Victor in Wien in einer kleinen Kneipe, die mich sogar ein bißchen an unsere Zeiten in den Achtziger Jahren, im Kunstverein erinnerte. So schließt sich der Kreis. Wir tranken zum Abschied noch einen oder auch zwei Bourbon an der Bar, auf die guten alten Zeiten. Und die Gegenwart. Und die Zukunft. Und Alles. Das tat sehr gut. Wir verabschiedeten uns mit einer warmen Umarmung und Victor fuhr heim und Duke und ich nahmen ein Taxi zur Wohnung in der Lambrechtgasse, wo wir ja noch viele Sachen im Kühlschrank hatten und auch Wein. Wir saßen also wieder an unserem mittlerweile vertrauten Treffpunkt in der riesigen Wohnung, dem Tisch in der Küche, und ließen den Tag Revue passieren und hörten und sprachen über Musik. Auch seine. Ich hatte in all den Jahren auch mitbekommen, was er gemacht hatte und dass er einmal im Jahr bei einem Projekt von Songwritern dabei ist, wo über den ganzen Monat Februar vierzehn Songs geschrieben und im Internet hochgeladen werden müssen, wohlgemerkt von jedem einzelnen Songwriter, um den trüben, nutzlosen Februar über die Bühne zu bringen. Es nennt sich FAWM, Abkürzung für February Album Writing Month. Ich hatte im Februar 2014 in seine Sachen reingehört und eine Skizze hatte es mir besonders angetan. Die Songs sind nicht fertig produziert, sondern Schnellschüsse, first Takes, Work in Progress. Das wäre ja auch gar nicht zu schaffen, wenn man alle zwei Tage ein neues Werk hochladen muss, um dieses sehr sportliche Ziel dieser weltweiten Community zu erreichen. Jedenfalls mochte ich einen Song ganz besonders und ich klickte immer wieder mal auf die Seite, um ihn hören zu können. Er erinnerte mich ein bißchen an die Sachen von Grace Jones aus den Achtzigern, die wir damals auch gehört hatten. Das Album „Warm Leatherette“ lief rauf und runter, Duke hörte das mindestens genauso oft wie ich, damals. Ich erinnere mich an Abende in Wohngemeinschaftsküchen, wo die Platte lief. Damals hatten wir noch keine CDs. Und er zuckte zum Beat mit seinen langen Gliedmaßen. In seiner Leopardenhose, klopfte mit den beringten und bereiften Händen und Armen den Rhythmus auf den Küchentisch und ich freute mich am Vibrieren. Deshalb wohl mochte und mag ich den Song auch so gerne. Er heißt „Wo…?“ und ist mittlerweile auch zum Anhören auf seiner Seite. Es ist immer noch dieselbe Rohskizze, aber dafür finde ich den Song erstaunlich fertig. Ich fragte Duke, ob ich den Song vielleicht bekommen dürfte, damit ich ihn anhören könnte, wann immer ich wollte. Er freute sich darüber und wir klappten beide unsere Rechner auf und er mailte mir den Song über den Küchentisch. Dank der archivierten Mail und ihrer Sendedaten kann ich einwandfrei rekonstruieren, dass das am 14. Mai war:
……………………………………………………………………………………………..
14.05.2014 um 23:12 Uhr
Wo find ich dich
Von: Duke Meyer
An: Gaga Nielsen

Huhu, Königin des verfeinerten Geschmacks,
hier kommt die Skizze „Wo find ich dich“, die in dieser Urfassung nur „Wo?“ heißt (die ich aber nicht umbenenne, weil sie immer noch für FAWM verlinkt ist so). Wir hoffen, diese Sendung entspricht Ihren Erwartungen.
XXX
Duke

……………………………………………………………………………………………..
Ich musste lachen, als ich die Mail las, weil jeder andere hätte einfach die Datei angehängt und kommentarlos gepostet. Aber Duke ließ es sich nicht nehmen, noch eine formvollendete Mitteilung dazu zu posten. Er schreibt tatsächlich leidenschaftlich gerne. Das hatten wir immer gemeinsam und immerhin das wird sich wohl auch nie ändern. Und weil wir sowieso schon dabei waren, Sachen auszutauschen, fiel mir ein, dass ich ja auch noch die digitalisierten Songs von seiner Band aus den Achtziger Jahren auf meinem Rechner hatte, die er selbst gar nicht besaß. Und ich hatte sie auch nur durch diese erstaunliche Fügung, dass bei der Trauerfeier für meinen Neffen, der frühere Bandkollege und Tontechniker von Dukes Band neben mir saß. Der, der mir als ich schon in Berlin war, einen Gruß von Duke ausgerichtet hatte. Und der meinen Neffen und seine Brüder gut kannte und deswegen bei der Beisetzung und der Trauerfeier war. Wir hatten uns lange und intensiv unterhalten und es kam die Rede darauf, ob er die alten analogen Aufnahmen je digitalisiert hat. Natürlich! Selbstverständlich! meinte Schwarzmann. Und: „Warte! Ich bin gleich wieder da!“ Sprang auf, packte sein Fahrrad und fuhr um die Ecke zu seinem Tonstudio, um mir mal eben zwischendurch, zwischen Kaffee und Kuchen, die alten Songs auf CD zu brennen. Nach zwanzig Minuten war er wieder zurück und gab mir die alten Aufnahmen auf zwei CDs. Und diese Dateien schob ich nun in Wien auf einen USB-Stick, und reichte ihn Duke über den Küchentisch. Einer meiner liebsten Songs darauf war „Ich fühl mich gut„. Ich hatte ihn in dem ersten Video verarbeitet, mit dem alten Material von Duke. Damals hatte ich keine digitale Version davon und nahm einfach direkt aus dem Raum vom laufenden Kassettenrekorder in meinem Atelier auf. Aber nun saßen wir in der Küche im schönen Wien und hörten fasziniert und gerührt noch einmal gemeinsam die ganzen alten Lieder von damals, aus der Zeit, als wir ineinander verliebt waren und es keiner zugab. Wir hatten auch noch Kartoffelchips und andere Sachen zu essen und einen unheimlich guten österreichischen Rotwein, einen blauen Zweigelt von der Weinmanufaktur Krems. Der absolut allerbeste Wein, den wir bislang auf diesem Tisch hatten, da waren wir uns einig. Angemessen, um diesen so erlebnisreichen Tag mit Klimts Kuss im Belvedere und dem Schwarzenberg und dem Karlsplatz und der Secession und dem Ganymed und dem Abschied von Victor, und unseren gemeinsamen Erinnerungen zu beschließen.

Ich war im großen Zauberwald
Tief unten auch bei den Maschinen
Ich sah für Stunden nur Asphalt
Und fuhr dir nach auf tausend Schienen
Ich war im sauberen Büro
Und lugte in die Besenkammern
Im Dschungel war ich sowieso
Auch dort, wo Herzen sich anklammern
Im Film hab ich dich nicht gesehen
Und in den Büchern nicht gefunden
Die Menschen können mich nicht verstehen
Du wärst seit ewig schon verschwunden
Du weißt, ich bin dir auf der Spur
Komm dich zurück nach Hause holen
Versteckst dich hinter Politur
Hörst schon das Schlurfen leiser Sohlen
Du bist die letzte vom Verein
Die anderen hab ich schon gerettet
Du wirst die Auslöserin sein
Der Anstoß der Ereigniskette
Dann ist der Zauber bald vorbei
Und alle sehen die Maschinen
Dann grüßen wir die Wirklicheit
Wollen niemand anderem mehr dienen

© Duke Meyer 2014, Wo…
: : alle Wiener Geschichten : :

22. November 2014

(…)
“Was habe ich nach der Wende lernen müssen?”
1. Dass das Leben in Ostberlin nicht so materiell eingeschränkt war, wie man uns im Westen weismachen wollte. Intellektuell und kulturell ohnehin nicht. (“Es war nicht alles nur schlecht.”)
2. Dass Ostberlin die architektonisch spektakulärsten und geschichtsträchtigsten Bereiche des inneren Stadtgebietes
beinhaltet (Lustgarten, Museumsinsel, Opernpalais, Unter den Linden…), und dass es ein großes Geschenk ist, das nun kennen-lernen zu dürfen.
3. Demut und Neugier gegenüber der Kultur, die vorher so weit weg war und die man jetzt ganz nah hat, zum Glück. Zur Horizonterweiterung. Ich habe es immer genossen, mir von Ostberlinern etwas über ihr Leben vor der Wende erzählen zu lassen. Das hat meinen Horizont absolut erweitert.
4. Ich habe gelernt, dass wir in einem materiellen Überfluss leben, der einen auch überfordern kann. Szene in den Tagen nach Mauerfall im November 89 in einem Supermarkt in Berlin-Steglitz. Eine Ostberlinerin steht mit einem kleinen Kind an der Hand vorm Joghurt-Regal und weiß nicht, wo sie zuerst hinschauen soll. Sie sieht dabei nicht glücklich aus. Hunderttausend Sorten und Geschmacksrichtungen. Da muss man sich richtig durcharbeiten, am Anfang. Sie hat sich dann mit dem Kind umgedreht und gar nichts genommen. Da ist mir klar geworden, mit welcher Selbstverständlichkeit wir mit einem zum Teil unsinnigen Überangebot umgehen.
5. Neue Wörter. Interessante und manchmal passendere. “Fahrerlaubnis” statt “Führerschein”. “Zweiraumwohnung” statt “Zweizimmerwohunung”. Und dass Ostberliner anders und selbstverständlicher exzessiv (um nicht zu sagen lustvoll) berlinern als Westberliner. Besonders auffällig bei intellektuelleren, akademisch gebildeten Ostberlinern. Das hat auf mich immer sehr souverän und lässig gewirkt. Und das Wörtchen ‘urst’. (Sagt der Wiener auch) “Urstschön” (= superschön). Geht leider ein bißchen verloren, wie mir scheint. Lange nicht mehr gehört.
P.S. aber das allerschönste Wort, das ich gelernt habe, ist:
Völkerfreundschaft.

Kommentar vom 22.11.2014, 18:05

22. November 2014

(…)
“Was habe ich nach der Wende lernen müssen?”
1. Dass das Leben in Ostberlin nicht so materiell eingeschränkt war, wie man uns im Westen weismachen wollte. Intellektuell und kulturell ohnehin nicht. (“Es war nicht alles nur schlecht.”)
2. Dass Ostberlin die architektonisch spektakulärsten und geschichtsträchtigsten Bereiche des inneren Stadtgebietes
beinhaltet (Lustgarten, Museumsinsel, Opernpalais, Unter den Linden…), und dass es ein großes Geschenk ist, das nun kennen-lernen zu dürfen.
3. Demut und Neugier gegenüber der Kultur, die vorher so weit weg war und die man jetzt ganz nah hat, zum Glück. Zur Horizonterweiterung. Ich habe es immer genossen, mir von Ostberlinern etwas über ihr Leben vor der Wende erzählen zu lassen. Das hat meinen Horizont absolut erweitert.
4. Ich habe gelernt, dass wir in einem materiellen Überfluss leben, der einen auch überfordern kann. Szene in den Tagen nach Mauerfall im November 89 in einem Supermarkt in Berlin-Steglitz. Eine Ostberlinerin steht mit einem kleinen Kind an der Hand vorm Joghurt-Regal und weiß nicht, wo sie zuerst hinschauen soll. Sie sieht dabei nicht glücklich aus. Hunderttausend Sorten und Geschmacksrichtungen. Da muss man sich richtig durcharbeiten, am Anfang. Sie hat sich dann mit dem Kind umgedreht und gar nichts genommen. Da ist mir klar geworden, mit welcher Selbstverständlichkeit wir mit einem zum Teil unsinnigen Überangebot umgehen.
5. Neue Wörter. Interessante und manchmal passendere. “Fahrerlaubnis” statt “Führerschein”. “Zweiraumwohnung” statt “Zweizimmerwohunung”. Und dass Ostberliner anders und selbstverständlicher exzessiv (um nicht zu sagen lustvoll) berlinern als Westberliner. Besonders auffällig bei intellektuelleren, akademisch gebildeten Ostberlinern. Das hat auf mich immer sehr souverän und lässig gewirkt. Und das Wörtchen ‘urst’. (Sagt der Wiener auch) “Urstschön” (= superschön). Geht leider ein bißchen verloren, wie mir scheint. Lange nicht mehr gehört.
P.S. aber das allerschönste Wort, das ich gelernt habe, ist:
Völkerfreundschaft.

Kommentar vom 22.11.2014, 18:05

19. November 2014



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Verabredung um Sieben im Museums-Quartier. Auf den Stufen vom Kunsthistorischen Museum (KHM) sitzt Victor und raucht eine. In der Hand unsere Karten, die er schon vor Monaten besorgt hat. Die Aufführung im Museum ist immer schnell ausverkauft, so beliebt ist sie, und so begehrt die Karten. Ganymed heißt die Inszenierung. Vor einem guten Dutzend berühmter Gemälde spielen Schauspieler und auch Musiker ein kleines Stück, das extra dafür geschrieben und inszeniert wurde. Ungefähr zehn, fünfzehn oder auch zwanzig Minuten dauert jede Aufführung. Es sind recht bekannte Schauspieler dabei, wie Nicole Heesters und Maria Bill, die zum Beispiel vor dem kleinen, aber umso erschreckenderen Gemälde von Peter Paul Rubens „Das Haupt der Medusa“ die vernichtete, körperlose Kreatur darstellt. Ihr Kopf in einem Blutbett aus rotem Samt, spricht verzweifelte Sätze. Daneben schlängelt sich der der kopflose Rest, der nackte Körper einer jüngeren Frau.



In den prunkvollen Sälen des Museums stehen samtgepolsterte Rundbänke und inmitten Podeste, die zur Bühne werden. Man geht wie im Kreis, von einem Saal zum nächsten, hört eine Weile hin, bleibt. Oder geht nach ein paar Minuten weiter, irgendetwas fängt gerade wieder an. Die Bilder werden nicht so sehr beachtet, sie stehen oder hängen zwar oft ganz nah, aber das ist eine Kunst für sich, diese alte Malerei. Der zornige Monolog der Medusa war recht eindrucksvoll. Und dann zwei Säle weiter, hör ich leise Musik. Ein Wienerlied. Keines, das ich schon einmal gehört hätte. Zu einem Bild vom „Heiligen Hieronymus“ Zwei jüngere Männer im Saal, einer spielt Harmonium, weiter nichts. Die Strottern. Der Klang des Instruments geht mir durch und durch. Ich bin ganz aufgewühlt von dem Klang und davon, dass mich das dermaßen anrührt. Ich habe nur einmal in meinem Leben ein Harmonium live gehört. Neunzehnhundertfünfundachtzig bei einem Konzert von Nico. Ich stand ganz vorn. Und Duke war auch da. Aber wir hatten uns dort nur getroffen, nicht verabredet. Jetzt ist er auch wieder da, als ich zum zweiten mal, fast dreißig Jahre später, wieder ein Harmonium höre. Dann fängt der eine an zu singen. Wienerisch. Ganz leicht zu verstehen. Der Text ist so simpel, ich bin geradezu erschüttert. Man wundert sich, warum jemand überhaupt noch komplizierte Sachen schreibt, wenn doch so einfache Worte derart bewegen können. Ich bin ewig dankbar, dass ich jene Aufnahme dieses Liedes entdeckt habe. Jemand von der Crew hat Filmaufnahmen gemacht und zusammengeschnitten. Und genau das Lied darunter gelegt. Man muss gar nichts weiter dazu sagen.


Ich hatte den schwarzen Mantel mit den großen weißen Blumen an. Der hat ganz kleine Taschen, fast alles was man hineinsteckt, fällt bald heraus. Aber das Papiertaschentuch, das ich immer mitnehme, war noch drin. Ich habe es gebraucht. Da waren auch noch andere beeindruckende Dinge, wie das andere musikalische Stück mit der Violine und dem Plattenspieler und dem jungen Mann im goldenen Rock. Und das Prachtcafé unter der Kuppel, wo ich mir einen Kaffee bestellt habe und Duke etwas Kaltes, und der Ober hat was Anderes verstanden und ihm einen gespritzten Apfelsaft gebracht. Das war ein bißchen unglamourös, als abendliches Getränk. Aber das Drumherum dafür das Gegenteil. Ganz und gar feudal. Den Louvre habe ich nicht so prächtig in Erinnerung, wie das Kunsthistorische Museum. Und der Fußboden mit dem schwarzweißen Marmor-Mosaik ist unvergleichlich beeindruckend. Semper war einer der Baumeister. Der Fußboden und das Wienerlied. Das war das Schönste. Ich glaube, außer mir hat keiner geweint. Aber vielleicht habe ich es auch nur nicht bemerkt. Es war halt ein bisserl viel. Ich habe mich ja auch bemüht, es mir nicht zu arg anmerken zu lassen. Und wenn – – eh wurscht.
Der Mensch muss was essen.
Er braucht recht viel Schlaf.
Wenn er einmal hinfällt, dann weint er.
Wenn einmal was geht,
dann bläst er sich auf.
Allein wird er
wurlert.
Zu zweit ist er schwach.
Willen hat er eh keinen.
Wird’s eng, na dann
gibt er halt nach.
Sei ja schön.
Aber tu nicht eitel.
Sei ja gescheit.
Aber tu nicht groß
Wünsch dir nichts.
Und red‘ nicht zu viel.
Nimm Alles wie’s ist.
Anstandslos.
Sei ja fleißig.
Aber schaff dir nichts.
Wenn es wo glitzert,
dann halt dich fern.
Nutz die Zeit.
Lies nicht zu viele Bücher.
Bleib gesund.
Denk jeden Tag ans Sterben.
Du sollst. (Ich soll)
Du sollst. (Ich soll)
Du sollst. (Ich soll)
Du sollst. (Ich soll)
Du sollst nicht. (Ich soll nicht)
Du sollst nicht. (Ich soll nicht)
Du sollst nicht. (nicht)
Du sollst nicht. (soll nicht)
Du sollst nicht. (soll nicht)
Du sollst nicht.

Die Strottern. Ein bisserl viel
: : alle Wiener Geschichten : :

17. November 2014

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Ich darf mich nicht zu sehr betrinken, während ich diesen Eintrag schreibe. Nicht zu trunken werden. Ich darf nicht zu grob und flüchtig werden. Weil ich etwas Filigranes einfangen möchte. Beschwören. Einen filigranen Augenblick. der eine ganze Weile währte. Der mit nichts zu vergleichen war. Der vierzehnte Mai in Wien. Genau, exakt ein halbes Jahr liegt dieser Nachmittag zurück. Die Sonne stand im Stier, auf demselben Grad wie heute* im Skorpion. Ich kann nicht einfach so leichtfüßig wie sonst davon schreiben, dass oder wie ich abermals sehr eingenommen war von der Schönheit einer architektonischen Seltenheit. Vor drei Tagen ungefähr unterhielt ich mich mit einer jungen Frau Ende Zwanzig darüber, dass ich die letzte Zeit mit der Verarbeitung der Reise nach Wien verbringe, und jetzt erst die Muße und Zeit finde, das in Ruhe zu tun, in aller Angemessenheit. Sie war noch nie in Wien. Ich versuchte komprimiert in Worte zu fassen, was die Atmosphäre für mich ausgemacht hat, und warum ich die Stadt für mindestens so sehenswert halte, wie Paris. Sie hatte keine Bilder oder Assoziationen, hörte mir sehr aufmerksam zu. Ich vermute – weiß, dass ich Feuer vermitteln kann, wenn ich entzündet bin. Um meine Eindrücke abzukürzen, erwähnte ich, wie sehr mich die Secession, dieses architektonische Juwel und der darin beheimatete Beethovenfries von Gustav Klimt beeindruckt hatte. Der alles erzählt, was die menschliche Existenz bewegt. An dieser Stelle fehlten mir die Worte. Ich zeigte ihr der Einfachheit halber nur ein Bild von der Secession, auf dem man die Kuppel aus goldenen Lorbeerblättern unter tiefblauem Himmel sieht. Wie ich sie gesehen habe. Sie sah das Bild an. Mit einem Flackern im Blick drehte sie sich um und verkündete „Ich muss nach Wien.“ Und ich dachte mir, sie hat auf Anhieb alles verstanden. Während ich das schreibe, denke ich immer noch, ich müsste mich jedem Wort mit einer so leisen Behutsamkeit annähern, wie man sich zu einem Heiligtum begibt, um den Zauber nicht zu gefährden, zu wahren. Dass ich diesen Ort sehen und erleben möchte, das wusste ich lange schon in Berlin. Und hätte ich mich entscheiden müssen, und nur einige Stunden in Wien gehabt, dann hätte ich diesen Ort sehen wollen.

Alles andere gerne ein andermal. An dieser Stelle scheint es mir eine Erwähnung wert, dass Duke, der mich begleitete, und verschiedene Zeiten seines Lebens auch immer wieder in Wien verbracht hatte, tatsächlich auch noch nicht in der Secession war. Vorbeigegangen, ja. Oft. Oft gesehen. Eine selbstverständliche Schönheit von Wien. Aber an diesem Nachmittag war nicht der Weg sondern dieser Ort das Ziel. Unsere Augen wanderten langsam über das Blattwerk am Eingangsportal und die Inschrift „DER ZEIT IHRE KUNST. DER KUNST IHRE FREIHEIT“. Ich meine mich zu erinnern, wir sahen uns an und waren uns einig, wie großartig dieser Satz ist. Ja. Lass uns hineingehen, sagte ich. Meinst du? Ist noch Zeit? Ja. Es ist noch eine Stunde auf. Komm. Beim Eintreten war ich überrascht, dass die Räume im Vergleich zum Eingangsportal so schmucklos und einfach wirkten. Ich erinnere einfache glatte, weiße Wände. Keine dekorativen Elemente. Als hätte jemand den Lorbeer, der von Außen eine Fortsetzung im Innen verheißt, mit dem Laubsauger entfernt. Ein Museum mit zeitgenössischen Exponaten. Aber ich wusste, dass hier auch der Beethovenfries ist. Und den wollte ich sehen. Da muss der Beethovenfries von Klimt sein, den will ich sehen, sagte ich zu Duke. Nun weiß ich nicht recht weiter mit Worten. Und weil ich bereits ahnte, dass ich an so einen Punkt kommen könnte, wo ich fürchte, die Grenze zwischen angemessener Ergriffenheit und überbordendem Pathos nicht mehr im Griff zu haben, bat ich gestern Duke darum, ob er nicht seine Eindrücke schreiben könnte. Nur ganz kurz, zwei Sätze vielleicht. Bei anderen Orten wo wir waren, wäre ich nicht auf diese Idee gekommen. Außer vielleicht bei der Villa von Ernst Fuchs, aber da fielen mir viele eigene Worte zu. Als wir fast allein in diesem großen, beinah hermetisch wirkenden Raum standen, in dem nichts, als an drei Wänden der Fries in ziemlicher Höhe war, nichts weiter, und ich nach einer Weile stummer Betrachtung, leise aus dem kleinen Faltblatt zu lesen anfing, nämlich was die genauere Bedeutung dieses unfassbaren, virtuosen Szenarios war, jeder einzelnen Abbildung, spürte ich, dass wir dasselbe empfanden. Es war ein Gleichklang großer Ergriffenheit. Ich bin eben, während ich an diesem Eintrag schreibe, aufgestanden, um das Buch zu holen, das ich gerade lese. Es hat nichts mit Wien zu tun. Ich lese das Buch von Mary Bauermeister, einer achtzigjährigen Malerin, Künstlerin, die in unterschiedlicher Weise und Intensität Zeit ihres Lebens mit dem Komponisten Karlheinz Stockhausen verbunden war. Sie beginnt das letzte Kapitel des Buches und das den Titel „Die Liebe ist stärker als der Tod“ trägt, mit den folgenden Worten:

„Stockhausen und ich sitzen etwas erhöht, wie über der Welt, und schauen mit zwei Augenpaaren, aber so, als wäre es nur eines. Wir nehmen gemeinsam wahr, was vergangen ist, sehen in den Raum, in die Räume und in die Zeit. Zunächst in unsere, dann in die der Welt, schließlich in die der Welten. Unsere Blicke weiten sich, nehmen Abstand vom Kleinen, vom Detail, öffnen sich für größeres Erkennen, bis wir die ganze Gewaltigkeit der Schöpfung in uns fühlen. (…)“ Mary Bauermeister, Ich hänge im Triolengitter

»Genien. Die Sehnsucht nach dem Glück (symbolisiert durch die schwebenden Frauengestalten der ersten Tafel). Ritter und leidende Menschheit. Die Leiden der schwachen Menschheit (das kniende Paar und das stehende Mädchen hinter diesem): Die Bitten dieser an den wohlgerüsteten Starken (der Mann in goldener Rüstung mit Schwert) als äußere, Mitleid und Ehrgeiz (die weiblichen Figuren hinter dem Ritter) als innere treibende Kräfte, die ihn das Ringen nach dem Glück aufzunehmen bewegen. Die Feindlichen Gewalten. Der Gigant Typhoeus, gegen den selbst die Götter vergebens kämpften (das Ungeheuer mit Perlmutteraugen, das sich mit seinem blauen Flügel und schlangenartigen Fortsätzen über die gesamte Stirnwand ausbreitet); seine Töchter, die drei Gorgonen (die drei stehenden Frauen links von Typhoeus). Krankheit, Wahnsinn, Tod (die maskenartigen Frauenköpfe über den Gorgonenhäuptern). Wollust und Unkeuschheit, Unmäßigkeit (die Gruppe von drei Frauen rechts neben Typhoeus. Die Unmäßigkeit trägt einen auffallend ornamentierten blauen Rock mit Applikationen aus Perlmutt, Messingringen). Nagender Kummer (die kauernde Frau rechts im Bild). Die Sehnsüchte und Wünsche der Menschen fliegen darüber hinweg. Poesie. Die Sehnsucht nach Glück findet Stillung in der Poesie (die Frauengestalt mit der Leier). Die Künste führen uns in das ideale Reich hinüber, in dem allein wir reine Freude, reines Glück, reine Liebe finden können (die fünf Frauen, von denen die oberen drei auf die letzte Szene, die Worte Schillers weisen). Chor und Umarmung. Chor der Paradiesengel. Freude schöner Götterfunke. Diesen Kuss der ganzen Welt.«





Duke,14. Nov. 2014
Stille Erschütterung: unten im Souterrain, der für seine Geräumigkeit etwas Intimes hatte. So ging es mir früher oft mit großen Rockstars: Du kennst sie so gut, dass du sie fast schon wieder leid bist, du winkst diesen Song ab, sobald er irgendwo losdudelt – aber erlebe sie live, dann zittern dir auf einmal die Knie und du hörst und siehst alles zum ersten Mal, du hast ein echtes Erlebnis. Und hinterher hat es dich verändert. Und du erkennst: Es gibt ein Vorher und Nachher. So ging es mir mit Gustav Klimt, seinem „Kuss“ und dem ganzen „Beethovenfries“ in der Secession Wien. Der Spruch überm Portal sagt es: „Der Zeit ihre Kunst – der Kunst ihre Freiheit“. Darum geht es, darum ging es immer. Das reimt sich geradezu historisch und bindet Gegenwärtiges samt dem, was draus werden soll, mit ein. Ja, winkt nur ab. Wer das kann, war nicht dort: in jenem Rückzugsort der Kunst, der zu den Wahrzeichen Wiens zählt, obwohl sich bei seiner Eröffnung manche Pressestimmen die Lästermäuler zerrissen über den „Froschtempel“ (so eine der Schmähungen – ohne Schmäh).

Gustav Klimts Werke, gleichermaßen filigran wie groß, live zu erleben, hat was von einem Konzert aufwühlender Stille. Es hat eine Anmutung von altem Abendland – vielleicht jenem, das noch nie so recht aufgegangen ist für zu viele, geschweige denn aber unter – für die, die je davon kosteten. Es reichen ja die Sinne: einfach mal hingucken! Offene Gemütsverfassung bevorzugt: Es ist nicht wichtig, was du darüber weißt. Schädlich kann sogar sein, was du alles meinst, besser zu wissen. Hör auf. Hör lieber zu: mit den Augen… und schau mit der Zunge, schmecke mit den Ohren, riech mit dem Herzen – oder sowas in der Art. Lass dich einfach vereinnahmen. Dafür ist Kunst gemacht. Sie spricht aus sich heraus. Ja, es IST von Vorteil, erklärt zu bekommen, was die Szenen und Motive, die sich über drei der vier Wände erstrecken, im Zusammenhang wie im Einzelnen bedeuten – Gaga las es mir vor. Nur ein paar Worte aus dem Infoflyer, mehr brauchte es nicht.


Tief ins Gemüt krallte sich mir die Figur des
nagenden Kummers– ohne die Deutung hätte ich die wohl nicht erkannt, nicht in dem Maß des Abgrunds. Gut, sowas zu wissen: Es erschüttert dann so richtig. Aber was du im Grunde nur brauchst, sind Flügel: die deiner Seele. Ich weiß nicht, wie es anders sagen. Breite sie aus, lass dich tragen. Klimts Figuren können das, nicht erst der Kuss, wenngleich der besonders. Er ist zu Recht so berühmt. Und hast du ihn vor dir, raubt er dir den Atem – ganz egal, wie oft du das Bild schon auf irgendwelchen Abbildungen, Fotos oder in welchen zerrissenen Zusammenhängen auch immer gesehen, registriert und begähnt hast. Es gibt einen Unterschied zwischen Rede oder Abbildung von etwas und Wirklichkeit, den lehrt dich nur letztere. Das ist aber, warum sich Kunst letztlich lohnt: Große erweitert deine Herzkammern, bis der Wind der Hoffnung wieder da durchpfeift, egal, welche Argumente dein Verstand dagegen quengelt: Tür zu, es zieht! Ja, kunstseidank zieht es. Kunst hat nichts Gemütliches, nichts Beschauliches, nichts Passendes für den Moment, die Erwartung, das Interieur. Sie hinterlässt dich verändert. Darum gehst du hin. Es funktioniert nur in Wirklichkeit, dort aber umso. Zudem ist es eine Form von Spiritualität ohne Glaubensbedingung – eine gewissermaßen religionsfreie Heiligkeit – oder Erlösung. Es lässt sich natürlich auch ganz pragmatisch als Schönheit bezeichnen: von der Sorte, die Folgen hat.




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12. November 2014



TRANCE am Karlsplatz. Ach, lest doch selber. Bezahlt mich hier irgendwer dafür, dass ich die Fremdenführerin gebe? Der Schnörkelpavillon und auch der Spiegelgleiche gegenüber sind vom selben Baumeister wie die Villa vom Meister Fuchs. Otto Wagner. Das muss langen! Rest bitte selber lesen. Karlsplatz Laufweite Schwarzenberg. So fertig der Eintrag! Bitte. Geht doch!
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10. November 2014

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Was weiß Wikipedia übers Schwarzenberg? „Das Café Schwarzenberg ist ein Kaffeehaus an der Ringstraße im 1. Wiener Gemeindebezirk Innere Stadt. Es befindet sich am Kärntner Ring 17 gegenüber dem Schwarzenbergplatz. Im Gegensatz zu vielen anderen bekannten Wiener Kaffeehäusern zählten Künstler und Literaten nicht zur Stammklientel. Eine Besonderheit ist die original erhaltene Einrichtung vom Ende des 19. Jahrhunderts.“ Na, na, na! Keine Künstler und Literaten? Sind wir Blogger etwa keine Künstler und Literaten? Gut, Stammklientel bin ich freilich nicht, das wäre stark übertrieben. Das Schwarzenberg selber schreibt auf seiner Seite: „Obwohl nie Künstler- oder Literatencafé, weiß man doch von einem berühmten Stammgast zu berichten, der seinem Kaffeehaus über Jahre hinweg treu blieb: der Architekt Josef Hoffmann, Begründer der Wiener Werkstätte, ließ sich zur Mittagszeit vom Chauffeur absetzen, um zu essen, die Tageszeitungen zu lesen oder seine Ideen auf kariertes Papier zu bringen (Quatratel Hoffmann). Im Schwarzenberg sind sicher viele seiner außergewöhnlichen Entwürfe entstanden.“ Na also, wenigstens der Hoffmann! Ein Anfang ist gemacht! Und weiter: „In Wiens erstem (!) Ringstraßencafé genießen Sie entspannte Plauderstunden bei traditionellen Kaffeespezialitäten, feinen Mehlspeisen und köstlichen Schmankerln aus der Wiener Küche.“







Sicher werden sich gestern manche meiner Leser und Leserinnen gefragt haben, wo denn der tägliche Wien-Eintrag bleibt. Ich war gestern ein wenig unpässlich. Bzw. die Kollegen in Wien. Also technisch. Das nächste mal, wenn ich in Wien bin, muss ich doch einmal bei unserer Blog-Firma vorbeischauen, ob ich da irgendwie behilflich sein kann. Also gestern schon wäre eigentlich der Schwarzenberg-Eintrag dran gewesen – ein richtiges Thema für einen bewölkten Sonntag-Nachmittag. Aber na ja. Sicher hat der Einspänner oder der Kapuzziner auch ohne die Lektüre geschmeckt. Nun habe ich mich ja doch ein wenig aus dem Fenster gelehnt, als ich in Aussicht gestellt habe, dass ich in Wort und Bild vom Kaffeehausbesuch berichten will. Man stellt sich dann ja so vor dem inneren Auge abgewetzte, gepolstere Sessel und Marmortische vor, eine lange Kuchentheke, schöne alte Lampen, alles recht gemütlich. Aber was soll man machen, wenn man auf einmal bemerkt, dass endlich einmal die Sonne herauskommt und der Schanigarten vom Kaffeehaus eingedeckt ist. Dann setzt man sich dankbar in die Sonne. Und Rauchen darf man ja draußen auch nach Herzenslust. Was jetzt nicht so direkt mein Bedürfnis war, aber doch von meinem Begleiter. Und es ist ja auch nicht so gemütlich, wenn der eine drinnen sitzt und ein Getränk nach dem anderen bestellt und der andere geht alle zwanzig Minuten für zehn Minuten vor die Tür. Also sucht man sich lieber gleich einen schönen Platz an der frischen, sonnigen Luft. Da konnte ich auch die bemerkenswerte Markise eingehend studieren. Und fotografieren! Diskret. Absolut diskret! Ich habe bei diesem Besuch ganz großen Wert darauf gelegt, dass ich nicht als die alles fotografieren müssende Ausländerin erscheine. Ich habe extra kein einziges Getränk auf dem Tisch fotografiert, da hätte ich die Kamera dann doch ein wenig anheben müssen. Was ich also abgelichtet habe, ist abermals mit der unbewegt auf dem Tisch stehenden Kamera fotografiert oder ganz am Anfang, beim Kommen, als wir auf dem Weg zum Tisch waren, da habe ich schnell ein paar Fotos vom Eingang, im Vorbeigehen erwischt. Und dann noch einmal, wo ich das Damen-WC besucht habe. Da konnte ich beim Durchgehen natürlich einen schönen Eindruck gewinnen. Es gibt ja ganz viele Fotos von der Inneneinrichtung vom Schwarzenberg im Internet. Als ich dann das großzügige WC betreten habe, hat es mich gleich gefreut, dass da auch so viel Marmor war und genau die gleichen Ledersessel wie im Café selber. Da habe ich dann meine kleine Tasche abgestellt und drei Fotos gemacht. Jetzt, wo ich aber die anderen Bilder im Internet vom Schwarzenberg sehe, freue ich mich, dass fast niemand – also eigentlich überhaupt niemand bis jetzt – in aller Ausführlichkeit die Markise fotografiert hat! Damit habe ich eine echte Lücke geschlossen und habe nun Schwarzenberg-Aufnahmen mit Alleinstellungsmerkmal! Man muss sich auch selber loben! Wie man auf der Rechnung sieht, wurden vier Getränke bestellt und getrunken. Der Einspänner und der Eiscafé, das war ich. Hat tadellos geschmeckt. Es hat gut getan, sich ein bißchen auszuruhen, nach so viel Kultur. Mir war auch schon viel besser und ich war sehr froh darum, weil wir am Abend ja noch eine ebenfalls sehr kulturvolle Verabredung vor uns hatten, im Kunsthistorischen Museum zur preisgekrönten Ganymed-Aufführung. Aber vorher sind wir noch zum Karlsplatz und zum Secessionsgebäude. Wer das nicht gesehen hat, der war nicht in Wien! Aber genug – ich greife vor. Das hier war also unser Besuch im Café Schwarzenberg, allererstes Ringstraßen-Café. Seit 1861.



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CAFÉ SCHWARZENBERG
Kärnter Ring 17 – 1010 Wien.
Rechnung Tisch 116
14.05.2014 Bed. 13

2 x 3,70
Tonic Water 0,2 l ………… 7,40
Einspänner ………………… 4,50
Eiskaffee …………………… 4,90
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Summe: …………….16.80 EUR
Das Team des Café Schwarzenberg dankt
für Ihren Besuch, und freut sich auf ein
baldiges Wiedersehen.

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08. November 2014


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Ein bißchen Treptow, da am Schwarzenbergplatz. Nennt sich offiziell „Heldendenkmal der Roten Armee„. „(…) wurde 1945 zur Erinnerung an rund 17.000 bei der Schlacht um Wien gefallene Soldaten der Roten Armee errichtet.“ Na gut, meinethalben. Schon etwas überraschend zwischen der ganzen k.u.k.-Pracht. Das Rotarmisten-Denkmal war mehr so eine Zufallsentdeckung, es war nicht auf meiner kleinen, privaten Sehenswürdigkeiten-Liste. Durchaus darauf war aber das legendäre Schwarzenberg-Palais, das seit geraumer Zeit leersteht. Nun kamen wir ja zufällig sowieso nah am Schwarzenbergplatz aus dem Belvedere-Schlossgarten, und da könnte ich ja bei der Gelegenheit mal nach dem Rechten sehen, ob im Schwarzenberg noch alles in Ordnung ist oder ob es schon hineinregnet, waren so meine Überlegungen. Da war aber so eine Art Zaun oder Bauzaun, jedenfalls hermetisch verriegelt der Zugang, nur ganz ferne konnte ich das Palais vermuten. Es hat nicht sollen sein. Muss es eben jemand anders übernehmen. Solche alten Kästen sind ja auch sehr kostspielig in der Bewirtschaftung. Alleine die Heizung. Und dann muss erst noch überall WLAN gelegt werden – ach – das ist mir schon wieder zu viel. Mir reicht schon die Renovierung neulich von meinem Wohnzimmer. Lieber nehme ich ein Palais, wo schon alles fertig ist.




Das waren so meine Gedanken am Schwarzenbergplatz. Und dass man sich eigentlich endlich mal wieder wo hinsetzen könnte und einen Kaffee trinken. Das war ja jetzt bestimmt schon wieder eine halbe Stunde her, dass wir in dem Café im Belvedere waren. Und außerdem wird es sowieso höchste Zeit, dass nun endlich einmal ein richtiges Kaffeehaus besucht wird, so eines mit extra Wikipediaeintrag, wo auf der Karte erst einmal einleitend auf drei Seiten feierlich die Historie abgehandelt wird und wer dort welche berühmten Romane geschrieben hat usw. usf. Und wie es der Zufall so will, ist doch da gleich am Schwarzenbergplatz, da beim Schubertring das Café Schwarzenberg. Wer hätte noch nicht davon gehört! Also jedenfalls bestimmt jeder, der schon mal nach Wiener Kaffeehäusern im Internet gesucht hat. Selbstverständlich wird dieser Kaffeehausbesuch extra abgehandelt. In Bild und Text.






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06. November 2014



Ich will den Tag noch zu Ende erzählen, den dreizehnten Mai in Wien. Also zum Essen in eines der Restaurants in der Kurrentgasse. Ins Pastell oder ins Ofenloch. Darauf war ich gekommen, weil der Herr Heller beide lobend erwähnt hat und ich wäre eigentlich gerne in das moderne von beiden eingekehrt. Aber da war gar nicht auf. Das Restaurant hatte komplett zugemacht. Eine Passantin war im Bilde, sie hat unsere Irritation bemerkt, vielleicht habe ich auch erwähnt, dass auf der Internetseite nicht ersichtlich war, dass das Lokal zugemacht hat. Sie meinte, das wäre auch noch nicht lange, erst vor kurzem. Das zahlkräftige Publikum hat sich wohl nicht in ausreichender Zahl mehr eingefunden, zuletzt. Schade. Dann also ein paar Häuser weiter, zum Ofenloch. Das Ellas am nahen Judenplatz hätte mich ursprünglich auch interessiert, aber beim Anschauen der Speisekarte im Schaukasten war der Eindruck eher, als handelt es sich um ein Lokal wo man nur einen kleinen Imbiss zu sich nimmt und sonst eher trinkt. Vielleicht war das ja ein Irrtum. Wenn ich heute auf die Karte schaue, sind da richtige Menüs im Angebot.


Jedenfalls war das sehr traditionsbewußte Ofenloch ein Garant für beste Qualität der Speisen. Auf der Seite vom Ofenloch liest man: „Hier trinkt man Bier seit 1704“. Es wäre also gut vorstellbar, dass Albin Denk dort auch einmal eingekehrt ist. Man kann schon auch einmal in einer rustikalen Gastwirtschaft essen. Mir war nicht mehr genau präsent, was wir gegessen haben, an ein Wiener Schnitzel konnte ich mich erinnern, aber nicht, ob ich es bestellt habe oder Duke oder wir beide jeder eins. Aber dass ich es probiert habe und es ausgezeichnet war, weiß ich noch. Auf der Rechnung steht aber drauf, was wir gehabt haben. Und so zu lesen auf der Speisekarte:
~ Steirischer Backhendlsalat
Erdäpfel- und Blattsalat in Kürbiskerndressing
mit goldgelb gebackenen Hühnerstücken

~ Gebratene Forelle
mit Mangold und Safransauce
~ Wiener Schnitzel vom Kalb
mit Preiselbeeren und Erdäpfel-Vogerlsalat
~ Budweiser vom Fass

Das war alles sehr schmackhaft und der Service überaus freundlich. Auf dem Weg zum WC ist der Vorraum mit vergilbten Zeitungsausschnitten mit Prominenten drauf tapeziert. Wenn mal besetzt ist und man sich die Zeit vertreiben muss, kann man da viel lesen und Fotos anschauen. Sämtliche österreichische Bundeskanzler scheinen gerne im Ofenloch zu speisen. Aber auch Schauspieler und österreichische Prominente, die man in Deutschland jetzt nicht so kennt. Eine sichere Adresse für ein gutes Wiener Schnitzel. Nicht so plakativ überdekoriert wie der Figlmüller in der Wollzeile, eher diskret und unaufgeregt, trotz der Zeitungsausschnitt-Galerie beim WC. Auf der Rechnung steht die Uhrzeit 20:59 Uhr. Also noch recht früh. Ich glaube, wir waren ungefähr zweieinhalb Stunden da. Bei der Gelegenheit habe ich Duke erzählt, dass ich durch eine Erwähnung von André Heller auf das Lokal aufmerksam geworden bin und dass schon solche Erwähnungen zur gastronomischen Infrastruktur in Wien, für meine Begriffe komplett rechtfertigen, sich mit diesem Wiener näher zu beschäftigen. Ich nutze ihn sozusagen als Quelle für Wiener Einwohner-Wissen, zumal er ja auch noch in Wien geboren ist. Das war für Duke auch vollkommen nachvollziehbar, dass man sich mit so jemandem beschäftigt, nicht weil man Fan von jemandem ist, sondern weil er interessante Sachen zu erzählen hat, die andere nicht in der Stadt erlebt haben. Er war ja zum Beispiel vor seiner Karriere als Chanson-Sänger Radio-DJ beim ORF und ist so überhaupt bekannt geworden und hat dann durch seine beruflichen Kontakte erste Schritte mit eigenen Musikproduktionen gemacht.

Wie die Jungfrau zum Kind gekommen. Und deswegen hat er auch John Lennon und Yoko Ono im Sacher zu einem exclusiven Interview getroffen und war später auf dem Weg zum Flieger mit ihm auf dem Zentralfriedhof bei den großen Komponisten, wo John Lennon dann einen Schnürsenkel aus seinem Schuh gezogen hat, um ihn dem Schubert als Ehrerbietung aufs Grab zu legen, weil er nichts anderes dabei hatte, was er hätte hinlegen können. Das sind einfach hörenswerte Geschichten. Das mit dem Schnürsenkel hat Duke auch gut gefallen. Er war direkt gerührt, das habe ich gemerkt. Er versteckt das aber dann auch nicht. Daheim, in der Ferienwohnung sind wir dann noch lange am Tisch in der Küche gesessen und haben weiter erzählt und Musik gehört. Ich glaube auch die sechs Heller-Lieder, die ich auf meinem Rechner habe.

Das war ganz schön. Es hat einfach gepasst. Und da war ja noch so viel Wein, der wollte ja auch endlich einmal getrunken werden.
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07. November 2014


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Yesterday
von den Beatles. Angie von den Stones. My Way von Sinatra. Samba PaTi von Santana. Albatros von Fleetwood Mac. Sounds of Silence von Simon and Garfunkel. Die vier Jahreszeiten von Vivaldi. Der Kuss von Klimt. Alles furchtbar. Oder? Oder nur furchtbar oft gehört, furchtbar oft gesehen? Brauchen die Beatles einen Anwalt? Die Rolling Stones? Frank Sinatra? Carlos Santana? Fleetwood Mac? Simon and Garfunkel? Vivaldi? Braucht Gustav Klimt einen Anwalt? Eine Anwältin? Ich glaube nicht. Aber wenn er eine bräuchte, ich stände zur Verfügung. Der Grund, warum ich ins Belvedere wollte, war nicht, dass ich ein Schloss oder einen Schlossgarten besuchen wollte. Der Grund war Gustav Klimt. Auf der Seite vom Belvedere ist zu lesen, dass das Museum, das „Obere Belvedere„, die größte Sammlung an Klimtwerken besitzt. Deswegen wollte ich da hin. Wenn man auf die Seite schaut, sieht man sehr viele bekannte Werke von ihm. Allerdings ist zu bedenken, dass Klimt-Bilder auch gerne weltweit in Sammel-Ausstellungen gezeigt werden und das eine oder andere Werk daher als Leihgabe für die Dauer einer Ausstellung in der Weltgeschichte unterwegs ist. Zum Beispiel gab es im Frühjahr in Wien gerade eine Ausstellung, die vorher auch in Berlin zu sehen war, die „Wien – Berlin, Kunst zweier Metropolen“ hieß, und die auf dem Berliner Plakat mit einem Klimt-Bild warb, das in die Sammlung des Belvedere gehört. Also war dieses Bild gerade unterwegs. Und einige andere auch. Aber „Der Kuss„, einer der größten Hits unter den weltweiten Merchandise-Motiven für Kaffeetassen, Adressbüchlein und Brillenetuis (aka „Klimt-Overkill“), der hängt tatsächlich im Belvedere. Vielleicht wird er auch nicht so gerne herausgegeben. Denn immerhin wird man von diesem innigen Motiv bereits am Flughafen Schwechat empfangen. Die beiden Köpfe sind übergroß abgebildet. Und das ist durchaus ein sehr schöner Eindruck, wenn man auf seinen Koffer oder seine Reisetasche wartet, dort am Gepäckband. Ich fand es erhebend. Im Belvedere ist Fotografieren komplett verboten. Nur zur Information. Ich habe mich natürlich auch daran gehalten, nachdem man mich darauf aufmerksam gemacht hat. Manchmal kann man ja auch gar nichts dafür, wenn die Kamera auslöst, man kommt irgendwie komisch mit dem Finger an den Auslöser, durch eine blöde Handbewegung. Deswegen sind die Bilder auch oft so schief, die da ganz überraschenderweise zustande gekommen sind. Der Raum, in dem die Klimts hängen, ist sehr, sehr dunkel. Die einzelnen Bilder werden subtil, beinah sakral, angestrahlt. Damals, im Mai, war eine Reihe von Frauenportraits zu sehen, von denen ich wusste, dass es überwiegend Auftragsarbeiten waren. Deshalb gibt es manchmal einen starken Kontrast zwischen der frühlingshaft jugendlich dargestellten Abbildung des Frauenkörpers in einem märchenhaften Kleid, aus dem dann oben der Kopf einer Frau herausschaut, die vom Alter und vom Ausdruck nicht so sehr zu der juvenilen Aufbruchstimmung und der wilden Blütenpracht zu passen scheint. Klimt hatte das Glück, zu Lebzeiten ein begehrter Portraitmaler der Damen der besseren Wiener Gesellschaft zu sein. Es war en vogue, sich von ihm portraitieren zu lassen, es galt als hochmodern und als ein Status-Symbol, ebenso wie in den Sechzigern, bei Andy Warhol einen echten Warhol-Siebdruck vom eigenen Konterfei in Auftrag zu geben. Ich nehme allerdings stark an, dass die Auftragsportraits von Klimt auf dem internationalen Kunstmarkt höher angesiedelt sind als die vervielfältigbaren Siebdruck-Portraits von Warhol. Apropos Warhol. In einem der Nebenräume läuft im Loop Andy Warhols Film „Kiss“ (hier in voller Länge auf youtube), in dem sich eben fünfzig Minuten lang geküsst wird. Sicher kein Zufall. Duke hat sich das eine Weile interessiert angeschaut. Ich konnte mir schon denken, wie der Film weiter geht. Ich habe mich dabei ertappt, dass ich wieder einmal nicht den Wunsch hatte, mir das anzuschauen. Ich sehe allgemein in Filmen ungern Szenen, wo die Kamera langatmig und detailliert auf einen kompletten Kuss draufhält. Das ist mir zu intim. Ich bin da wahrscheinlich zu empathisch. Ich möchte das nicht mitempfinden müssen, was die mir völlig fremden Leute da machen. Get a Room. Auch bei anderen sexuellen Handlungen möchte ich anderen nicht gerne zuschauen. Das bringt mich einfach nicht weiter. Früher war ich da, glaube ich, anders. Komisch, wie sich manches ändert. Vielleicht ändert es sich ja auch nochmal irgendwann. Ich bin also nicht etwa jemand, der heimlich Pornofilme guckt, sondern heimlich keine Pornofilme guckt, obwohl man damit heutzutage nicht gerade als sehr hip gilt. Nun ist es raus. Aber wie gesagt, vielleicht kann ich das Leiden eines Tages wieder kurieren. Fände ich ja selber praktisch. Stundenlang könnte ich mir dann den Warhol-Film anschauen. Das wären Peanuts. Ja noch nicht mal Blümchen-Sex!







Wir sind zu Fuß von der Wohnung zum Belvedere, das war gar nicht sehr weit von der Lambrechtgasse im vierten Bezirk. Rainergasse… Belvederegasse… ich weiß es nicht mehr. Nur, dass wir tatsächlich noch einmal zurück zur Wohnung sind, weil ich meine Sonnen Windschutzbrille da vergessen hatte. Ich musste ein bißchen weinen. Das muss ja nicht sein. Am Himmel war ein Gemisch aus Wolken, Wind und Sonne, im Wechsel zu beobachten. Mir war nicht so gut, weil ich doch ein bißchen viel Rotwein getrunken hatte, den Abend zuvor und ich hakte mich bei Duke ein, obwohl das sonst nicht meine Art ist, wenn ich neben jemandem laufe. Ich war ein bißchen anlehnungsbedürftig und hoffte, dass die Aspirin-Tabletten recht viel Wirkung tun. Am Eingang vom Oberen Belvedere stehen zwei große Sphinxen. Aber mit Wikinger-Zöpfen. Ein bißchen albern, die Kombination. Ich habe meine Tasche am Boden abgestellt, um ein bißchen mit der Kamera um die eine Sphinx herumzugehen, zu schauen, wie ich sie am besten einfange. Dann bin ich auf die andere Seite, wo auch eine große Freitreppe war, auf der Duke saß und wartete, bis ich fertig war mit meiner Sphinx. Als ich wieder auf die andere Seite gehe, sehe ich, dass die Tasche weg ist, die ich auf den Boden gestellt habe. Da war weit und breit niemand zu sehen. Hatte man mich etwa heimlich bestohlen? Oh je…! Da war mein Geld drin und der Personalausweis und die EC-Karte… das Flugticket war in der Wohnung, in der Reisetasche. Aber mein Ausweis… und das Geld. Wir sind noch einmal zu dem Häuschen, in dem man auch die Eintrittskarten kaufen konnte, die hatte ich schon, ich war unsicher, vielleicht habe ich die Tasche ja da – – – ? Die Frau an der Kassa erinnerte sich an mich und hielt schon die Tasche hoch, ehe ich sagen konnte, was ich will. Ich hatte die Tasche nicht vergessen. Jemand hat sie vom Boden aufgehoben und als herrenlose Fundsache dorthin gebracht. Eine ältere Dame wohl, die mich nicht hinter der Sphinx gesehen, oder der kleinen



Tasche zugeordnet hatte. Manchmal bin ich schon sehr leichtsinnig. Das war mir aber eine Lehre! Glück im Unglück! Weil ich eben auch nicht ganz beieinander war und ein bißchen neben mir gestanden habe, wegen dem Kopfweh. Wir sind dann also ganz, ganz langsam in die Ausstellung. Da waren noch andere Sachen außer dem Klimt, aber die habe mich nicht interessiert oder mir nicht gefallen. So alte Schinken mit Schlachten drauf oder so ähnlich. Nach dem Klimt wollte ich mich unbedingt hinsetzen und einen schönen Kaffee trinken und irgendeine Kleinigkeit essen.






Zum Glück war da dann gleich das sehr kleine, putzig-runde Café Ménagerie mit der schönen hummerroten Damasttapete. Oder besser Wandbespannung. So ein edler Stoff in so einem Schloss wird ja nicht wie ein ordinäre Tapete mit Tapetenkleister angeklebt, nehme ich an, sondern fein mit Tapetennägeln festgemacht. Auf dem Weg zum Café war noch eine Ausstellung mit expressionistischen Bildern, von denen mir ganz viele sehr gut gefallen haben. Ich liebe die Expressionisten! Das ist Rock’n’Roll, das ist Punk! Das ist Heavy Metal! Aber intelligent. Yeah! Und genau vor dem Eingang zum Café war ein Raum, in dem gerade eine Ausstellung vorbereitet worden ist. Habe ich auch noch nie gesehen, wie so Beschriftungen an die Wand geklebt werden. Da hat man einfach so zuschauen können. Zuerst war im Café nur ein Tisch mit zwei Stühlen frei, ein ganz kleiner, aber kaum sind wir gesessen, wurde der vielleicht schönste Platz frei, mit einer gepolsterten Bank, wo man direkt auf das Sisi-Portrait schauen konnte. Ich habe dann doch keine Kleinigkeit gegessen, sondern ein Wiener Schnitzel mit Erdäpfelsalat und natürlich kein Bier dazu getrunken. Denke ich doch. Nehme ich doch an. Das Schnitzel war ausgezeichnet und hat mir sehr gut getan. Ich würde überhaupt jedem empfehlen, in Wien nur immer recht viel Wiener Schnitzel zu essen, weil es einfach überall schmeckt. Nach dem Cafébesuch sind wir noch ein bißchen durch den Park gelaufen, an den kegelförmigen Buchsbäumen vorbei, Richtung Unteres Belvedere und dann zum Ausgang. Rennweg. Und dann weiter zum Schwarzenbergplatz. Nächstes Kapitel… – Bald in diesem Theater.



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06. November 2014



Ich will den Tag noch zu Ende erzählen, den dreizehnten Mai in Wien. Also zum Essen in eines der Restaurants in der Kurrentgasse. Ins Pastell oder ins Ofenloch. Darauf war ich gekommen, weil der Herr Heller beide lobend erwähnt hat und ich wäre eigentlich gerne in das moderne von beiden eingekehrt. Aber da war gar nicht auf. Das Restaurant hatte komplett zugemacht. Eine Passantin war im Bilde, sie hat unsere Irritation bemerkt, vielleicht habe ich auch erwähnt, dass auf der Internetseite nicht ersichtlich war, dass das Lokal zugemacht hat. Sie meinte, das wäre auch noch nicht lange, erst vor kurzem. Das zahlkräftige Publikum hat sich wohl nicht in ausreichender Zahl mehr eingefunden, zuletzt. Schade. Dann also ein paar Häuser weiter, zum Ofenloch. Das Ellas am nahen Judenplatz hätte mich ursprünglich auch interessiert, aber beim Anschauen der Speisekarte im Schaukasten war der Eindruck eher, als handelt es sich um ein Lokal wo man nur einen kleinen Imbiss zu sich nimmt und sonst eher trinkt. Vielleicht war das ja ein Irrtum. Wenn ich heute auf die Karte schaue, sind da richtige Menüs im Angebot.


Jedenfalls war das sehr traditionsbewußte Ofenloch ein Garant für beste Qualität der Speisen. Auf der Seite vom Ofenloch liest man: „Hier trinkt man Bier seit 1704“. Es wäre also gut vorstellbar, dass Albin Denk dort auch einmal eingekehrt ist. Man kann schon auch einmal in einer rustikalen Gastwirtschaft essen. Mir war nicht mehr genau präsent, was wir gegessen haben, an ein Wiener Schnitzel konnte ich mich erinnern, aber nicht, ob ich es bestellt habe oder Duke oder wir beide jeder eins. Aber dass ich es probiert habe und es ausgezeichnet war, weiß ich noch. Auf der Rechnung steht aber drauf, was wir gehabt haben. Und so zu lesen auf der Speisekarte:
~ Steirischer Backhendlsalat
Erdäpfel- und Blattsalat in Kürbiskerndressing
mit goldgelb gebackenen Hühnerstücken

~ Gebratene Forelle
mit Mangold und Safransauce
~ Wiener Schnitzel vom Kalb
mit Preiselbeeren und Erdäpfel-Vogerlsalat
~ Budweiser vom Fass

Das war alles sehr schmackhaft und der Service überaus freundlich. Auf dem Weg zum WC ist der Vorraum mit vergilbten Zeitungsausschnitten mit Prominenten drauf tapeziert. Wenn mal besetzt ist und man sich die Zeit vertreiben muss, kann man da viel lesen und Fotos anschauen. Sämtliche österreichische Bundeskanzler scheinen gerne im Ofenloch zu speisen. Aber auch Schauspieler und österreichische Prominente, die man in Deutschland jetzt nicht so kennt. Eine sichere Adresse für ein gutes Wiener Schnitzel. Nicht so plakativ überdekoriert wie der Figlmüller in der Wollzeile, eher diskret und unaufgeregt, trotz der Zeitungsausschnitt-Galerie beim WC. Auf der Rechnung steht die Uhrzeit 20:59 Uhr. Also noch recht früh. Ich glaube, wir waren ungefähr zweieinhalb Stunden da. Bei der Gelegenheit habe ich Duke erzählt, dass ich durch eine Erwähnung von André Heller auf das Lokal aufmerksam geworden bin und dass schon solche Erwähnungen zur gastronomischen Infrastruktur in Wien, für meine Begriffe komplett rechtfertigen, sich mit diesem Wiener näher zu beschäftigen. Ich nutze ihn sozusagen als Quelle für Wiener Einwohner-Wissen, zumal er ja auch noch in Wien geboren ist. Das war für Duke auch vollkommen nachvollziehbar, dass man sich mit so jemandem beschäftigt, nicht weil man Fan von jemandem ist, sondern weil er interessante Sachen zu erzählen hat, die andere nicht in der Stadt erlebt haben. Er war ja zum Beispiel vor seiner Karriere als Chanson-Sänger Radio-DJ beim ORF und ist so überhaupt bekannt geworden und hat dann durch seine beruflichen Kontakte erste Schritte mit eigenen Musikproduktionen gemacht.

Wie die Jungfrau zum Kind gekommen. Und deswegen hat er auch John Lennon und Yoko Ono im Sacher zu einem exclusiven Interview getroffen und war später auf dem Weg zum Flieger mit ihm auf dem Zentralfriedhof bei den großen Komponisten, wo John Lennon dann einen Schnürsenkel aus seinem Schuh gezogen hat, um ihn dem Schubert als Ehrerbietung aufs Grab zu legen, weil er nichts anderes dabei hatte, was er hätte hinlegen können. Das sind einfach hörenswerte Geschichten. Das mit dem Schnürsenkel hat Duke auch gut gefallen. Er war direkt gerührt, das habe ich gemerkt. Er versteckt das aber dann auch nicht. Daheim, in der Ferienwohnung sind wir dann noch lange am Tisch in der Küche gesessen und haben weiter erzählt und Musik gehört. Ich glaube auch die sechs Heller-Lieder, die ich auf meinem Rechner habe.

Das war ganz schön. Es hat einfach gepasst. Und da war ja noch so viel Wein, der wollte ja auch endlich einmal getrunken werden.
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05. November 2014

https://www.flickr.com/apps/slideshow/show.swf?v=1811922554

Man muss sich die Situation so vorstellen: wir kamen vom Stephansplatz und sind nur auf gut Glück in die Himmelsrichtung, von der ich grob dachte, man könnte dann irgendwann in der Ecke vom Judenplatz ankommen, wo wir in eines der Restaurants wollten, die ich am Nachmittag gesehen hatte. Aber es ist eben doch ein Wirrwarr von Gassen, wenn man nicht dauernd auf den Plan schaut, und nur deswegen waren wir am Graben und am Petersplatz. Und dann sind wir halt den Kohlmarkt entlang. Noch eine exklusive Einkaufsmeile. Ah ja, da ist ja der Demel…! (aber leider kein Foto gemacht)… weiter und dann – – – dann hätte ich jetzt gerne, dass ab sofort Musik einsetzt, so ein bißchen festlich-barock. Oder von mir aus auch „Wiener Blut“ oder der „Donauwalzer„. Denn auf einmal, nicht weit vom Demel, endet der Kohlmarkt an einem Platz und schon ganz kurz davor traue ich meinen Augen kaum. (Jetzt muss die Musik ein bißchen dramatischer werden). Da sehe ich eine Kuppel. Und die Kuppel ist

nicht nur türkis, sie hat sogar ein atemberaubendes, goldenes Collier um den Hals. Es ist dermaßen prachtvoll, dass ich nun wirklich absolut vollkommen sprachlos stehenbleibe und ein bißchen um Fassung ringe, weil ich so ganz und gar unvorbereitet vor dieser monumentalen Schönheit stehe. Und dann gehen wir noch ein paar Schritte weiter und da tut sich der ganze Platz in seiner Grandezza auf, und links von der wunderschönen Kuppel ist gleich noch eine. Und rechts davon noch eine. Und da weiß ich auch ohne Führer und Stadtplan, dass das ein ganz wichtiger Platz sein muss. Und ich wundere mich noch, wieso ich nicht schon hunderttausend Fotos davon gesehen habe, weil man solche Kuppeln doch abfotografieren muss, bis der Akku und der Farbfilm zu Ende ist. Das muss wohl die Hofburg sein. Das ist die Hofburg. Der Eingang zur Hofburg. Der berühmte Michaelerplatz. Dieser unerwartete Anblick war die absolute Krönung des Tages für mich.

Wie gut, dass wir uns verlaufen haben. Und diese paar wenigen Bilder nur von der einen, mittleren Kuppel sind die letzten, die ich an diesem Tag machen konnte, denn da war dann auch der Akku meiner Kamera leer. Es hätte jetzt sowieso keine Steigerung mehr gegeben. Natürlich hätte ich gerne noch viele Bilder von den anderen Kuppeln und dem Eingang der Hofburg, dem Michaelertrakt und dem ganzen Michaelerplatz gemacht. Aber für den Tag musste es dabei bleiben. Das war ein ganz schöner Schlussakkord. Ein superlativer. Mit Pauken und Trompeten und Fanfaren. Als ich da gestanden bin, habe ich nur noch gedacht, wie könnte man je behaupten, dass man Wien nicht unbedingt gesehen habe muss. Das sagt ja vielleicht auch nur wer, der nur ganz wenig davon gesehen hat oder halt noch gar nichts. Allein der Michaelerplatz mit diesen Kuppeln ist eine Reise wert. Zwei Tage später waren wir noch einmal da, da war es zwar regnerisch, aber trotzdem sehenswert. Und mein Akku wieder voll. So habe ich ganz friedlich nach diesem sehr langen Tag voller Eindrücke, die Kamera in meine kleine Tasche gepackt und wir sind zur Kurrentgasse. Ich wusste ja, dass wir wahrscheinlich in ein Lokal gehen, das ich immerhin bestimmt schon von Außen fotografiert habe, also auch nicht so schlimm, dass ich keine weiteren Bilder mehr machen konnte. Alles gut. Großartig. Umwerfend. Grandios.

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05. November 2014

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Wenn ich ein Kuppel in der Farbe sehe, denke ich an daheim. Für mich ist seit ich den Berliner Dom so nah vor der Nase habe, jede türkisfarbene Kuppel ein Zitat. Woran ich dabei nicht denke, sind: Glaubensbekenntnisse, Kirchengänge, Altäre, Bibelsprüche. Aber an schönes Wetter. Blauen Himmel. Türkisfarbenen Strand. Tausendundeine Nacht. Eiskugeln. Eben so ziemlich alles, bloß nicht daran, ob es eine katholische oder evangelische Kirche ist und wofür sie irgendwann einmal gebaut worden ist oder wie sie heißt. Später habe ich dann wegen der Verifizierung der Geographie im Internet geschaut, wie der Platz heißt. Er heißt Petersplatz. Und so habe ich scharf kombiniert, dass die Kirche Peterskirche heißen könnte. Aber das ist alles nicht so wichtig für mich. Hauptsache, noch ein Bauwerk mehr mit einer dekorativen, türkisen Kuppel. Ich liebe Kuppeln! Egal, warum sie einer gebaut hat. Mit einer Kuppel kann man nie etwas falsch machen. Es sieht immer gelungen aus. Bei der Kuppel ist mir wieder eingefallen, wie sich Duke vor ungefähr dreizehn Jahren einmal über die Kuppel vom Berliner Dom vor meinem Wohnzimmerfenster geäußert hat. Es war eine mir unverständliche Äußerung, weil es mir schon damals egal war, welchen Zweck ein Bauwerk mit einer Kuppel hat, Hauptsache Kuppel obendrauf! Ihm war es nicht so egal, weil er sich damals stark über die Kirchengeschichte und ihre Auswüchse echauffiert hat. Er hat wohl alles persönlich genommen, was da so an materialisierten Hinterlassenschaften in der Welt existiert. Das hat sich heute etwas geändert. Das habe ich aber erst erfahren, als wir noch viel, viel schönere türkise Kuppeln gesehen haben, nämlich die am Michaelerplatz. Kommen danach. Unvergleichlich schön. Da habe ich die Sache angesprochen und er konnte es selber nicht mehr glauben, dass ihn das damals so aufgeregt hat. Und jetzt findet er türkise Kuppeln auch schön, weil es einfach nur türkise Kuppeln sind. Manchmal ändert sich doch der Blickwinkel.

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05. November 2014

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Sagen wir: „berühmte Sehenswürdigkeiten„, die es bei mir in den Recall geschafft haben. Ich lasse natürlich auch ganz viel aus. Zum Beispiel lese ich nun im Wikipedia, dass es im Graben (oder sagt man „auf dem“ Graben?) eine Pestsäule gibt. Äh ja. Das ist mir ehrlich gesagt schnurzpiep nur diese Fußnote wert. Ich bin da wahrscheinlich vorbeigelaufen, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Dafür musste ich aber wie vom Donner gerührt vor Kniže stehenbleiben. Es war ein religiöser Moment. KNIZE! Tja. Warum kriege ich eine Gänsehaut, wenn ich vor einem traditionsreichen Geschäft für maßgeschneiderte Herren-Anzüge stehe? Ich bin ja nicht einmal die Zielgruppe. Aber KNIZE. Vor Kniže zu stehen, war meine absolute Sternstunde im Graben. Auf dem Graben. Wie auch immer. Das ist wie vor Dior in der Avenue Montaigne in Paris. Oder dem Palazzo Pucci in Florenz. Dort habe ich ähnliche Andachten gehalten. Da laufen so viele Schwarzweiß-Filme mit Schlieren in mir ab, ich kann das gar nicht in Worte fassen. Vielleicht war ich ja im früheren Leben ein eleganter Herr, der bei Kniže arbeiten hat lassen. Wer weiß! Auch das Motto auf der Seite von Knize finde ich nicht verkehrt: “Die unausweichliche Frage nach dem Stil beginnt mit der Überwindung der Mode.” Tradition seit 1858. Bei Wikipedia lese ich gerade noch eine schöne Litanei der berühmten Kniže-Kundschaft: „Vor allem Künstler waren in früherer Zeit Kunden bei Kniže. So bezahlte Oskar Kokoschka seine Anzüge mit Gemälden, für Marilyn Monroe wurden Blusen gefertigt, für Kurt Tucholsky Hemden, für Josephine Baker Skihosen. Auch Marlene Dietrich ließ sich bei Kniže Fracks für ihre Bühnenshows schneidern, und Billy Wilder stattete dem Haus bei seinem letzten Wienaufenthalt einen längeren Besuch ab. Kunden waren auch Maurice Chevalier sowie Laurence Olivier, Willi Forst und Fritz Lang sowie vornehmlich Führungspersönlichkeiten aus der Wirtschaft und Aristokraten wie König Juan Carlos von Spanien“(…) Gerade finde ich noch einen anekdotenreichen Artikel: „Wenn Billy Wilder kam, herrschte Ausnahmezustand“.

In diesem schönen Stadtpalais ist aber noch ein weiteres Traditionsgeschäft zuhause: Albin Denk. „Porzellan, Kristall, Geschenkartikel. Für jeden Anlass. Seit 1702. Ehem. k.u.k. Hoflieferant“. Seit Siebzehnhundertzwei. Ich weiß jetzt nicht, auf wievielen Internetseiten von Wiener Geschäften ich inzwischen war, wo einem beeindruckende Gründungsjahre um die Ohren gehauen werden, dass es nur so kracht. Aber 1702. Schon recht ungewohnt, dass sich ein Geschäft auf eine dreihundertzwölf-jährige Existenz berufen kann. Man muss direkt hysterisch lachen. Also ich jedenfalls. Und bei so einer langen Tradition schmerzt das ‚ehem.‘ (k.u.k. Hoflief.) dann noch mehr als sowieso schon! Ach. Es ist halt nichts für ewig auf dieser schönen Welt. Außer Albin Denk!

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05. November 2014

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Sagen wir: „berühmte Sehenswürdigkeiten„, die es bei mir in den Recall geschafft haben. Ich lasse natürlich auch ganz viel aus. Zum Beispiel lese ich nun im Wikipedia, dass es im Graben (oder sagt man „auf dem“ Graben?) eine Pestsäule gibt. Äh ja. Das ist mir ehrlich gesagt schnurzpiep nur diese Fußnote wert. Ich bin da wahrscheinlich vorbeigelaufen, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Dafür musste ich aber wie vom Donner gerührt vor Kniže stehenbleiben. Es war ein religiöser Moment. KNIZE! Tja. Warum kriege ich eine Gänsehaut, wenn ich vor einem traditionsreichen Geschäft für maßgeschneiderte Herren-Anzüge stehe? Ich bin ja nicht einmal die Zielgruppe. Aber KNIZE. Vor Kniže zu stehen, war meine absolute Sternstunde im Graben. Auf dem Graben. Wie auch immer. Das ist wie vor Dior in der Avenue Montaigne in Paris. Oder dem Palazzo Pucci in Florenz. Dort habe ich ähnliche Andachten gehalten. Da laufen so viele Schwarzweiß-Filme mit Schlieren in mir ab, ich kann das gar nicht in Worte fassen. Vielleicht war ich ja im früheren Leben ein eleganter Herr, der bei Kniže arbeiten hat lassen. Wer weiß! Auch das Motto auf der Seite von Knize finde ich nicht verkehrt: “Die unausweichliche Frage nach dem Stil beginnt mit der Überwindung der Mode.” Tradition seit 1858. Bei Wikipedia lese ich gerade noch eine schöne Litanei der berühmten Kniže-Kundschaft: „Vor allem Künstler waren in früherer Zeit Kunden bei Kniže. So bezahlte Oskar Kokoschka seine Anzüge mit Gemälden, für Marilyn Monroe wurden Blusen gefertigt, für Kurt Tucholsky Hemden, für Josephine Baker Skihosen. Auch Marlene Dietrich ließ sich bei Kniže Fracks für ihre Bühnenshows schneidern, und Billy Wilder stattete dem Haus bei seinem letzten Wienaufenthalt einen längeren Besuch ab. Kunden waren auch Maurice Chevalier sowie Laurence Olivier, Willi Forst und Fritz Lang sowie vornehmlich Führungspersönlichkeiten aus der Wirtschaft und Aristokraten wie König Juan Carlos von Spanien“(…) Gerade finde ich noch einen anekdotenreichen Artikel: „Wenn Billy Wilder kam, herrschte Ausnahmezustand“.

In diesem schönen Stadtpalais ist aber noch ein weiteres Traditionsgeschäft zuhause: Albin Denk. „Porzellan, Kristall, Geschenkartikel. Für jeden Anlass. Seit 1702. Ehem. k.u.k. Hoflieferant“. Seit Siebzehnhundertzwei. Ich weiß jetzt nicht, auf wievielen Internetseiten von Wiener Geschäften ich inzwischen war, wo einem beeindruckende Gründungsjahre um die Ohren gehauen werden, dass es nur so kracht. Aber 1702. Schon recht ungewohnt, dass sich ein Geschäft auf eine dreihundertzwölf-jährige Existenz berufen kann. Man muss direkt hysterisch lachen. Also ich jedenfalls. Und bei so einer langen Tradition schmerzt das ‚ehem.‘ (k.u.k. Hoflief.) dann noch mehr als sowieso schon! Ach. Es ist halt nichts für ewig auf dieser schönen Welt. Außer Albin Denk!

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04. November 2014

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Da sind wir zur U-Bahn. Ich glaube, „Wien Mitte“ ist zum einen die Bezeichnung von dem U-Bahnhof, der auch ein Umsteigebahnhof ist und auch „Landstraße“ heißt und auch die Bezeichnung von der modernen Einkaufspassage. Vielleicht geht es auch irgendwie ineinander über. Einkaufen waren wir nämlich nicht, so weit ich mich erinnere, und ich erinnere mich an allerhand, wie man an meinen Einträgen sieht. Deswegen muss die Rolltreppe in dem Oval wohl hinunter zur U-Bahn führen. Aber ich könnte es nicht mehr beschwören. Sehr modern da, sehr schick. Mir kommt es vor, als ob bei den architektonischen Entwürfen neuerer Zeit im Innenstadtbereich nicht das oberste Kriterium ist, dass es recht preisgünstig zu bauen sein soll. Was ich sehr gut und vorausschauend finde. Lieber teure, neue Häuser bauen und dafür billige Waffen, die möglichst nichts taugen! Das wäre auf jeden Fall meine Politik. Nur als Beispiel. Wien profitiert ja heute noch davon, dass früher schon nicht an Prunk in der Architektur gespart worden ist. Das rentiert sich einfach! Viel lieber geht man in einem extravagant geschnittenen Haus einkaufen, als in so einer beliebigen Schuhkarton-Architektur. Mit einem schönen, extravaganten Haus-Entwurf zeigt man Ehrerbietung vor dem Formenreichtum der Schöpfung. Deswegen sind Schuhkarton-Häuser ohne alle Extravaganzen ein ganz großes Armutszeugnis!

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05. November 2014


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Das Hotel Royal in der Singerstraße, schräg gegenüber vom Stephansdom ist nicht so interessant. Aber der Schriftzug. Noch ein Schmuckstück in der großen Schatzkiste der Wiener Typographien. Ich habe den Schriftzug auch schon einmal in dem Album zum Stephansplatz beiläufig eingefangen, da, ganz hinten. Nun war ich nicht mehr alleine unterwegs, und es war mir fast schon unangenehm, dass ich schon wieder den Betrieb aufhalte, weil ich unbedingt diese Schrift im Gegenlicht einfangen will. So habe ich es möglichst schnell und fast schon verstohlen gemacht. Man bleibt ja doch drei Sekunden stehen um das Bild nicht komplett verwackelt zu bekommen. Im Nachhinein betrachtet, hätte ich mich gar nicht so disziplinieren müssen, weil ich – ebenfalls erst im Nachhinein – begriffen habe, dass Smartphone-Besitzer jede Minute nutzen, um den Apparat nach neu eingegangen Mitteilungen zu überprüfen. Die Hand also mehr oder weniger immer in Kontakt mit dem Gerät ist. Insofern bin ich halt auch immer in Kontakt mit einem Gerät, nur dass es eben ein Fotoapparat ist. Nun war ich ja erst das zweite Mal in der Ecke da und wusste aber auch, dass ich nicht noch unzählige weitere Male dort entlanglaufen werde. Und schon gar nicht bei Gegenlicht. Ich bin einfach in schöne Typographie verliebt. Ich glaube, dass vielen gar nicht bewusst ist, wieviel das in dieser Stadt ausmacht. In jeder Stadt. Aber ich kann nur gebetsmühlenartig wiederholen, dass die schönen Beschilderungen und Schriften einen ganz wichtigen Anteil daran haben, dass Wien immer wieder als „so schön“ tituliert wird. So ein schönes Schild rückt auch eine eher uninteressante Häuserfassade in den Hintergrund. Wenn ich die Bilder von Wien genau betrachte, fällt mir jetzt erst auf, dass es doch auch immer wieder Neubauten zwischen dem schönen Alten gibt, aber die Farbgebung, man könnte sagen die Beige-Orgie, das oft vertuscht und ein schönes Ladenschild das Übrige tut, um einen organischen Retro-Gesamteindruck zu hinterlassen. Nur die Luxus-Neubauten, wie das Hotel Topazz, kultivieren eine unangepasste supermoderne Extravaganz, das können sie sich auch erlauben, weil neue Eleganz auch neben alter bestehen kann. Das ist ebenbürtig. Ich muss manchmal ein bißchen erklären, wie mein Blick zustande kommt. Warum die Bilder aus meiner Welt anders ausschauen. Das liegt nicht nur daran, dass ich die Kamera tiefer halte, und oft aus der Untersicht fotografiere. Es liegt an meiner Scheuklappen-Spezialanfertigung. In Wien brauchte ich aber nur ganz wenig Scheuklappen. Jedenfalls nicht da, wo ich war. Mit großer Absicht zeige ich hier ganz bekannte, berühmte Ecken. Weil ich den Eindruck habe, dass Blogger in ihren Reiseberichten immer öfter dazu neigen, genau die Sehenswürdigkeiten auszusparen, im Sinne von „kennt ja jeder, weiß ja jeder, wie das ausschaut, kann ja jeder googeln.“ Und dann werden oft stattdessen mit großem Originalitätsanspruch ausschließlich Ecken abgelichtet, die garantiert frei von einmaligen Sehenswürdigkeiten sind, und wo man am Ende nicht mehr erkennt, ob derjenige in Berlin, München oder Wien war. Mir liegen die Alleinstellungsmerkmale dieser Metropole am Herzen. Deswegen: berühmte Sehenswürdigkeiten.

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04. November 2014

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Da sind wir zur U-Bahn. Ich glaube, „Wien Mitte“ ist zum einen die Bezeichnung von dem U-Bahnhof, der auch ein Umsteigebahnhof ist und auch „Landstraße“ heißt und auch die Bezeichnung von der modernen Einkaufspassage. Vielleicht geht es auch irgendwie ineinander über. Einkaufen waren wir nämlich nicht, so weit ich mich erinnere, und ich erinnere mich an allerhand, wie man an meinen Einträgen sieht. Deswegen muss die Rolltreppe in dem Oval wohl hinunter zur U-Bahn führen. Aber ich könnte es nicht mehr beschwören. Sehr modern da, sehr schick. Mir kommt es vor, als ob bei den architektonischen Entwürfen neuerer Zeit im Innenstadtbereich nicht das oberste Kriterium ist, dass es recht preisgünstig zu bauen sein soll. Was ich sehr gut und vorausschauend finde. Lieber teure, neue Häuser bauen und dafür billige Waffen, die möglichst nichts taugen! Das wäre auf jeden Fall meine Politik. Nur als Beispiel. Wien profitiert ja heute noch davon, dass früher schon nicht an Prunk in der Architektur gespart worden ist. Das rentiert sich einfach! Viel lieber geht man in einem extravagant geschnittenen Haus einkaufen, als in so einer beliebigen Schuhkarton-Architektur. Mit einem schönen, extravaganten Haus-Entwurf zeigt man Ehrerbietung vor dem Formenreichtum der Schöpfung. Deswegen sind Schuhkarton-Häuser ohne alle Extravaganzen ein ganz großes Armutszeugnis!

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04. November 2014

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Wien, dritter Bezirk, Salmgasse 23. Raucherzimmer, Moped. Von der Eden-Bar bin ich schnurstracks zum Stephansplatz, was ja nur ein Katzensprung ist, und hinunter in die U-Bahn, U 3, Richtung Simmering, drei Haltestellen bis „Rochusgasse“, von da war es nicht mehr weit zu Fuß bis zur Salmgasse. Draußen war noch schöner Sonnenschein, aber ich glaube, der Schanigarten (so nennen die Wiener das, wenn vor dem Lokal auf dem Gehsteig Tische und Stühle stehen, weiß gar nicht, wie man das bei uns nennt. Gibt gar keinen Begriff oder? Biergarten wäre ja stark übertrieben) lag im Schatten. Deswegen haben Duke und Brigh, die da drinnen waren, im Lokal in der Salmgasse 23, dem Moped, hinten im Raucherzimmer, auch nicht mitbekommen, dass draußen den ganzen Nachmittag Frühlingssonne gewesen wäre. Die beiden hatten einen Platz direkt auf der Sichtachse zur Eingangstür, aber ganz hinten, in dem sehr gemütlichen Wohnzimmer, in dem viele Lampen für schummrige Beleuchtung gesorgt haben. Das richtige Lokal für einen bewölkten, regnerischen Tag, nachdem es ja auch ausgesehen hatte, vier Stunden vorher. Als ich nach der Begrüßung gleich erzählen musste, dass draußen schon den ganzen Nachmittag die Sonne scheint, haben mich die beiden ungläubig angeguckt. Ich kam ja gerade vom Stephansplatz, wo ich noch als letzte Eindrücke hatte, dass Frauen mit nackigen Oberarmen und Sonnenbrillen kalte Getränke zu sich genommen haben (Beweisfoto). Jedenfalls ist das lauschige Wohnzimmer auch bestimmt ein angenehmer Ort, um da einen Nachmittag zu verbringen. Die beiden kennen Wien ja nun schon. Brigh wohnt da und Duke hat auch immer wieder mal da gewohnt. Es war schon gut, dass ich alleine so viel Auslauf hatte, so musste sich niemand an meiner Seite über meine hingebungsvolle Begeisterung für für andere alltägliche Ansichten wundern. Es ist schon auch schön, nach Herzenslust Touristin sein zu dürfen! In meiner Begeisterung habe ich gleich erzählen müssen, dass ich ganz viel gesehen habe und mir der Judenplatz so gut gefallen hat, und dass da ja auch Lokale waren, wo man essen könnte. Und rein zufällig, waren das genau auch die Lokale, die Brigh uns empfehlen wollte! So ein Zufall! Ich hatte überhaupt das Gefühl, ich hätte mich gleich noch vier Stunden ohne Punkt und Komma mit ihr ohne Probleme unterhalten können. Sie war mir gleich sehr sympathisch. Aber langsam war es auch Zeit für sie aufzubrechen und ich habe langsam auch Hunger gekriegt. Wir sind noch zu dritt bis zur U-Bahn-Station „Wien Mitte/Landstraße“ gelaufen und haben uns dort warm verabschiedet. Brigh ist heim und wir wieder Richtung Stephansplatz. Wenn ich so darüber nachdenke, ist es schon verrückt, wie unterschiedlich man vier Stunden verbringen kann. Ich habe so viele Straßen und Gassen gesehen, wie manche vielleicht in einer Woche. Hätte ich mich auch in ein Café gesetzt, wären die vier Stunden auch gut vergangen, aber ich hätte nur verschiedene Getränke gesehen. Es hat mich aber sehr gefreut, dass ich auch einen Eindruck von einem Lokal bekommen habe, in das ich sonst nicht gekommen wäre, weil es nicht so ganz zentral liegt. Eben ein Lokal, wo vielleicht eher einheimische junge Leute hingehen. Solche Cafés mit zusammengewürfelten Retro-Möbeln kann man auch in Berlin finden, da sehen einige recht ähnlich aus. Aber als Wien-Azubi muss ich mich natürlich erst einmal vorrangig um Grundlagenwissen bemühen, Sehenswürdigkeiten mit Alleinstellungsmerkmal! Da bin ich auch ehrgeizig. Irgendwie bin ich doch ein effizienter Typ, merke ich wieder. Direkt ökonomisch. Das Leben ist kurz! Wäre ja blöd, wenn ich in Wien gewesen wäre, und jeden Tag vier Stunden in einem einzigen Lokal gewesen wäre! Jetzt amüsiert mich allerdings auch, dass ich durch meine überaus hingebungsvolle, nachträgliche Recherche, Sachen in Erfahrung bringe, die vielleicht mitunter auch für erfahrenere Wien-Freunde nicht durchweg zur sofort abrufbaren Wien-Bildung gehören. Ich bin halt ein unheimlich gründlicher Typ!

Das auf dem Stuhl ist übrigens kein gepolstertes Kissen, wie ich im ersten Moment beim Durchschauen der Bilder gedacht habe, sondern die Umhängetasche von Duke. Es ist schon so lange her.
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03. November 2014


Die Eden-Bar* kennt vermutlich wieder keiner hier. Richtig, das ist kein Techno-Club und auch kein Laden, in dem sich Alt-Punks in löchrigen Schlafanzugoberteilen treffen. Es ist dort mehr so ein liquideres, gediegeneres, aber nichtsdestoweniger feierfreudiges Nachtclub-Publikum, wenn ich das richtig verstanden habe. Die Eden-Bar ist die älteste Bar Wiens. Über hundert Jahre inzwischen. So wie die originale Einrichtung, die mit viel Aufwand beibehalten wird. Die Wiener Werkstätten weben die Damast-Tapisserie nach der Original-Vorlage, wenn einmal etwas ausgebessert werden muss. Es ist ein trunkener Traum in Plüsch und Rot und Schummerbeleuchtung. Das weiß ich selbstverständlich alles deshalb so genau, weil ich natürlich in keinster Weise drin war, sondern mir wie üblich, dieses Herrschaftswissen im Internet zusammengelesen habe. Die Eden-Bar hat nämlich sogar einen eigenen Wikipedia-Eintrag, dort lesen wir: „Die Eden Bar in der Liliengasse 2 nahe dem Stephansdom ist ein traditionsreiches Wiener Innenstadtlokal mit etwa hundertjähriger Geschichte. Erste Besitzerin der Bar war Emmy Stein (…). Die Operettensängerin am Theater an der Wien und Bürgertheater erwarb das Lokal 1919 und taufte es von City Bar in Eden Bar um. Während der NS-Herrschaft wurde ihr der Besitz des Unternehmens entzogen und sie saß wegen des Abhörens von Feindsendern etwa zwei Monate in Haft. 1948 erfolgte die Rückstellung des Lokals. Die Besitzerin verkaufte es aber schon 1953 an Gabor Kenezy, den Gatten von Liane Augustin. 1974 bis zu seinem Tod 2005 war der Wiener „Nachtklubkönig“ Heinz Werner Schimanko Besitzer der Eden Bar. Er verpflichtete sich, den „gehobenen“ Charakter des Lokals zu wahren (Krawattenzwang), führte aber die Sitte ein, Fotos der prominenten Barbesucher (…) in der Auslage auszustellen.“
*nicht verwandt oder verschwägert mit Rolf Eden





Eines Tages werde auch ich die Eden-Bar besuchen. Ich hatte ja insgeheim schon den Plan im Mai. Aber es muss halt alles passen. Um es genauer zu formulieren: die Bekleidung sollte einigermaßen dem dort postulierten Dresscode entgegenkommen. Insofern wären Trekking-Klamotten nicht das Outfit der Wahl, um durch diese Tür zu kommen. Ich habe gelesen, dass man die Bekleidungsvorschriften in den letzten Jahren stark gelockert hat, und es nun keinen Krawattenzwang mehr gibt, sondern nur noch Jackett-Zwang für die Herren. Was ich völlig in Ordnung finde. So ein Jackett-Zwang ist einfach mal was anderes. So attraktiv finde ich Kapuzenpullover und Anorak an einer Bar ohnehin nicht, dass ich das unbedingt dort sehen wollte. Es gibt ja genug Etablissements, wo man keinerlei Vorschriften in der Richtung befolgen muss. Mein Vorschlag für die Eden-Bar (und auch andere elegante Lokale, nicht wahr) wäre daher, einen gut geschnittenen schwarzen Anzug und ein weißes Hemd im Reisekoffer mit sich zu führen. Und dazu passende Schuhe, aber das versteht sich ja eigentlich von selbst. Krawatte kann daheim bleiben. Warum ich überhaupt auf eine Bar komme, die außer mir – und natürlich dem einschlägigen Publikum für solche Bars – keiner, den ich kenne auch kennt, liegt an dem Roman, den ich lange vor meiner Wienreise gelesen habe. Von einer gebürtigen Wienerin geschrieben. Der Roman spielt in den Sechziger Jahren in Budapest, Wien und Paris. Es geht um eine Liebesgeschichte zwischen einer jungen Wienerin und einem russischen Journalisten und es wird ein ganzes Potpourri von Lokalen erwähnt, die ich dank Internet parallel zu meiner Lektüre googeln konnte und mit großer Begeisterung stellte ich fest, dass alle erwähnten Lokale tatsächlich existieren. Und so wird auch in der Eden-Bar getechtelt:

„(…) Anna schlug die Eden-Bar vor. sie gingen Seite an Seite die Kärntner Straße hinunter.(…) »Genau die richtige Mischung von Rhythmus und Schmalz«, hatte Helmut gelobt, als er sie vor ein paar Monaten zur Feier eines bestandenen Rigorosums in die Eden geführt hatte. Helmut tanzte gut und schwungvoll. »Fetz nicht so herum, das tut man hier nicht«, hatte Anna ihn gerügt und Helmut hatte gegrinst. »Schau dich um, lauter alte Knacker. Schleichen bloß herum und schmusen. Die sollen einmal sehen, was tanzen heißt.« Anna hatte geschwiegen und nicht ohne Vergnügen jenes Abends vor bald zwei Jahren gedacht, an dem sie auf der nämlichen Tanzfläche so lange heftig schmusend in den Armen eines nicht mehr ganz jungen Mannes gehangen und eng an ihn geschmiegt umhergeschlichen war, bis er sie in die Wohnung abgeschleppt hatte. Der Mann war bald darauf als „Entjungferer“ von Anna katalogisiert und abgelegt worden. Der Oberkellner warf einen Blick auf Oleg, eilte ihnen entgegen und führte sie an einen der besten Tische. »Was wollen Sie trinken?« fragte Oleg. »Egal, was Sie trinken« sagte Anna. Oleg bestellte Bourbon und zwei Pakete Pall Mall. Die Gesellschaft am Tisch jenseits der Tanzfläche starrte zu ihnen herüber. »Himmlische Mutter, dort sitzen Bekannte meiner Eltern, die blonde Frau mit dem toupierten Haar ist eine stadtbekannte Tratschgans« entfuhr es Anna. »Ist es Ihnen peinlich, hier gesehen zu werden, wollen wir gehen?« Olegs Stimme klang kühl und unbeteiligt. »Nein, nein.«(…) Oleg hatte sich eine Zigarette angezündet, er inhalierte tief, schien bald entspannter, er trank schnell, winkte dem Ober, bestellte noch einen Bourbon. Die Band hatte von südamerikanischen Rhythmen auf Romantik umgestellt, ein paar Scheinwerfer verlöschten. I WANT SOME RED ROSES FOR THE BLUE LADY Das Gesicht des Sängers war im Dunkel kaum zu sehen, nur seine Zähne blitzten. »Wollen wir tanzen?« sagte Oleg, griff nach Annas Hand und zog sie, ohne ihre Antwort abzuwarten, auf die Tanzfläche.(…) Im Abgehen sah Anna den sensationslüsternen Ausdruck auf dem Gesicht der toupierten Blonden, sah die Bekannten ihrer Eltern tuscheln, sah neugierige Blicke von anderen Tischen. »Taxi«, sagte Oleg zu dem livrierten Türsteher, sobald sie im Freien standen. Er hatte die Hand von Annas Hüfte genommen, stand neben ihr, atmete schwer. Der Türsteher ließ einen Pfiff los, von der Singerstr. rollte ein Taxi heran. »Schau, wie schön«, sagte Anna und deutete auf den Stephansturm, der sich wie eine Nadel vom weichen Mitternachtsblau des Frühlingshimmels abhob. (…)“
Hanna Molden, Kurakin





Hier der Vollständigkeit halber noch ein paar tolle Premium-Links: ein Video, in dem man den sehr sympathischen und überraschend jungen, heutigen Inhaber vor der Bar, also wo ich auch die Fotos gemacht habe, herumstehen sieht und erzählen hören kann. Ein weiteres Video, das anlässlich der Hundertjahrfeier drinnen gefilmt worden ist und in dem verschiedene österreichische Prominente erzählen, was sie mit der Bar verbinden. (Zum Beispiel Marianne Mendt, die vor einigen Jahrzehnten ein halbes Jahr als Barsängerin dort tätig war.) Und ein toller Beitrag aus dem österreichischen „über 55“-Forum, mit vielen Zusatzinformationen, wie zum Beispiel, wie es kommt, dass von hundert Jahren die Rede ist, wo die Bar doch erst seit 1919 Eden-Bar heißt. Weil es vorher auch schon ein ähnliches Etablissement war, nämlich 1911 als Offiziers-Kasino eröffnet worden ist. Deswegen 2011 ‚Hundert‘.

Aber auch der Wien-Guide Servus in Wien, der unter anderem ein schönes Verzeichnis der Wiener American Bars bereithält, weiß lobende Worte über die Eden-Bar zu finden: „Die Eden-Bar gehört sicher zu den schönsten und elitärsten Bars der Welt. Erlesene Getränke und perfekter Service garantieren einen unvergeßlichen Abend. Die tägliche Live-Musik wechselt ohne Pause das Musikprogramm. Diese Bar ist von in- und ausländischen Gästen sehr begehrt. „Wir sind Gastgeber und bemühen uns, daß unsere Gäste sich bei uns sehr wohlfühlen.“ Wo gibt es sonst noch Bars, wo der Ober im Frack perfekt serviert, und der nach einem arbeitsreichen Tag diese Bar besucht, herzlich empfangen wird?“

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P.S. ganz charmant auch der Hinweis auf der Seite der Eden-Bar: „Bitte beachten Sie unseren Dresscode. Leih-Sakkos sind an der Garderobe erhältlich.“ (Aber nur im absolut äußersten Notfall bitte…)
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02. November 2014

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Während in Deutschland und vielleicht auch Österreich die Krimifreunde den Sonntagskrimi im Ersten eingeschaltet haben (heute kein Tatort sondern Polizeiruf, wie ich sehe), verfasse ich meinen nächsten Blogeintrag. Und lasse nebenher „Die letzte Metro“ laufen (auf Arte). Der Film passt ein bißchen besser zu meiner Fundsache. Der Hintergrundgeschichte zum von mir abgelichteten Restaurant „Drei Husaren“ in der Weihburggasse im ersten Bezirk. Sie geht von der Kärntner Straße ab. Irgendwie war mir der Name „Drei Husaren“ bekannt, ich wusste aber nicht woher. Weder hatte ich in einem Wienführer über das Restaurant gelesen, noch im Internet. So ein Begriff, den man irgendwo einmal aufgschnappt hat. Ich kenne aber niemanden, der da je drin gewesen wäre. Im Zuge der Recherche, zur Unterfütterung mit ein paar Fakten, meiner Wien-Bilder (ich kann ja nicht immer nur von meiner vergeblichen Suche nach einem Kaffee-Zubereiter erzählen), gebe ich also in die Suchmaschine „Drei Husaren“ Wien ein. Mir springt ein Video zum 75. Jubiläum ins Auge, das unbedingt sehenswert ist. Es erinnert ein bißchen an die Siebziger Jahre, obwohl es ungefähr 2008 entstanden sein muss. Man sieht das Lokal sehr schön und bekommt einen gewissermaßen sehr sinnlichen Eindruck von den stark traditionell geprägten Gepflogenheiten. Noch habe ich mich amüsiert und dachte, das wäre ein schöner Aufhänger, ich könnte als Einleitung schreiben, dass sich mein Wien-Reisebericht durch das absolute Alleinstellungsmerkmal der Empfehlung von Restaurants, in denen ich garantiert nicht drin war, auszeichnet. Schon wollte ich die Speisekarte recherchieren, als extra-Service für meine Leser. Oder doch wenigstens die Homepage, die deutlich auf dem Abspann des Jubiläumsvideos vermerkt wurde. http://www.drei-husaren.at. Diese Seite gibt es jedoch nicht mehr. Das hat mich dann doch überrascht, dass ein Lokal, das sich 75 Jahre gehalten hat, die Internetseite abgeschaltet hat. Noch einmal gebe ich also den Namen des Lokals ein und begutachte die Suchergebnisse genauer. Und so fand ich mehrere Artikel aus dem Jahr 2010, denen zu entnehmen war, dass das Restaurant „Drei Husaren“ wegen Insolvenz schließen musste. Aber da stand noch viel mehr:
Wiener Nobelrestaurant „Drei Husaren“ in Konkurs
Erster. Bezirk, 1010 Wien – Schon wieder stellt ein Wiener Spitzenrestaurant seinen Betrieb ein. Die „Drei Husaren“ wurden seit 1933 als Restaurant geführt. Das Restaurant in der Weihburggasse 4 wurde 1933 von drei “Husaren-Offizieren” gepachtet. Zuvor war der Betrieb von Ella Zirner-Zwieback als Kaffeehaus geführt worden, die immer noch die Konzession besaß. Die Großmutter des Schauspielers August Zirner, der die Enteignung seiner Familie jüngst publik gemacht hatte, wurde in Folge vom NS-Regime zur Aufgabe der Konzession gedrängt. 1938 ging der Betrieb somit an den Berliner Gastronomen Otto Horcher, unter dem das Restaurant zum Treffpunkt der Gesellschaft im nationalsozialistischen Regime wurde. Zu den regelmäßigen Gästen gehörten etwa Reichsmarschall Hermann Göring oder Gauleiter Baldur von Schirach. Zwischen 1943 und 1949 standen die “Drei Husaren” allerdings leer, bevor sie neu renoviert wiedereröffneten. Der neue Besitzer Egon von Fodermayer leitete das Restaurant bis 1979, gefolgt von Uwe Kohl. http://Vienna.at, 17. Juni 2010, 12:46 Uhr
Da ist die zunächst recht große Heiterkeit über den Jubiläumsfilm ein bißchen gewichen. Es wird eine beispielhafte Geschichte von vielen sein. Ganz sicher. Aber wenn man ahnungslos vor so einem Haus gestanden hat und dann die Hintergründe durch einen Zufall, wie meine rückwärtigen Reise-Recherchen erfährt, ist es wohl, was die Stolpersteine im besten Fall bewirken. Ich finde es großartig, dass einem das Internet durch eine Spielerei manchmal Nachhilfe in Geschichtsunterricht gibt. Das Interview mit August Zirner wurde am 5. Juni 2010 veröffentlicht. Und am 17. Juni 2010, zwölf Tage später, erschien die Meldung zum Konkurs. Vermutlich hatte sich der arg steif wirkende Stil des Hauses seit geraumer Zeit überlebt. Und die Erhellung von Zirner war nur der passende Schlussakkord.

Auch das neben gelegene Lokal „Zum weißen Rauchfangkehrer“ hat eine lange Geschichte. „Der „Rauchfangkehrer“, der um 1848 gegründet wurde, war einst das Zunftlokal der Altwiener Kaminpfleger.“ heißt es da. Über die Geschichte liest man auf der Internetseite des Rauchfangkehrers weiter, wie es sich im Laufe der Zeit zu einem beliebten Schauspieler- und Künstlerlokal entwickelt hat. Von Bernstein und Visconti ist die Rede, Nurejew und Fonteyn. Und von Curd Jürgens, der stehend geduldig auf einen Platz wartete. Welche Prominente sich in den Dreißiger und Vierziger Jahren ein Stelldichein gegeben haben, bleibt unerwähnt.

Aber auch das Geschäft für „Exquisite Drucksorten“ Huber & Lerner kann auf eine beeindruckende Geschichte zurückblicken. Im Jahre 1901 hat es seine Geschäfte aufgenommen und durfte das persönliche Briefpapier von Kaiserin Sisi herstellen. Und Arthur Schnitzler war Stammkunde der feinen Papiersorten, auf denen er viele lesenswerte Liebesbriefe an Adele Sandrock verfasste. Ich aber kaufe kein feines Briefpapier, weil ich leider gerade keinen Arthur Schnitzler kenne, sondern laufe weiter bis zur Liliengasse.

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02. November 2014

BUNTE-Ticker: „Lindenbergs Ex-Leibwächter zieht nach Malta.“ Ah ja. Die Prominenten scheinen mal wieder knapp zu werden. Abgesehen davon, dass ich ohnehin seit geraumer Zeit Probleme habe, ungefähr siebzig Prozent der in Schlagzeilen erwähnten „Prominenten“-Namen, Gesichter zuzuordnen. Schade. Ich habe früher so gerne Klatsch und Tratsch gelesen. Aber wenn man die Leute nicht kennt, macht das alles keinen Spaß mehr. Mich würde zum Beispiel schon auch interessieren, was die Stars von früher – – na ja. Lassen wir das. Ich muss mich unheimlich anstrengen, damit mir irgendein jüngerer Star einfällt. Wenn ich dann so in meinem Gedächtnis nach jüngeren Gesichtern krame, schieben sich wieder Bilder von Audrey Hepburn in Sabrina nach vorne, oder Brigitte Bardot in Privatleben. Oder Romy Schneider im Swimmingpool. Das waren noch Stars! Ich bin da irgendwie hängengeblieben. Das letzte, was ich ungefähr noch mitbekommen habe, war Sonja Kirchberger in der Venusfalle. Aber die wird in diesen Tagen ja auch schon Fünfzig. Also meine Generation. Schwierig. Sie macht gerade ein Restaurant auf Mallorca auf, mit ihrem Sohn. Habe Fotos gesehen. Das waren die letzten Bilder in der Bunten, die mich halbwegs interessiert haben. Schöne bunt bemalte Türen hat das Lokal. Na ja, sie braucht auch noch ein zweites Standbein. Schauspieler machen gerne in Immobilien oder Restaurants. Und Ruth Maria Kubitschek hat aufgehört, mit einer letzten Rolle in einer Fernsehserie, die ich noch nie gesehen habe. Traumhotel oder so ähnlich. Aus Respekt habe ich mir daraufhin die letzte Folge mit ihr angeschaut. War gar nicht so schlecht. Eine österreichische Produktion mit dem auch älter gewordenen – na – wie heißt er – – – der den Hoteldirektor gespielt hat. Ich komme nicht drauf. Ein ganz attraktiver Mann. Christian – Christian – – müsste ich jetzt recherchieren. Auf jeden Fall sieht der für vierundsechzig noch ganz gut aus. NIcht Tramitz (der hält sich auch gut). So ähnlich.

01. November 2014

https://www.flickr.com/apps/slideshow/show.swf?v=1811922554
















Die Kärtner Straße. Zum zweiten mal war ich da. Bei meinem zufälligen Herumlaufen machte ich die Zufallsentdeckung, dass es sich um die Straße handelte, die ich schon am ersten Abend nach Einbruch der Dunkelheit gesehen hatte und die schöne Beschilderung von den Geschäften Rositta und Lobmeyr bewundert hatte. Fotografieren hätte man das nicht können, es war viel zu dunkel. Umso mehr freute ich mich, dass ich es nun durch diesen Zufall noch einmal in Ruhe anschauen konnte. Es ist eine Fußgängerzone mit vielen, vielen, vielen Geschäften. Ich glaube, da war es auch, kurz nach dem Karlsplatz, wo die Straße anfängt, dass Victor meinte, er hätte den Eindruck, ich würde massiv in den ersten Bezirk drängen. Ich hatte keine Ahnung von irgendwelchen Richtungen, aber es scheint da wohl einen Magnetismus zwischen mir und dem ersten Bezirk zu geben. Liegt vielleicht an meinem Geburtsdatum! Ich bin ja auch an einem Ersten geboren. Und hier in Berlin wohne ich ja sozusagen auch im ersten Bezirk! Es ist halt Bestimmung! In der Kärtner Straße war ich sogar in einem Geschäft, einem großen Geschäft. Genau genommen einer Art Einkaufstempel, dem „Steffl„. So volkstümlich das klingt, so mondän ist das Warenangebot. Nur die Verkäuferinnen haben mich ganz stark an das Personal beim Gunkel erinnert. Grüß Gott! Sehr bemerkenswert war die Schaufenstergestaltung. Es war wie so ein Jahrhundertwende-Theaterbühnenbild mit ausgeschnittenen Pappfiguren und Pappkulissen und dazwischen schön zurechtgemachten Schaufensterpuppen. Da habe ich mich wieder nicht getraut, zu fotografieren. Manchmal bin ich gehemmt. Das kann sich von einem Meter zum anderen komplett ändern. Schon interessant. Ich habe im Steffl nichts gekauft, denn offen gestanden, war das einzige was ich gebraucht hätte, so eine Kaffee-Pressmaschine, um endlich von der saublöden Kapselmaschine in der Wohnung unabhängig zu werden und mein gutes Kaffeepulver benutzen zu können. Das in den Kaspeln hat nämlich nach gar nichts geschmeckt, was jetzt aber sicher nicht Kapsel- sondern Kaffeesorten-spezifisch ist. Aber ich war mal im Steffl. Jede Menge Schminksachen und Handtaschen. Damit war ich aber ausreichend versorgt. Nach den vielen Eindrücken war ich dann schon mental langsam so weit, dass ich dachte, viele Varianten können da jetzt eigentlich nicht mehr kommen und ich habe mich innerlich schon mal auf den Weg zurück, Richtung Stephansdom eingestellt. Auch Steffl genannt, ach so – daher…..!



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01. November 2014


Ganz arg schöner Text.
Die beste Suite im besten Hotel der Stadt
„Guten Abend, ich möchte was trinken
was, von dem besten das ihr habt
Ok, die für tausend, das geht auf Suite 808
Nein, nur 1 Glas. Und übrigens
Ich hab es geschafft“
Mit nur einem Programm und zwei Jahren Wahn
Und dann irgendwann, kamen sie wirklich alle an
Was macht ein Klischee zum Klischee?
Und es tut immer noch weh
Immer noch
Wenn ich Abends einschlafe oder morgens aufwache
Ein gutes, cooles Leben wird die beste Rache
Eure Welt programmieren – meine leichteste Sache
Ein gutes, cooles Leben ist die beste Rache
An die Alpha-Tiere
Und die Sportskanonen
An die dummen Schläger
Die mich niemals schonten
An die fiesen Mädchen
Und die Arschloch-Lehrer
Die, mit Sätzen wie
„Du musst dich auch mal wehren“
Auch mal
Gib mir ein N
Ein N wie Nur
Gib mir ein E
E wie Einmal
Und dann gib mir das R
Und dieses R steht für rächen
Gib mir ein D
D wie Digger
Wenn ich Abends einschlafe oder morgens aufwache
Mein gutes, cooles Leben wird die beste Rache
Eure Welt programmieren – meine leichteste Sache
Ein gutes, cooles Leben ist die beste Rache
Ich programmier eure Welt
Und mach das dann zu Gold
Ich werde die Clubs aufkaufen
In die ihr rein wollt
Mit dem Porsche vorfahren
So soll es sein
Und ihr könnt einmal kurz gucken
Und kommt nicht rein
Dies ist meine Zeit, sie ist für mich gemacht
Und ihr schüttelt die Köpfe und hättet nicht gedacht
Dass der Freak von damals sich das Leben wieder holt
Revenge is a dish best eaten cold
Ich erinnere mich an die ganzen Heimwege
Ich erinnere mich an die Schulhofschläge
An meine endlose Scham und an Mamas Gesicht
Und dann die ganzen Ratschläge – ich erinnere mich
Hier kommt das wandelnde Klischee
Und der ewige Pfosten
Mit acht Millionen Euro
Auf verlorenem Posten
Oh ich bin nicht verzweifelt
ich hab’s doch geschafft
Das ist der beste Champagner
den man kriegt in der Stadt
Es dauert nicht mehr lange
Und die Mädchen stehen Schlange
Es dauert nicht mehr lange
Und die Mädchen stehen Schlange
Jede Wunde heilt
und das Blut gerinnt
Mein gutes Leben beginnt
Mein gutes Leben beginnt

Marcus Wiebusch, Nur einmal rächen