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Verabredung um Sieben im Museums-Quartier. Auf den Stufen vom Kunsthistorischen Museum (KHM) sitzt Victor und raucht eine. In der Hand unsere Karten, die er schon vor Monaten besorgt hat. Die Aufführung im Museum ist immer schnell ausverkauft, so beliebt ist sie, und so begehrt die Karten. Ganymed heißt die Inszenierung. Vor einem guten Dutzend berühmter Gemälde spielen Schauspieler und auch Musiker ein kleines Stück, das extra dafür geschrieben und inszeniert wurde. Ungefähr zehn, fünfzehn oder auch zwanzig Minuten dauert jede Aufführung. Es sind recht bekannte Schauspieler dabei, wie Nicole Heesters und Maria Bill, die zum Beispiel vor dem kleinen, aber umso erschreckenderen Gemälde von Peter Paul Rubens „Das Haupt der Medusa“ die vernichtete, körperlose Kreatur darstellt. Ihr Kopf in einem Blutbett aus rotem Samt, spricht verzweifelte Sätze. Daneben schlängelt sich der der kopflose Rest, der nackte Körper einer jüngeren Frau.



In den prunkvollen Sälen des Museums stehen samtgepolsterte Rundbänke und inmitten Podeste, die zur Bühne werden. Man geht wie im Kreis, von einem Saal zum nächsten, hört eine Weile hin, bleibt. Oder geht nach ein paar Minuten weiter, irgendetwas fängt gerade wieder an. Die Bilder werden nicht so sehr beachtet, sie stehen oder hängen zwar oft ganz nah, aber das ist eine Kunst für sich, diese alte Malerei. Der zornige Monolog der Medusa war recht eindrucksvoll. Und dann zwei Säle weiter, hör ich leise Musik. Ein Wienerlied. Keines, das ich schon einmal gehört hätte. Zu einem Bild vom „Heiligen Hieronymus“ Zwei jüngere Männer im Saal, einer spielt Harmonium, weiter nichts. Die Strottern. Der Klang des Instruments geht mir durch und durch. Ich bin ganz aufgewühlt von dem Klang und davon, dass mich das dermaßen anrührt. Ich habe nur einmal in meinem Leben ein Harmonium live gehört. Neunzehnhundertfünfundachtzig bei einem Konzert von Nico. Ich stand ganz vorn. Und Duke war auch da. Aber wir hatten uns dort nur getroffen, nicht verabredet. Jetzt ist er auch wieder da, als ich zum zweiten mal, fast dreißig Jahre später, wieder ein Harmonium höre. Dann fängt der eine an zu singen. Wienerisch. Ganz leicht zu verstehen. Der Text ist so simpel, ich bin geradezu erschüttert. Man wundert sich, warum jemand überhaupt noch komplizierte Sachen schreibt, wenn doch so einfache Worte derart bewegen können. Ich bin ewig dankbar, dass ich jene Aufnahme dieses Liedes entdeckt habe. Jemand von der Crew hat Filmaufnahmen gemacht und zusammengeschnitten. Und genau das Lied darunter gelegt. Man muss gar nichts weiter dazu sagen.


Ich hatte den schwarzen Mantel mit den großen weißen Blumen an. Der hat ganz kleine Taschen, fast alles was man hineinsteckt, fällt bald heraus. Aber das Papiertaschentuch, das ich immer mitnehme, war noch drin. Ich habe es gebraucht. Da waren auch noch andere beeindruckende Dinge, wie das andere musikalische Stück mit der Violine und dem Plattenspieler und dem jungen Mann im goldenen Rock. Und das Prachtcafé unter der Kuppel, wo ich mir einen Kaffee bestellt habe und Duke etwas Kaltes, und der Ober hat was Anderes verstanden und ihm einen gespritzten Apfelsaft gebracht. Das war ein bißchen unglamourös, als abendliches Getränk. Aber das Drumherum dafür das Gegenteil. Ganz und gar feudal. Den Louvre habe ich nicht so prächtig in Erinnerung, wie das Kunsthistorische Museum. Und der Fußboden mit dem schwarzweißen Marmor-Mosaik ist unvergleichlich beeindruckend. Semper war einer der Baumeister. Der Fußboden und das Wienerlied. Das war das Schönste. Ich glaube, außer mir hat keiner geweint. Aber vielleicht habe ich es auch nur nicht bemerkt. Es war halt ein bisserl viel. Ich habe mich ja auch bemüht, es mir nicht zu arg anmerken zu lassen. Und wenn – – eh wurscht.
Der Mensch muss was essen.
Er braucht recht viel Schlaf.
Wenn er einmal hinfällt, dann weint er.
Wenn einmal was geht,
dann bläst er sich auf.
Allein wird er
wurlert.
Zu zweit ist er schwach.
Willen hat er eh keinen.
Wird’s eng, na dann
gibt er halt nach.
Sei ja schön.
Aber tu nicht eitel.
Sei ja gescheit.
Aber tu nicht groß
Wünsch dir nichts.
Und red‘ nicht zu viel.
Nimm Alles wie’s ist.
Anstandslos.
Sei ja fleißig.
Aber schaff dir nichts.
Wenn es wo glitzert,
dann halt dich fern.
Nutz die Zeit.
Lies nicht zu viele Bücher.
Bleib gesund.
Denk jeden Tag ans Sterben.
Du sollst. (Ich soll)
Du sollst. (Ich soll)
Du sollst. (Ich soll)
Du sollst. (Ich soll)
Du sollst nicht. (Ich soll nicht)
Du sollst nicht. (Ich soll nicht)
Du sollst nicht. (nicht)
Du sollst nicht. (soll nicht)
Du sollst nicht. (soll nicht)
Du sollst nicht.

Die Strottern. Ein bisserl viel
: : alle Wiener Geschichten : :

3 Antworten auf „19. November 2014

  1. In Wahrheit ist das schöne Lied aber noch länger. Mir war auch so, weil meine Ergriffenheit im Kunsthistorischen (so sagt der Wiener) auch länger als drei Minutenirgendwas war. Das wird mir jetzt umso deutlicher, als ich den Text im Original lesen kann. Darf. Und warum kann ich ihn lesen? Weil mir nämlich (und hier möchte ich gerne ein bißchen angeben) der Autor dieser wundervollen Textzeilen, Klemens Lendl, den kompletten Text in den Abendstunden in (sagt er selber so) „Wiener Lautschrift“ zukommen hat lassen. (Mit Erlaubnis zum Einkleben unter meinem Eintrag.) Das erfüllt mich mit Stolz, und ich will es meinen Lesern in Deutschland und in der Schweiz (und natürlich auch in Liechtenstein) nicht vorenthalten, weil wir mit so einem schönen Text ja auch hervorragend üben können.

    Ein bisserl viel
    (Text: Klemens Lendl, Musik: David Müller)

    da mensch muass wos essn
    er brauchd rechd fü schlof
    waun a hifoid
    daun waant a
    waun amoi wos ged,
    blosd a si auf

    allaa wiad a wurlad
    zu zweid is a schwoch
    wüünn hod a eh kan
    wiads eng
    gibd a hoid nach

    sei ja schön
    oba tua ned eitel
    sei ja gscheid
    oba tua ned groß

    wünsch da nix
    red ned zfüü
    nimm ois wia s is
    anstandslos

    sei ja fleißig
    oba schoff da nix
    wauns wo glizzad
    hoid di fean

    nutz de zeit,
    ned geniessn
    leb xund,
    denk jedn dog ans schdeam

    s is a bissal fü,
    wos von mia woids
    derfs a wengal mea fileichd no sein

    es sads gscheid bled
    wauns auf mi hoids
    weu am end foad an
    jedn s lebm ein

    du sollst
    du sollst
    du sollst
    du sollst

    du sollst nicht
    du sollst nicht
    du sollst nicht
    du sollst nicht

    du sollst nicht
    du sollst nicht

    so eine ealeuchtung,
    des kaun wos
    do waasd ois
    auf da schdöö

    nua wia laung
    dass d nocha leuchdest
    des fsrod da ka söö

    i hob nix eafundn
    i hob nua ois expliziert
    hob ma a platzerl gfundn
    da rest is ma ollas bassiad

    s is a bissal fü,
    wos von mia woids
    derfs a wengal mea fileichd no sein
    es sads gscheid bled
    wauns auf mi hoids
    weu am end
    foad an jedn s lebm ein

    du sollst
    du sollst
    du sollst
    du sollst

    du sollst nicht
    du sollst nicht
    du sollst nicht
    du sollst nicht

    du sollst nicht
    du sollst nicht

    damenschbizz
    a schweinanes
    pfeadewettn
    koatn schbüün

    madschella
    paula
    mittagsräusch
    bodeaunschdoid
    daunzn gehn

    …………………….

    Die Geübteren unter meinen Lesern werden gleich bemerkt haben, dass das Lied im Original ein Happy End hat, was in meinem Übersetzungs-Fragment nicht abzusehen war. Was uns natürlich alle sehr freut! Ich werde mich alsbald an die Vollendung meiner Übersetzungsarbeit setzen und auch das Happy End ins Hochdeutsche übertragen, damit man beim Üben noch besser versteht, worum es geht!

    P.S. Die Strottern kommen auch nach Berlin! Und Leipzig. Ins BKA in Berlin, am 17. Dezember mit einem Gastauftritt beim Bühnenjubiläum von Frau Betancor und extra im März.

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