30. Juli 2010


Was für ein unfassbar schöner Sommer. Die Abende sind so lau, immer weht ein ganz sanfter lauer Wind durch die Gassen möchte man schreiben, aber man nennt die kleinen Straßen in Berlin Mitte nicht so. Nicht einmal die „kleine Auguststraße“. Ich wohne ja außerdem in der großen Auguststraße. Ich bin sehr dankbar in diesem Sommer, dass ich ihn so unbeeinträchtigt (bislang…) von Atemnöten erleben darf. Ich stehe davor, wie vor einem Wunder. Heute sagte ich zu einer Freundin, weißt du, ich habe in der letzten Zeit etwas sehr Interessantes gelernt. Dass man einen Tiefpunkt, was es auch immer sei, eine seelische Krise viel besser bewältigen kann, wenn man sich mit äußerster Aufmerksamkeit um sein körperliches Wohl kümmert, um die physische Stabilität, nicht alles hinschmeißt, gerade dann kein Schindluder treibt. Den Körper mit Überfluss an Gutem verwöhnt. Dinge wie viel Schlaf, geschmeidige Bewegungen, sich einzubalsamieren, gute Sachen zu essen, Nahrung, in der noch Leben ist, guter Wein, guter Champagner, gutes Gras. Aber nicht in einem dekadenten Maß, dass es ins Schadhafte kippen könnte. Diese Balance lernen und zelebrieren. Gestern Abend zum Beispiel, bevor ich wegging, ein Glas Veuve, ein bißchen homegrown, aber nur eine ganz kleine Zigarette. Später beim Konzert, ein großes Glas Wasser, Matthias und Stefan scherzten noch, geh weg mit dem Wodka! Sie trauen mir nicht zu, dass ich Wasser trinke. Dann drei Gläser Beaujolais. Aber nicht mehr. Das war die Grenze. Danach nur noch ein, zwei Gläser Wasser zuhause. Es hat mir nicht geschadet. Der pflegliche Umgang mit dem Körper wirkt auf die Psyche, weil dann die irrtümliche, fatale Schlussfolgerung, die ich früher hatte, nicht mehr passiert, dass es mir auch körperlich schlecht ginge, weil ich in einer seelischen Krise bin. Das stimmt gar nicht. Wenn ich morgens tief ausgeruht aufstehe, kommt mir all das, was mein Herz umtreibt, nicht mehr ganz so schwer und unüberwindbar vor. Das Gefühl von körperlicher Stärke bestärkt die Vorstellung von psychischer Kraft. Die Berge versetzt. Kraft verleiht, die über den Körper hinausgeht.

30. Juli 2010


Was für ein unfassbar schöner Sommer. Die Abende sind so lau, immer weht ein ganz sanfter lauer Wind durch die Gassen möchte man schreiben, aber man nennt die kleinen Straßen in Berlin Mitte nicht so. Nicht einmal die „kleine Auguststraße“. Ich wohne ja außerdem in der großen Auguststraße. Ich bin sehr dankbar in diesem Sommer, dass ich ihn so unbeeinträchtigt (bislang…) von Atemnöten erleben darf. Ich stehe davor, wie vor einem Wunder. Heute sagte ich zu einer Freundin, weißt du, ich habe in der letzten Zeit etwas sehr Interessantes gelernt. Dass man einen Tiefpunkt, was es auch immer sei, eine seelische Krise viel besser bewältigen kann, wenn man sich mit äußerster Aufmerksamkeit um sein körperliches Wohl kümmert, um die physische Stabilität, nicht alles hinschmeißt, gerade dann kein Schindluder treibt. Den Körper mit Überfluss an Gutem verwöhnt. Dinge wie viel Schlaf, geschmeidige Bewegungen, sich einzubalsamieren, gute Sachen zu essen, Nahrung, in der noch Leben ist, guter Wein, guter Champagner, gutes Gras. Aber nicht in einem dekadenten Maß, dass es ins Schadhafte kippen könnte. Diese Balance lernen und zelebrieren. Gestern Abend zum Beispiel, bevor ich wegging, ein Glas Veuve, ein bißchen homegrown, aber nur eine ganz kleine Zigarette. Später beim Konzert, ein großes Glas Wasser, Matthias und Stefan scherzten noch, geh weg mit dem Wodka! Sie trauen mir nicht zu, dass ich Wasser trinke. Dann drei Gläser Beaujolais. Aber nicht mehr. Das war die Grenze. Danach nur noch ein, zwei Gläser Wasser zuhause. Es hat mir nicht geschadet. Der pflegliche Umgang mit dem Körper wirkt auf die Psyche, weil dann die irrtümliche, fatale Schlussfolgerung, die ich früher hatte, nicht mehr passiert, dass es mir auch körperlich schlecht ginge, weil ich in einer seelischen Krise bin. Das stimmt gar nicht. Wenn ich morgens tief ausgeruht aufstehe, kommt mir all das, was mein Herz umtreibt, nicht mehr ganz so schwer und unüberwindbar vor. Das Gefühl von körperlicher Stärke bestärkt die Vorstellung von psychischer Kraft. Die Berge versetzt. Kraft verleiht, die über den Körper hinausgeht.

30. Juli 2010

Man sollte die nächtlich trunken verfassten sentimentalen Texte auch als sein eigener Leser nur nachts lesen, wenn man selbst wieder trunken und sentimental ist. Also einfach bis heute Nacht übergehen. In der S-Bahn gerade Bilder gesichtet. Ganz viele gelöscht. Ein paar bleiben. Gar nicht so wenige. Ich hatte einen guten Winkel, von unten, die Kamera fast auf dem Boden, vorne, am Rand der Bühne. Das Licht fiel direkt ins Gesicht, und flutete die Linien, hellte alles auf, löschte ein paar Spuren der Jahre, die mir gestern und die letzten Male mehr auffielen als sonst. Beim Löschen fiel mir auf, dass es immer Bilder waren, auf denen man die Augen sieht. Wirklich schöne sind aber auch dabei. Aber auf allen schönen von gestern Abend sind deine Augen geschlossen. Der Ausdruck in den Augen ist es, der dem Bild die Magie, den Zauber gibt. Bei hingebungsvoll geschlossenen Augen stellt man sich automatisch ein beseeltes tief dunkel blickendes Auge vor, hinter dem schützenden Augenlid. Man kann gar nicht anders. Ich mag klare Augen, wache, tief und warm blickende Augen, mit einem starken gesunden Kontrast von Weiß und weit geöffneter Pupille. Die vergrößerte Pupille ist ein Zeichen der Hingabe an den Augenblick, die Gegenwart. Wenn sich Menschen sehr wohl fühlen, vergrößern sich die Pupillen. Auch im Zustand der Verliebtheit, bei Erregung. Es ist auch ein Zeichen von großem Vertrauen. Deshalb haben kleine Kinder so oft riesige Pupillen, auch wenn es hell ist. Sie träumen noch, denn keiner reißt sie aus ihren Träumen, wenn sie noch sehr klein sind. Niemand fordert rationales Verhalten von einem Säugling. Normalerweise verkleinern sich die Pupillen bei Helligkeit sehr stark. Ein Schutzmechanismus. Wenn man aber sehr entspannt ist und vertraut, weiten sie sich selbst in der strahlenden Sonne. Und dann gibt es so seltsame Exemplare wie mich, die überwiegend sehr weit geöffnete Pupillen haben. Viele denken, ich hätte sehr dunkle Augen, aber das stimmt nicht. Meine Augen sind blau, so ein taubenblau. Ich bin nicht so sehr vertrauensselig, aber ich bin innerlich meistens auf so einem verträumten Level, das der Psycho-Analytiker als Alpha-Zustand kennt. Dieser irrationale Zustand wie kurz vor dem Einschlafen. Das ist mein natürlicher Grundzustand. Ich verhalte mich ganz normal und kann mich sachlich unterhalten, aber parallel läuft immer ein intensiver Traum-Bewusstseinstrom, in dem ich mich eigentlich aufhalte. Unausgesetzt. Das andere ist nur Show. Für die soziale Kompatibilität. In Wahrheit träume ich die ganze Zeit. Nico hatte das auch. Darin sind wir verwandt. Das habe ich gleich bei ihr erkannt. Wir träumen uns durch unsere Tage, unser Leben. Und wir werden nur vollständig wach, wenn sich das Traumhafte in der Wirklichkeit manifestiert. Dann sind wir ganz da.

30. Juli 2010

(nur nachts und betrunken zu lesen)
wie weit weg du bist
und wie egal es dir (scheinbar) ist
ich hatte einen Satz im Kopf
und ich glaube, er reimte sich sogar
aber ich hab ihn vergessen
irgendwas mit checken
was war es
was war es nur
trunken. ich … wie kann das sein….
es kann so sein…. denn auch oft,
sehr oft, wenn sich die Dinge dem Ende neigen,
den Enden neigen, tun sie es,
weil die Kraft versiegt
oder in andere Wege fließt,
manchmal noch ein Schimmer,
eine Erinnerung,
an das Furiose, das man so gerne so lange gehabt hätte…
er, der Fotograf, der dich zum ersten mal sah und bewunderte.
Und ich, die ich dich zum hundersten Mal sah.
Mit Erinnerung,
mit Bildern im Herzen von unsagbarer Intensität.
Und nichts, kaum etwas kam dem gleich.
Aber für ihn war selbst das heute Abend furios genug.
und sei dir gegönnt.
Und beschieden.
Aber ich sehe die Entfernung. Entfremdung…
Das bloggt man nachts. Spät.
Nachdem man
Ich nach Hause kam.
Und … ja – – – ein prägnanter Satz war da in meinem Kopf,
den ganzen Abend, nachdem ich ging.
Ich suche nach dir, den ich kannte.
Du entgleitest, bist irgendwo,
wo du nicht mehr zu fassen bist.
Nichts Wesentliches von dir.
Nicht mehr in Bildern einzufangen.
Ich sehe, wie du arbeitest.
Hart sogar.
Aber das Spiel ist vorbei.
Ist zu Ende. Unser Spiel.
Nur noch Erinnerung.
Wenn ich Glück habe,
erhasche ich einen Abglanz der Erinnerung.
Ich werde ihn festhalten.
Und bewahren. Und erinnern.
Für immer.

28. Juli 2010


Niki et Jean reloaded. Autobiographically. Cidre. Niki et Jean, Film. Patti und Robert, Buch. Leicht zu verstehen. Schwer zu begreifen. „Ich habe immer davon geträumt, in einem Werk von mir zu leben“ sagt Niki gerade. Der Film läuft. Es ist so wertvoll, wenn jemand weiß, was einem etwas gibt. Nicht jeder kann mir einen Film schicken, den ich mir ansehe, noch am selben Abend. In der Welt von Niki und Jean bin ich zuhause. Niki und Jean. Patti und Robert. Gestern kam das Buch. Nein, nicht das da oben von Niki und Jean. Das andere. Von Patti. Aber gerade läuft dieser Film und ich kriege das alles nicht mehr auseinander. Es gehört zusammen. Niki und Jean. Patti und Robert. Ich las vor dem Schlafengehen etwa zehn Seiten. Ich musste bei jedem zweiten Satz weinen. So geht das nicht. So kann man nicht lesen. Ich legte das Buch in meine Tasche. Meine Ramones-Tasche, in die mein Beamer passt. Niki und Jean. Robert und Patti. Am Anfang sein Tod. So fängt das Buch an. Ich blättere zu den Bildern. Die Bilder tun mir weh. Just kids. Ich schlage das Buch zu, lege es in meine Tasche, für morgen, für heute. Meine Ramones-Tasche. Ein anderes Buch liegt daneben. Weil ich nicht wissen kann, ob ich es aushalte, in Pattis Buch zu lesen. Oder mich lieber ablenke. Mit den Beschreibungen von Hildes Lampenfieber in der Philharmonie. Den Studioaufnahmen. Den Erinnerungen an analoge Aufnahmen in einem Berliner Tonstudio. Mittags. In der Sonne. Ich lese über die Tonaufnahmen. In der Tasche liegt Pattis Buch. Irgendwann lese ich weiter. Halte ich es aus. Aber nicht unterwegs. Das wird schwierig. Ich hasse verlaufene Wimperntusche. Niki sagt, es gab Rivalität. Aber wir haben immer miteinander gespielt. Sie kannten sich vier Jahre. Waren befreundet. Dann änderte ein Abend diese Verbindung. Zwei Tage später zog sie zu ihm. Niki und Jean. Patti und Robert. Ich hab diesen Film nicht bestellt. Er flog mir heute zu. Von jemandem, der auch die Geschichte von Robert und Patti kennt. Gut kennt. In seinem Brief dazu schreibt er mir, schreibst du mir „(…) schicke ich diesen schönen kleinen Film über ein großartiges und großartig charmantes Künstlerpaar (…)“ Da hat sich jemand was dabei gedacht. Ich weiß das sehr zu schätzen. Bin gerührt. Wie meistens, in diesen Tagen. Tut vieles gut und weh. Zugleich.

An einer Stelle im Buch schreibt Patti, dass Fred zu ihr sagte, ich weiß nicht, wie er (Robert) das macht, aber ich sehe auf allen Bildern, die er von dir gemacht hat, ihn. Ich weiß, was er meint. Ich verstehe das alles. Viel zu gut. Schmerzhaft. (u. ewig). Ich dachte gestern Nacht und heute, ich kann das Gefühl nicht in Worten greifen. Aber es durchflutet mich. Egal, ob ich Worte dafür finde.

28. Juli 2010

Die Freundin zum Lachen bringen, kann glaube ich auch als gute Pfadfindertat gelten. Schade, dass man sich so gar keine Notizen beim Telefonieren macht. Seit sie auch bloggt, ruft sie gelegentlich durch’s Telefon „Du musst das bloggen! Sofort!“. Ich blogge es dann nie. Mein Blog-Biorhythmus folgt anderen Vitalitätsströmen, leider. Frau Klugscheisser hat für solche Fälle die sehr vernünftige Rubrik „Sätze, die man sofort bloggen muss“ eingerichtet. Ich merke das zwar, wenn mir eine halbwegs amüsante Wendung unterläuft, aber wenn man es dann schreibt, ist es leider meistens nicht mehr annähernd so lustig, wie im Kontext launig trunkenen Palavers (sie Riscal ich Veuve). Der Witz basiert ja mitunter auch auf den speziellen klimatischen Bedingungen, die nur in einem hermetisch abgeschlossenen Freundinnen-Parallel-Universum gegeben sind.
Aber damit es festgehalten ist, für dich und die Ewigkeit, meine Liebe: ich habe dich gestern meines Wissens zweimal zum Lachen gebracht. Das erste mal, als ich dir die Geschichte von Berufsmeditierer Langhans und seinem späten Gebrechen schilderte, welches ihn zu der Erkenntnis brachte, dass man nicht nur seiner Geistesvitalität und spirituellen Gesundheit sondern auch seinem Körper eine gewisse Aufmerksamkeit zukommen lassen sollte. Er kam durch ein Gebrechen am Bewegungsapparat wie von Zauberhand (Zeichen und Wunder) plötzlich ganz von selbst darauf, dass er möglicherweise zu viel herumgehockt ist. Bewegung hätte gut getan! Ich verkürzte das am Telefon auf „(…) war dann quasi seine Initiation in die Verkörperung“. Das klingt jetzt überhaupt nicht lustig, wenn ich das so lese. Siehst du, deswegen blogge ich solche Sätze eigentlich nicht. Der Satz war natürlich untermalt von gemeinem Lachen und das Wort „Initiation“ muss man sich sensibel betont vorstellen. Seitdem turnt er wohl, der Langhans. Haha. Und dann hast du dich noch kaputtgelacht, als ich den schönen alten Begriff „Hofschranzen“ aufleben ließ. Das Wort war dir so ungeläufig, dass du sogar dessen Existenz anzweifeltest, aber du wusstest intuitiv sofort, was ich meine. Das war glaube ich der Höhepunkt unseres gestrigen Telefonats. Ich wüsste niemanden außer dir, außer vielleicht noch Jan, der sich dermaßen ungebührlich über meine doch mitunter recht unflätigen Gedankengänge amüsiert. Das macht mich schon recht dankbar. Die Wikipedia-Erklärung hat dir dann auch noch prima gefallen. Es ging natürlich um Monarchie. Ich bin ja Monarchistin.

Foto: Cosmic

28. Juli 2010

Die Freundin zum Lachen bringen, kann glaube ich auch als gute Pfadfindertat gelten. Schade, dass man sich so gar keine Notizen beim Telefonieren macht. Seit sie auch bloggt, ruft sie gelegentlich durch’s Telefon „Du musst das bloggen! Sofort!“. Ich blogge es dann nie. Mein Blog-Biorhythmus folgt anderen Vitalitätsströmen, leider. Frau Klugscheisser hat für solche Fälle die sehr vernünftige Rubrik „Sätze, die man sofort bloggen muss“ eingerichtet. Ich merke das zwar, wenn mir eine halbwegs amüsante Wendung unterläuft, aber wenn man es dann schreibt, ist es leider meistens nicht mehr annähernd so lustig, wie im Kontext launig trunkenen Palavers (sie Riscal ich Veuve). Der Witz basiert ja mitunter auch auf den speziellen klimatischen Bedingungen, die nur in einem hermetisch abgeschlossenen Freundinnen-Parallel-Universum gegeben sind.
Aber damit es festgehalten ist, für dich und die Ewigkeit, meine Liebe: ich habe dich gestern meines Wissens zweimal zum Lachen gebracht. Das erste mal, als ich dir die Geschichte von Berufsmeditierer Langhans und seinem späten Gebrechen schilderte, welches ihn zu der Erkenntnis brachte, dass man nicht nur seiner Geistesvitalität und spirituellen Gesundheit sondern auch seinem Körper eine gewisse Aufmerksamkeit zukommen lassen sollte. Er kam durch ein Gebrechen am Bewegungsapparat wie von Zauberhand (Zeichen und Wunder) plötzlich ganz von selbst darauf, dass er möglicherweise zu viel herumgehockt ist. Bewegung hätte gut getan! Ich verkürzte das am Telefon auf „(…) war dann quasi seine Initiation in die Verkörperung“. Das klingt jetzt überhaupt nicht lustig, wenn ich das so lese. Siehst du, deswegen blogge ich solche Sätze eigentlich nicht. Der Satz war natürlich untermalt von gemeinem Lachen und das Wort „Initiation“ muss man sich sensibel betont vorstellen. Seitdem turnt er wohl, der Langhans. Haha. Und dann hast du dich noch kaputtgelacht, als ich den schönen alten Begriff „Hofschranzen“ aufleben ließ. Das Wort war dir so ungeläufig, dass du sogar dessen Existenz anzweifeltest, aber du wusstest intuitiv sofort, was ich meine. Das war glaube ich der Höhepunkt unseres gestrigen Telefonats. Ich wüsste niemanden außer dir, außer vielleicht noch Jan, der sich dermaßen ungebührlich über meine doch mitunter recht unflätigen Gedankengänge amüsiert. Das macht mich schon recht dankbar. Die Wikipedia-Erklärung hat dir dann auch noch prima gefallen. Es ging natürlich um Monarchie. Ich bin ja Monarchistin.

Foto: Cosmic

27. Juli 2010

Heute vor drei Jahren.
Irgendwie fast schon mystisch. Seit Jahren erhalte ich immer wieder Mails aus einer Nico gewidmeten Newsgroup. Ich lese sie seit längerem nicht mehr. Ich hab so viel über Nico gelesen, erfahren, so viele Bilder gesehen, Filme, kenne alle Songs in- und auswendig… was soll da noch an Neuigkeiten passieren. Aus irgendeinem Grund hatte ich heute Lust, die letzte Mail dieser News Group zu lesen. Ein Mitglied, Zoltan, erwähnte, dass er gerade in Berlin war, auch am Grab und dass er Fotos gemacht hätte, ob Interesse bestünde, sie zu sehen.

Da fiel mir wieder ein, dass ich vor einiger Zeit ein Bild rahmte und an ihrem Grab hinterlegte, und fragte mich, ob es wohl noch dort sei. Ich kam auf die Idee, die Bildersuche im Netz zu bemühen, um ein möglichst aktuelles Bild des Grabes zu finden. Das neueste, das ich fand, war vom letzten Sommer. Dieses hier. Mein Bild war noch da. Man sieht es mittlerweile auf fast allen Bildern im Netz, die ihr Grab zeigen. Das rührt mich. Es wird mit Respekt behandelt und gilt als ein fester Bestandteil ihrer letzten Ruhestätte, wie es scheint. Es wäre ein Sakrileg, das Bild zu entwenden. Ich hoffe, es ist immer noch da. Doch, ja ich glaube schon. Denn Zoltan schrieb in der News Group, dass er ein bißchen enttäuscht sei, dass keine neuen Reliquien dazukommen wären seit seinem letzten Besuch, es sei ganz unverändert…

Außer dem Bild der Berliner Fotografin Ilse Ruppert, fand ich auch noch eines, auf dem man die poetrYclub-Karte sieht, die Cosmic am 14. Juni 2008 dort hinterlegte, als wir zum ersten mal gemeinsam unterwegs waren, in Berlin Arizona. Die Karte lag in dieser Steinschale, von Regen und Sonne und Wind und Wetter gezeichnet und gewellt. Nach nur vier Wochen schon so viel Patina. Auch dieses Bild rührt mich. Überhaupt diese Spuren der Vergänglichkeit. Wie schnell alles geht. Ich mag es sehr, wie sich auf meinem Bild durch das Eintreten von Feuchtigkeit Verfärbungen am Passepartout zeigen.

Amüsiert hat mich auch, dass jemand anderes unter eine Fotografie des Grabes schrieb, ein Fan hätte ein gerahmtes Bild hinterlegt und darunter auf Französisch eine Widmung geschrieben. Was ich unter das Bild schrieb, war nicht französisch sondern ein englisches Textfragment des Nico-Songs Nibelungenland „in flames I run, in flames I run, waiting for the sign to come…“ den man am Ende auch in meinem kleinen Film hören kann. Das irgendwie Mystische daran ist eigentlich nur, dass ich Ilse Ruppert unter ihrem Foto dankte und ihr einen Link zu dem Set heraussuchte, um ihr das Entstehen zu zeigen. Und da fiel mein Blick auf das Datum, es war genau heute vor drei Jahren, dass ich dieses Bild für Nico machte und es ihr ans Grab brachte. Schön, heute Abend an sie zu denken. Und an die Momente, als ich dort war. Es waren immer schöne Augenblicke. Besondere. Vor neun Tagen war ihr Todestag. Ich dachte nicht daran. Aber aus irgendeinem Grund scheint dieser 27. Juli mein Nico-Gedenktag zu sein.

Ich merke gerade, wie gut es mir tut, mich damit abzulenken, mich ihr zuzuwenden. Sie hat mir immer gut getan. Wenn ich mich mit ihr beschäftigte, war ich mir selbst immer sehr nah. Bin es. Bei ihr und doch ganz bei mir. Ich trinke auf dich, Nico. Ich mache jetzt für dich meine letzte Flasche Veuve auf. Zur Feier des Tages. Auf dich und mich. Auf uns, und alle die uns nah sind und waren.

27. Juli 2010

Nächster Eintrag. 19. Juni Zweitausendzehn. Ein Samstag. Ein Sonnabend. Komisch, Sonnabend kenne ich erst im lebhaften Sprachgebrauch, seit ich in Berlin lebe. In Bayern sagt kein Mensch Sonnabend. Am Tag, also tagsüber hing ich drei frischgewaschene Charlie-Shirts in den Wind. Wie sie da wehten, hoch über der Auguststraße. Schön sah das aus.

Ich war fleißig, weil ich unsere Foto-Schießerei am Montag vorbereitete. Vielleicht würde ich die T-Shirts brauchen können. Ja, brauchte ich. Brauchten wir. Jetzt hab ich nur noch eins hier. Das Größte, in das ich zweimal reinpasse. Vielleicht packe ich die Nähmaschine aus und näh es enger, dann hab ich ein Minikleid mit Charlie drauf. Dazu ein paar kecke Stiefelchen, das kommt bestimmt nicht schlecht. Ein Bowler dazu wäre auch sehr cool. Aber die sind teuer. Melonen sind verdammt teuer. Aber man muss sich auch mal was Schönes gönnen. An Pan Tau fand ich die Melone ja nicht so attraktiv, aber die Serie hab ich als Kind geliebt.
Und später kamst du. Mein Gott das klingt wie eine Zeile aus einem Siebziger Jahre-Schlager. Ist das nicht von Daliah Lavi? „Dann kamst du…“ Die fand ich ja auch immer toll als Kind. Ach nein, das war „Wann kommst du?“. „Dann kamst du“ ist von Vicky Leandros, wie ich mich gerade bei youtube schlau gemacht habe. Das war ja sogar ein Grand Prix-Hit. „Après toi…“ Mais oui…! Je me souviens. Langsam kommt die Erinnerung. Na ja, ist ja nun auch sehr lange her. Ich weiß auch nicht, warum ich in letzter Zeit immer zwischen der zweiten und dritten Person wechsle. Vielleicht weil du jetzt so weit weg bist und ich die stummen Buchstaben zu ein bißchen mehr Leben erwecken will, damit sie noch einmal anfangen zu atmen. Den Herzschlag der erlebten Stunden wieder spüren. Ich sollte Schlagertexte schreiben. Für Michelle. Manchmal ist einem das eigene Pathos zuwider, peinlich. Und doch muss es sein. Muss es irgendwie rein.
Wir waren verabredet – nein, richtiger – ich durfte dich begleiten zu einem Fest, einem jährlich wiederkehrenden Gartenfest in Kleinmachnow. Vorher wickelte ich am Küchentisch noch den Dépardieu-Artikel um den Wein. Du hattest ein weißes Hemd an. Es gibt ein einziges Foto von diesem Abend. Du in meiner Küche. Später fotografierte ich nicht. Es hätte einfach nicht gepasst. Peinlich wäre es gewesen. Wie ein Paparazzo, eine Paparazza wäre ich mir vorgekommen. Obwohl kein Bunte-Leser auch nur ein Produzenten-Gesicht gekannt hätte. Es hätte einfach nicht gepasst. Aber ich war auch nicht traurig, keine inneren Haderstunden „Ach, hätte man das doch jetzt für die Ewigkeit eingefangen!“ Nein, alles ganz friedlich.
Wir laufen zur S-Bahn, über den Hackeschen Markt. Bis Zehlendorf müssen wir und von da fährt ein Bus. An der Bushaltestelle müssen wir so lange warten, dass wir anfangen, die Umgebung der Haltestelle zu erkunden. In einem Hinterhof so schöne alte Autos. Nein, Automobile muss man sagen. Ein dort ansässiger Oldtimer-Club hat ein Treffen. Was für herrliche Automobile. Ich kann mir plötzlich vorstellen, einen cremeweißen Cadillac mit offenem Verdeck zu haben, so ein Modell aus den Zwanziger Jahren, mit Wurzelholz-Amaturenbrett und cognacfarbenen Velourslederbezügen. Vor meinem inneren Auge fahre ich bereits wie Kim Novak als Lylah Clare durch Robert Aldrichs „Große Lüge Lylah Clare“. Und herrlich, wie das Ersatzrad vorne in eine Vertiefung in der Kühlerhaube eingebaut ist. Ich bin entzückt. Und du erkennst sofort, dass man dann natürlich unbedingt so eine Lederkappe und perforierte Handschuhe aus feinstem Straußenleder braucht. So wie früher. Der Bus kommt.
Alte Alleen, alte Bäume, man ahnt noch den Wald, aus dem dieses putzige Kleinmachnow erwuchs. Zu deinem alten Schulfreund Christian. In eurer Jugend einer der Widerspenstigsten, Rebellischsten von allen, wie du sagst. Aber er hat noch was davon. Etwas attraktiv Störrisches in den Augen. Aggressiv, auf eine produktive Art. Fernsehserien produziert er. Sehr erfolgreich. Alphatier, durchdringender Blick. Ihr beiden seid zweifellos die attraktivsten Männer in diesem Fernsehgarten. Das Haus perfekte Kulisse eines eleganten ZDF-Fernsehspiels. Blondierte Frauen in weißen Sommer-Anzügen. Ungewöhnlich hanseatisch für Berliner Verhältnisse. Pfingstrosen schwimmen in rhythmisch platzierten Glaschalen auf verwirrend elegant eingedeckten Bierzelt-Tischen. Dezente Hintergrundmusik im windgeschützen weißen Gartenzelt, nicht zu laut, nicht zu aufdringlich. Bekannte Melodien, ein bißchen Swing, ein bißchen Jazz, ein bißchen Lounge. Gegrilltes, große Meerestiere. Die King Prawns so riesig, dass ich den Kampf mit der Schale fürchte und vorzugsweise die unkomplizierter einzuverleibenden Grillwürstchen nehme, auf die ich sowieso den größeren Appetit habe. Es gibt scharfe Soße. Sehr gut. Der Rotwein angenehm, obgleich aus Italien. Es scheint sich um eine hochklassige Empfehlung zu handeln. Der Bruder des Gastgebers ist Weinhändler und auf Italiener der Oberliga spezialisiert. Leider abwesend. (Weinhändler sind mir prinzipiell sympathisch).
Die meisten Gäste waren von Beruf irgendwas mit Film- und Fernsehproduktion oder Drehbuchautoren. Die Menschen hinter den Kulissen der Branche. Viel Serie, viel Tatort. Gar keine Schauspieler dabei. Es wurde über schwindende Fördergelder gefachsimpelt und auch ein bißchen gelästert und ich lernte ein schlimmes neues Wort beim Zuhören. Produzent X zu Produzent Y „und dann hat dieser Schauspieler, der Soundso, na du weißt schon – Entschuldigung, sagte ich Schauspieler? Ich meinte natürlich Darsteller – äh – Gesichtsvermieter -„ Na ja. Gelästert wird überall.
Wir brachten dem Gastgeber den Dépardieu-Wein mit, das hab ich doch schon irgendwo erwähnt (ah ja, hier). Und seine Tochter… er hat zwei Töchter, ungefähr acht und zehn und – hab ich das nicht auch schon geschrieben? Ich hab gerade ein déjà vu bei meinem eigenen Geschreibsel – jedenfalls haben wir den Mädchen supercoole Deutschland-Wimpern mitgebracht und tolle Deutschlandpappkronen und Deutschland-Herzchen-Tattoos, weil man war ja noch voll der Hoffnung und im WM-Fieber und die kleinere der beiden, die Sängerin werden will (und später irgendwann dieses Zeug redete, von wegen wir sähen uns ähnlich), sang mir ihr Lieblingslied vor, das Papa nicht mehr hören kann, auf dem Rasen, neben dem Feuer und weil sie so klein ist und ich so groß, kniete ich mich hin. Und sie sang „Orchester in mir“. Ein Lied, eigentlich von Christina Stürmer, das irgendeine Kinderkanal-gecastete Mädchen-Band („Saphir“) erfolgreich gecovert hat. Und sie sang es mit so viel Herz die Kleine. Ich war den Tränen nah. Und kniete vor ihr im Rasen und die Erwachsenen auf der Terrasse, außer Hörweite wunderten sich über das seltsame Schauspiel. Sie konnte den Text nicht ganz auswendig und guckte dabei in das Booklet der CD und verhaspelte sich, es war auch sehr schummrig und schwer zu lesen. Aber sie sang es mit so viel Herz. Ein Lied von einem Mädchen, das ihren Märchenprinzen auf einer Party trifft, aber er ist schon vergeben, doch wenn sie ihn sieht, dann spielt jedesmal „ein Orchester in ihr“ bzw. „in mir“. Dieses Lieben und Verliebtsein, das ist in jedem angelegt, es ist, als ob man es von Anfang an in sich trägt. Man muss es nicht erst durchlebt haben. Sonst könnte die kleine Anna, das gar nicht so tief nachempfinden. Das war der schönste Moment auf der Gartenparty.
Und ich erinnere gerne die lebensfrohe Tante von Christian mit dem hellgrünen Lidschatten, die war auch sehr toll. Und ihr sinnenfroher Mann, der Ex-Banker, glücklicher Ruheständler. Die mochte ich gleich, beide, in ihrer Lebensfreude. Du auch. Hellgrüner Lidschatten, tausend Lachfalten, knallroter Mund. Großartig. Und ja, natürlich erinnere ich den etwas frustrierten Produktionsregisseur oder wie sich sein Job nennt, den ost-sozialisierten, eloquenten, politisierbereiten in der schwarzen Lederjacke. In unserer Raucherecke da. Und dass man eine gewisse subversive Bereitschaft spürte, deren praktische Umsetzung, Manifestation im Unwägbaren versuppte. Wie meistens. Und später hörte ich von dir, dass eines eurer Terrassengesprächsthemen, als ich mich ganz und gar dem singenden Kind hingab, sexuelle Treue und deren Wertigkeit bzw. in Frage zu stellende, innerhalb von sehr lange währenden Langzeitbeziehungen war. Interessantes Gesprächsthema. Vor allen Dingen im aktiven Diskurs mit zwei so attraktiven Frauen, wie deinen beiden Gesprächspartnerinnen. Die hatten wirklich Klasse und Sex Appeal. Keine Frage. Von Schönheit ganz zu schweigen. Der Mann in mir wäre noch viel dichter an den beiden drangeblieben.
Und am Ende, als wir plötzlich ernst sprachen, da in diesem eleganten Wohnraum stehend, wo man sich kaum traute, Platz zu nehmen, so gestylt war alles. Sehr ästhetisch, ein bißchen zu sehr wie in einer Hochglanzzeitschrift. Man überlegte, ob man dem ausgezirkelten Layout des Raumes noch gerecht würde, wenn man sich in einem der roten Sessel niederließe, da gegenüber von dem blitzweißen Sofa. Wovon redeten wir da am Ende eigentlich… was war das noch… – unsere Väter. Dass unsere Väter zum großen Teil von Frauen erzogen wurden, die ihre Männer im Krieg verloren hatten. Und was das mit den Vätern machte. Mit ihrem Mannsein, ihrem männlichen Selbstverständnis. Ihrer Durchsetzungskraft. Das fehlende gelebte Leitbild männlicher Aggression. Meinen Vater betraf das nicht. Er hatte einen Vater, der sehr alt wurde. Mein Großvater hatte sich vor der Wehrmacht gedrückt. Er hatte in irgendwelchen Schnaps getunkte Zigarren geraucht, bis ihm speiübel war zur Musterung. Dann wollten sie ihn nicht. Er wurde 83 Jahre alt. Ich hielt seine Hand, als er starb. Ach ja… dieses Fest in Kleinmachnow… Katja und ihr Lebensgefährte, auch ein Drehbuchautor, nahmen uns mit zurück nach Berlin. Er hatte uns diese beiden Filme ans Herz gelegt. Wir glauben ihm sofort, als er uns Crazy Heart und The Wrestler nahe legt, die wir uns unbedingt ansehen sollten. In einem waren wir. In Crazy Heart… noch gar nicht so lange her. Ein schöner Film. Von dem Abend gibt es auch ein paar Bilder. Irgendwann. Später.

26. Juli 2010

11. Juni Zweitausendzehn. U-Bahn Samariterstraße. Kinzigstraße. Weserstraße. Kurz bevor ich die Jungstraße überqueren will sehe ich, dass ich nicht weiter in Richtung deiner Wohnung laufen muss, weil du mir schon entgegenkommst. Du hast dieses robuste dunkelbraune Baumwollhemd an, das dir so gut steht und du eher selten trägst. Ich hab auch was Braunes an, auch eher selten, als hätten wir uns verabredet.
Wir sind verabredet, einen neuen möglichen Proberaum anzugucken. Im ehemaligen Funkhaus der DDR in der Nalepastraße. Man kann dort jetzt Proberäume mieten. Die Akustik im ehemaligen Großen Sendesaal soll so hervorragend sein, dass er schon von Sting und den Black Eyed Peas für Aufnahmen gebucht wurde. Bevor es losgeht, treffen wir Sebastian, den neuen Booker für die Gigs im Osten. Über ihn kam die Connection, er ist auch Drummer und ist bereits mit seiner Band Mieter in der Nalepastraße. Ein Café in der Kinzigstraße. Ein bißchen Kennenlernen. Wir sitzen nebeneinander auf der Bank, draußen. Ich spüre deine Wärme. Du stellst mich als diejenige vor, die u. a. auch die Bandfotos machen wird. Cappuccino. Dein Tabak.
Aber vielleicht hab ich auch gar nicht geraucht. Wenn du anfängst, krieg ich immer Lust. Alleine rauche ich nie. Das war früher, in meiner Jugend. Da hab ich mir immer Tabak gekauft und gedreht. Alles Mögliche. Samson, Drum, Old Holborn, später härtere Sorten. Schwarzer Krauser, Gauloises. In meinem Zimmer unterm Dach aus dem Fenster geraucht. Und auf Schulhöfen. Waldlichtungen. In Diskotheken. Bei Konzerten… irgendwann hab ich erkannt, dass ich eigentlich nur eine Gesellschaftsraucherin bin, das Ritual mag, ja auch den Geschmack der ersten drei Züge. Dreimal im Jahr kauf ich mir selbst eine Schachtel, meistens rauche ich die Zigaretten meiner Begleitung. Meiner Lunge geht es gut, meine Verabredungen mit Rauchern sind überschaubar geworden.
Man fährt eine ganze Weile dahin, zum Funkhaus. Proberäume, zumal mit Fenstern sollten ja immer ein bißchen abgeschieden liegen. Auch wenn die Schallisolierung gut ist. Den Luxus eines Proberaumes mit einem Fenster, das sich auch öffnen lässt, ab und zu auskosten. Das Gelände ist gut bewacht, man kommt nicht ohne Weiteres in das Funkhaus, muss angeben, in welche Raumnummer man will. Unserer ist in der siebten Etage. Wieso schreib ich eigentlich ‚unserer‘. Nicht meiner. Ich werde dort ja kaum proben. Identifikation.

Cosmic hat seine neue Kamera dabei. Er hat sich die gleiche wie ich gekauft, er hatte sie mal in der Hand und sie gefiel ihm. Was bislang bei keiner anderern Digitalkamera der Fall war. Er hat früher viel und gut fotografiert, analog. In seinem Jahr in Kalifornien hat er sogar irgendeinen Preis für ein Foto gewonnen, hat er mir erzählt. Die wenigen alten Bilder die ich sah, waren tatsächlich gut. Eine mir vertraute Sichtweise auf die Dinge. Subtil. Klar und irgendwie traumhaft, surreal. Als er mir entgegenkam, in der Weserstraße, mit hochgehaltener Kamera, drehte ich mich um, weil mir nicht nach fotografiert werden war. Er lachte, weil ich mich so zierte. Später hat er mich doch ein paar mal erwischt. Ich bin da sehr scheu. Auf einigen Bildern sieht er erschöpft aus, so empfand ich ihn gar nicht. Es war wohl das harte Licht an dem Fenster. Von mir ist ein Bild dabei, auf dem ich zufrieden in die Welt lächle. Man könnte denken, ich wäre ein zutiefst ausgeglichener Mensch, der in seiner Mitte ruht. Verückt. Dabei ist Cosmic derjenige von uns beiden, der meditiert und gute Gedanken hegt und pflegt. Ich bin dagegen ein Monster. Eigentlich müsste er gucken wie ich und umgekehrt. Verkehrte Welt. Verrückt. Ein Freund von Sebastian war noch dabei und dessen Gefährtin. Ich kannte ihn gar nicht, aber diese Jägermeisterfahne im Hintergrund und seine Tattoos gefielen mir. Das sieht alles so ein bißchen verhauen aus. Wie das eben muss, bei so Proberäumen von Rockbands. Der Raum ist ganz gut und hat Fenster. Auf einer Scheibe klebt ein Stones-Sticker. Micks Zunge. Diese Ikone. Das Kreuz der Christen, Coca Cola und diese Zunge. Die drei größten Ikonen der Welt. Wir sehen uns noch ein bißchen das Gelände an, die Sonne geht schon unter. Seltsame Hinterlassenschaften, ein gepolsterter Stuhl im Nirwana.

Das Funkhaus liegt an der Spree, ein paar Fußballfans haben einen kleinen Fernseher ins Gras gestellt und grillen und gucken WM. Auf einem breiten Grasstreifen am Wegesrand fängt sich das Abendlicht in den Grashalmen, ich würde mich am liebsten in das grün und gelb flirrende Wiesenbett legen, aber so romantisch ist die Umgebung dann auch wieder nicht. Da im Gras, da hätte man wirklich schöne Bilder machen können. Ein Herr von der Sicherheitszentrale kommt mir entgegen, ich habe meine Kamera in der Hand, er lächelt mich an, geht an mir vorbei. Fünfzig Meter hinter mir ist Cosmic, fokussiert den Schutt, mit der gleichen Kamera. Der Sicherheitsmensch geht an mir vorbei, auf ihn zu und teilt ihm mit, dass Fotografieren auf dem Gelände nur mit Genehmigung erlaubt sei, ob er eine hätte. Nein. Keiner von uns hat eine Genehmigung. Wir machen das einfach. Tut ja auch keinem weh. Wir fahren zurück, noch einmal in das Café von vorhin, ich trinke ein Astra, Cosmic bestellt in Experimentierlaune ein Starkbier, das ihm dann noch nicht schmeckt und netterweise zurückgenommen wird, gegen ein Helles getauscht. Sebastian erzählt, dass er von der Biographie des Typen fasziniert ist, der in den USA diese Wrestling Shows populär gemacht hat. Ich frage ihn, ob er die Biographie von Fritz Rau kennt. Er weiß gar nicht, wer das ist. Er ist noch so jung. Vielleicht Ende Zwanzig. Ich erkläre es ihm. Ja, das Buch interessiert ihn.
Wir haben Hunger. Landen in einem indischen Lokal, irgendwo da am Boxhagener Platz. Ich hatte eigentlich eine nette Einladung zum Grillen in Köpenick, aber das war uns zu weit. Ich wollte gerne irgendwohin, wo wir noch nicht waren. Also dieser Inder da, warum nicht. Ich stelle wieder einmal fest, dass mir in indischen Lokalen meistens nur dieses aufgeplusterte Brot so richtig schmeckt. Alles andere ist mir zu pampig, zu einerlei. Ich bin auch ein bißchen pampig. Der trocken bezeichnete Wein ist so lieblich, dass ich ihn in hohem Bogen auf das Kopfsteinpflaster schütte. Bestelle einen Riesling hinterher. Geht einigermaßen. Ein Abend, an dem ich auf Krawall gebürstet war, könnte man denken. Aber es stimmt nicht. Ich hab ein paar Dinge ausgesprochen, die ich sonst aus Diplomatie für mich behalte. Man weiß ja, dass man ein sensibles Gegenüber hat. Ich weiß das. Aber es gibt einen Punkt, wo unter den Teppich kehren, die Qualität von Unwahrheit bekommt. An diesem Abend hab ich ein paar Staubmäuse hervorgeholt. Ich weiß nicht mehr, ob du wirklich wütend warst, aber ich erinnere mich, dass du anschließend glaubtest, dich sehr entschuldigen zu müssen, weil du so ‚böse‘ zu mir warst. Ach. Ich verstand deine Reaktion. Angemessen, über meine Statements zuweilen in Verzweiflung zu geraten. Aber wir gingen nicht im Bösen auseinander, an diesem Abend. Das weiß ich auch noch. Es tat uns beiden leid. Das Leid Tun.

[ Bilder ]

24. Juli 2010

http://www.flickr.com/apps/slideshow/show.swf?v=71649
Meine Faves anderer flickr-User der letzten Jahre. Ein paar bekannte Gesichter sind auch dabei. Einfach zurücklehnen und laufen lassen. Andere machen auch großartige Sachen. Ich bin ehrlich gesagt eher selten auf anderen Accounts. Für mich ist flickr ein externer Speicher um hierher Bilder und Sets zu verlinken, ein back up der letzten digitalen Jahre, auf das ich immer Zugriff habe. Manchmal stolpere ich über einen Kommentar auf ein Profil und dann gucke ich doch auf die ersten Seiten des Streams und bleibe hängen.
Wie gestern Nacht, als ich bei Robert aus Berkeley und seinen self-shoots hängenblieb, die er überwiegend mit seinem Mobile macht. Schon vor geraumer Zeit kamen wir in Kontakt, er stieß auf mich, weil ich ein, zwei Bilder in meinem Stream habe, die mit Patti Smith zu tun haben, seither verfolgt er meinen Stream. Er ist der Kurator der Patti Smith Collection in Berkeley. Gestern Nacht bin ich zum ersten mal über seine Selbstportraits gestolpert und einige davon sind in meinen Faves gelandet, was äußerst selten vorkommt. Ich wusste gar nicht, wie er aussieht, dass er so ein rougher, tougher ist. Ich stellte ihn mir filigraner, ätherischer vor. Auf jeden Fall sehr sympathisch. Ich vermute, wir sind derselbe Jahrgang, 1965. In seinem Profil beschreibt er sich als gypsy, tramp and theif.
Meine Faves sind eine Hommage an das Traumhafte, eine Sammlung von Traumfetzen, mit denen mich andere berührt haben. Danke.

23. Juli 2010


Dieses Lied von Hildegard Knef bewegt mich sehr. Auf der letzten Platte von ihr. Ich erinnere mich an den Gottesdienst, ihre Trauerfeier in der Gedächtniskirche. Dieses Lied war ein Teil davon. Ich hatte leider keine Zeit um hinzugehen, verfolgte den Trauergottesdient auf einem kleinen Fernseher nebenher, in der Fasanenstraße. Gar nicht weit davon. Neben dem Sarg stand ein Selbstportrait, eine Zeichnung von ihr. Sie konnte sehr gut zeichnen, malte auch. Sie konnte eigentlich alles.
Die alte brüchige Stimme geht mir unter die Haut. Und dieses „gib mir Antwort“. Etwas was ich oft denke, nicht an einen Menschen gerichtet, sondern an dieses Schicksal. Die Götter des Geschicks. Wie schweigsam sie sind. Wie oft. Meistens findet man die Antwort irgendwann in sich selbst. Vielleicht ist das die Antwort. Das Echo von Gott. Der wir selbst sind. Ein Teil davon. Heute Nacht, heute Morgen sehr viel Klarheit. Eine Antwort. Am Ende eines langen Weges.

21. Juli 2010

Wenn Merkur in Konjunktion mit dem Geburtsmerkur steht, sollte man eigentlich kommunizieren. Der transitierende Merkur am Himmel auf zwanzig Grad Löwe, wie bei meiner Geburt. Die rechte Lust will sich nicht einstellen. Faul und träge auf dem abendlichen Balkon. Ich hab euch doch sowieso schon das Meiste erzählt. Und die schlimmen Sachen, die ich für mich behalte, die wollt ihr gar nicht wissen. Wer will schon Gruselgeschichten aus dem richtigen Leben hören. Also ich nicht. Wenigstens nicht von Menschen, die mir am Herzen liegen. Andere gerne! Unsympathische Leute dürfen meinethalben unsympathische Sachen erleben. Mir schnurzpiepegal, aber die mir Lieben und Netten sollen mir zutiefst sympathische Sachen erleben. Ich werde einen Erlass … äh – Dings veranlassen müssen. So einen königlichen. Merkur in Löwe gilt ja als Königskonstellation. Dekret heißt das Wort. Ich wäre eine gute Königin, das könnt ich mir glauben. Brot und Spiele für alle! Und Champagner! Und schön soll mein Volk sein. Und mein Königreich. Darauf leg ich Wert! Man kann da heutzutage eine Menge machen! Es muss nicht immer gleich eine Operation sein. Herzenswärme zum Beispiel, das wichtigste Schönheitsmittel ist relativ preisgünstig zu haben. Hab ich neulich erst im Angebot gesehen. Bei Rossmann. Bei der Kassiererin.

Eigentlich drücke ich mich gerade davor, irgendetwas Sinniges zu der eben hochgeladenen Fotostrecke zu schreiben. Ich war wieder einmal bei einem Konzert von poetrYclub. Weil ich aber handelsübliche Konzertberichterstattung verabscheue, wie der Teufel das Weihwasser und ich dunkel ahne, dass ich verqueres Zeug schreibe, das irgendwie auch noch ins Private geht, und mich auch überhaupt keiner zwingt, schreib ich mich erst mal ein bißchen warm. Außerdem, wer will schon lesen, wie ein Konzert war, der nicht da war, außer man wäre ein Hardcore-Fan, der wegen Bandscheibenvorfall der Schwiegermutter verhindert gewesen ist. Also für wen soll ich meine Eindrücke festhalten? Interessant ist ja immer erst der Moment, wo es brüchig wird, von der Konvention abweicht. Ich könnte es wagen zu schreiben, dass mich Cosmic befremdet hat, wie er da mit der Gitarre vor dem Auftritt auf der Straße herumlief, um den Block, der Ausdruck so abwesend.

Aber man gewöhnt sich mit der Zeit daran, dass die Stunde vor dem Konzert sehr speziell ist, man sich ganz auf sich selbst konzentriert, sein Ego, ein bißchen unzugänglich wird. Später erfuhr ich, dass er ziemlich müde war, erschöpft, lieber geschlafen hätte. Dafür war der Auftritt echt gut. Ich fand den Sound sehr überraschend. Ganz trocken und percussiv die Gitarren, sehr knackig, erdig. Gefiel mir gut. Auch dass keiner unkoordiniert über die Bühne gestolpert ist. Das war alles sehr stimmig. Und das obwohl sich die Gitarren wegen der Hitze dauernd verstimmt haben. Wir durften dann viel beim Stimmen zugucken.

Das Publikum, von dem ich noch nicht einen Menschen bei einem Konzert vorher getroffen hatte, war aber bestimmt nicht aus diesem Grund von Anfang an fasziniert. Gregor, der Inhaber merkte überrascht an „ick hab jar nich jewusst, dass die früher schon so gerockt haben!“ Von wegen soundsoviel Jahrhunderte alte Lyrik, die zum Vortrag kam. „Der Teufel hat die Welt verlassen, weil er weiß, die Menschen machen selbst die Höll‘ einander heiß“.

Ich winkte einige Passanten in den Raum der friendly society, die schüchtern dahin guckten, woher die Musik kam, sich zunächst nicht hineintrauten. Besonders zwei ganz hübsche blonde junge Mädchen. Irgendwie skandinavisch. Ich denke ja immer auch an die Fotos, da sollen schließlich nur schöne Menschen drauf sein! Letztlich hab ich sie nicht fotografiert aber glücklich waren sie trotzdem. Gregor ist furchtbar nett, er macht diesen Laden, diese Mischung aus Galerie und Designer-Laden und hastenichgesehen.

Da war gleich ein Draht da. Albern. Schön. Ach Mensch. Ja, schön war es. Der rote Hut ist eine eigene Show. Mein roter Hut und mein Charlieshirt, das Cosmic jetzt einfach trägt, als hätte es ihm schon immer gehört. Wahrscheinlich war es einfach die Bestimmung der beiden Teile. Der Hut ist mir eh ein bißchen zu groß. Ich hab ihn nur einmal in meinem zweiten Opus aufgesetzt und bei diversen Foto-Geschichten. Und das Charlie-Shirt… tja. Cosmic trägt jetzt die kleinere Größe, ich hatte ein größeres für ihn vorgesehen, aber er wollte lieber das kleinere. Und er klopft mich ja immer weich. Er ist ein Schlitzohr. Ich hab Gregor noch was abgekauft, aus seiner Schmuck-Kollektion. So ein fetischmäßiges Kettenglieder-Teil für den Hals, das aussieht wie aus bösem schweren Eisen, ist aber Gummi. Hihi. Mit den Fotos bin ich nicht so super zufrieden, außer mit denen, auf denen ich drauf bin, das sind eindeutig die besten! Ich wackle eben nicht herum, sondern konzentriere mich voll auf das Bild und Gaga Nielsens Objektiv!

Auch gucke ich sehr präsent in selbiges, was einem guten Bild immer zuträglich ist. Aber na ja. Ich hab die meisten Bilder trotzdem nicht weggeschmissen. Ist auch wegen der Erinnerung. Ich bin ja eine sentimentale Kuh. Wissen wir ja. Obwohl Matthias der Drummer eigentlich auch ganz gut auf den Fotos ausschaut. Er wirkte sehr ausgeschlafen und hat schön getrommelt und ich hab mich auch noch ein bißchen mit ihm über Berühmtsein unterhalten. Das Thema geht uns schließlich alle an!


Danach hab ich mich von den beiden Gitarristen nach Friedrichshain abschleppen lassen, obwohl wir ja schon in Mitte waren, wo ich gleich zuhause gewesen wäre. Stefan hatte so einen Asiaten, Thai glaub ich im Hinterkopf, da bei seiner Wohnung am Petersburger Platz. Da hab ich dann nicht mehr fotografiert. Irgendwann ist dann auch gut. Außerdem war das irgendwie sowieso nicht der Tag der Tage, um die beiden abzulichten. Das Essen war wirklich gut. Man konnte die einzelnen Bestandteile genau identifizieren, was ich sehr schätze. Und knackig. Und viel zu billig! Meinte Stefan auch noch zum Patron. „Ihr seid viel zu billig! Das kannst du nicht machen!“ Echt jetzt. Und dann noch ein Cappuccino im Dings… im … na – da hat mich Stefan neulich zum Fußballgucken eingeladen, aber ich war zu faul, es war ja auch so heiß. Ach ja, Café Duo. Der portugiesische Besitzer sehr nett. Stefan schwärmte von Lissabon. Das machen ja alle. Ich auch unbekannterweise. Cosmic kennt die Stadt auch nur aus dem Wim Wenders Film. Es gibt zwei Städte in Europa, die mich noch interessieren. Lissabon und Barcelona. Sonst eigentlich nix (edit: und Istanbul!). In Rom war ich auch noch nicht, aber das ist mir irgendwie nicht so wichtig. Man denkt ja auch, man kennt das ganze dolce vita aus diesen Fellini-Filmen und Mario-Adorf-Geschichten. Wo war ich? Ach ja, ich wollte euch nur erzählen, wie ich mich drücke, einen Blogeintrag zu dieser Fotostrecke zu schreiben. Guckt einfach ein bißchen die Bilder an. Bis ich wieder etwas hochgradig Substanzielles mitzuteilen habe, wie man das von mir kennt und zurecht erwarten darf! Ach ja, und beim Intro von Sing out dachte ich, ihr spielt zum ersten mal Schwesterbraut live und bei der Rose hab ich geweint. Nicht, dass ich es vergesse.

Die Rose ist ein Lied. Das mir zu Herzen geht. Und Cosmic singt immer die Hookline falsch, die zentrale Zeile. Aber ich finde es eigentlich besser als das Original. Rückert schrieb „Und kränkt die Liebe dich, sei dir’s zur Lieb ein Sporn, dass du die Rose hast, das merkst du auch am Dorn.“ Und Cosmic singt meistens „dass du die Rose hast, das merkst du erst am Dorn“. Seit ich es ihm sagte, wechselt er manchmal. Erst am Dorn zu merken, dass man die Liebe hat, wäre ja ein bißchen traurig. Tragisch. Aber wenn einem jemand sehr nah ist, streichelnah sozusagen, und derjenige macht eine falsche, etwas unglückliche Bewegung, kann das schon sehr weh tun. Wahrscheinlich hab ich auch deswegen geweint. Ich weine ja oft. Aber ich hab auch gesungen. Ganz laut. Als das Ende der Goldenen Zeit in Hey Jude überging. Und sogar bei Stern, bei diesem dab dab dab, das ich schon immer ein bißchen doof fand. Aber ich mag das Lied trotzdem. Es war ein schöner Abend mit euch, nach so langer Zeit.


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21. Juli 2010

Wenn Merkur in Konjunktion mit dem Geburtsmerkur steht, sollte man eigentlich kommunizieren. Der transitierende Merkur am Himmel auf zwanzig Grad Löwe, wie bei meiner Geburt. Die rechte Lust will sich nicht einstellen. Faul und träge auf dem abendlichen Balkon. Ich hab euch doch sowieso schon das Meiste erzählt. Und die schlimmen Sachen, die ich für mich behalte, die wollt ihr gar nicht wissen. Wer will schon Gruselgeschichten aus dem richtigen Leben hören. Also ich nicht. Wenigstens nicht von Menschen, die mir am Herzen liegen. Andere gerne! Unsympathische Leute dürfen meinethalben unsympathische Sachen erleben. Mir schnurzpiepegal, aber die mir Lieben und Netten sollen mir zutiefst sympathische Sachen erleben. Ich werde einen Erlass … äh – Dings veranlassen müssen. So einen königlichen. Merkur in Löwe gilt ja als Königskonstellation. Dekret heißt das Wort. Ich wäre eine gute Königin, das könnt ich mir glauben. Brot und Spiele für alle! Und Champagner! Und schön soll mein Volk sein. Und mein Königreich. Darauf leg ich Wert! Man kann da heutzutage eine Menge machen! Es muss nicht immer gleich eine Operation sein. Herzenswärme zum Beispiel, das wichtigste Schönheitsmittel ist relativ preisgünstig zu haben. Hab ich neulich erst im Angebot gesehen. Bei Rossmann. Bei der Kassiererin.

Eigentlich drücke ich mich gerade davor, irgendetwas Sinniges zu der eben hochgeladenen Fotostrecke zu schreiben. Ich war wieder einmal bei einem Konzert von poetrYclub. Weil ich aber handelsübliche Konzertberichterstattung verabscheue, wie der Teufel das Weihwasser und ich dunkel ahne, dass ich verqueres Zeug schreibe, das irgendwie auch noch ins Private geht, und mich auch überhaupt keiner zwingt, schreib ich mich erst mal ein bißchen warm. Außerdem, wer will schon lesen, wie ein Konzert war, der nicht da war, außer man wäre ein Hardcore-Fan, der wegen Bandscheibenvorfall der Schwiegermutter verhindert gewesen ist. Also für wen soll ich meine Eindrücke festhalten? Interessant ist ja immer erst der Moment, wo es brüchig wird, von der Konvention abweicht. Ich könnte es wagen zu schreiben, dass mich Cosmic befremdet hat, wie er da mit der Gitarre vor dem Auftritt auf der Straße herumlief, um den Block, der Ausdruck so abwesend.

Aber man gewöhnt sich mit der Zeit daran, dass die Stunde vor dem Konzert sehr speziell ist, man sich ganz auf sich selbst konzentriert, sein Ego, ein bißchen unzugänglich wird. Später erfuhr ich, dass er ziemlich müde war, erschöpft, lieber geschlafen hätte. Dafür war der Auftritt echt gut. Ich fand den Sound sehr überraschend. Ganz trocken und percussiv die Gitarren, sehr knackig, erdig. Gefiel mir gut. Auch dass keiner unkoordiniert über die Bühne gestolpert ist. Das war alles sehr stimmig. Und das obwohl sich die Gitarren wegen der Hitze dauernd verstimmt haben. Wir durften dann viel beim Stimmen zugucken.

Das Publikum, von dem ich noch nicht einen Menschen bei einem Konzert vorher getroffen hatte, war aber bestimmt nicht aus diesem Grund von Anfang an fasziniert. Gregor, der Inhaber merkte überrascht an „ick hab jar nich jewusst, dass die früher schon so gerockt haben!“ Von wegen soundsoviel Jahrhunderte alte Lyrik, die zum Vortrag kam. „Der Teufel hat die Welt verlassen, weil er weiß, die Menschen machen selbst die Höll‘ einander heiß“.

Ich winkte einige Passanten in den Raum der friendly society, die schüchtern dahin guckten, woher die Musik kam, sich zunächst nicht hineintrauten. Besonders zwei ganz hübsche blonde junge Mädchen. Irgendwie skandinavisch. Ich denke ja immer auch an die Fotos, da sollen schließlich nur schöne Menschen drauf sein! Letztlich hab ich sie nicht fotografiert aber glücklich waren sie trotzdem. Gregor ist furchtbar nett, er macht diesen Laden, diese Mischung aus Galerie und Designer-Laden und hastenichgesehen.

Da war gleich ein Draht da. Albern. Schön. Ach Mensch. Ja, schön war es. Der rote Hut ist eine eigene Show. Mein roter Hut und mein Charlieshirt, das Cosmic jetzt einfach trägt, als hätte es ihm schon immer gehört. Wahrscheinlich war es einfach die Bestimmung der beiden Teile. Der Hut ist mir eh ein bißchen zu groß. Ich hab ihn nur einmal in meinem zweiten Opus aufgesetzt und bei diversen Foto-Geschichten. Und das Charlie-Shirt… tja. Cosmic trägt jetzt die kleinere Größe, ich hatte ein größeres für ihn vorgesehen, aber er wollte lieber das kleinere. Und er klopft mich ja immer weich. Er ist ein Schlitzohr. Ich hab Gregor noch was abgekauft, aus seiner Schmuck-Kollektion. So ein fetischmäßiges Kettenglieder-Teil für den Hals, das aussieht wie aus bösem schweren Eisen, ist aber Gummi. Hihi. Mit den Fotos bin ich nicht so super zufrieden, außer mit denen, auf denen ich drauf bin, das sind eindeutig die besten! Ich wackle eben nicht herum, sondern konzentriere mich voll auf das Bild und Gaga Nielsens Objektiv!

Auch gucke ich sehr präsent in selbiges, was einem guten Bild immer zuträglich ist. Aber na ja. Ich hab die meisten Bilder trotzdem nicht weggeschmissen. Ist auch wegen der Erinnerung. Ich bin ja eine sentimentale Kuh. Wissen wir ja. Obwohl Matthias der Drummer eigentlich auch ganz gut auf den Fotos ausschaut. Er wirkte sehr ausgeschlafen und hat schön getrommelt und ich hab mich auch noch ein bißchen mit ihm über Berühmtsein unterhalten. Das Thema geht uns schließlich alle an!


Danach hab ich mich von den beiden Gitarristen nach Friedrichshain abschleppen lassen, obwohl wir ja schon in Mitte waren, wo ich gleich zuhause gewesen wäre. Stefan hatte so einen Asiaten, Thai glaub ich im Hinterkopf, da bei seiner Wohnung am Petersburger Platz. Da hab ich dann nicht mehr fotografiert. Irgendwann ist dann auch gut. Außerdem war das irgendwie sowieso nicht der Tag der Tage, um die beiden abzulichten. Das Essen war wirklich gut. Man konnte die einzelnen Bestandteile genau identifizieren, was ich sehr schätze. Und knackig. Und viel zu billig! Meinte Stefan auch noch zum Patron. „Ihr seid viel zu billig! Das kannst du nicht machen!“ Echt jetzt. Und dann noch ein Cappuccino im Dings… im … na – da hat mich Stefan neulich zum Fußballgucken eingeladen, aber ich war zu faul, es war ja auch so heiß. Ach ja, Café Duo. Der portugiesische Besitzer sehr nett. Stefan schwärmte von Lissabon. Das machen ja alle. Ich auch unbekannterweise. Cosmic kennt die Stadt auch nur aus dem Wim Wenders Film. Es gibt zwei Städte in Europa, die mich noch interessieren. Lissabon und Barcelona. Sonst eigentlich nix (edit: und Istanbul!). In Rom war ich auch noch nicht, aber das ist mir irgendwie nicht so wichtig. Man denkt ja auch, man kennt das ganze dolce vita aus diesen Fellini-Filmen und Mario-Adorf-Geschichten. Wo war ich? Ach ja, ich wollte euch nur erzählen, wie ich mich drücke, einen Blogeintrag zu dieser Fotostrecke zu schreiben. Guckt einfach ein bißchen die Bilder an. Bis ich wieder etwas hochgradig Substanzielles mitzuteilen habe, wie man das von mir kennt und zurecht erwarten darf! Ach ja, und beim Intro von Sing out dachte ich, ihr spielt zum ersten mal Schwesterbraut live und bei der Rose hab ich geweint. Nicht, dass ich es vergesse.

Die Rose ist ein Lied. Das mir zu Herzen geht. Und Cosmic singt immer die Hookline falsch, die zentrale Zeile. Aber ich finde es eigentlich besser als das Original. Rückert schrieb „Und kränkt die Liebe dich, sei dir’s zur Lieb ein Sporn, dass du die Rose hast, das merkst du auch am Dorn.“ Und Cosmic singt meistens „dass du die Rose hast, das merkst du erst am Dorn“. Seit ich es ihm sagte, wechselt er manchmal. Erst am Dorn zu merken, dass man die Liebe hat, wäre ja ein bißchen traurig. Tragisch. Aber wenn einem jemand sehr nah ist, streichelnah sozusagen, und derjenige macht eine falsche, etwas unglückliche Bewegung, kann das schon sehr weh tun. Wahrscheinlich hab ich auch deswegen geweint. Ich weine ja oft. Aber ich hab auch gesungen. Ganz laut. Als das Ende der Goldenen Zeit in Hey Jude überging. Und sogar bei Stern, bei diesem dab dab dab, das ich schon immer ein bißchen doof fand. Aber ich mag das Lied trotzdem. Es war ein schöner Abend mit euch, nach so langer Zeit.


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18. Juli 2010

Zum Erinnern. Köpenick. 5. Juni 2010. Treffpunkt diese U-Bahnhaltestelle der U 5 Elsterwerdaer Platz. Du hältst Candy auf mich, als ich die Treppe herunterkomme, du standest links unten und ich wusste nicht, ob du filmst oder fotografierst. Das Foto sah ich später. Man sah die Gitterstäbe des Geländers, des Treppengeländers, es hatte eine Aura von Baader-Meinhof, ich mit meiner schwarzen Sonnenbrille, dem unnahbaren Gesichtsausdruck, dem Eigensinn in meiner Visage, Herzens-Guerillera. Ich weiß nicht, ob du das Foto gelöscht hast, es ist nicht in deiner Reihe Schwesterbraut. Warten auf den Bus. Sonne. Irgendwie wie Warten auf einen Greyhound in Amerika. Haltestelle Rübezahl. Müggelberge. Müggelturm. Eine Seite aus einer alten Speisekarte aus DDR-Zeiten. Fleckig. Seltsame Gerichte. Fotografiert. Auf dem Müggelturm spinnen wir, dass es ein angemessenes Anwesen sei. Der Blick über den Müggelsee, das große Waldgebiet. Man könnte da etwas daraus machen. Aus der Dachterrasse. Alles sehr exclusiv versteht sich. Mit Heli-Landeplatz. Du bist nicht schwindelfrei. Man darf dich dann nicht anfassen, wenn sich alles dreht. Ein Kindheitserlebnis. Du am Fenster. Deine Mama in Angst. Vielleicht hattest du vorher keine. Aber seither. Weil sie Angst hatte, nicht einmal du selbst. Auch ich bin nicht völlig schwindelfrei, aber im Vergleich zu dir nicht der Rede wert. Du fotografierst mich immerhin da oben. Über dem Meer der Bäume. Und später am Steg, am Müggelsee. Dem Anlegesteg des Ausflugsdampfers, den wir spontan nehmen, um zu unserem Ziel zu kommen, das wir uns ausgeguckt haben, der Spreearche. Einem Hausboot im Wasser. Wildromantisch gelegen. Vom Schiff durch den Spreetunnel. An Liegewiesen am Wasser vorbei. Da ist die Stelle. Klingeln. Ich fotografiere den Steg. Später dich im gleißenden Licht. Wir essen nichts, weil uns nicht nach Hausmannskost ist, aber lassen es uns gut gehen, eiskaltes Bier und was Schönes zum Rauchen.

Eine kleine Motorjacht, der Kapitän sieht aus wie Rosa von Praunheim in seinen besten Jahren. Nackter Oberkörper. Später in die Altstadt von Köpenick. Wir suchen das schönste Restaurant am Wasser, flanieren auf Puppenstubenwegen, sehen das Schlossrestaurant im Schlossgarten, geschlossene Gesellschaft, eine Hochzeit. Aber das Schlossportal steht dir wieder sehr gut, wie du da so durchläufst. Ich lache und sage, das einzige was falsch ist und ich deshalb auch nicht im Bild festhalte, ist dass du diese Tasche über der Schulter hast. Das sieht aus, als wärst du ein Besucher. Wenn du da wohnen würdest, würdest du nicht mit einer Tasche herumlaufen. Du lachst und gibst mir Recht. Machst du ja oft. Nicht immer aber meistens. Wir finden ein anderes Restaurant, Luise heißt es. Auch am Wasser. Auch eine Hochzeit. Aber keine völlig geschlossene Gesellschaft. Wir finden an einem Tisch mit einem norwegischen Paar Platz und unterhalten uns auf Englisch. Der Mann ist auch Musiker. Ein Jazz-Saxophonist und interessiert sich sehr für das was du tust. Und empfiehlt uns unbekannte skandinavische Musiker. Zettel werden bekritzelt, mit Namen, die mir längst wieder entfallen sind. Ich glaube ich hatte einen weißen Franzosen. Und etwas Gutes zu essen. Du auch. Fast zu Fuß den Weg zur S-Bahn, weil irgendeine Straßenbahn ausfiel. S-Bahn. Ich denke bis Ostkreuz. Und danach ein, zwei Gläser Wein im Bariton. Wo ich frage, in welcher Ecke eure Bühne war. Bei einem dieser Auftritte, bei denen ich nicht war. Heute werde ich euch wieder sehen. Dich und Stefan und wohl auch Mat. Ich hab euch seit November nicht mehr gemeinsam auf einer Bühne gesehen. Mat nur einmal im Übungsraum. Und in Aufnahmen in eurem Archiv gehört. Da war unser gemeinsamer Gig in der Disharmonie, aber da waren wir allein, abgesehen von Hannes am Klavier. Heute Nachmittag, oder besser früher Abend. Friendly Society nennt sich der Laden. Sunny Sunday Salon. Wir waren vor einer Woche dort um zu gucken, wie es da aussieht. Als wir in L.A. waren. Wer um 17:30 kommt, kriegt ein Eis. Ich glaube, ich kriege ein Eis.
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17. Juli 2010


Ich versuche dann mal ganz subtil nicht zu beschreiben, was es mit der Strecke GER-ESP auf sich hat. Raten Sie doch mal! Eine neue Vorgehensweise. Ich rücke kaum Details heraus und überlasse jegliche Assoziation dem Leser. Also bitte, raten Sie doch mal, wer wo was und warum. Für den Anfang gebe ich ein leichtes Bilderrätsel auf, damit Sie schnell ein Erfolgserlebnis haben. Also: Wer ist auf den Fotos und was passiert und warum und überhaupt? Ich bin durchaus gewillt, falsche Mutmaßungen zu verifizieren. Oder eben auch nicht. Attraktive Erklärungen, die mir zuträglich sind, kann man dann ja auch einfach mal eben so stehen lassen.

17. Juli 2010


Ich versuche dann mal ganz subtil nicht zu beschreiben, was es mit der Strecke GER-ESP auf sich hat. Raten Sie doch mal! Eine neue Vorgehensweise. Ich rücke kaum Details heraus und überlasse jegliche Assoziation dem Leser. Also bitte, raten Sie doch mal, wer wo was und warum. Für den Anfang gebe ich ein leichtes Bilderrätsel auf, damit Sie schnell ein Erfolgserlebnis haben. Also: Wer ist auf den Fotos und was passiert und warum und überhaupt? Ich bin durchaus gewillt, falsche Mutmaßungen zu verifizieren. Oder eben auch nicht. Attraktive Erklärungen, die mir zuträglich sind, kann man dann ja auch einfach mal eben so stehen lassen.

16. Juli 2010




Gedanken über Privatheit. Nebenbei nicht uninteressant zu erfahren, wieviele Abonnenten sich einfinden würden, wenn dieses Blog nur noch über den Abonennten-Status im Zugriff wäre. Oder wie viele stille Leser sich auf Flickr registrieren würden, um über „mark as a friend“ in den Genuss aller Bilder zu kommen. Ich grüble gerade ein bißchen. Diese Sache mit der Intimsphäre. Meiner Intimsphäre. Damit meine ich nicht einmal Bilder, die viel Haut oder mich zeigen. Man kann jemanden sehr intim ablichten, ohne unter der Gürtellinie zu fotografieren. Manche Augenblicke will man nicht mit der ganzen Welt teilen, in einem geschützten Raum wissen. Wenn man seinen erotischen Projektionen lange Leine lässt, können sie ganz schön galoppieren. Ich schlafe darüber. Im Augenblick ist noch so gut wie alles zu sehen. Aber ich schwanke. Vorhin dreissig Bilder dieser Strecke auf „only friends and family can see this“ this gesetzt. Dann wieder auf public („anyone can see this“). Mal hü mal hott. Es arbeitet. Diese seltsamen Bildstrecken die ich mache, sind eine privater Fotoroman. Manche Bilder darunter sind so schön, dass man sie in einer Art kindlicher Freude oder meinetwegen auch kindlichem Stolz zeigen möchte, teilen möchte. Aber eben nicht in jedem Fall und nicht mit Hinz und Kunz. Man will nicht jeden zauberhaften Moment zum Allgemeingut erklären, preisgeben…
Wie seht Ihr das? Sich hier und da zu registrieren kostet ja nur ein paar Login Daten aber keine Euros. Man hätte bei Zugriff über Abonnenten-Status auf das Blog keine Zufalls-Leser mehr, die hängenbleiben könnten. Aber wie oft passiert das schon. Kriegt dann halt so einen exclusiven Charakter. Die Leser suchen einen, aber man sucht sich dann auch die Leser aus. Solche Gedankengänge haben immer einen konkreten Anlass. Ich bin ja nicht die erste, die sich das überlegt. Die Zugriffszahlen auf mein Blog schwinden ohnehin, aber das ist ja seit twitter und facebook bei allen Blogs der Fall. Aber meinen treuen Lesern, die nicht über Referrer kommen, bin ich schon sehr zugewandt. Ich gehe mal schlafen. Bin gespannt, was ihr dazu meint. Je persönlicher ich blogge, schreibe, fotografiere, umso interessanter ist es für mich selbst. Und es wird immer persönlicher. Das ist für mich eine Qualität, von der ich nicht lassen will. Auf keinen Fall. Lieber in einem geschützten Raum weiter wild agieren, als weniger zu riskieren.

17. Juli 2010


Foto: Cosmic
Befangen, mich befragend. Wind weht. Kindergeschrei vom Spielplatz. Quak quak. Lachen. Sonne. Wind. Früher Abend, hell wie Nachmittag. Kaffee. Weiter erzählen? Einfach so…? Schwer. Ich mach es mir schwer. Ich mach es mir nicht leicht. Nie. Das Schwere… es ist schwer, weil die durch Zeit und Empfinden verdichteten Gefühle und Erinnerungen wiegen. Ein Gewicht haben. Mit ihrem Gewicht im Herzen liegen. Und verdichtete Leichtigkeit? Schwerelosigkeit ist auch addierbar. Die Leichtigkeit bleibt. Kann man die leichtfüßigen Erinnerungen wie einen Luftballon an die schweren binden und sie zum Fliegen bringen? Zum Fortfliegen, im Windschatten der Leichtigkeit? Dafür braucht man tausend Luftballons oder Helium, nicht wahr? Ich hab keine tausend Luftballons. Und zu wenig Helium. Ehrlich gesagt, hab ich gar kein Helium.

17. Juli 2010


Foto: Cosmic
Befangen, mich befragend. Wind weht. Kindergeschrei vom Spielplatz. Quak quak. Lachen. Sonne. Wind. Früher Abend, hell wie Nachmittag. Kaffee. Weiter erzählen? Einfach so…? Schwer. Ich mach es mir schwer. Ich mach es mir nicht leicht. Nie. Das Schwere… es ist schwer, weil die durch Zeit und Empfinden verdichteten Gefühle und Erinnerungen wiegen. Ein Gewicht haben. Mit ihrem Gewicht im Herzen liegen. Und verdichtete Leichtigkeit? Schwerelosigkeit ist auch addierbar. Die Leichtigkeit bleibt. Kann man die leichtfüßigen Erinnerungen wie einen Luftballon an die schweren binden und sie zum Fliegen bringen? Zum Fortfliegen, im Windschatten der Leichtigkeit? Dafür braucht man tausend Luftballons oder Helium, nicht wahr? Ich hab keine tausend Luftballons. Und zu wenig Helium. Ehrlich gesagt, hab ich gar kein Helium.

16. Juli 2010




Gedanken über Privatheit. Nebenbei nicht uninteressant zu erfahren, wieviele Abonnenten sich einfinden würden, wenn dieses Blog nur noch über den Abonennten-Status im Zugriff wäre. Oder wie viele stille Leser sich auf Flickr registrieren würden, um über „mark as a friend“ in den Genuss aller Bilder zu kommen. Ich grüble gerade ein bißchen. Diese Sache mit der Intimsphäre. Meiner Intimsphäre. Damit meine ich nicht einmal Bilder, die viel Haut oder mich zeigen. Man kann jemanden sehr intim ablichten, ohne unter der Gürtellinie zu fotografieren. Manche Augenblicke will man nicht mit der ganzen Welt teilen, in einem geschützten Raum wissen. Wenn man seinen erotischen Projektionen lange Leine lässt, können sie ganz schön galoppieren. Ich schlafe darüber. Im Augenblick ist noch so gut wie alles zu sehen. Aber ich schwanke. Vorhin dreissig Bilder dieser Strecke auf „only friends and family can see this“ this gesetzt. Dann wieder auf public („anyone can see this“). Mal hü mal hott. Es arbeitet. Diese seltsamen Bildstrecken die ich mache, sind eine privater Fotoroman. Manche Bilder darunter sind so schön, dass man sie in einer Art kindlicher Freude oder meinetwegen auch kindlichem Stolz zeigen möchte, teilen möchte. Aber eben nicht in jedem Fall und nicht mit Hinz und Kunz. Man will nicht jeden zauberhaften Moment zum Allgemeingut erklären, preisgeben…
Wie seht Ihr das? Sich hier und da zu registrieren kostet ja nur ein paar Login Daten aber keine Euros. Man hätte bei Zugriff über Abonnenten-Status auf das Blog keine Zufalls-Leser mehr, die hängenbleiben könnten. Aber wie oft passiert das schon. Kriegt dann halt so einen exclusiven Charakter. Die Leser suchen einen, aber man sucht sich dann auch die Leser aus. Solche Gedankengänge haben immer einen konkreten Anlass. Ich bin ja nicht die erste, die sich das überlegt. Die Zugriffszahlen auf mein Blog schwinden ohnehin, aber das ist ja seit twitter und facebook bei allen Blogs der Fall. Aber meinen treuen Lesern, die nicht über Referrer kommen, bin ich schon sehr zugewandt. Ich gehe mal schlafen. Bin gespannt, was ihr dazu meint. Je persönlicher ich blogge, schreibe, fotografiere, umso interessanter ist es für mich selbst. Und es wird immer persönlicher. Das ist für mich eine Qualität, von der ich nicht lassen will. Auf keinen Fall. Lieber in einem geschützten Raum weiter wild agieren, als weniger zu riskieren.

14. Juli 2010

…ist nur wegen des Datums
am 14. Juli denke ich immer an ein Lied von André Heller. Denn eine Zeile darin heißt „und du kommst über mich, wie der vierzehnte Juli über Paris…“
(Ach ja… Revolution des Herzens… Sturm auf die Bastille der Herzkammer)

14. Juli 2010

…ist nur wegen des Datums
am 14. Juli denke ich immer an ein Lied von André Heller. Denn eine Zeile darin heißt „und du kommst über mich, wie der vierzehnte Juli über Paris…“
(Ach ja… Revolution des Herzens… Sturm auf die Bastille der Herzkammer)

14. Juli 2010

Bin ich noch einen Blogeintrag schuldig, wenn ich ankündige, betrunken blogge ich besonders schön? Und was schrieb ich noch in der Mail… „könnte noch ehrlich werden… da beginnt die wahre Poesie und die Kunst“ Oh là là. Ich nun wieder. Trunken gebloggt, trunken gemailt… aber vorher nüchtern telefoniert glaub ich. Ja. Sehr. Alle Jubeljahre muss man sich Grundsatzerklärungen von mir anhören, sogar die langjährigste Freundin, obwohl ich ihr unterstellen darf, dass sie das meiste davon versteht, weiß, fühlt… Ich spüre diese vorsichtigen versuchten Einwände, meiner Aggression entgegenzuwirken, um mich vor mir selbst zu schützen vermute ich. Ja, ich höre mich dann furchterregend an. Gefährlich. Weiß ich doch. Sie ist mein Ventil, denn sie ist nicht gemeint, ich darf meinen Abgrund offenbaren. Muss nicht politisch korrekt artikulieren. Darf Eins zu Eins sein. Wie wertvoll. Und kriege keinen Arschtritt. Keine schlechte Note. Danke. Ich finde überhaupt, dass ich ziemlich gute Noten verdient hätte, für investigatives Verhalten. Oder so ähnlich. Ich habe ein irrwitziges Ideal, meine Abgründe nicht zu vertuschen, um sie zu transzendieren, im Licht zu läutern. Aber das verstehen nur ganz wenige Menschen. Ich muss zum siebenundachtzigsten Mal Hans Blüher zitieren… „Nur sehr seltene Menschen sind in der Lage, das Verbrecherische in sich zu erkennen“. So ähnlich. Ein Philosoph aus den Zwanzigern. Ich schrieb den Satz vor etwa fünfundzwanzig Jahren auf eine selbstgebastelte Postkarte. Sie zeigte ein Foto von mir. Ich schaue darauf sehr ernst und auch ein bißchen in eine andere Welt. Und in mich. In mich selbst. Ich schickte die Karte der Freundin. Genau der. Ach… Ende dieses Eintrages. Ich werde ein bißchen schlafen, dunkle Geister vertreiben. Helle rufen. Alle Engel rufen. An meiner Seite zu wachen. Dem Teufelsbraten mit dem Engelherz.

13. Juli 2010

Das ist jetzt fürchterlich banal und ich bin ja auch (schon wieder) trunken, aber eine hat auf ihrem facebook-Probil bei „über mich“ oder weiß der Geier Lebensmotto hastenichgesehen „Ich denke, also spinn ich“. Das erschien mir in meiner Trunkenheit plötzlich ungeahnt tiefsinnig, dass ich es gleich bloggen muss. Bitte verzeiht mir diesen möglicherweise profanen Einschub. Aber es hat schon viel Wahres auch, oder? Könnte man auch denken, wenn man nüchtern wäre, oder? Übrigens Wein vom Weinberg von Gérard Dépardieu. Neulich mutmaßenderweise, dass man damit Eindruck schinden könnte, einem Fernsehproduzenten zur Gartenparty mitgebracht. Fand er auch sehr super. Und schmeckt. Nicht nur der Name. Château de Tigne, Anjou Rouge (erdig, straight, viel Tannin, sein Lieblingsweinberg, weil Heimat, Kindheit… er hat wohl inzwischen über elf, meinte der Herr Fachverkäufer). Ach ja. Eingewickelt in diesen hübschen kleinen Text. Tolles Mitbringsel, nur so als Tipp. Bei Galeria Kaufhof am Alex in der Schicki-Micki-Maus-Feinkost-Abteilung. Gar nicht so teuer! (im Verhältnis zur sonstigen Preispolitik der Dépardieu’schen Weine). Der Empfänger bemerkte noch, sein ebenfalls weinhändelnder Bruder hätte Dépardieu schon auf diversen Weinmessen gesichtet, getroffen und er sei unfassbar groß und dick und überhaupt ein Monstrum! Aber natürlich wahnsinnig sympathisch. Glaub ich. Alles.

13. Juli 2010



Je déclare l‘ état de bonheur permanent
Et le droit de chacun à tous les privilèges.
Je dis que la souffrance est chose sacrilège
Quand il y a pour tous des roses et du pain blanc.
Je conteste la légitimité des guerres,
La justice qui tue et la mort qui punit,
Les consciences qui dorment au fond de leur lit,
La civilisation au bras des mercenaires.
Je regarde mourir ce siècle vieillissant.
Un monde différent renaîtra de ses cendres
Mais il ne suffit plus simplement de l‘ attendre
Je l‘ ai trop attendu. Je le veux à présent.
Que ma femme soit belle à chaque heure du jour
Sans avoir à se dissimuler sous le fard
Et qu‘ il ne soit plus dit de remettre à plus tard
L‘ envie que j‘ ai d‘ elle et de lui faire l‘ amour.
Que nos fils soient des hommes, non pas des adultes
Et qu‘ ils soient ce que nous voulions être jadis.
Que nous soyons frères camarades et complices
Au lieu d‘ être deux générations qui s‘ insultent.
Que nos pères puissent enfin s‘ émanciper
Et qu‘ ils prennent le temps de caresser leur femme
Après toute une vie de sueur et de larmes
Et des entre-deux-guerres qui n‘ étaient pas la paix.
Je déclare l‘ état de bonheur permanent
Sans que ce soit des mots avec de la musique,
Sans attendre que viennent les temps messianiques,
Sans que ce soit voté dans aucun parlement.
Je dis que, désormais, nous serons responsables.
Nous ne rendrons de compte à personne et à rien
Et nous transformerons le hasard en destin, seuls
à bord et sans maître et sans dieu et sans diable.
Et si tu veux venir, passe la passerelle.
Il y a de la place pour tous et pour chacun
Mais il nous reste à faire encore du chemin
Pour aller voir briller une étoile nouvelle.
Je déclare l‘ état de bonheur permanent.
Georges Moustaki, Déclaration

11. Juli 2010

Gestern in L.A.



In diesem Café, da bei der Casting-Allee, sagst du immer wieder, man könnte denken, wir sind in L.A. Vielleicht weil es so heiß ist und die Menschen so schön. Oder gutaussehend. Es fällt meinem Fotografenauge ins Auge. Man könnte überall draufhalten. In Berlin-L.A. Aber ich werde diskreter, in jeder Hinsicht. Höre mir deine Ideen an. Pläne wäre zuviel gesagt. Ich amüsiere mich über den Part, der mir darin zukommt. Klar, kann man schon machen. Würde ich schon auch hingehen, wenn es sich ergibt. Weil wir so ein Hingucker sind, meinst du also. Ja ich weiß. Man spürt das ja. Dieses déjà vu, eine Art positive Irritation in fremden Gesichtern, die einem entgegenkommen. Keine Ahnung, was sich der liebe Gott dabei gedacht hat. Auf jeden Fall sind wir ziemlich gut darin, L.A. in Berlin zu spielen. Ich wollte eigentlich nicht Schauspielerin werden, aber wenn ich so vehement gecastet werde, da in der Casting Allee, in Berlin-L.A. Okay. Aber über die Gage müssen wir nochmal reden. Ich bin gewissermaßen in Vorleistung gegangen. Sag ich. Du widersprichst mir gar nicht. Was du tun kannst, fragst du mich. Außer das Lied vom Mond singen. (Aretha singt Say A little prayer.) Ich trinke den zweiten Cappuccino, ziehe meinen Stuhl ein bißchen mehr in die heiße Nachmittagssonne von L. A. und zünde mir eine deiner Manitou-Zigaretten an. Später wirst du ein bißchen wütend, weil ich dir erkläre, dass es relativ einfach ist, den Umgang mit einer Digitalkamera zu lernen. Nein, verdammt, das wäre etwas anderes sagst du. Ich soll aufhören damit. Klein zu machen, was ich mache. Mit dir. Seit zwei Jahren. Du bist richtig sauer. Es gefällt mir, wie du dich aufregst. Du regst dich viel zu wenig auf für meinen Geschmack. Es ist also Leben in der Bude. Schön. Okay. Lass uns weiter Hollywood spielen. Bis ich cut sage.

Aber nicht heute. Lass uns noch ein bißchen weiterspielen. Bis unsere verrückte Kindheit vorbei ist. Ich glaube, das dauert noch lange. Auch wenn mir jemand die Schaufel wegnimmt. Kinder brauchen gar keine Schaufel zum Spielen. Unser Spielplatz ist in unserem Kopf. Mein Sandkasten ist dein Herz. Dein Sandkasten sei mein ganzes Herz. Mein Sandkasten sei dein ganzes Herz. Die wahren Abenteuer sind im Herz. Der Heller Franzi singt Kopf, aber das ist mir wurscht.
http://www.flickr.com/apps/slideshow/show.swf?v=71649
Alle Bilder aus L.A.

11. Juli 2010

Gestern in L.A.



In diesem Café, da bei der Casting-Allee, sagst du immer wieder, man könnte denken, wir sind in L.A. Vielleicht weil es so heiß ist und die Menschen so schön. Oder gutaussehend. Es fällt meinem Fotografenauge ins Auge. Man könnte überall draufhalten. In Berlin-L.A. Aber ich werde diskreter, in jeder Hinsicht. Höre mir deine Ideen an. Pläne wäre zuviel gesagt. Ich amüsiere mich über den Part, der mir darin zukommt. Klar, kann man schon machen. Würde ich schon auch hingehen, wenn es sich ergibt. Weil wir so ein Hingucker sind, meinst du also. Ja ich weiß. Man spürt das ja. Dieses déjà vu, eine Art positive Irritation in fremden Gesichtern, die einem entgegenkommen. Keine Ahnung, was sich der liebe Gott dabei gedacht hat. Auf jeden Fall sind wir ziemlich gut darin, L.A. in Berlin zu spielen. Ich wollte eigentlich nicht Schauspielerin werden, aber wenn ich so vehement gecastet werde, da in der Casting Allee, in Berlin-L.A. Okay. Aber über die Gage müssen wir nochmal reden. Ich bin gewissermaßen in Vorleistung gegangen. Sag ich. Du widersprichst mir gar nicht. Was du tun kannst, fragst du mich. Außer das Lied vom Mond singen. (Aretha singt Say A little prayer.) Ich trinke den zweiten Cappuccino, ziehe meinen Stuhl ein bißchen mehr in die heiße Nachmittagssonne von L. A. und zünde mir eine deiner Manitou-Zigaretten an. Später wirst du ein bißchen wütend, weil ich dir erkläre, dass es relativ einfach ist, den Umgang mit einer Digitalkamera zu lernen. Nein, verdammt, das wäre etwas anderes sagst du. Ich soll aufhören damit. Klein zu machen, was ich mache. Mit dir. Seit zwei Jahren. Du bist richtig sauer. Es gefällt mir, wie du dich aufregst. Du regst dich viel zu wenig auf für meinen Geschmack. Es ist also Leben in der Bude. Schön. Okay. Lass uns weiter Hollywood spielen. Bis ich cut sage.

Aber nicht heute. Lass uns noch ein bißchen weiterspielen. Bis unsere verrückte Kindheit vorbei ist. Ich glaube, das dauert noch lange. Auch wenn mir jemand die Schaufel wegnimmt. Kinder brauchen gar keine Schaufel zum Spielen. Unser Spielplatz ist in unserem Kopf. Mein Sandkasten ist dein Herz. Dein Sandkasten sei mein ganzes Herz. Mein Sandkasten sei dein ganzes Herz. Die wahren Abenteuer sind im Herz. Der Heller Franzi singt Kopf, aber das ist mir wurscht.
http://www.flickr.com/apps/slideshow/show.swf?v=71649
Alle Bilder aus L.A.

10. Juli 2010

Dieser kleine Musikfilm von Miss Stever macht wirklich Laune. Besonders das kesse Damenballett. Und der Hut. Toll. Einfach toll. Von hundert Videos, die ich sehe, gefällt mir ungefähr keines. Aber dies hier. Und was für ein geiler Beat. Oh yeah.

04. Juli 2010

Als ich das Bild bekam und zwei Freundinnen zeigte, meinten beide, es müsste unbedingt auf genau diese Ecke auf dem Sofa gestellt werden. Und das Kissen, das Gestreifte sollte ich ein wenig davor drapieren. Ich fand die Idee auch lustig und probierte es gleich aus. Aber aus irgendeinem Grund wollte Cosmic lieber in der Badewanne schlafen, als auf dem Sofa. Na ja. Jedem das Seine. Am Anfang bin ich immer ein bißchen erschrocken, wenn ich ins Bad gekommen bin, aber mittlerweile hab ich mich an ihn gewöhnt und zucke nicht mehr zusammen, wenn ich ihn da liegen sehe. Er ist ja auch ganz friedlich. Wer schläft, sündigt nicht! Im Übrigen Cosmics wichtigstes Steckenpferd, noch vor Schokolade, Pudding und Kuchen essen. Er betreibt sein Hobby sehr gewissenhaft und lässt es nie an Disziplin fehlen, wenn es darum geht, die Ruhephasen einzuhalten. Darin ist er mir ein großes Vorbild, an dem ich mich und auch jeder andere sich stets orientieren kann.

Nun der Tag mich müd gemacht, soll mein sehnliches Verlangen
Freundlich die gestirnte Nacht wie ein müdes Kind empfangen
Hände lass von allem Tun, Stirn vergiss du alles Denken
Alle meine Sinne nun wollen sich in Schlummer senken
Und die Seele unbewacht will in freien Flügen schweben
Um im Zauberkreis der Nacht tief und tausendfach zu leben

(H. Hesse)

04. Juli 2010

Als ich das Bild bekam und zwei Freundinnen zeigte, meinten beide, es müsste unbedingt auf genau diese Ecke auf dem Sofa gestellt werden. Und das Kissen, das Gestreifte sollte ich ein wenig davor drapieren. Ich fand die Idee auch lustig und probierte es gleich aus. Aber aus irgendeinem Grund wollte Cosmic lieber in der Badewanne schlafen, als auf dem Sofa. Na ja. Jedem das Seine. Am Anfang bin ich immer ein bißchen erschrocken, wenn ich ins Bad gekommen bin, aber mittlerweile hab ich mich an ihn gewöhnt und zucke nicht mehr zusammen, wenn ich ihn da liegen sehe. Er ist ja auch ganz friedlich. Wer schläft, sündigt nicht! Im Übrigen Cosmics wichtigstes Steckenpferd, noch vor Schokolade, Pudding und Kuchen essen. Er betreibt sein Hobby sehr gewissenhaft und lässt es nie an Disziplin fehlen, wenn es darum geht, die Ruhephasen einzuhalten. Darin ist er mir ein großes Vorbild, an dem ich mich und auch jeder andere sich stets orientieren kann.

Nun der Tag mich müd gemacht, soll mein sehnliches Verlangen
Freundlich die gestirnte Nacht wie ein müdes Kind empfangen
Hände lass von allem Tun, Stirn vergiss du alles Denken
Alle meine Sinne nun wollen sich in Schlummer senken
Und die Seele unbewacht will in freien Flügen schweben
Um im Zauberkreis der Nacht tief und tausendfach zu leben

(H. Hesse)

04. Juli 2010

Dienstag, 18. Mai 2010. Der Tag der Abreise, unsere Rückkehr nach Berlin. Ebracher Hof. Mein Blick fällt auf den großen Karton in der Ecke des Zimmers. Der große Karton, den ich vor Beginn der Reise als Eilsendung vorweg geschickt hatte, damit mein Fluggepäck nicht so schwer würde.
Unten im Karton Plakate, die den Abend ankündigten. Romantik Liebe Rebellion. Darauf ein großes Tuch aus Leinen, das ich manchmal als Hintergrund für die Projektionen benutze, wenn es im Raum keine geeignete Projektionswand gibt. Weißes Leinen. Cirka zwei Meter zwanzig mal zwei Meter achtzig. Zusammengelegt. Karrabinerhaken an den Ecken. Darauf, geschützt in luftgepolsterter Folie, der Beamer. Noch ein Tuch, schwarz. Manchmal muss man abdunkeln. Oder muss die Projektionsfläche vor einem Fenster spannen, das nicht ausreichend abzudunkeln ist. Dann lege ich zwei oder drei dieser großen Tücher übereinander. Ganz hinten das schwarze Tuch. Im Karvana war es so. Unser Konzert, im Sommer vor einem Jahr, begann als es draußen noch hell war. Ich spannte Tücher auf fast drei Metern Höhe, auf einer wackeligen Leiter balancierend. Klopfte mit einem Stein Nägel in die Wand. Stefan, groß wie ein Wikinger, stand interessiert daneben, grinste entspannt: „Ich finde, du machst das sehr gut!“ Ich fiel nicht von der Leiter. Cosmic wurstelte unten mit Verstärker-Kabeln. Wir bauten eine improvisierte Bühne in einer Ecke des Karvana, einem Café in Friedrichshain auf. Erinnerungen.
Ich trug an jenem Abend ein rotes Barett und ein Rüschenhemd, auch rot, das dem sehr späten Elvis zur Ehre gereicht hätte. Aus irgendeinem Berliner Second Hand-Laden, in den Neunzigern gekauft. Als es noch Retro nach Gewicht gab. Wildleder-Shorts. Eine zerschnittene schwarze Veloursleder-Jeans. Schwarze Stiefel. Eine Nadelsteifen-Anzug-Weste über dem Las Vegas-Hemd. Ich erinnere mich oft, was ich anhatte.
Auf dem schwarzen Tuch im Karton lagen kleinere Plakate. Und zuletzt, ganz oben, die drei einzeln verpackten Sätze der Cosmic-Gaga Collection. Die A-Serie, die B-Serie, die C-Serie. Auf einer Seite des Kartons die Schachtel mit allen Kabeln, die ich brauche. Das Strom-Kabel für den Beamer. Ein Hub für die USB-Anschlüsse. Das Kabel für den Hub. Zwei USB-Kabel, um den Beamer mit meinem Rechner zu verbinden. Ein fünf Meter langes und ein extra kurzes. Das Kabel für den Ton kriege ich von Cosmic oder dem Veranstalter. Eine scheinbar langweilige Aufzählung von Kabeln. Kleiner Detailfetisch für mein eigenes Erinnern. Man schreibt ja auch für sich… Manchmal ist es durch die Raumsituation bedingt ungünstig, den Beamer auf dem Tisch neben dem Rechner zu haben, dann brauche ich eine lange Leitung zu meinem Notebook. Im Karvana war es so. Und immer Gaffa-Tape, um die Kabelstränge am Boden zu schützen, und damit es keine Stolperfallen gibt.
In der Schachtel mit den Kabeln liegt auch ein Feuerstein. Gefunden an einem Strand im Baltikum. Ersatz für einen Hammer, wenn man einen Nagel in die Wand schlagen muss. Das muss man eigentlich immer. Nägel sind immer dabei. Aufbewahrt in einer Streichholzschachtel vom Hotel Nizza in Frankfurt. Wenn ich einen Nagel mit dem Stein einschlage, blitzen die Funken. Insofern schön, weil ich mir seit langem einen Feuerstein gewünscht hatte und als ich diesen Stein fand, einfach nur weil er mir gut gefiel, wusste ich gar nicht, dass es ein Feuerstein ist. Bis ich den ersten Nagel damit in die Wand schlug. Feuerherz. Und Klammern in der Form von Spiralen, um die Bilder aufzuhängen. Hundertfünfzig Meter weiß-violette, gedrehte Kordel. Alles sollte schön aussehen. Besonders schön. Es gab auch noch ein dickes Päckchen mit den vier Plakatmotiven in der Größe von Handzetteln. Wir verteilten fast alle in der Stadt, an den Tagen vor unserem Konzert. Nur noch wenige waren übrig.
Jetzt, früh am Morgen am Tag der Abreise, fiel mein Blick also auf den Karton, in dem immer noch dieselben Sachen lagen, aber wüst durcheinander. Beim Abbau in der Nacht nach dem Konzert gepackt. Hastig. Ganz anders als beim Aufbau. Der ist zwar eilig, aber nicht hastig. Das ist ein Unterschied. In hingebungsvoller Eile baut man auf, in eiliger Hast baut man ab. Aber so durcheinander wie er jetzt war, wollte ich den Karton nicht mit nach Hause nehmen. Ich breitete den Inhalt auf dem Bett aus. Fand die Setlist. Ein ausgedruckter Screenshot der Dateien meiner Filme. Mit Änderungen, Durchstreichungen, Pfeilen, Anmerkungen. Noch war die Erinnerung frisch. Ich wusste, was die gekritzelten Anmerkungen zu bedeuten hatten. Ich nahm eines der kleinen Plakate und setzte mich mit verschränkten Beinen auf das breite Bett, wie ich es immer tue (ich bewohne in Hotels eigentlich nur die Betten) und schrieb die Set-List auf der Rückseite eines der kleinen Plakate noch einmal ab. So, wie der Ablauf wirklich war. Welchen Film ich bei welchem Song zeigte.
Mein Blick wanderte weiter zu den Fotografien. In beiden Serien fehlten Bilder. Einige hatte ich verschenkt. Ich vervollständigte die A-Serie mit Bildern aus der B-Serie. Ich nahm ein Lieblingsbild aus dem Stapel und schrieb etwas auf die Rückseite. Dann verpackte ich beide Stapel neu. Die A-Serie mit besonderer Sorgfalt. Und dann war da noch dieses Blatt, jener ausgedruckte Text Du bist mein Mond… Wir hatten beide unabhängig voneinander einen Ausdruck von diesem Text dabei, der sich nicht in dem Reclam-Buch findet. Meiner lag gefaltet in dem kleinen gelben Buch. Ich las diesen Text, um mich zu beruhigen, im Zug auf dem Weg nach Coburg. Jetzt nahm ich das Blatt aus dem Rückertbuch und schlug die Fotografie darin ein.
Es ist ein Bild von uns beiden. Am vierten Juli 2008 entstanden, in einer Galerie in Berlin Mitte. Projektgalerie Hofmann von Sell. In der Galerie stand ein Klavier und du spieltest zum ersten mal, zaghaft noch, „Ich weiß, diese Welt wird untergehen, doch mit dir ist selbst das wunderschön…“ Kaum einer der Vernissagenbesucher interessierte sich für die Bilder, als du das spieltest. Später irgendwann standen wir draußen, in der Nacht, Jan war auch dabei. Ich fotografierte erst euch beide und dann uns. Nur ein einziges Bild. Wie wir die Köpfe zusammensteckten und unverabredet gleichsam vertrauensvoll in die Kamera schauen. Das Bild hat mich immer sehr berührt. Wir kannten uns kaum, aber man erahnte bereits die mögliche Nähe. Wenn ich dieses Bild von uns sehe, verstehe ich die kleine Anna, die vor zwei Wochen bei einem Gartenfest deines Freundes Christian mit uns am Feuer saß, seine Tochter, da waren viele Gedanken in ihrem empfindsamen Kopf. Sie zögerte erst ein wenig und fragte dann in ihrer etwas schüchternen und doch mutigen Art, ob wir Geschwister seien oder irgendwie verwandt, weil wir uns ähnlich sehen würden. Ihr seht irgendwie gleich aus. Da ist so eine Ähnlichkeit…“. Das sagte sie, die kleine Anna. Zehn Jahre alt vielleicht. Du sagtest, dass wir nicht richtig blutsverwandt seien aber… eben anders verwandt. Das fällt mir zu dieser Fotografie von uns ein. Ich schrieb noch deinen Namen auf den improvisierten Umschlag Hab ja alles fotografiert.
Ich legte meine anderen Sachen auf das Bett, alle T-Shirts, die ich dabei hatte, drei Kleider. Einiges darunter, das ich gar nicht getragen hatte. Ein ziemlich schräges Kleid mit einem Op Art Muster, irrwitzige Applikationen von Hunderten von kleinen Kreisen in schwarz und Weiß. Kann man gar nicht beschreiben. Bis heute noch ungetragen. Und da war die Papiertüte aus dem Weinladen, wo ich den schlimmen Wein gekauft hatte. Die DIN A 3 Plakate lagen auf dem Bett und mir fiel auf, dass es dieselbe Größe wie die Tüte ist. In dem Karton waren auch noch meine dicken Klebestifte und ich bastelte kurzerhand eine poetrYclub-Einkaufstüte. Die sah richtig echt aus. Total schön.

Von jedem Plakatmotiv und jeder Größe nahm ich eines und rollte sie ein, gebunden mit einem Stück der weiß-violetten Kordel. Dann packte ich das A-Päckchen in die Tüte und klammerte die Set-List und die Postkarte mit ein paar der Spiralklammern an die Tüte. Ich stellte die Tüte mal hierhin und mal dahin und machte Fotos und träumte vor mich hin und vergaß darüber fast die Zeit. Ich musste ja auch noch die anderen Sachen packen. Aber eines musste ich noch machen. Ich steckte die Romantik Liebe Rebellion-Tüte in eine große braune Tüte ohne Aufschrift und klebte sie oben ein bißchen zu, damit man nicht gleich sehen konnte, was darin ist. Das würde nur unnötige Fragen aufwerfen. So, fertig. Und jetzt die Klamotten. Geschafft. Ich bin bereit.
Das Zimmer mit der Nummer Fünf sieht wieder aus wie vorher. Ich hänge das wüste Acrylbild über dem Bett wieder von Hochkant auf quer, wie es vorher war. Mir gefiel es zwar nicht ausnehmend gut, aber Hochkant noch am ehesten. Ich nehme das flammende Tuch von der Lampe am rechten Nachttisch, das das Licht so warm machte. Es ist jenes rot und orange in der Sonne wehende Tuch aus meinem Hippolyta-Opus. Ich hatte die Vorhänge des Hotelzimmers halb zugezogen und nur ein wenig zur Seite gerafft. Jetzt hingen sie wieder ordentlich der Schwerkraft folgend. Obwohl dieses einzige Einzelzimmer mit breitem Bett sonst detailweise ein ungewöhnliches Interieur hatte. Es gab keinerlei Schränke, sondern nur gemauerte, weiß gekalkte Nischen mit eingelassenen Ablagebrettern und einer zwischen zwei Nischen eingelassenen Kleiderstange. Ich erkannte, dass alle meine Sachen, die hingen, schwarz waren. Das Bad hatte einen superschicken Eingang, eine riesige Schiebetür aus einem einzigen Spiegel, von der Decke bis zum Boden. Dunkler Holzfußboden. Der Blick aus dem Zimmer auf die Rittergasse. Nicht spektakulär, aber die Lage an sich schon, an einem zentralen Nerv in der Altstadt, in einem Renaissance-Gebäude, neben dem supermodernen Georg-Schäfer-Museum.
Ich deponierte mein Gepäck mit der geheimen Tüte in der Nische unter der Treppe am Empfang. Cosmic war in seinem Elternhaus, wo er zum Abschied mit seiner Familie noch einmal zu Mittag essen wollte. Danach würden wir gemeinsam zurück nach Berlin fahren. Ich überbrückte die Zeit, bis er kam, im Restaurant des Hotels und surfte ein bißchen durch’s Netz. Unser Freund Yvelle hatte ein neues Video hochgeladen, in dem er sang, das schaute ich mir an und ließ die Bilder auf mich wirken, die ich in den letzten Tagen gemacht hatte. Die wenigen Filmsequenzen. Der Blick in den Himmel von Gerbrunn, deinen Himmel, dein Tanzen. this used to be my playground…
Die Hausdame (aka Zimmermädchen) winkt mir zu als sie mich da sitzen sieht und die beiden Mitarbeiterinnen vom Service signalisieren mir unablässig ihre Bereitschaft zu Diensten zu sein. Haben Sie noch einen Wunsch? Nein? Wirklich nicht? Ich vermute, dass die beinah ein bißchen zu begeisterte Bedienung irgendetwas mit dem Trinkgeld zu tun hat, das ich eine krumme Summe zu einer sehr geraden machend, aufrundenderweise gerade gab, als ich nach dem Frühstück die gesamte Hotelrechnung beglich. Beim Surfen finde ich doch tatsächlich eine Konzertkritik, in der ich erwähnt werde, in der Online-Ausgabe der Mainpost. Vielleicht hatten die Hotel-Mitarbeiter ja auch die Zeitung gelesen und nun war ich womöglich berühmt! Als ich gerade diesem Gedanken nachhänge, betritt Cosmic das Restaurant. Er kümmert sich um das Gepäck, verstaut es im Heck, während ich meinen Rechner herunterfahre und mit überschwänglichem Händeschütteln verabschiedet werde. Cosmic muss später darüber lachen. Er weiß inzwischen, dass das Trinkgeld nicht fürstlich, sondern königlich war. Während er auf das Mittagessen wartete, mailten wir blödsinnig hin und her
„(…) die Schulden beim Ebracher Hof habe ich unter Hinzufügung eines fürstlichen Trinkgeldes bereits beglichen, bitte fragen Sie nicht nach dem Gesamtbetrag. Ich vermute die aufgerundete Summe führte dazu, dass die freundliche Service-Mitarbeiterin noch freundlicher wurde und mir sogleich eine ganze Flasche des Getränkes meiner Wahl spendierte, da ich ja nun noch ein wenig länger verweilen werde, bis ich von Ihnen abgeholt werde!“
„(…) Sehr geehrte Madame Nielsen, ein königliches Trinkgeld ist die richtige Methode, um das Volk in Schweinfurt zu begeistern, ihre Herzen zu erschließen. Diese Gesten sind in unserer Gegend sehr selten, ist doch der Geiz das Vorherrschende, in aller Regel. Diese großzügige Geste wird also sicherlich dazu führen, daß Ihre Zeit in Schweinfurt nicht in Vergessenheit geraten wird. Solche Dinge sprechen sich unter dem Volk wie ein Lauffeuer herum. Selten wurde ein königlicher Besuch so positiv aufgenommen. Zuletzt war der Besuch des Königs Ludwigs des II mit ähnlicher Zustimmung ausgegangen, nun haben Sie diese schöne Tradition wieder aufgegriffen. Ich werde nun noch zum Müller gehen, um das frisch gemahlene Mehl zu bezahlen und dem Bäcker zukommen zu lassen. Morgen werden auf dem Marktplatz dann die Brotlaibe unter den Hungernden verteilt. Wir können also später getrost den Rückweg nach Berlin antreten, nicht ohne vorher noch eine Flasche von dem köstlichen Brand des Herrn Gößwein mit zu nehmen. Mit königlichem Gruße King George der Kosmische“
„(…) Wie recht Sie doch haben! Sagte ich ein fürstliches Trinkgeld? Ich muss mich revidieren – es war selbstverfreilich einer Königin würdig. Die Königskrone zu tragen fordert von uns solches! Das Volk dankt es einem auch umgehend und die Herzen fliegen der Königin zu! Gerade eben winkte mir eine Untertanin, die als Kammerzofe am Ebracher Hof ihr Tagwerk verrichtet zum Abschiedsgruße zu und wünschte beglückt und nochmals ihren Dank entrichtend eine gute Weiterreise. So ist’s recht! Mit dem Segen des Volkes reist es sich wohlgemut! [ > Morgen werden auf dem Marktplatz dann die Brotlaibe unter den Hungernden verteilt.] Wie froh ich bin, dass Sie das richten! Ich käme ja doch nicht mehr dazu – die Staatsgeschäfte halten mich in diesen letzten Stunden in der königlichen Reichsstadt Schweinfurt derart auf Trab, dass ich froh bin, wenn ich zeitig fertig bin, wenn der Kutscher vorfährt! So ein köstlicher Brand wird meine Lebensgeister wecken, Sie werden es sehen! Entrichten Sie auch bitte Ihren königlichen Schwestern und den königlichen Hunden sowie dem Großkönig Siegfried meinen Abschiedsgruß! Gott zum Gruße wohlan! Gaga Königin von und zu Gaganien, Fürstin zu Berlin und Brandenburg“
Bevor wir die Stadt endgültig verlassen, wollten wir also noch einmal kurz in die Traumfüllung, ein kleiner Laden mit feinen Obstbränden, Essigen, Ölen und sonstigen Essenzen, von Hand abgefüllt. Cosmic hatte den Laden vor vielen Jahren mit seinem Feund Micha in die Welt gesetzt. Ich war schon gespannt. In großen Glasballons gab es hochprozentige Flüssigkeiten, Brände und jede Menge Geister. Ich wollte selbstverständlich jede Menge gute Geister von dieser Reise mitnehmen und entschied mich auf Cosmics Empfehlung für einen Trester, einen Wildpflaumenbrand und einen Geist aus gebrannten Haselnüssen, über dessen Aroma ich völlig aus dem Häuschen war und bin. Wie allerfeinstes Nougat. Micha war leider nicht da, aber Cosmic kannte auch die anderen Mitarbeiter und spielte kurzerhand Verkäufer und füllte das Gewünschte ab. Souverän schritt er hinter die Ladentheke und beschriftete alle Flaschen mit einem OH-Stift. Ich war gerührt, was er da gekritzelt hatte. Abschied. Die wirklich letzte Etappe in SWC. Auf die Autobahn nach Berlin.
Die ähnliche Strecke fuhr ich zuletzt irgendwann in den Achtzigern, noch vor Mauerfall. Seither nie mehr auf dieser Autobahn gewesen. Autobahnen kriegen auch nie so richtig Patina, da stellt sich nicht so richtig viel Sentimentalität ein. Das Wetter ist eher so gemischt, Wolken, mal Sonne, Wolken, mal Sonne. Kein Regen. Autobahnraststätte. Ein Kaffee. Weiter. Ich wühle in der kleinen CD-Sammlung im Handschuhfach. Handschuhfach? Heisst das wirklich so? Handschuhfach? Hat man da früher Handschuhe und weiter nichts drin abgelegt? So ein Wort, so geläufig, noch nie über den Sinn nachgedacht. Wenige CDs darin. Die poetrYclub-Platte liegt natürlich auch da. Und irgendwas von einer Singer Songwriterin, die ich überhaupt nicht kenne. Sting, John Lee Hooker, Klaus Schulze, Stadium Arcadium von den Chilies, die ich ja sehr mag. Im Radio ist kein erträglicher Sender zu finden.
Es gab sogar eine Musik-Cassette glaub ich oder verwechsle ich da was? Irgendwie Eric Clapton unplugged oder war es doch eine CD? Ich hätte gerne mit dir Layla beim Autofahren gehört, das andere Zeug von ihm ist mir zu – mir fehlt das richtige Wort… (unspezifisch… undifferenziert…) Aber bei Layla unplugged denke ich an eine Reise durch Arizona in einem Jeep Cherokee. Mit drei wilden Weibern. Layla, you’ve got me on my knees. Layla, I’m begging, darling please. Layla, darling won’t you ease my worried mind… Und wir hörten diesen Song immer wieder. Irgendwo on the road zwischen dem South Rim des Grand Canyon und Marlboro Country, Monument Valley. Gut, Tears in Heaven ist auch schön. Ist das nicht auch auf der Scheibe? Aber irgendwie wollte man sich nicht durch das restliche weiße Blues-Gedudel von Herrn Clapton durcharbeiten. Vielleicht war die CD auch gebrannt und nicht beschriftet. Hab’s vergessen.
Ein bißchen John Lee Hooker, ein bißchen Sting, ach nö, lieber doch nicht, o.k. die Chilies, da weiß man was man hat. Als die Platte läuft, merke ich, wie differenziert meine Anlage zuhause dann doch offenbar ist und auch mein kleiner Player. Mir ist gerade beim Hören von Stadium Arcadium im Auto, als fehlten ganze Sphären, die ich sonst wahrnehme und mir einen heftigen Kick geben. Eine meiner Lieblingsplatten dudelt irgendwie unspektakulär durch. Ich zappe trotzdem hoffnungsvoll zu Hey, meinen Lieblingssong und er ist großartig wie immer. Schöne Autobahnkilometer. Und komm, ach, mach doch einfach die poetrYclub-Platte, mach Blüh wie die Blum… das ist so schön… Immer wieder. Ich hab eine der beiden tiefschwarzen Sonnenbrillen auf, die ich in Kauflaune bei meinem einzigen Alleingang durch die Schweinfurter Innenstadt erstand. Die andere werde ich auf der Ablage von Cosmics Chrysler vergessen. Später Klaus Schulze, überraschend sinfonisch. Irgendetwas daran erinert mich an Also sprach Zarathustra von Richard Strauss, hatte ich auf Vinyl…
Brandenburg. Jetzt kann man wieder mal Radiosender probieren, meint Cosmic. Was für ein Glückstreffer! Die beste Band der Welt, die auch wir ohne Vorbehalt abgöttisch lieben und verehren, singt „Junge“. Wir flippen ein bißchen aus, manche Textstellen kann ich auswendig. „Elektrische Gitarren und immer diese Texte Das will doch keiner hörn! Wie kommst du nach Hause, soviel schlechter Umgang! Wir werden dich enterben! Und immer deine Freunde, ihr nehmt doch alle Drogen! Und ständig dieser Lärm! (Achtung!!! Der absolute, ultimative Höhepunkt!!!) „Denk an deine Zukunft, denk an deine Eltern Willst du dass wir sterb’n?!?!?“ Wir lachen uns kaputt in unserem lustigen Auto und zünden in Gedanken eine Kerze für Farin, Bela und Rodrigo an. Leider kam danach nur noch der übliche Schrott und wir waren uns einig, dass es völlig ausreichend wäre, wenn es nur noch einen einzigen Radiosender geben würde, der nur Ärzte spielt.
Berlin. Messe-Zentrum. West-City. Cosmic verfährt sich ein bißchen, er ist so selten im Westen der Stadt. Aber Schilder nach Mitte gibt ja immer. Er ist eigentlich ganz schön müde, aber ich würde unheimlich gerne noch etwas Schönes essen gehen, ein bißchen das Ende unserer Reise zelebrieren. Und dann ist da ja noch die Tüte. Die möchte ich ihm eigentlich nicht einfach nur so im Kofferraum hinterlassen. Das wäre ja blöd. Richtig doof wäre das. Nein, das geht gar nicht. Ich hoffe, dass er doch schwach wird und erzähle ihm von einem vietnamesischen Teehaus, ganz neu, in der Rosenthaler Straße, gleich bei mir um die Ecke, das er noch nicht kennt. Ich war auch nur mal ganz kurz drin und hab gesehen, dass es sehr schön da ist. Und das Auto? Wo parke ich das Auto? Meine Ecke ist in der Hinsicht wirklich ein kleiner Problemfall, aber Cosmic wird bereits schwach und peilt „seinen“ persönlichen Parkplatz an. Die Ecke vorm Eingang vom Hackbarths. Eigentlich nicht wirklich zum Parken vorgesehen, aber nun ja!
Das Chén chè ist wunderbar. Das Essen, die in chinesische Seide gebundenen Karten, die Möbel, die ganze Atmosphäre. Ich kann mich kaum erinnern, bei asiatischem Essen je derart virtuos gezauberte Aromen serviert bekommen zu haben. Es gibt auch Wein. Einen guten Syrah aus Frankreich. Cosmic bestellt eine Schale mit Tee mit frischem Ingwer. Er schnieft ein bißchen. Da bahnt sich vielleicht was an. Ingwer ist da sehr gut. Dann der Nachtisch. Der Nachtisch. Mir fehlen die Worte. Ihm auch. Was ist das? Unglaublich, unfassbar delikat. Wir essen sprachlos seufzend, wie so oft über Kreuz. Da waren geröstete Sesamsamen und dieses warme weiche, weiße, nach Vanille und – — ah.- was war das…? Noch ein Syrah für mich bitte… – – – ich besuche die Waschräume und finde mich in einem an stylishe Bilder in der Vogue von thailändischen Ayurveda-Spas erinnerndem Ambiente. Das Waschbecken ist offenbar aus der Schale einer riesigen Nuss gemacht, oder was ist das – ein Gehölz, wie eine etwas unförmige riesenhafte halbe Kokosnuss… Und wieder eine schwimmende Lotusblüte… So viel Liebe zum Detail. Wie schön. Und so nah. Ach Berlin…
Eine Zigarette im Garten. Es gibt einen Gong. Und ein Buddha steht da auch, glaub ich. Und noch mehr schwimmende Blüten in kleinen Schalen auf kleinen Tischen. Ein kleiner Brunnen. Schön da draußen. Es ist noch kein warmer Frühlingsabend, aber man kann es sich vorstellen, wie es erst sein wird, in einer lauen Nacht. Wir gehen wieder rein, zu unserem Platz an der Tür zum Garten. Da war ja noch was. „Ach ja… da fällt mir ein… ich wollte dir noch etwas zeigen“ sag ich. Und greife nach der braunen Tüte, die neben meinem Stuhl wartet. Und mache sie langsam auf. Dramaturgie ist wichtig! Ich ziehe die Romantik Liebe Rebellion-Tüte langsam aus der braunen Tüte heraus und stelle sie auf den Tisch. Cosmic guckt, wie man gucken muss, wenn man so etwas macht. Er darf selber schauen, was drin ist. Ganz unten liegt das Päckchen. Die A-Serie. Er schaut mich an. Ich hab ihn nur einmal wirklich weinen sehen, wegen seiner Mama. Und noch ein anderes mal ein bißchen. Und einmal hast du es mir geschrieben. Es ist ein schöner Augenblick, wie du da so vor mir sitzt und wegen einer Tüte weinst. Ich sage „Aber das ist doch eigentlich mein Part, ich bin doch sonst immer die Heulsuse“. Du lachst ein bißchen. Das wollte ich. „Hier, die A-Serie, die ist für dich. Du musst eine haben, es geht gar nicht anders. Auch wenn ich es erst nicht wollte, aber heute morgen dachte ich, als ich die Bilder auf der Bettdecke sah, sie gehören auch dir. Du bist auf fast jedem Bild zu sehen. Wer, wenn nicht du sollte sie haben.“ Ich glaube – nein, das ist kokett – ich weiß, du hast dich gefreut. Am Ende dieser Reise.
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04. Juli 2010

Dienstag, 18. Mai 2010. Der Tag der Abreise, unsere Rückkehr nach Berlin. Ebracher Hof. Mein Blick fällt auf den großen Karton in der Ecke des Zimmers. Der große Karton, den ich vor Beginn der Reise als Eilsendung vorweg geschickt hatte, damit mein Fluggepäck nicht so schwer würde.
Unten im Karton Plakate, die den Abend ankündigten. Romantik Liebe Rebellion. Darauf ein großes Tuch aus Leinen, das ich manchmal als Hintergrund für die Projektionen benutze, wenn es im Raum keine geeignete Projektionswand gibt. Weißes Leinen. Cirka zwei Meter zwanzig mal zwei Meter achtzig. Zusammengelegt. Karrabinerhaken an den Ecken. Darauf, geschützt in luftgepolsterter Folie, der Beamer. Noch ein Tuch, schwarz. Manchmal muss man abdunkeln. Oder muss die Projektionsfläche vor einem Fenster spannen, das nicht ausreichend abzudunkeln ist. Dann lege ich zwei oder drei dieser großen Tücher übereinander. Ganz hinten das schwarze Tuch. Im Karvana war es so. Unser Konzert, im Sommer vor einem Jahr, begann als es draußen noch hell war. Ich spannte Tücher auf fast drei Metern Höhe, auf einer wackeligen Leiter balancierend. Klopfte mit einem Stein Nägel in die Wand. Stefan, groß wie ein Wikinger, stand interessiert daneben, grinste entspannt: „Ich finde, du machst das sehr gut!“ Ich fiel nicht von der Leiter. Cosmic wurstelte unten mit Verstärker-Kabeln. Wir bauten eine improvisierte Bühne in einer Ecke des Karvana, einem Café in Friedrichshain auf. Erinnerungen.
Ich trug an jenem Abend ein rotes Barett und ein Rüschenhemd, auch rot, das dem sehr späten Elvis zur Ehre gereicht hätte. Aus irgendeinem Berliner Second Hand-Laden, in den Neunzigern gekauft. Als es noch Retro nach Gewicht gab. Wildleder-Shorts. Eine zerschnittene schwarze Veloursleder-Jeans. Schwarze Stiefel. Eine Nadelsteifen-Anzug-Weste über dem Las Vegas-Hemd. Ich erinnere mich oft, was ich anhatte.
Auf dem schwarzen Tuch im Karton lagen kleinere Plakate. Und zuletzt, ganz oben, die drei einzeln verpackten Sätze der Cosmic-Gaga Collection. Die A-Serie, die B-Serie, die C-Serie. Auf einer Seite des Kartons die Schachtel mit allen Kabeln, die ich brauche. Das Strom-Kabel für den Beamer. Ein Hub für die USB-Anschlüsse. Das Kabel für den Hub. Zwei USB-Kabel, um den Beamer mit meinem Rechner zu verbinden. Ein fünf Meter langes und ein extra kurzes. Das Kabel für den Ton kriege ich von Cosmic oder dem Veranstalter. Eine scheinbar langweilige Aufzählung von Kabeln. Kleiner Detailfetisch für mein eigenes Erinnern. Man schreibt ja auch für sich… Manchmal ist es durch die Raumsituation bedingt ungünstig, den Beamer auf dem Tisch neben dem Rechner zu haben, dann brauche ich eine lange Leitung zu meinem Notebook. Im Karvana war es so. Und immer Gaffa-Tape, um die Kabelstränge am Boden zu schützen, und damit es keine Stolperfallen gibt.
In der Schachtel mit den Kabeln liegt auch ein Feuerstein. Gefunden an einem Strand im Baltikum. Ersatz für einen Hammer, wenn man einen Nagel in die Wand schlagen muss. Das muss man eigentlich immer. Nägel sind immer dabei. Aufbewahrt in einer Streichholzschachtel vom Hotel Nizza in Frankfurt. Wenn ich einen Nagel mit dem Stein einschlage, blitzen die Funken. Insofern schön, weil ich mir seit langem einen Feuerstein gewünscht hatte und als ich diesen Stein fand, einfach nur weil er mir gut gefiel, wusste ich gar nicht, dass es ein Feuerstein ist. Bis ich den ersten Nagel damit in die Wand schlug. Feuerherz. Und Klammern in der Form von Spiralen, um die Bilder aufzuhängen. Hundertfünfzig Meter weiß-violette, gedrehte Kordel. Alles sollte schön aussehen. Besonders schön. Es gab auch noch ein dickes Päckchen mit den vier Plakatmotiven in der Größe von Handzetteln. Wir verteilten fast alle in der Stadt, an den Tagen vor unserem Konzert. Nur noch wenige waren übrig.
Jetzt, früh am Morgen am Tag der Abreise, fiel mein Blick also auf den Karton, in dem immer noch dieselben Sachen lagen, aber wüst durcheinander. Beim Abbau in der Nacht nach dem Konzert gepackt. Hastig. Ganz anders als beim Aufbau. Der ist zwar eilig, aber nicht hastig. Das ist ein Unterschied. In hingebungsvoller Eile baut man auf, in eiliger Hast baut man ab. Aber so durcheinander wie er jetzt war, wollte ich den Karton nicht mit nach Hause nehmen. Ich breitete den Inhalt auf dem Bett aus. Fand die Setlist. Ein ausgedruckter Screenshot der Dateien meiner Filme. Mit Änderungen, Durchstreichungen, Pfeilen, Anmerkungen. Noch war die Erinnerung frisch. Ich wusste, was die gekritzelten Anmerkungen zu bedeuten hatten. Ich nahm eines der kleinen Plakate und setzte mich mit verschränkten Beinen auf das breite Bett, wie ich es immer tue (ich bewohne in Hotels eigentlich nur die Betten) und schrieb die Set-List auf der Rückseite eines der kleinen Plakate noch einmal ab. So, wie der Ablauf wirklich war. Welchen Film ich bei welchem Song zeigte.
Mein Blick wanderte weiter zu den Fotografien. In beiden Serien fehlten Bilder. Einige hatte ich verschenkt. Ich vervollständigte die A-Serie mit Bildern aus der B-Serie. Ich nahm ein Lieblingsbild aus dem Stapel und schrieb etwas auf die Rückseite. Dann verpackte ich beide Stapel neu. Die A-Serie mit besonderer Sorgfalt. Und dann war da noch dieses Blatt, jener ausgedruckte Text Du bist mein Mond… Wir hatten beide unabhängig voneinander einen Ausdruck von diesem Text dabei, der sich nicht in dem Reclam-Buch findet. Meiner lag gefaltet in dem kleinen gelben Buch. Ich las diesen Text, um mich zu beruhigen, im Zug auf dem Weg nach Coburg. Jetzt nahm ich das Blatt aus dem Rückertbuch und schlug die Fotografie darin ein.
Es ist ein Bild von uns beiden. Am vierten Juli 2008 entstanden, in einer Galerie in Berlin Mitte. Projektgalerie Hofmann von Sell. In der Galerie stand ein Klavier und du spieltest zum ersten mal, zaghaft noch, „Ich weiß, diese Welt wird untergehen, doch mit dir ist selbst das wunderschön…“ Kaum einer der Vernissagenbesucher interessierte sich für die Bilder, als du das spieltest. Später irgendwann standen wir draußen, in der Nacht, Jan war auch dabei. Ich fotografierte erst euch beide und dann uns. Nur ein einziges Bild. Wie wir die Köpfe zusammensteckten und unverabredet gleichsam vertrauensvoll in die Kamera schauen. Das Bild hat mich immer sehr berührt. Wir kannten uns kaum, aber man erahnte bereits die mögliche Nähe. Wenn ich dieses Bild von uns sehe, verstehe ich die kleine Anna, die vor zwei Wochen bei einem Gartenfest deines Freundes Christian mit uns am Feuer saß, seine Tochter, da waren viele Gedanken in ihrem empfindsamen Kopf. Sie zögerte erst ein wenig und fragte dann in ihrer etwas schüchternen und doch mutigen Art, ob wir Geschwister seien oder irgendwie verwandt, weil wir uns ähnlich sehen würden. Ihr seht irgendwie gleich aus. Da ist so eine Ähnlichkeit…“. Das sagte sie, die kleine Anna. Zehn Jahre alt vielleicht. Du sagtest, dass wir nicht richtig blutsverwandt seien aber… eben anders verwandt. Das fällt mir zu dieser Fotografie von uns ein. Ich schrieb noch deinen Namen auf den improvisierten Umschlag Hab ja alles fotografiert.
Ich legte meine anderen Sachen auf das Bett, alle T-Shirts, die ich dabei hatte, drei Kleider. Einiges darunter, das ich gar nicht getragen hatte. Ein ziemlich schräges Kleid mit einem Op Art Muster, irrwitzige Applikationen von Hunderten von kleinen Kreisen in schwarz und Weiß. Kann man gar nicht beschreiben. Bis heute noch ungetragen. Und da war die Papiertüte aus dem Weinladen, wo ich den schlimmen Wein gekauft hatte. Die DIN A 3 Plakate lagen auf dem Bett und mir fiel auf, dass es dieselbe Größe wie die Tüte ist. In dem Karton waren auch noch meine dicken Klebestifte und ich bastelte kurzerhand eine poetrYclub-Einkaufstüte. Die sah richtig echt aus. Total schön.

Von jedem Plakatmotiv und jeder Größe nahm ich eines und rollte sie ein, gebunden mit einem Stück der weiß-violetten Kordel. Dann packte ich das A-Päckchen in die Tüte und klammerte die Set-List und die Postkarte mit ein paar der Spiralklammern an die Tüte. Ich stellte die Tüte mal hierhin und mal dahin und machte Fotos und träumte vor mich hin und vergaß darüber fast die Zeit. Ich musste ja auch noch die anderen Sachen packen. Aber eines musste ich noch machen. Ich steckte die Romantik Liebe Rebellion-Tüte in eine große braune Tüte ohne Aufschrift und klebte sie oben ein bißchen zu, damit man nicht gleich sehen konnte, was darin ist. Das würde nur unnötige Fragen aufwerfen. So, fertig. Und jetzt die Klamotten. Geschafft. Ich bin bereit.
Das Zimmer mit der Nummer Fünf sieht wieder aus wie vorher. Ich hänge das wüste Acrylbild über dem Bett wieder von Hochkant auf quer, wie es vorher war. Mir gefiel es zwar nicht ausnehmend gut, aber Hochkant noch am ehesten. Ich nehme das flammende Tuch von der Lampe am rechten Nachttisch, das das Licht so warm machte. Es ist jenes rot und orange in der Sonne wehende Tuch aus meinem Hippolyta-Opus. Ich hatte die Vorhänge des Hotelzimmers halb zugezogen und nur ein wenig zur Seite gerafft. Jetzt hingen sie wieder ordentlich der Schwerkraft folgend. Obwohl dieses einzige Einzelzimmer mit breitem Bett sonst detailweise ein ungewöhnliches Interieur hatte. Es gab keinerlei Schränke, sondern nur gemauerte, weiß gekalkte Nischen mit eingelassenen Ablagebrettern und einer zwischen zwei Nischen eingelassenen Kleiderstange. Ich erkannte, dass alle meine Sachen, die hingen, schwarz waren. Das Bad hatte einen superschicken Eingang, eine riesige Schiebetür aus einem einzigen Spiegel, von der Decke bis zum Boden. Dunkler Holzfußboden. Der Blick aus dem Zimmer auf die Rittergasse. Nicht spektakulär, aber die Lage an sich schon, an einem zentralen Nerv in der Altstadt, in einem Renaissance-Gebäude, neben dem supermodernen Georg-Schäfer-Museum.
Ich deponierte mein Gepäck mit der geheimen Tüte in der Nische unter der Treppe am Empfang. Cosmic war in seinem Elternhaus, wo er zum Abschied mit seiner Familie noch einmal zu Mittag essen wollte. Danach würden wir gemeinsam zurück nach Berlin fahren. Ich überbrückte die Zeit, bis er kam, im Restaurant des Hotels und surfte ein bißchen durch’s Netz. Unser Freund Yvelle hatte ein neues Video hochgeladen, in dem er sang, das schaute ich mir an und ließ die Bilder auf mich wirken, die ich in den letzten Tagen gemacht hatte. Die wenigen Filmsequenzen. Der Blick in den Himmel von Gerbrunn, deinen Himmel, dein Tanzen. this used to be my playground…
Die Hausdame (aka Zimmermädchen) winkt mir zu als sie mich da sitzen sieht und die beiden Mitarbeiterinnen vom Service signalisieren mir unablässig ihre Bereitschaft zu Diensten zu sein. Haben Sie noch einen Wunsch? Nein? Wirklich nicht? Ich vermute, dass die beinah ein bißchen zu begeisterte Bedienung irgendetwas mit dem Trinkgeld zu tun hat, das ich eine krumme Summe zu einer sehr geraden machend, aufrundenderweise gerade gab, als ich nach dem Frühstück die gesamte Hotelrechnung beglich. Beim Surfen finde ich doch tatsächlich eine Konzertkritik, in der ich erwähnt werde, in der Online-Ausgabe der Mainpost. Vielleicht hatten die Hotel-Mitarbeiter ja auch die Zeitung gelesen und nun war ich womöglich berühmt! Als ich gerade diesem Gedanken nachhänge, betritt Cosmic das Restaurant. Er kümmert sich um das Gepäck, verstaut es im Heck, während ich meinen Rechner herunterfahre und mit überschwänglichem Händeschütteln verabschiedet werde. Cosmic muss später darüber lachen. Er weiß inzwischen, dass das Trinkgeld nicht fürstlich, sondern königlich war. Während er auf das Mittagessen wartete, mailten wir blödsinnig hin und her
„(…) die Schulden beim Ebracher Hof habe ich unter Hinzufügung eines fürstlichen Trinkgeldes bereits beglichen, bitte fragen Sie nicht nach dem Gesamtbetrag. Ich vermute die aufgerundete Summe führte dazu, dass die freundliche Service-Mitarbeiterin noch freundlicher wurde und mir sogleich eine ganze Flasche des Getränkes meiner Wahl spendierte, da ich ja nun noch ein wenig länger verweilen werde, bis ich von Ihnen abgeholt werde!“
„(…) Sehr geehrte Madame Nielsen, ein königliches Trinkgeld ist die richtige Methode, um das Volk in Schweinfurt zu begeistern, ihre Herzen zu erschließen. Diese Gesten sind in unserer Gegend sehr selten, ist doch der Geiz das Vorherrschende, in aller Regel. Diese großzügige Geste wird also sicherlich dazu führen, daß Ihre Zeit in Schweinfurt nicht in Vergessenheit geraten wird. Solche Dinge sprechen sich unter dem Volk wie ein Lauffeuer herum. Selten wurde ein königlicher Besuch so positiv aufgenommen. Zuletzt war der Besuch des Königs Ludwigs des II mit ähnlicher Zustimmung ausgegangen, nun haben Sie diese schöne Tradition wieder aufgegriffen. Ich werde nun noch zum Müller gehen, um das frisch gemahlene Mehl zu bezahlen und dem Bäcker zukommen zu lassen. Morgen werden auf dem Marktplatz dann die Brotlaibe unter den Hungernden verteilt. Wir können also später getrost den Rückweg nach Berlin antreten, nicht ohne vorher noch eine Flasche von dem köstlichen Brand des Herrn Gößwein mit zu nehmen. Mit königlichem Gruße King George der Kosmische“
„(…) Wie recht Sie doch haben! Sagte ich ein fürstliches Trinkgeld? Ich muss mich revidieren – es war selbstverfreilich einer Königin würdig. Die Königskrone zu tragen fordert von uns solches! Das Volk dankt es einem auch umgehend und die Herzen fliegen der Königin zu! Gerade eben winkte mir eine Untertanin, die als Kammerzofe am Ebracher Hof ihr Tagwerk verrichtet zum Abschiedsgruße zu und wünschte beglückt und nochmals ihren Dank entrichtend eine gute Weiterreise. So ist’s recht! Mit dem Segen des Volkes reist es sich wohlgemut! [ > Morgen werden auf dem Marktplatz dann die Brotlaibe unter den Hungernden verteilt.] Wie froh ich bin, dass Sie das richten! Ich käme ja doch nicht mehr dazu – die Staatsgeschäfte halten mich in diesen letzten Stunden in der königlichen Reichsstadt Schweinfurt derart auf Trab, dass ich froh bin, wenn ich zeitig fertig bin, wenn der Kutscher vorfährt! So ein köstlicher Brand wird meine Lebensgeister wecken, Sie werden es sehen! Entrichten Sie auch bitte Ihren königlichen Schwestern und den königlichen Hunden sowie dem Großkönig Siegfried meinen Abschiedsgruß! Gott zum Gruße wohlan! Gaga Königin von und zu Gaganien, Fürstin zu Berlin und Brandenburg“
Bevor wir die Stadt endgültig verlassen, wollten wir also noch einmal kurz in die Traumfüllung, ein kleiner Laden mit feinen Obstbränden, Essigen, Ölen und sonstigen Essenzen, von Hand abgefüllt. Cosmic hatte den Laden vor vielen Jahren mit seinem Feund Micha in die Welt gesetzt. Ich war schon gespannt. In großen Glasballons gab es hochprozentige Flüssigkeiten, Brände und jede Menge Geister. Ich wollte selbstverständlich jede Menge gute Geister von dieser Reise mitnehmen und entschied mich auf Cosmics Empfehlung für einen Trester, einen Wildpflaumenbrand und einen Geist aus gebrannten Haselnüssen, über dessen Aroma ich völlig aus dem Häuschen war und bin. Wie allerfeinstes Nougat. Micha war leider nicht da, aber Cosmic kannte auch die anderen Mitarbeiter und spielte kurzerhand Verkäufer und füllte das Gewünschte ab. Souverän schritt er hinter die Ladentheke und beschriftete alle Flaschen mit einem OH-Stift. Ich war gerührt, was er da gekritzelt hatte. Abschied. Die wirklich letzte Etappe in SWC. Auf die Autobahn nach Berlin.
Die ähnliche Strecke fuhr ich zuletzt irgendwann in den Achtzigern, noch vor Mauerfall. Seither nie mehr auf dieser Autobahn gewesen. Autobahnen kriegen auch nie so richtig Patina, da stellt sich nicht so richtig viel Sentimentalität ein. Das Wetter ist eher so gemischt, Wolken, mal Sonne, Wolken, mal Sonne. Kein Regen. Autobahnraststätte. Ein Kaffee. Weiter. Ich wühle in der kleinen CD-Sammlung im Handschuhfach. Handschuhfach? Heisst das wirklich so? Handschuhfach? Hat man da früher Handschuhe und weiter nichts drin abgelegt? So ein Wort, so geläufig, noch nie über den Sinn nachgedacht. Wenige CDs darin. Die poetrYclub-Platte liegt natürlich auch da. Und irgendwas von einer Singer Songwriterin, die ich überhaupt nicht kenne. Sting, John Lee Hooker, Klaus Schulze, Stadium Arcadium von den Chilies, die ich ja sehr mag. Im Radio ist kein erträglicher Sender zu finden.
Es gab sogar eine Musik-Cassette glaub ich oder verwechsle ich da was? Irgendwie Eric Clapton unplugged oder war es doch eine CD? Ich hätte gerne mit dir Layla beim Autofahren gehört, das andere Zeug von ihm ist mir zu – mir fehlt das richtige Wort… (unspezifisch… undifferenziert…) Aber bei Layla unplugged denke ich an eine Reise durch Arizona in einem Jeep Cherokee. Mit drei wilden Weibern. Layla, you’ve got me on my knees. Layla, I’m begging, darling please. Layla, darling won’t you ease my worried mind… Und wir hörten diesen Song immer wieder. Irgendwo on the road zwischen dem South Rim des Grand Canyon und Marlboro Country, Monument Valley. Gut, Tears in Heaven ist auch schön. Ist das nicht auch auf der Scheibe? Aber irgendwie wollte man sich nicht durch das restliche weiße Blues-Gedudel von Herrn Clapton durcharbeiten. Vielleicht war die CD auch gebrannt und nicht beschriftet. Hab’s vergessen.
Ein bißchen John Lee Hooker, ein bißchen Sting, ach nö, lieber doch nicht, o.k. die Chilies, da weiß man was man hat. Als die Platte läuft, merke ich, wie differenziert meine Anlage zuhause dann doch offenbar ist und auch mein kleiner Player. Mir ist gerade beim Hören von Stadium Arcadium im Auto, als fehlten ganze Sphären, die ich sonst wahrnehme und mir einen heftigen Kick geben. Eine meiner Lieblingsplatten dudelt irgendwie unspektakulär durch. Ich zappe trotzdem hoffnungsvoll zu Hey, meinen Lieblingssong und er ist großartig wie immer. Schöne Autobahnkilometer. Und komm, ach, mach doch einfach die poetrYclub-Platte, mach Blüh wie die Blum… das ist so schön… Immer wieder. Ich hab eine der beiden tiefschwarzen Sonnenbrillen auf, die ich in Kauflaune bei meinem einzigen Alleingang durch die Schweinfurter Innenstadt erstand. Die andere werde ich auf der Ablage von Cosmics Chrysler vergessen. Später Klaus Schulze, überraschend sinfonisch. Irgendetwas daran erinert mich an Also sprach Zarathustra von Richard Strauss, hatte ich auf Vinyl…
Brandenburg. Jetzt kann man wieder mal Radiosender probieren, meint Cosmic. Was für ein Glückstreffer! Die beste Band der Welt, die auch wir ohne Vorbehalt abgöttisch lieben und verehren, singt „Junge“. Wir flippen ein bißchen aus, manche Textstellen kann ich auswendig. „Elektrische Gitarren und immer diese Texte Das will doch keiner hörn! Wie kommst du nach Hause, soviel schlechter Umgang! Wir werden dich enterben! Und immer deine Freunde, ihr nehmt doch alle Drogen! Und ständig dieser Lärm! (Achtung!!! Der absolute, ultimative Höhepunkt!!!) „Denk an deine Zukunft, denk an deine Eltern Willst du dass wir sterb’n?!?!?“ Wir lachen uns kaputt in unserem lustigen Auto und zünden in Gedanken eine Kerze für Farin, Bela und Rodrigo an. Leider kam danach nur noch der übliche Schrott und wir waren uns einig, dass es völlig ausreichend wäre, wenn es nur noch einen einzigen Radiosender geben würde, der nur Ärzte spielt.
Berlin. Messe-Zentrum. West-City. Cosmic verfährt sich ein bißchen, er ist so selten im Westen der Stadt. Aber Schilder nach Mitte gibt ja immer. Er ist eigentlich ganz schön müde, aber ich würde unheimlich gerne noch etwas Schönes essen gehen, ein bißchen das Ende unserer Reise zelebrieren. Und dann ist da ja noch die Tüte. Die möchte ich ihm eigentlich nicht einfach nur so im Kofferraum hinterlassen. Das wäre ja blöd. Richtig doof wäre das. Nein, das geht gar nicht. Ich hoffe, dass er doch schwach wird und erzähle ihm von einem vietnamesischen Teehaus, ganz neu, in der Rosenthaler Straße, gleich bei mir um die Ecke, das er noch nicht kennt. Ich war auch nur mal ganz kurz drin und hab gesehen, dass es sehr schön da ist. Und das Auto? Wo parke ich das Auto? Meine Ecke ist in der Hinsicht wirklich ein kleiner Problemfall, aber Cosmic wird bereits schwach und peilt „seinen“ persönlichen Parkplatz an. Die Ecke vorm Eingang vom Hackbarths. Eigentlich nicht wirklich zum Parken vorgesehen, aber nun ja!
Das Chén chè ist wunderbar. Das Essen, die in chinesische Seide gebundenen Karten, die Möbel, die ganze Atmosphäre. Ich kann mich kaum erinnern, bei asiatischem Essen je derart virtuos gezauberte Aromen serviert bekommen zu haben. Es gibt auch Wein. Einen guten Syrah aus Frankreich. Cosmic bestellt eine Schale mit Tee mit frischem Ingwer. Er schnieft ein bißchen. Da bahnt sich vielleicht was an. Ingwer ist da sehr gut. Dann der Nachtisch. Der Nachtisch. Mir fehlen die Worte. Ihm auch. Was ist das? Unglaublich, unfassbar delikat. Wir essen sprachlos seufzend, wie so oft über Kreuz. Da waren geröstete Sesamsamen und dieses warme weiche, weiße, nach Vanille und – — ah.- was war das…? Noch ein Syrah für mich bitte… – – – ich besuche die Waschräume und finde mich in einem an stylishe Bilder in der Vogue von thailändischen Ayurveda-Spas erinnerndem Ambiente. Das Waschbecken ist offenbar aus der Schale einer riesigen Nuss gemacht, oder was ist das – ein Gehölz, wie eine etwas unförmige riesenhafte halbe Kokosnuss… Und wieder eine schwimmende Lotusblüte… So viel Liebe zum Detail. Wie schön. Und so nah. Ach Berlin…
Eine Zigarette im Garten. Es gibt einen Gong. Und ein Buddha steht da auch, glaub ich. Und noch mehr schwimmende Blüten in kleinen Schalen auf kleinen Tischen. Ein kleiner Brunnen. Schön da draußen. Es ist noch kein warmer Frühlingsabend, aber man kann es sich vorstellen, wie es erst sein wird, in einer lauen Nacht. Wir gehen wieder rein, zu unserem Platz an der Tür zum Garten. Da war ja noch was. „Ach ja… da fällt mir ein… ich wollte dir noch etwas zeigen“ sag ich. Und greife nach der braunen Tüte, die neben meinem Stuhl wartet. Und mache sie langsam auf. Dramaturgie ist wichtig! Ich ziehe die Romantik Liebe Rebellion-Tüte langsam aus der braunen Tüte heraus und stelle sie auf den Tisch. Cosmic guckt, wie man gucken muss, wenn man so etwas macht. Er darf selber schauen, was drin ist. Ganz unten liegt das Päckchen. Die A-Serie. Er schaut mich an. Ich hab ihn nur einmal wirklich weinen sehen, wegen seiner Mama. Und noch ein anderes mal ein bißchen. Und einmal hast du es mir geschrieben. Es ist ein schöner Augenblick, wie du da so vor mir sitzt und wegen einer Tüte weinst. Ich sage „Aber das ist doch eigentlich mein Part, ich bin doch sonst immer die Heulsuse“. Du lachst ein bißchen. Das wollte ich. „Hier, die A-Serie, die ist für dich. Du musst eine haben, es geht gar nicht anders. Auch wenn ich es erst nicht wollte, aber heute morgen dachte ich, als ich die Bilder auf der Bettdecke sah, sie gehören auch dir. Du bist auf fast jedem Bild zu sehen. Wer, wenn nicht du sollte sie haben.“ Ich glaube – nein, das ist kokett – ich weiß, du hast dich gefreut. Am Ende dieser Reise.
http://www.flickr.com/apps/slideshow/show.swf?v=71649