letzten montag habe ich das gaga-atelier-schild abgeschraubt. eigentlich nur, weil die hausfassade neu gestrichen wird, und der malermeister auch an der stelle streichen möchte. mein vermieter glaubt bestimmt, dass ich es wieder anschraube, aber ich bin mir nicht sicher. jetzt ist das vorher grün-blaue haus orange und gelb. die farbe wäre nicht der grund, wenn ich es sein lasse.
ich glaube ja an zeichen. mein vermieter wird furchtbar traurig sein, wenn ich da weggehe. zur erinnerung hat er dann den schönen holzboden aus alten buchenstämmen, die man jetzt endlich sehen kann, weil ich ihn schleifen und wachsen ließ. mein mexikanisches pink am balkon ist überpinselt. lustigerweise rosa. aber nicht das treibt mich bereits in gedanken woanders hin. ich will himmel. gras. komisch – gerade fiel mir auf, meine leinwände sind das größte, was ich habe.
29. juni 2005
ein bißchen faul. morgen vielleicht. schöne bilder vom wochenende in mecklenburg vorpommern. marlow, grüne weite hügel, ein flussbett, das in den alten lauf gebracht wird, meine geliebte freundin, die vor ein paar jahren berlin verließ und ihren geburtstag feierte. die nicht wusste, dass ich kommen würde und fast der schlag getroffen hätte, weil ich ohne vorwarnung von hinten durch den garten in ihr wohnzimmer spazierte. sie hatte keine ahnung. drei jahre haben wir uns nicht gesehen. und sie stotterte fassunglos „ich habe die letzten zwei tage dauernd an dich denken müssen“. feuchte augen. sehr.
20. juni 2005

noch vor wenigen jahren hätte ich kaum geglaubt, dass ich eines tages auf dem weg vom südwestkorso zur stubenrauchstraße derart sentimentale gefühle bekommen könnte. vielleicht, weil es so ein warmer sonntagnachmittag war und so ein unerwarteter frieden in den hier so breiten straßen. und die luft so lau. straßen, breit genug, um in der mitte der beiden spuren wilde rosen wachsen zu lassen. ein weg, an dem keine stadtrundfahrt entlangfährt.
sieben jahre hatte ich eine zweizimmerwohnung mit balkon in einer parallelstraße. bis es mir in verschiedener hinsicht zu ruhig schien und ich unwiderstehliche lust bekam, den ruhelosen osten zu entdecken. und jetzt laufe ich an den alten häusern entlang und mag die spürbare abwesenheit von trendgebildeten überspanntheiten. die abwesenheit der medial fixierten effekthascherei, die in den lebensadern mitte-zuge- wandter bezirke pulsiert.
west-berlin. ein warmes gefühl. ungefragt und unberufen, macht sich unversehens breit. was für ein schöner später frühsommertag, um den friedhof in der stubenrauchstraße nach vielen jahren wieder zu besuchen. ich überlegte noch während der fahrt mit der s-bahn, eine blume zu kaufen, aber als ich das blühen um mich sah, pflückte ich lieber eine wilde weiße rose.
das grab, das ich nicht gleich fand, liegt nur wenige gräber neben marlenes. helmut newton hat einen sanften platz in der sonne. ein efeugrab. heiter und friedlich. und so war mir, als ich den alten friedhof zwei stunden später verließ und das alte mietshaus mit dem sonnen- schirm auf dem balkon fotografierte.
unweit dieser gegend, in der innsbrucker straße vierundzwanzig, wurde helmut newton geboren. eine straße weiter, in der verkehrsrei- chen bundesallee lebte marlene viele jahre, bis sie in der premieren- nacht des blauen engels, am zweiten april neunzehnhundertdreißig, ihr schiff nach amerika bestieg. damals hieß die große befahrene straße kaiserallee. nummer vierundfünfzig.
vor meinen jahren in dieser ecke lebte ich wiederum sieben jahre in schöneberg, in der straße, die später nach dem widerstandskämpfer julius leber benannt wurde. als marlene dort geboren wurde, hieß die straße sedanstraße. ich wohnte in nummer vierundfünfzig.
ein paar meter weiter, schräg gegenüber, nummer fünfundsechzig, steht marlenes geburtshaus, das haus, in dem sie ihre kindheit ver- brachte. ich wusste es, weil ich es in verschiedenen biographien über sie gelesen hatte und lief damals immer wieder an dem unspekta- kulären mietshaus vorbei und wunderte mich, dass es keine würdi- gung gab. dann starb marlene und seither gibt es eine gedenktafel.
als ich im flirrenden sommerlicht zurückschlenderte, war mir, als wäre die zeit für eine kleine weile stehengeblieben. als hätten laute uhren aufgehört, furchtbar wichtig zu ticken.
19. juni 2005
am grab von helmut newton.
12. juni 2005

aloe vera
12. juni 2005
07. juni 2005
„und da war johanna, die große starke frau mit der stimme zarah leanders. johanna war die attraktion auf der bühne. sie sang beim strippen. sie hatte nur ein lied im programm und ein paar spärliche handbewegungen, mit denen sie ihren körper entkleidete, vor dem ein rubens vor ehrfurcht erstarrt wäre. sie stand dann fast nackt, mit dem rücken zum publikum auf der bühne, die beine leicht zu einem festen stand gespreizt, die runden strammen arme in die runden strammen hüften gestemmt, und wiegte ganz leicht und andeutungsweise ihren gewaltigen, festen körper im takt des novak-liedes. dann sang sie mit verruchter stimme: „aber der novak läßt mich nicht verkommen, aber der novak läßt mich nicht verkommen.“ das war ungeheuer beein- druckend. sie strahlte etwas von einer überfrau aus, und die männer näherten sich ihr mit dem größten respekt. johanna war verschlossen, ihr leben war offensichtlich so tragisch, wie ihre stimme zu singen vermochte. sie hat sich das leben genommen. der novak hatte sie verkommen lassen.“
da fällt mir komischerweise jetzt erst beim tippen wieder ein, dass in meinem ausweis, unter anderem, auch johanna steht. nur virginia, die amerikanische ex-ehefrau (mit hinternlangen, mich tief beeindruk- kenden indianerhaaren und einem matratzenlager statt möbeln) des cousins meiner mutter nannte mich so, bei unserer einzigen begeg- nung – ich war vielleicht elf. sie sprach den namen englisch aus ‚joana‘. keine sorge – ich werde mich nicht verkommen lassen. sämtliche selbstmordüberlegungen wurden zu ende gedacht und für schlecht befunden.
…
„das milieu hatte seine anfängliche exotik verloren. ich war schnell zur insiderin geworden. seine inneren gesetze, seine zwangsläufige amoralität, seine abhängigkeiten und gnadenlosigkeit begannen mich zu berühren und abzustoßen. in einer dramatischen nacht, als der gutmütige dicke gerd, halb wahnsinnig vor eifersucht und bewaffnet mit einem riesigen fleischerhaken, seine schöne schreiende erika über die kleine freiheit trieb in der absicht, sie zu zerfleischen, verließ ich die bar, die straße, das milieu. daß es mich festhalten könnte, ich mich in ihm verlieren könnte, hatte ich nie befürchtet.“
das schreibt eine frau, die auf ihrem lebensweg ein paar monate als stripperin auf st. pauli gearbeitet hat. sie sagt u. a. über sich und ihre geschichte: „ich bin parteilich, subjektiv und emotional. nur auf diese weise habe ich mir eh und je die welt erschlossen, mich den menschen zugewandt und haben sich die menschen mir zugewandt.“ diese zeilen sprechen mich sehr an. ihr name ist inge viett. das buch heisst nie war ich furchtloser.
05. juni 2005

kürbisblüte am küchenfenster