„und da war johanna, die große starke frau mit der stimme zarah leanders. johanna war die attraktion auf der bühne. sie sang beim strippen. sie hatte nur ein lied im programm und ein paar spärliche handbewegungen, mit denen sie ihren körper entkleidete, vor dem ein rubens vor ehrfurcht erstarrt wäre. sie stand dann fast nackt, mit dem rücken zum publikum auf der bühne, die beine leicht zu einem festen stand gespreizt, die runden strammen arme in die runden strammen hüften gestemmt, und wiegte ganz leicht und andeutungsweise ihren gewaltigen, festen körper im takt des novak-liedes. dann sang sie mit verruchter stimme: „aber der novak läßt mich nicht verkommen, aber der novak läßt mich nicht verkommen.“ das war ungeheuer beein- druckend. sie strahlte etwas von einer überfrau aus, und die männer näherten sich ihr mit dem größten respekt. johanna war verschlossen, ihr leben war offensichtlich so tragisch, wie ihre stimme zu singen vermochte. sie hat sich das leben genommen. der novak hatte sie verkommen lassen.“
da fällt mir komischerweise jetzt erst beim tippen wieder ein, dass in meinem ausweis, unter anderem, auch johanna steht. nur virginia, die amerikanische ex-ehefrau (mit hinternlangen, mich tief beeindruk- kenden indianerhaaren und einem matratzenlager statt möbeln) des cousins meiner mutter nannte mich so, bei unserer einzigen begeg- nung – ich war vielleicht elf. sie sprach den namen englisch aus ‚joana‘. keine sorge – ich werde mich nicht verkommen lassen. sämtliche selbstmordüberlegungen wurden zu ende gedacht und für schlecht befunden.

„das milieu hatte seine anfängliche exotik verloren. ich war schnell zur insiderin geworden. seine inneren gesetze, seine zwangsläufige amoralität, seine abhängigkeiten und gnadenlosigkeit begannen mich zu berühren und abzustoßen. in einer dramatischen nacht, als der gutmütige dicke gerd, halb wahnsinnig vor eifersucht und bewaffnet mit einem riesigen fleischerhaken, seine schöne schreiende erika über die kleine freiheit trieb in der absicht, sie zu zerfleischen, verließ ich die bar, die straße, das milieu. daß es mich festhalten könnte, ich mich in ihm verlieren könnte, hatte ich nie befürchtet.“
das schreibt eine frau, die auf ihrem lebensweg ein paar monate als stripperin auf st. pauli gearbeitet hat. sie sagt u. a. über sich und ihre geschichte: „ich bin parteilich, subjektiv und emotional. nur auf diese weise habe ich mir eh und je die welt erschlossen, mich den menschen zugewandt und haben sich die menschen mir zugewandt.“ diese zeilen sprechen mich sehr an. ihr name ist inge viett. das buch heisst nie war ich furchtloser.

5 Antworten auf „07. juni 2005

  1. sehr gut. vielen dank, herr schmerles. ich merke, wir kommen der sache langsam näher. das zeigt auch sehr schön, auf den novak ist eben doch verlass. dazu, dass der novak das ganze schöne geld gleich wieder ins freudenhaus getragen hat – na gut, dazu kann man stehen, wie man will. wahrscheinlich hatte er keine familie und so hat er noch ein gutes werk getan.

    hörzu: in dem häuschchen, in dem ich aufgewachsen bin, gab es zwei fernsehzeitungsparteien: im erdgeschoss, meine eltern mit hörzu und eine treppe höher oma und opa mit gong (ich erinnere mich, dass ich mich immer vor dem dicken mann auf der dritten seite geekelt habe, mit dicken hamsterbacken und doppelkinn und schwarzen strub- beligen haaren und komischer brille. das war der chefredakteur, dessen namen ich jetzt lieber nicht nennen möchte; sie wissen ja: vorsicht mit faktenfaktenfakten). ich bin also bestens informiert aufgewachsen. oma hatte außerdem ein ’neue post‘-abo – ich kenne alle frisuren von farah diba und die eheprobleme von prinzessin anne.

  2. wie mich das freut alan bangs nightflight hörte ich auch zu gerne, ende der achtziger. ich habe noch alte cassetten von mitschnitten mancher highlights. eine wunderbare mischung, immer für eine überraschung gut. david sylvian und king crimson im radio zu hören. was für versunkene zeiten.
    secrets of the beehive.

  3. bei wolkenhimmel ist manchmal schönes licht zum fotografieren. ich versuche gerade die sonne in die auguststraße zu locken, um mein faulenzen ins rechte licht zu setzen. ein bißchen zeigt sie sich, aber noch sehr schüchtern heute. noch sieht es aus, als müsste man sich etwas anziehen. aber ich warte noch.

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