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Beinah aktuell, die letzten Bilder, die im letzten Jahr entstanden sind, am 27. November 2014. Was statistisch bedeutet, dass ich zwischen dem ersten September und diesen Bildern fast ein Vierteljahr kein einziges Foto gemacht habe. Es war keine Askese und kein Plan, ich war nur so absorbiert von der Verarbeitung der Wien-Bilder, die ich derart intensiv und ultimativ auslotend betrieb, auch mit den Einträgen, dass sogar Victor aus Wien halb fragend, mit einem wie mir vorkam, kritischen Ton konstatierte, dass er den Eindruck hätte, dass ich irgendwie ‚festhänge‘ mit Wien. Ich weiß nicht, was er unter dem positiver(?) besetzten Gegenteil von ‚festhängen‘ versteht, ich weiß nur für mich, dass ich dazu neige, Eindrücke äußerst intensiv zu verarbeiten, indem ich maximal eintauche, mit nur erdenklicher Empathie und Recherche, auch rückwärtig, was aber sicher nicht in einem psychotischen Festklammern ausartet. Ich bringe Dinge gerne angemessen zu Ende, mit Ehrerbietung. So war das letzte Jahr in Bildern in der Tat, sehr stark von meinen Eindrücken von Wien dominiert, was keiner Relativierung bedarf, weil Wien keiner Relativierung bedarf. Genauso wenig wie Berlin einer Relativierung bedarf. Wo ich mich hinbewege, bin ich mit Haut und Haar, auch wenn ich mich daran erinnere. Und wer in diesen Tagen hier herumblättert, könnte auf die Idee kommen, ich hänge in Berlin fest, was ja auch stimmt. Aber nicht, wie an einem Galgen oder an einer behinderlichen Fußkette. Seit diesen Bildern hier, Ende November, sind keine mehr entstanden, ich bin nun auch in bildtechnischer Hinsicht mit der Aufarbeitung in der Gegenwart angelangt. Ich empfehle meinen Lesern, die Datierung der Bildstrecken zur Kenntnis zu nehmen. Das ist insofern interessant, weil sich daran eine Entwicklung ablesen lässt, dahingehend, dass ich scheinbar wieder mehr dazu komme, zu besonderen Gelegenheiten Bilder zu machen. Sieht mir doch sehr danach aus. Dass die Bildstrecken nun so kurz hintereinander kommen, entspricht nicht den Intervallen, in denen sie entstanden sind. Ich bin mir ganz sicher, dass es keinen instagram-Benutzer gibt, der ein Vierteljahr lang kein Bild macht. Interessante, dem Gegenwartsgeist gegenläufige Dynamik. Ich mag es, wenn ich zufällig an mir beobachte, dass sich meine Gewohnheiten und Befürfnisse ändern. Sich selbst zu überraschen ist ein interessantes Erleben. Und umso leichter möglich, wenn man keine Vorsätze fasst. Ich mache es mir noch einmal bequem und kopiere ein Stück von dem Novembereintrag unter die Bilder.


































„Ein bißchen Berlin zwischen all dem Wien. Donnerstag traf ich mich bei Hiltawsky mit Jan, da war so eine Eröffnung, Kate Moss huldigend. Sie war nicht da, aber dafür kam später Ina, was mich sehr freute. Wir haben viele, viele Bilder gemacht, die ich irgendwann im nächsten Jahr hochladen werde, wie es bei meinem meditativen Verarbeitungs-Tempo aussieht, aber damit einmal dokumentiert ist, dass ich nicht nur in Wien-Erinnerungen lebe, sondern auch noch in der Gegenwart iln Berlin, eine Aufnahme von Jan vom 27. November. Einer der Fotografen aus der Moss-Ausstellung war auch da, der Berliner Fotograf Jurgen Ostarhild. Sehr gesprächig auch. Wahrscheinlich weil die Atmosphäre auf seinen Bildern so lasziv war, fragte ihn ein anderer Mann launig, ob sie, Kate, ihn denn auch geküsst hätte? Daraufhin meinte Osterhild breit grinsend: „Natürlich. Kate küsst A L L E .“ Ina und ich sind danach noch in ins 3 minutes sur mer, wo…“ usw. (…)


27. Januar 2015
Ich muss nicht noch einmal alles rekapitulieren, was mich während des Films und danach bewegte. Ich habe damals, es war mein neunundvierzigster Geburtstag, in einem Kommentar beschrieben, was mich bewegte. In diesen Tagen war zu erfahren, dass der Film für den Oscar als bester Dokumentar-Film nominiert ist. Was ich verstehen kann. Ich mache auszugsweise copy-paste meines Kommentars vom ersten September, nach dem unmittelbaren Eindruck des Films, frisch aus dem Kino kommend. gaga, 1. Sep, 21:14



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„Endlich den sehr sehenswerten Finding Vivian Maier in der Vorstellung um 14:45 gesehen. Es waren außer mir nur ungefähr fünfzehn andere im Kino. Der vielbeschriebene und -gelobte Film hat mich teilweise seltsam berührt, wie wohl die meisten, die viel fotografieren und archivieren und sich manchmal fragen, was aus all dem werden soll. Großartiges Lebenswerk von zwiespältiger Persönlichkeit. Fällt mir auf, dass ich vor genau einem Jahr bei Hilma af Klint war, die ihr malerisches Lebenswerk auch unter Verschluss gehalten hat. Ich kann mir vorstellen, dass Vivian Maier auch einfach keine Lust darauf hatte, dass ihr Werk und ihr Tun und ihre Biographie diskutiert und zerfleddert wird. Wenn man es nicht zeigt, ist man auch nicht in der „Gefahr“, dass sich jemand kritisch damit auseinandersetzt. Bei Straßenfotografie, wie sie es betrieben hat, ist man sowieso an der Grenze des Illegalen, der Überschreitung der Persönlichkeitsrechte. Sie hat ja auch paparazzt. Ich konnte mich da auch seltsam wiedererkennen, als deutlich wurde, dass ihr viele Bilder nur gelungen sind, weil sie mit ihrer Rolleiflex – ähnlich wie ich mit dem schwenkbaren Display – oft nach unten geschaut hat, obwohl sie das Motiv fokussierte. Was nur mit dieser Kamera ging. Das war schon ein ziemliches déjà-vu. Allerdings gar nicht, was ihre sonstigen Vorlieben anging. Die widersprüchlichen Aussagen ihrer ehemaligen Kinder, was ihre liebevolle oder auch lieblose Zuwendung anging, haben auch einen seltsamen Nachgeschmack. (…) sicher für sie ein Grund, sich mindestens einmal im Grabe umzudrehen; aber ganz großes Kino“

Neunundvierzig
22. Januar 2015
Edwin. Nach sehr, sehr langer Zeit etwas geträumt, das mich nach dem Aufwachen unablässig beschäftigt, angenehm. Ich habe selten ganz schlimme Träume und ebenso selten ganz schöne. Es plätschert so dahin, das Erinnerbare, das Wenige ist gewohnt absurd oder alltäglich, manchmal mehr oder weniger amüsant, wenn der Bezug zur Wirklichkeit sehr deutlich ist und dann eine irreale Wendung nimmt. Aber letzte Nacht träumte ich etwas völlig Ungewohntes und Unerwartetes. So angenehm, dass ich bis zum Abend immer wieder davon gefangen war, und meine Konzentration darauf gerichtet habe, damit es mir nicht völlig entwischt. Ich überlegte sogar, ob ich es in einer privaten Datei einfach aufschreibe, ganz gegen meine Gewohnheiten der letzten zehn Jahre, in denen ich alles, wirklich alles, was ich schriftlich formulierte, auch veröffentlicht habe. Aber ich mag keine doppelte Buchführung. Lange schon habe ich nicht einmal mehr Freude daran, Freunden aufwändige Mitteilungen zu schreiben, von denen ich weiß, dass sie unter Verschluss bleiben werden. Als wären mir meine Gedanken, die ich mir die Mühe mache, in Worte zu fassen, zu kostbar, um sie exclusiv nur einem Menschen zugänglich zu machen. Also schreibe ich den schönen Traum in keine private Datei, in kein Notizbuch, wenn überhaupt, dann hier. Auch ärgere ich mich, wenn Blogger am Rande erwähnen, dass sie privat für sich irgendwelche Tagebücher nebenher schreiben, in die dann die wirklich existentiellen Vorgänge kommen. Mich ärgert das als Leserin. Ich will nicht mit einer entschärften Schmalspurversion der Lebensbewegungen abgespeist werden. Das ist Etikettenschwindel! Dann schon bitte gar keine schriftlichen Vermächtnisse, auch keine geheimen in der Schublade auf Papier. Man muss auch etwas wagen, sonst fühlt sich der Leser nicht ernst genommen und respektiert. Ja, man darf weglassen, wenn man allgemein die Erkenntnis hat, dass eine schriftliche Fixierung nichts weiter bringt. Aber nicht im stillen Kämmerchen, die interessanten Sachen schreiben und im Blog die leicht verdauliche Hausmannskost. Das ist literarisch irrelevant! Also Edwin. Wer ist Edwin? Zum Teufel, ich weiß es nicht. Aber die Traum-Freundin, die es auch in Wirklichkeit gibt, die aber in dieser keine so richtig enge Freundin-Freundin ist, hat mir also im Traum der letzten Nacht eine Verabredung zu einem gemeinsamen Treffen und Essen mit einem alten Schulfreund von ihr vermittelt. Sie haben (im Traum) wohl zusammen mehrere Schuljahre verbracht, bis zum Abitur. Das geschah in Berlin, in Ostberlin. So im Radius vom Prenzlauer Berg. Sie hat ihn lange nicht gesehen, es war auch keine Liebschaft, aber man war irgendwie befreundet und er war der kurioseste Typ in der Oberstufe. Und sie wollten sich zum Essen treffen, in einem beliebten, szenigen Restaurant, irgendwo zwischen ihrer und meiner Wohnung in Berlin, also der Radius zwischen Marienburger und Auguststraße. Ich könnte gerne mit. Warum sie auf die Idee kommt, keine Ahnung. Sie betont vor dem Treffen immer wieder, dass er wirklich sehr kurios sei. Auch was seine Kleidung anginge, die wäre zumindest damals sehr gewöhnungsbedürftig gewesen, denn er habe immer Knickerbocker getragen. Also diese Hosen, die über dem Knie aufhören. Keine Mode hätte ihn tangiert, stur hat er tagein, tagaus seine Knickerbocker angehabt. Was eben schon sehr gewöhnungsbedürftig gewesen sei. Aber sonst ein sehr interessanter und eigenwilliger Mensch, sehr belesen und intelligent. Ich stellte mir also vor dem geistigen Auge einen jüngeren Mann vor – denn sie hatte ihn ja auch zuletzt in ihren Zwanzigern gesehen, der schon recht nett, aber nicht gerade attraktiv ist, und im schlimmsten Fall immer noch die Knickerbocker-Hosen von damals anhaben könnte. Oder noch seltamere Kleidung. Schnitt. (Szenenwechsel.) Wir, die Freundin und ich, betreten weitläufige Räume unter dem Dach. Ich erkenne den roten Teppich, der in meinem Jugendzimmer unter dem Dach lag, hoher Flor, Wolle, mit Quadraten in verschiedenen Orange- und Rottönen. Es war in den Sechziger Jahren der Teppich im Wohnzimmer und ich bekam ihn dann später für mein Zimmer unter dem Dach. Ich weiß im Traum, es ist nicht mein Zimmer, aber es sieht meinem verblüffend ähnlich. Auf dem Teppich liegt ein schmal gebauter, junger erwachsener Mann. Ich kann das Alter schlecht schätzen, vielleicht zweiunddreissig, vierundreissig. Er liegt auf dem Rücken und trägt irgendeine unauffällige Kleidung, die aber auch gut passt, jedenfalls keine Knickerbocker-Hosen, so viel ist sicher. Er liegt mit geschlossenen Augen auf dem Rücken, wie im Halbschlaf. Vielleicht trägt er Leinenkleidung, wie man sie zum Meditieren anziehen könnte. Er hat längere Haare, sehr feines Haar, ganz leicht gewellt, die Haarfarbe so ein dunkleres Blond oder Hellbraun. Kinder haben so ähnliche Haare, ganz fein und seidig und gewellt. Ich erkenne, dass wir bei ihm zuhause sind, dem Schulfreund von damals, da wohnt er. Ich denke, ah ja, viel filigraner, als ich ihn mir vorgestellt habe. Die Freundin beginnt zur Begrüßung und um ihn zu wecken, langsam über ihn zu robben. Er wacht langsam aus einer Halbtrance auf und die Freundin rückt ganz in den Hintergrund. Er richtet sich auf und spricht zu mir, ganz bei sich und wie jemand, der in seiner eigenen Welt bleibt. Dabei ganz ernst. Er deutet mit der Hand in die andere Richtung der unendlichen Flucht der zeltartigen Dachgeschossräume, die am Ende eines dreieckigen Tunnels aus Holz, in einer Dachterrasse münden, wo die Sonne scheint, und auf einer Wäscheleine in strahlendem Licht zwei farbenfrohe Hippiehemden zum Trocknen schaukeln. Er sagt, er hat sie gerade gefärbt und ich entdecke bei genauerer Fokussierung, dass eine Art Ornament am Halsausschnitt gebatikt ist. Ich glaube, das eine Hemd ist aus lavendelblauem Leinen und das andere in einem Pfirsich-Ton, irgendein helles Orange. Ich denke im Traum, das ist ja alles fürchterlich hippiemäßig und auch ganz nett, aber doch irgendwie auch sehr vorbei. Hoffentlich kommen jetzt nicht auch noch buddhistische Kalendersprüche aus seinem Mund. Erst diese meditationsartige Teppichperformance und dann auch noch gebatikte Indienhemden. Ich drehe mich wieder zu ihm um, und sehe, dass er genauso ein Hemd wie die beiden auf der Leine, eines in Apricot anhat. Ich muss leider zugeben, dass es ziemlich cool an ihm aussieht, wie ich überhaupt feststelle, dass dieses ganze harmlose Hippieambiente in einem irriterenden Kontrast zu seiner Ausstrahlung steht. Seine Physiognomie geht so ein bißchen in Richtung David Bowie und er hat gar nicht Verbindliches oder Harmoniesuchendes in seinem Ausdruck. Er kommt mir sehr energisch und entschlossen, und auch ein bißchen arrogant vor, aber in einem Maß, das einen interessanten Ausgleich zu dem peace & love-Ambiente herstellt. Ich weiß nicht, was er sagt, außer dieser Anmerkung zu den gefärbten Hemden vielleicht auch nicht viel. Er spricht kaum und ich sehe auch keine Notwendigkeit. Er scheint sich daran gewöhnt zu haben, dass er in einem für andere unerreichbaren Universum existiert, in dem ohnehin kein adäquater Austausch möglich ist, weil es unwahrscheinlich ist, jemanden zu treffen, mit dem man auf einem visionären Level kommunizieren kann. Er wirkt weder unglücklich noch sehnsuchtsvoll, sondern wie jemand, der sich pragmatisch mit der Situation abgefunden hat und einen guten Umgang damit verwirklichen konnte. Ich bin fasziniert von dieser offensichtlichen Unabhängigkeit von irgendwelchen Parametern der Umgebung. Er macht was er will, lebt sein eigenes Ding und erwartet kein großartiges Verständnis. Jammert auch kein bißchen. Sicher selbstverliebt. Und darin selbstgenügsam. Fordert nur, in Ruhe gelassen zu werden. Und Einhaltung der Distanz. Die man aber ohnehin niemals wagen würde, zu durchbrechen. Wie ein wilder Krieger in den besten jungen Mannesjahren steht er da, ganz unaufgeregt und souverän. Unanfechtbar. Ich weiß im Traum, dass ich an einem ähnlichen Punkt bin. Sehr ähnlich sogar. Und dass ich, wie er, nicht auf der Suche bin. Ohne die geringste Erwartung. In erstaunlichem Fr
ieden mit den Dingen, wie sie nun einmal sind. Er schlägt mir vor, dass er mir den anderen großen Raum zeigt, in dem seine Objekte und Skulpturen sind. Richtung der Terrasse. In einem großen, schattigen Bereich des Dachgeschosses, bevor es auf die Terrasse geht, sind rundherum große, dunkle kubistische Objekte zu sehen. Große Steinquader, braun und aus Vulkangestein, in die er Zeichen geschlagen hat, bizarre Formen, Vertiefungen innerhalb der Quader. Es gibt auch Objekte, die ich gar nicht verstehe, die mir rätselhaft bleiben, auf eine mir gleichgültige Art. Es ist mir egal, dass ich es nicht verstehe, ich mache mir darüber keine Gedanken, nur den, dass ich es gut finde, dass er für etwas brennt, er eine so fulminante Berufung hat. Er macht sein Ding, wie ich meines mache, ich muss das nicht im Detail verstehen. Nur der, der es erschafft, weiß wofür und warum, das reicht. Die großen Objekte, manche bis zu vier bis sechs Kubikmeter, wirken aufwändig und kostspielig. Ich denke, dass man so nur arbeiten kann, wenn man die Logistik finanzieren kann, das Material, das schwere Gestein zu bekommen und zu transportieren. Vielleicht verkauft er die Objekte, wenn, dann müssen sie sehr teuer sein. Ich frage ihn nicht. Bei ungefähr diesem Gedanken ist die Freundin wieder im Raum, er ist weg in diesem Moment und sie flüstert mir mit gesenkter Stimme zu, dass er außerdem als Arzt arbeitet, eine Praxis hat, mit der er gutes Geld verdient. Ich bin abermals irritiert und beeindruckt, dass ein weiterer unerwarteter Aspekt an diesem ungewöhnlichen Schulfreund von ihr ist. Wir sind kurz vor dem Aufbruch in das Restaurant und ich will mich noch umziehen, ich habe wohl eine kleine Tasche mit Abendgarderobe dabei und bin plötzlich in einem Labyrinth von gekachelten Waschräumen und Toiletten und sehe als erstbestes eine Behindertentoilette, die ja bekanntlich sehr geräumig sind. Da kommt eine Reinigungsfrau und schaut mich prüfend an und ich gehe doch nicht hinein und laufe ein bißchen hektisch durch die gekachelten Gänge, ich will endlich fertig werden. Szenenwechsel (ich weiß nicht, ob ich schon umgezogen bin, ist auch nicht so wichtig). Wir sind zu dritt auf dem Fußweg zum Restaurant, es ist nicht mehr weit. Edwin läuft neben mir und unsere Freundin ein paar Schritte vor uns. Zuerst ist der Abstand zwischen ihm und mir, wie gewöhnlich zwischen guten Bekannten, wir sprechen kaum und laufen wortlos nebeneinander, aber es ist kein peinliches Schweigen, eher ein selbstverständliches. Im Gleichschritt geraten wir immer dichter nebeneinander und finden es ganz normal. Ich spüre fast schon die Körperwärme. Etwas neugierig aber nicht hysterisch aufgeregt. Ein bißchen verwundert, dass es ein gleichmäßiger Magnetismus zu sein scheint, der aber nicht auf kopfloser erotischer Anziehung beruht, sondern auf selbstverständlicher Vertrautheit, als ob die Distanz von höherer Macht zur richtigen Position korrigiert wird, wo die Energien am besten aufgehoben sind. Ich merke, sehr angenehm berührt, dass es ein gleichmäßiger Magnetismus ist und nur folgerichtig, dass sich mein linker Arm um seine Taille schiebt und da bleibt, als ob er da eben hingehört. Er stimmt all dem vollkommen zu. Ganz wortlos. Unaufgeregt. Sehr angenehm. Alles geschieht sehr friedlich und mit großem, aber unpathetischem Ernst. Es ist eine gute Handlung. Und sehr schön, so nah mit dieser engen Berührung nebeneinander zu gehen. Und da ist schon die Tür des Restaurants. Auch draußen sind Tische und Gäste. Es ist voll. Wir gehen so selbstverständlich in dieser inzwischen gegenseitigen Umarmung hinein, dass es uns selbst wundert, wie das sein kann, von einer Minute zur anderen. Ohne viele Worte. Vielleicht hat sich die Freundin an der Tür noch einmal umgedreht und ebenso verwundert gesehen, dass aus den vor wenigen Stunden völlig Unbekannten so ein vertrautes Paar geworden ist. Wie durch ein Wunder. Ich erinnere noch eine Szene, wir saßen am Tisch und wollten uns eigentlich nicht wieder berühren, aber etwas zog meine Hand auf seinen Oberschenkel, er saß neben mir, und umgekehrt genauso. Sie ruhte da einfach, wie daheim. All das war ganz unkompliziert und unaufgeregt. Kein ekstatisches Gefummel, keine Sentimentalität, keine verzehrenden Blicke, keine Atemlosigkeit. Nur tiefes Vertrauen. Keine Witzeleien, kein Lachen, nichts Schwärmerisches. Sehr ungewöhnlich, wie die Entdeckung eines neuen und doch vertrauten Landes. Ich machte mir vielleicht ein paar Gedanken, was das für ein seltsames Erlebnis sei und dass es sich nicht wie sich Verlieben anfühlt. Beinah sachlich stellte ich fest, dass er doch sehr gutaussehend war, gar nicht der vermeintlich peinlich gekleidete Eigenbrötler aus der Oberstufe meiner Freundin. Ein fein geschnittenes Gesicht, gerade nicht zu hübsch, dass es zu weich wirken würde. Aber niemand, in den ich mich verlieben würde, ich fände ihn interessant und ginge unaufgeregt an ihm vorbei. Aber ich verstand sehr viel von seiner Art. Mir gefiel diese tief verwurzelte Unabhängikeit von irgendeinem Diktat, ohne darüber große Worte zu verlieren. Ich fühlte mich frei neben jemandem, der so sehr bei sich ist. Und ihm ging es ebenso. Eine unerwartete Bereicherung, die keine große Änderung des Lebens fordert, nur ab und zu vertraute Nähe mit einer warmen Hand um die eigene Mitte. Szenenwechsel, einige Tage später. Er lud mich zu sich ein, zum Essen. Ein anderer Raum, irgendwo, wie ein Séparée in einem schönen alten, sehr noblen Restaurant. Sehr warmes Licht von kleinen Lampenschirmen. Er saß an einem Tisch und ich sah, dass er sehr gut gekleidet war. Überhaupt wirkte er sehr gepflegt, die immer noch schulterlangen Haare frisch gewaschen, ich erinnere keinen Geruch, auch kein Rasierwasser. Es hatte etwas Feierliches, Aristokratisches, wie er da so saß, in einem sehr dunkelblauen, fast schwarzem Hemd, das eine sehr starke, edle Textur hatte, zwischen Chintz und Rohseide, dazu eine farblich passende Hose, nicht dunkelblau, nicht schwarz, ein geheimnisvoller Farbton dazwischen. Ich weiß nicht, was wir gegessen haben, aber es war sehr gut. Er hatte einen Koch bestellt, der nur für uns kochte und es war erlesen. Auch der Wein, von dem ich noch nie gehört hatte, aber ich vermutete, dass es eine Rebe aus Österreich sein musste. Ich freute mich, dass ich eingeladen war, was mir nicht selbstverständlich erschien, da ich es meistens war, die die Rechnung übernahm (nicht bei ihm, ihn traf ich ja erst das zweite Mal). Ich kriegte an diesem Abend gar nicht mit, wann und wie er den Koch für all das bezahlte, es geschah völlig diskret. Ich mochte das, es war so souverän. Genauso hätte ich es auch gemacht. Genauso war ich es gewohnt. Dass ich das auch einmal von der anderen Seite erleben durfte, war sehr schön. Ich hörte auf irgendeinem Wege später, dass sich die Rechnung für dieses Essen mit dem Wein und allem auf insgesamt 1.885,30 Euro belief. Nicht er hatte es irgendjemandem erzählt, der Koch oder jemand vom Service war so beeindruckt, dass ihm so ein Essen so viel wert sei. Und er es auch bezahlen konnte, ohne Schwierigkeiten. Ich fing nun doch an nachzudenken, ob Edwin, so hieß er, obwohl ich fand, dass Michael oder Stefan besser zu ihm gepasst hätte, vielleicht auch von einem ererbten Vermögen profitiert, über das er mit seiner angeboren aristokratischen Haltung keine Worte verliert. Wie auch immer, ich mochte es. Ich wachte mit dem stark erinnerten Gefühl der vertrauten ersten Berührung meiner Hand um seine Taille, als wir zur Tür gingen, auf. Noch den ganzen Weg zur S-Bahn heute morgen, forschte ich in meinem Gedächtnis, ob ich nicht irgendwen kenne, der ihm richtig ähnelt, aber ich fand nur immer Bruchstücke. Der Körperbau und die Bewegungen wie der junge Helmut Berger, die eher schmalen Augen mit der konzentri
erten Augenpartie des ernsten David Bowie, ein bißchen Verwegenheit, wie Helge (den ich ein wenig kenne, der aber haarscharf nicht Edwin ist) auf diesem Buchcover erscheint. Irgendjemand dazwischen. Und sehr unabhängig. In jeder Hinsicht. Ich suchte sogar in Suchmaschinen und auf facebook nach jemandem mit diesem Namen, der Ähnlichkeit hat. Vielleicht Bildhauer ist. In Berlin? In Berlin gibt es keinen, der so heißt. Irgendwo in Süddeutschland ist ein Holz- und Eisbildhauer, der sogar ganz sympathisch aussieht und gar nicht unattraktiv, aber sein Gesicht ist zu weich, ein viel sentimentalerer Typ. Und auch die falsche Region. Er hatte keine Dialektfärbung. Er hat noch nicht einmal berlinert. Aber wir haben ja auch sehr wenig gesprochen. Ich will diesen Traum festhalten, in Worten, dann entwischen die Bilder nicht so leicht. Vielleicht treffe ich ihn irgendwann einmal wieder. Eines schönen Tages, oder sogar in einer schönen Nacht.
26. Januar 2015




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Im beinah letzten Moment zu David Bowies Retrospektive im Martin Gropius-Bau. Zwei Tage vor dem Ende, nach der Verlängerung. Das Schöne bei Bowie ist, dass man nicht erklären muss, warum man fasziniert ist. Bowie ist Bowie ist Bowie ist (…) …


Allerdings hatte ich vergessen, welches Ausmaß von Sex Appeal seine Performances hatten. In der Ausstellung waren zahllose Schaufensterpuppen mit seinem Kopf und seinem Körper, die seine schönsten Bühnenkostüme anhatten. Dann die liegende Bowie-Puppe, wie in einem Schneewittchensarg unter Glas. Ich war sehr verliebt in die Puppe und überlegte, ob ich recherchiere, ob man eine ersteigern kann, Preis egal. Aber wohin damit. Mir ins Bett legen? Wenn es dunkel ist, spürt und riecht man doch nur den harten Kunststoff. Was mich sehr – auch – faszinierte – waren die gemalten Bilder. Ich wusste nicht, dass David Bowie Ambitionen hat, zu malen. Es gab ein großformatiges Portrait eines männlichen Gesichts, sehr expressiv, elektrisch, von dem es heißt, dass es in seiner Schöneberger Bleibe in seinem Schlafzimmer über dem Bett hing. Und die schwarzweiß-Fotos, private, von Iggy und seiner sehr schönen Freundin in Berlin. Zahllose Monitore, die ihn im Film, in Videos zeigten. Reliquien ohne Ende. Fotografieren natürlich verboten, es war ja nicht die Eröffnung. Ich hatte unverschämtes Glück, dass ich nicht in der langen Schlange warten musste, das war reiner Zufall und ein bißchen Frechheit. Ich kannte vom Gropius-Bau, dass die Schlange, in der man ansteht, an der Seite endet, woher ich kam. Da war aber keine. Ich ging an den Säulen vorbei, an einem uniformierten Herrn vorbei, der mich nicht aufhielt, direkt hinein. Vielleicht, weil ich so sicher und zielstrebig wirkte, ließ er mich gewähren. Ich sah beim Vorbeigehen noch, dass in der anderen Richtung eine Menschenmenge war, scheinbar wartete – vielleicht irgendeine andere Veranstaltung – das dachte ich wirklich. In der Vorhalle, wo es die Tickets gibt, die ganz leer war, fragte mich der Mitarbeiter nach meiner Nummer – – – ? „Welche Nummer?“ Wie ich ohne Nummer hineingekommen bin? „Ich weiß nicht – ich bin einfach durchgegangen. Wieso?“ „Ja, also – eigentlich – normalerweise muss man ja…“ usw. usf. „Ach, hm – – – das wusste ich nicht, ehrlich! Vielleicht ist das mein Glückstag! Och bitte….!“ „Hm, hm… also gut… aber pscht…!“ Hier sind Videobilder.



25. Januar 2015

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Einen ganzen Monat hatte ich die Kamera nicht in der Hand gehabt. Am achten August hatte ich eine Geburtstagseinladung und lud die Akku-Batterien, und nahm sie in die Hand, um nicht ganz zu vergessen, wie man sie bedient. Ich verwechselte tatsächlich das Bedienelement, wo man sie anschaltet, mit dem für den Zoom. Bei der Gelegenheit spielte ich noch einmal das Spiel vor dem Spiegelschrank, kurz bevor ich losging. Eher spät, ich musste nach Charlottenburg. Ich war nicht in sehr geselliger Stimmung, aber ich hatte ein Mitbringsel für das Geburtstagskind schön verpackt und wollte auch aus freundschaftlicher Verbundenheit meinen Schweinehund überwinden. Ich fühlte mich mental erschöpft und absorbiert von den Renovierungsarbeiten in der Wohnung, in denen ich steckte, nachdem eine zwangsläufige Reparatur an mehreren Fensterrahmen durch den Eigentümer eine Baustellensituation in der Wohnung zur Folge hatte. Mit Musik und Fotografieren versuchte ich mich in launigere Stimmung bringen.



Als ich in der Galerie ankam, wo die Feier stattfand, war es bereits dunkel und alle Reden waren gehalten. Ich übergab nur mein Geschenk und verspürte keinen Drang, die Kamera zu benutzen. Ich sah nichts, was ich nicht schon einmal fotografiert hätte, oder sich besonders anbot. Jan und auch Ina, mit der ich mich bis dahin noch nie richtig unterhalten hatte, waren erfreulicherweise auch da und ich kam in ein intensives Gespräch mit ihr, währenddessen mir auch nicht danach war, den Fluss der Unterhaltung durch irgendein Gefuchtel mit der Kamera zu unterbrechen. Ich erinnere mich noch, dass sie mich verwundert fragte, ob ich gar nicht fotografiere. Ich erklärte ihr, dass ich nicht mehr so intensiv wie früher hinter Momentaufnahmen her bin. So oft denke ich nun, das habe ich schon hundert mal fotografiert, wozu noch eine weitere, geringfügig andere Variante. Ich habe kein einziges Bild von diesem Abend gemacht. Nur die paar zuhause. Das Licht, wo wir standen, als wir uns unterhielten, war allerdings auch nicht sehr geeignet, um jemanden in angemessenes Licht zu setzen, sonst hätte ich vielleicht einige Bilder von Ina gemacht, die sie auch zugelassen hätte. Aber ich wusste, es würde sich demnächst eine passendere Gelegenheit, in idealerem Licht bieten. Ich blieb nicht sehr lang, verabschiedete mich damit, dass ich wieder zurück zu meiner Baustelle ginge, die ich nur ausnahmsweise kurz verlassen hatte.

24. Januar 2015

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„Neunzehnhundertzwölf eröffnet, ist das Kant Kino eines der ältesten Kinos der Stadt. Eine wechselvolle Geschichte begleitet das Haus seitdem. Viele unserer älteren Gäste haben hier ihre ersten Kinoerfahrungen gemacht. 1905 als Ladenkino gegründet, wurde das Haus 1912 zu einem Kino mit großem Saal umgebaut.“

„Die „Lichtbildbühne“ schrieb zur Eröffnung am 16. November 1912: »…Das 900 Personen fassende Theater war gut gefüllt. Unter der Direktionsleitung von Oscar Jos. Loris klappte alles vorzüglich. Kapellmeister Alfred Günther präsentierte seine wackere Musikerschar, und so war alle Anwartschaft vorhanden, daß das Publikum dem gewohnten Zauber der Kinokunst unterlag. Das Programm wies folgende Piècen auf: Ouverture / Prolog, gesprochen von Max Mack, Regisseur der Vitascope Berlin / Gaumont-Woche, kinematographische Berichterstattung / Fritzchen und der dankbare Karpfen, Humoreske / O selig, ein Kind noch zu sein, Drama / Leben und Treiben in Indien, Landschaftliche Studie / Pause / außergewöhnliche Einlage: Direktor Oscar Jos. Loris, kön. röm. Hofkünstler, im Klaviervortrag und als Konzert-Kunstpfeifer / Tristo Ritorno, Tonbild, gesungen von Enrico Caruso / Treff-Bube, Drama in drei Akten / Das Liebespaar im Hydro-Aeroplan, komische Szene, gespielt von Max Linder / Schlußmarsch. (…) Der Ernemann-Apparat arbeitet wie immer gut; die Synchron-Einrichtung – ebenfalls von Ernemann – trat noch nicht in Funktion, da das Tonbild nicht zur Vorführung gelangt war. Die Bühnenfläche müßte mehr Tiefe erhalten. Ein Vorhang fehlt ebenfalls. Beim Treppenaufgang wirkt eine kreisrunde Deckenwölbung mit indirektem Licht ungemein reizvoll und prächtig. Die Bestuhlung, 50 cm hoch, ist praktisch und durabel. Das Theater hat eine gute Akustik. Der graue Mörtelbewurf an den Wänden dürfte auf dem Rang nicht bis zum Fußboden reichen; es fehlt unten eine glatte Wandverkleidung. Alles in allem ist viel Schönes, aber auch viel Falsches geschaffen worden. Da aber nach Schluß der Spezial-Eröffnungs-Vorstellung das zahlende Publikum in dichten Scharen gedrängt kam, ist alle Aussicht vorhanden, daß die „Kant-Lichtspiele“ ein gutes Geschäft werden, und das ist und bleibt das Angenehmste, was ein Theaterpraktiker konstatieren kann.« (…)“

Kinokompendium: »Das Kant-Kino ist eines der wenigen noch verbliebenen alten Kinos im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf. Saal eins erhält 1956 seine noch heute bestehende Struktur. Damals werden durch den Architekten Hans Bielenberg die seitlichen Rangbalkone abgerissen um eine Cinemascope Leinwand einbauen zu können. Der restliche Rang bleibt dabei erhalten. Anfang der 80er wurde in das Off-Kino dann der Minisaal ‚Kid im Kant‘ mit damals fünfzehn Plätzen eingebaut (…) Der kleine Saal ‚Kid im Kant‘ hat etwas Besonderes zu bieten: Der Mittelgang führt links und rechts an elf mit Kinostuhl-Polsterung ausgestatteten Doppelsitzsofas vorbei, die eine ideale Sitzgelegenheit für Paare darstellen. Das Kant Kino ist mit seinen fünf Sälen ein etabliertes Haus für europäische Filmkunst, internationales Independent-Kino und den anspruchsvollen deutschen Film.« „Das Kant-Kino bleibt der Westcity erhalten.“


„Neben dem Kinoprogramm auf der Leinwand gab es in den 1970er- und 1980er-Jahren unter Betreiber Conny Konzack Live-Konzerte auf der Bühne davor. Alles was damals Rang und Namen in der Szene hatte, besonders der in jenen Jahren aufgekommenen Punk- und New-Wave-Bands, spielte dort im stets ausverkauften Saal. Gruppen wie Police oder Blondie waren hier auf Ihrer ersten Tournee zu Gast. Der Kinosaal in der Charlottenburger Kantstraße war so zu einem der angesagtesten Orte von ganz Berlin geworden.“ (…) Roxikon: »Conny Konzack hatte das etwas heruntergekommene Bezirkskino gepachtet und wollte es als Programmkino betreiben. Zum Programm gehörten auch – meist spät abends angesetzte – Musikfilme. Es lag für Konzack nahe, bald auch Konzerte in dem relativ kleinen Saal zu veranstalten, zumal die seinerzeit neue Musik aus England und den USA – Punk und New Wave – in Berlin keinen Ort hatte. Zunächst aber traten ab Dezember 1976 Bands wie Long Tall Ernie & The Shakers, Hölderlin, Can, Lok Kreuzberg und selbst der Pianist Friedrich Gulda auf. Kaum ein Jahr später aber waren auch Bands wie Doctors of Madness, The Vibrators, Mink De Ville, The Damned, später The Jam, Ultravox, The Dictators, Alberto Y Lost Trios Paranoyas, Blondie, The B 52’s, Dr. Feelgood und nahezu alle anderen Größen der älteren und neueren britischen und amerikanischen Rockmusik auf der Bühne des Kant-Kinos zu sehen. Die britische Rockband Simple Minds widmete dem Veranstaltungsort mit »Kant-Kino« ein knapp zwei Minuten dauerndes Instrumental. Joy Division setzten mit ihrem Song „Komakino“ dem Haus ein musikalisches Denkmal. „Bernard (Sumner) noted in May 1981 „…the atmosphere …strange… it was quite a lot like Manchester … Berlin … it had a cold atmosphere … Anonymous … an evil atmosphere. You could feel the evil – you could feel it from the war.“ Ein geplantes Konzert der Sex Pistols im Jahre 1978 wurde mehrmals in jeweils größere Säle verlegt, bis vier Tage vor dem Termin bekannt wurde, dass sich die Band aufgelöst hatte; die Karten waren bereits gedruckt. Der Einfluss der Konzerte im Kant-Kino auf die Berliner Musiker war enorm; Konzack, grundsätzlich an jeder Art von Musik interessiert, bot auch den Berliner Bands, darunter PVC, die Neubauten, die Ärzte, Nina Hagen und Spliff, ein Podium.« (…)„No Sleep ‚til Kant-Kino“

Als ich 1986 nach (West-)Berlin kam, war die Ära der Konzerte im Kant-Kino schon länger beendet – das letzte Konzert scheint 1982 stattgefunden zu haben. Aber der Kult lag noch in der Luft. Nach einer weiteren Durststrecke nahmen sich ein paar Investoren und Wim Wenders des Kinos an und hauchten ihm wieder Leben ein.

Ich war an jenem Sonntag im sehr schwülen, heißen Juli auf dem Weg zu einer Vormittags-Vorstellung des Films Yves Saint Laurent, der kaum noch wo lief. Ich erinnerte mich an das Plakat vor dem Actors Studio-Kino in Wien und wurde dadurch überhaupt erst auf den Film aufmerksam. Dann habe ich ihn wieder vergessen, da ich selten darüber nachdenke, ins Kino zu gehen – bis mir eine Freundin, die sehr frankophil ist, mich dadurch daran erinnerte, dass sie mir davon erzählte. Sie hatte den Streifen im Cinema Paris im Original angeschaut, da sie irgendwann einmal Französisch studiert hatte, und ein halbes oder ein Jahr lang in Paris kleine Franzosen in Deutsch unterrichtet hat. Ich sah mir den Trailer an und war hin- und hergerissen, ob sich dieser Film lohnt.

Zumindest schien der Hauptdarsteller gut gewählt zu sein. Ich dachte an diesem Sonntag auch daran, dass im Kino sicher eine Klima-Anlage für weniger schwüle Temperaturen sorgen würde. Ich litt unter der Luftfeuchtigkeit des letzten Sommers, ich konnte mich nicht erinnern, je soviele schwüle Tage am Stück erlebt zu haben, in denen man kaum weiß, wie man die Wohnung abkühlen könnte, nachdem schon alles abgedunkelt ist und die Fenster und Balkontüren nur nachts geöffnet. Im Schlafzimmer hatte ich Servierplatten mit reinem Meersalz aufgestellt, um der Luft Feuchtigkeit zu entziehen. Es war mitunter eine Qual. Dazu kam noch dieses Gefühl der (sehr real) zunehmenden Bedrohung von Wohnungsbesichtigungen durch Kaufinteressenten, ich hatte Lust auf einen inneren und äußeren Tapetenwechsel durch einen Kino-Besuch. Ich zog mich nicht sehr luftig an, weil ich im vielleicht angenehm gekühlten Kino auch nicht frieren wollte. Die Verbindung von mir in diese Ecke von Charlottenburg ist eigentlich ganz gut – ich kann mit der S-Bahn vom Hackeschen Markt bis zum S-Bahnhof Charlottenburg fahren, das dauert etwa fünfzehn Minuten, ohne umsteigen zu müssen. Dann noch ein paar Schritte durch die Wilmersdorfer Straße bis zur Kantstraße. Wenn man das Kino von außen sieht, die Fassade, denkt man eher, es wäre ein Nachkriegsbau. Ich nehme an, dass ehemaliger Fassadenstuck der vorübergehenden, unseligen Mode – in den Fünfziger Jahren glaube ich war das – zum Opfer gefallen ist, im Zuge der Modernisierung alles abzuklopfen. Ich war sehr pünktlich zur Vorstellung da, immerhin hatte ich mir an diesem Sonntag eigens den Wecker stellen müssen, da Ausschlafen sicher nicht dazu geführt hätte, dass ich es schaffe, in aller Herrgottsfrüh um 11:30 Uhr einer Kino-Vorstellung beizuwohnen. Es war recht leer, draußen war gleißende Hitze, innen angenehme Schummrigkeit.





Wikpedia: »Drehbeginn des Filmes war im Juni 2013, die Dreharbeiten dauerten etwa acht Wochen. Es wurde hauptsächlich in Paris und in Marrakesch (in den Räumlichkeiten der Stiftung „Fondation Pierre Bergé – Yves Saint Laurent“) gedreht.« Die Zeit schrieb „Mit diesen Schauspielern hätte man Besseres erzählen können.“ Ja. Vor allem der hypersensible Pierre Niney in der Rolle von Yves Saint Laurent hat sein ganzes Herzblut gegeben. Ich hatte keine so sehr übersteigerten Erwartungen, dachte nur so bei mir, dass es ein sehr sportliches Unterfangen ist, so ein opulentes Leben in einen kleinen Spielfilm zu packen. Die Ausstattung aber ist grandios. Leider handelt der Film nur von ein paar ausgewählten Lebensabschnitten und beschäftigt sich arg mit dem Privatleben, weniger mit seinem zum Teil revolutionären modischen Vermächtnis an die Frauen. Ich erinnere mich genau genommen nur an eine einzige Szene exakt, ich glaube, sie spielte während eines Urlaubes an einem großen Swimming Pool. Die Kamera zoomt von oben auf den türkisblauen Pool, wo auf einem Sprungbrett der junge Yves mit Sonnenbrille liegt. Das war so ein starkes, klares Bild, dass sich für mich alleine deshalb der Kinobesuch gelohnt hat. Aber kein Grund, jemandem den Film ans Herz zu legen. Es ist eine nette Abwechslung, ein, zwei Stunden Erholung in schönen Bildern zu finden, aber man kann sich auch anders ablenken. Ich hatte einen netten Vormittag und der Kaffee war auch passabel. Als der Abspann kam, war ich leicht irritiert, weil es wirkte, als hätte jemand versehentlich die letzte Stunde weggeschnitten, da hätte noch eine ganze Menge Geschichte und Leben kommen müssen. Aber nun gut, dann hätte das Ganze auch mindestens drei Stunden dauern müssen, es hat halt nicht sollen sein. Es gibt ja stattdessen einige Film-Dokumentationen über Yves Saint Laurent, als Nachhilfestunden. Sehr sehenswert finde ich diese, Yves Saint Laurent, die letzte Show. Ganz anrührend.










22. Januar 2015
Edwin. Nach sehr, sehr langer Zeit etwas geträumt, das mich nach dem Aufwachen unablässig beschäftigt, angenehm. Ich habe selten ganz schlimme Träume und ebenso selten ganz schöne. Es plätschert so dahin, das Erinnerbare, das Wenige ist gewohnt absurd oder alltäglich, manchmal mehr oder weniger amüsant, wenn der Bezug zur Wirklichkeit sehr deutlich ist und dann eine irreale Wendung nimmt. Aber letzte Nacht träumte ich etwas völlig Ungewohntes und Unerwartetes. So angenehm, dass ich bis zum Abend immer wieder davon gefangen war, und meine Konzentration darauf gerichtet habe, damit es mir nicht völlig entwischt. Ich überlegte sogar, ob ich es in einer privaten Datei einfach aufschreibe, ganz gegen meine Gewohnheiten der letzten zehn Jahre, in denen ich alles, wirklich alles, was ich schriftlich formulierte, auch veröffentlicht habe. Aber ich mag keine doppelte Buchführung. Lange schon habe ich nicht einmal mehr Freude daran, Freunden aufwändige Mitteilungen zu schreiben, von denen ich weiß, dass sie unter Verschluss bleiben werden. Als wären mir meine Gedanken, die ich mir die Mühe mache, in Worte zu fassen, zu kostbar, um sie exclusiv nur einem Menschen zugänglich zu machen. Also schreibe ich den schönen Traum in keine private Datei, in kein Notizbuch, wenn überhaupt, dann hier. Auch ärgere ich mich, wenn Blogger am Rande erwähnen, dass sie privat für sich irgendwelche Tagebücher nebenher schreiben, in die dann die wirklich existentiellen Vorgänge kommen. Mich ärgert das als Leserin. Ich will nicht mit einer entschärften Schmalspurversion der Lebensbewegungen abgespeist werden. Das ist Etikettenschwindel! Dann schon bitte gar keine schriftlichen Vermächtnisse, auch keine geheimen in der Schublade auf Papier. Man muss auch etwas wagen, sonst fühlt sich der Leser nicht ernst genommen und respektiert. Ja, man darf weglassen, wenn man allgemein die Erkenntnis hat, dass eine schriftliche Fixierung nichts weiter bringt. Aber nicht im stillen Kämmerchen, die interessanten Sachen schreiben und im Blog die leicht verdauliche Hausmannskost. Das ist literarisch irrelevant! Also Edwin. Wer ist Edwin? Zum Teufel, ich weiß es nicht. Aber die Traum-Freundin, die es auch in Wirklichkeit gibt, die aber in dieser keine so richtig enge Freundin-Freundin ist, hat mir also im Traum der letzten Nacht eine Verabredung zu einem gemeinsamen Treffen und Essen mit einem alten Schulfreund von ihr vermittelt. Sie haben (im Traum) wohl zusammen mehrere Schuljahre verbracht, bis zum Abitur. Das geschah in Berlin, in Ostberlin. So im Radius vom Prenzlauer Berg. Sie hat ihn lange nicht gesehen, es war auch keine Liebschaft, aber man war irgendwie befreundet und er war der kurioseste Typ in der Oberstufe. Und sie wollten sich zum Essen treffen, in einem beliebten, szenigen Restaurant, irgendwo zwischen ihrer und meiner Wohnung in Berlin, also der Radius zwischen Marienburger und Auguststraße. Ich könnte gerne mit. Warum sie auf die Idee kommt, keine Ahnung. Sie betont vor dem Treffen immer wieder, dass er wirklich sehr kurios sei. Auch was seine Kleidung anginge, die wäre zumindest damals sehr gewöhnungsbedürftig gewesen, denn er habe immer Knickerbocker getragen. Also diese Hosen, die über dem Knie aufhören. Keine Mode hätte ihn tangiert, stur hat er tagein, tagaus seine Knickerbocker angehabt. Was eben schon sehr gewöhnungsbedürftig gewesen sei. Aber sonst ein sehr interessanter und eigenwilliger Mensch, sehr belesen und intelligent. Ich stellte mir also vor dem geistigen Auge einen jüngeren Mann vor – denn sie hatte ihn ja auch zuletzt in ihren Zwanzigern gesehen, der schon recht nett, aber nicht gerade attraktiv ist, und im schlimmsten Fall immer noch die Knickerbocker-Hosen von damals anhaben könnte. Oder noch seltamere Kleidung. Schnitt. (Szenenwechsel.) Wir, die Freundin und ich, betreten weitläufige Räume unter dem Dach. Ich erkenne den roten Teppich, der in meinem Jugendzimmer unter dem Dach lag, hoher Flor, Wolle, mit Quadraten in verschiedenen Orange- und Rottönen. Es war in den Sechziger Jahren der Teppich im Wohnzimmer und ich bekam ihn dann später für mein Zimmer unter dem Dach. Ich weiß im Traum, es ist nicht mein Zimmer, aber es sieht meinem verblüffend ähnlich. Auf dem Teppich liegt ein schmal gebauter, junger erwachsener Mann. Ich kann das Alter schlecht schätzen, vielleicht zweiunddreissig, vierundreissig. Er liegt auf dem Rücken und trägt irgendeine unauffällige Kleidung, die aber auch gut passt, jedenfalls keine Knickerbocker-Hosen, so viel ist sicher. Er liegt mit geschlossenen Augen auf dem Rücken, wie im Halbschlaf. Vielleicht trägt er Leinenkleidung, wie man sie zum Meditieren anziehen könnte. Er hat längere Haare, sehr feines Haar, ganz leicht gewellt, die Haarfarbe so ein dunkleres Blond oder Hellbraun. Kinder haben so ähnliche Haare, ganz fein und seidig und gewellt. Ich erkenne, dass wir bei ihm zuhause sind, dem Schulfreund von damals, da wohnt er. Ich denke, ah ja, viel filigraner, als ich ihn mir vorgestellt habe. Die Freundin beginnt zur Begrüßung und um ihn zu wecken, langsam über ihn zu robben. Er wacht langsam aus einer Halbtrance auf und die Freundin rückt ganz in den Hintergrund. Er richtet sich auf und spricht zu mir, ganz bei sich und wie jemand, der in seiner eigenen Welt bleibt. Dabei ganz ernst. Er deutet mit der Hand in die andere Richtung der unendlichen Flucht der zeltartigen Dachgeschossräume, die am Ende eines dreieckigen Tunnels aus Holz, in einer Dachterrasse münden, wo die Sonne scheint, und auf einer Wäscheleine in strahlendem Licht zwei farbenfrohe Hippiehemden zum Trocknen schaukeln. Er sagt, er hat sie gerade gefärbt und ich entdecke bei genauerer Fokussierung, dass eine Art Ornament am Halsausschnitt gebatikt ist. Ich glaube, das eine Hemd ist aus lavendelblauem Leinen und das andere in einem Pfirsich-Ton, irgendein helles Orange. Ich denke im Traum, das ist ja alles fürchterlich hippiemäßig und auch ganz nett, aber doch irgendwie auch sehr vorbei. Hoffentlich kommen jetzt nicht auch noch buddhistische Kalendersprüche aus seinem Mund. Erst diese meditationsartige Teppichperformance und dann auch noch gebatikte Indienhemden. Ich drehe mich wieder zu ihm um, und sehe, dass er genauso ein Hemd wie die beiden auf der Leine, eines in Apricot anhat. Ich muss leider zugeben, dass es ziemlich cool an ihm aussieht, wie ich überhaupt feststelle, dass dieses ganze harmlose Hippieambiente in einem irriterenden Kontrast zu seiner Ausstrahlung steht. Seine Physiognomie geht so ein bißchen in Richtung David Bowie und er hat gar nicht Verbindliches oder Harmoniesuchendes in seinem Ausdruck. Er kommt mir sehr energisch und entschlossen, und auch ein bißchen arrogant vor, aber in einem Maß, das einen interessanten Ausgleich zu dem peace & love-Ambiente herstellt. Ich weiß nicht, was er sagt, außer dieser Anmerkung zu den gefärbten Hemden vielleicht auch nicht viel. Er spricht kaum und ich sehe auch keine Notwendigkeit. Er scheint sich daran gewöhnt zu haben, dass er in einem für andere unerreichbaren Universum existiert, in dem ohnehin kein adäquater Austausch möglich ist, weil es unwahrscheinlich ist, jemanden zu treffen, mit dem man auf einem visionären Level kommunizieren kann. Er wirkt weder unglücklich noch sehnsuchtsvoll, sondern wie jemand, der sich pragmatisch mit der Situation abgefunden hat und einen guten Umgang damit verwirklichen konnte. Ich bin fasziniert von dieser offensichtlichen Unabhängigkeit von irgendwelchen Parametern der Umgebung. Er macht was er will, lebt sein eigenes Ding und erwartet kein großartiges Verständnis. Jammert auch kein bißchen. Sicher selbstverliebt. Und darin selbstgenügsam. Fordert nur, in Ruhe gelassen zu werden. Und Einhaltung der Distanz. Die man aber ohnehin niemals wagen würde, zu durchbrechen. Wie ein wilder Krieger in den besten jungen Mannesjahren steht er da, ganz unaufgeregt und souverän. Unanfechtbar. Ich weiß im Traum, dass ich an einem ähnlichen Punkt bin. Sehr ähnlich sogar. Und dass ich, wie er, nicht auf der Suche bin. Ohne die geringste Erwartung. In erstaunlichem Fr
ieden mit den Dingen, wie sie nun einmal sind. Er schlägt mir vor, dass er mir den anderen großen Raum zeigt, in dem seine Objekte und Skulpturen sind. Richtung der Terrasse. In einem großen, schattigen Bereich des Dachgeschosses, bevor es auf die Terrasse geht, sind rundherum große, dunkle kubistische Objekte zu sehen. Große Steinquader, braun und aus Vulkangestein, in die er Zeichen geschlagen hat, bizarre Formen, Vertiefungen innerhalb der Quader. Es gibt auch Objekte, die ich gar nicht verstehe, die mir rätselhaft bleiben, auf eine mir gleichgültige Art. Es ist mir egal, dass ich es nicht verstehe, ich mache mir darüber keine Gedanken, nur den, dass ich es gut finde, dass er für etwas brennt, er eine so fulminante Berufung hat. Er macht sein Ding, wie ich meines mache, ich muss das nicht im Detail verstehen. Nur der, der es erschafft, weiß wofür und warum, das reicht. Die großen Objekte, manche bis zu vier bis sechs Kubikmeter, wirken aufwändig und kostspielig. Ich denke, dass man so nur arbeiten kann, wenn man die Logistik finanzieren kann, das Material, das schwere Gestein zu bekommen und zu transportieren. Vielleicht verkauft er die Objekte, wenn, dann müssen sie sehr teuer sein. Ich frage ihn nicht. Bei ungefähr diesem Gedanken ist die Freundin wieder im Raum, er ist weg in diesem Moment und sie flüstert mir mit gesenkter Stimme zu, dass er außerdem als Arzt arbeitet, eine Praxis hat, mit der er gutes Geld verdient. Ich bin abermals irritiert und beeindruckt, dass ein weiterer unerwarteter Aspekt an diesem ungewöhnlichen Schulfreund von ihr ist. Wir sind kurz vor dem Aufbruch in das Restaurant und ich will mich noch umziehen, ich habe wohl eine kleine Tasche mit Abendgarderobe dabei und bin plötzlich in einem Labyrinth von gekachelten Waschräumen und Toiletten und sehe als erstbestes eine Behindertentoilette, die ja bekanntlich sehr geräumig sind. Da kommt eine Reinigungsfrau und schaut mich prüfend an und ich gehe doch nicht hinein und laufe ein bißchen hektisch durch die gekachelten Gänge, ich will endlich fertig werden. Szenenwechsel (ich weiß nicht, ob ich schon umgezogen bin, ist auch nicht so wichtig). Wir sind zu dritt auf dem Fußweg zum Restaurant, es ist nicht mehr weit. Edwin läuft neben mir und unsere Freundin ein paar Schritte vor uns. Zuerst ist der Abstand zwischen ihm und mir, wie gewöhnlich zwischen guten Bekannten, wir sprechen kaum und laufen wortlos nebeneinander, aber es ist kein peinliches Schweigen, eher ein selbstverständliches. Im Gleichschritt geraten wir immer dichter nebeneinander und finden es ganz normal. Ich spüre fast schon die Körperwärme. Etwas neugierig aber nicht hysterisch aufgeregt. Ein bißchen verwundert, dass es ein gleichmäßiger Magnetismus zu sein scheint, der aber nicht auf kopfloser erotischer Anziehung beruht, sondern auf selbstverständlicher Vertrautheit, als ob die Distanz von höherer Macht zur richtigen Position korrigiert wird, wo die Energien am besten aufgehoben sind. Ich merke, sehr angenehm berührt, dass es ein gleichmäßiger Magnetismus ist und nur folgerichtig, dass sich mein linker Arm um seine Taille schiebt und da bleibt, als ob er da eben hingehört. Er stimmt all dem vollkommen zu. Ganz wortlos. Unaufgeregt. Sehr angenehm. Alles geschieht sehr friedlich und mit großem, aber unpathetischem Ernst. Es ist eine gute Handlung. Und sehr schön, so nah mit dieser engen Berührung nebeneinander zu gehen. Und da ist schon die Tür des Restaurants. Auch draußen sind Tische und Gäste. Es ist voll. Wir gehen so selbstverständlich in dieser inzwischen gegenseitigen Umarmung hinein, dass es uns selbst wundert, wie das sein kann, von einer Minute zur anderen. Ohne viele Worte. Vielleicht hat sich die Freundin an der Tür noch einmal umgedreht und ebenso verwundert gesehen, dass aus den vor wenigen Stunden völlig Unbekannten so ein vertrautes Paar geworden ist. Wie durch ein Wunder. Ich erinnere noch eine Szene, wir saßen am Tisch und wollten uns eigentlich nicht wieder berühren, aber etwas zog meine Hand auf seinen Oberschenkel, er saß neben mir, und umgekehrt genauso. Sie ruhte da einfach, wie daheim. All das war ganz unkompliziert und unaufgeregt. Kein ekstatisches Gefummel, keine Sentimentalität, keine verzehrenden Blicke, keine Atemlosigkeit. Nur tiefes Vertrauen. Keine Witzeleien, kein Lachen, nichts Schwärmerisches. Sehr ungewöhnlich, wie die Entdeckung eines neuen und doch vertrauten Landes. Ich machte mir vielleicht ein paar Gedanken, was das für ein seltsames Erlebnis sei und dass es sich nicht wie sich Verlieben anfühlt. Beinah sachlich stellte ich fest, dass er doch sehr gutaussehend war, gar nicht der vermeintlich peinlich gekleidete Eigenbrötler aus der Oberstufe meiner Freundin. Ein fein geschnittenes Gesicht, gerade nicht zu hübsch, dass es zu weich wirken würde. Aber niemand, in den ich mich verlieben würde, ich fände ihn interessant und ginge unaufgeregt an ihm vorbei. Aber ich verstand sehr viel von seiner Art. Mir gefiel diese tief verwurzelte Unabhängikeit von irgendeinem Diktat, ohne darüber große Worte zu verlieren. Ich fühlte mich frei neben jemandem, der so sehr bei sich ist. Und ihm ging es ebenso. Eine unerwartete Bereicherung, die keine große Änderung des Lebens fordert, nur ab und zu vertraute Nähe mit einer warmen Hand um die eigene Mitte. Szenenwechsel, einige Tage später. Er lud mich zu sich ein, zum Essen. Ein anderer Raum, irgendwo, wie ein Séparée in einem schönen alten, sehr noblen Restaurant. Sehr warmes Licht von kleinen Lampenschirmen. Er saß an einem Tisch und ich sah, dass er sehr gut gekleidet war. Überhaupt wirkte er sehr gepflegt, die immer noch schulterlangen Haare frisch gewaschen, ich erinnere keinen Geruch, auch kein Rasierwasser. Es hatte etwas Feierliches, Aristokratisches, wie er da so saß, in einem sehr dunkelblauen, fast schwarzem Hemd, das eine sehr starke, edle Textur hatte, zwischen Chintz und Rohseide, dazu eine farblich passende Hose, nicht dunkelblau, nicht schwarz, ein geheimnisvoller Farbton dazwischen. Ich weiß nicht, was wir gegessen haben, aber es war sehr gut. Er hatte einen Koch bestellt, der nur für uns kochte und es war erlesen. Auch der Wein, von dem ich noch nie gehört hatte, aber ich vermutete, dass es eine Rebe aus Österreich sein musste. Ich freute mich, dass ich eingeladen war, was mir nicht selbstverständlich erschien, da ich es meistens war, die die Rechnung übernahm (nicht bei ihm, ihn traf ich ja erst das zweite Mal). Ich kriegte an diesem Abend gar nicht mit, wann und wie er den Koch für all das bezahlte, es geschah völlig diskret. Ich mochte das, es war so souverän. Genauso hätte ich es auch gemacht. Genauso war ich es gewohnt. Dass ich das auch einmal von der anderen Seite erleben durfte, war sehr schön. Ich hörte auf irgendeinem Wege später, dass sich die Rechnung für dieses Essen mit dem Wein und allem auf insgesamt 1.885,30 Euro belief. Nicht er hatte es irgendjemandem erzählt, der Koch oder jemand vom Service war so beeindruckt, dass ihm so ein Essen so viel wert sei. Und er es auch bezahlen konnte, ohne Schwierigkeiten. Ich fing nun doch an nachzudenken, ob Edwin, so hieß er, obwohl ich fand, dass Michael oder Stefan besser zu ihm gepasst hätte, vielleicht auch von einem ererbten Vermögen profitiert, über das er mit seiner angeboren aristokratischen Haltung keine Worte verliert. Wie auch immer, ich mochte es. Ich wachte mit dem stark erinnerten Gefühl der vertrauten ersten Berührung meiner Hand um seine Taille, als wir zur Tür gingen, auf. Noch den ganzen Weg zur S-Bahn heute morgen, forschte ich in meinem Gedächtnis, ob ich nicht irgendwen kenne, der ihm richtig ähnelt, aber ich fand nur immer Bruchstücke. Der Körperbau und die Bewegungen wie der junge Helmut Berger, die eher schmalen Augen mit der konzentri
erten Augenpartie des ernsten David Bowie, ein bißchen Verwegenheit, wie Helge (den ich ein wenig kenne, der aber haarscharf nicht Edwin ist) auf diesem Buchcover erscheint. Irgendjemand dazwischen. Und sehr unabhängig. In jeder Hinsicht. Ich suchte sogar in Suchmaschinen und auf facebook nach jemandem mit diesem Namen, der Ähnlichkeit hat. Vielleicht Bildhauer ist. In Berlin? In Berlin gibt es keinen, der so heißt. Irgendwo in Süddeutschland ist ein Holz- und Eisbildhauer, der sogar ganz sympathisch aussieht und gar nicht unattraktiv, aber sein Gesicht ist zu weich, ein viel sentimentalerer Typ. Und auch die falsche Region. Er hatte keine Dialektfärbung. Er hat noch nicht einmal berlinert. Aber wir haben ja auch sehr wenig gesprochen. Ich will diesen Traum festhalten, in Worten, dann entwischen die Bilder nicht so leicht. Vielleicht treffe ich ihn irgendwann einmal wieder. Eines schönen Tages, oder sogar in einer schönen Nacht.
15. Januar 2015
10. Januar 2015
08. Januar 2015
(Im weiteren Sinne)
Unter all den furchtbaren Nachrichten, die wir täglich bekommen, gibt es ab und zu auch eine schöne: wie zum Beispiel die, daß Goethes West-Östlicher Divan jetzt erstmals ins Persische übersetzt worden ist. Oder daß das Werk von Mawiana Dschalaladin Rumi, Mathnawi, in die chinesische Sprache übertragen worden ist. Warum sind solche Nachrichten so wichtig?

Şehitlik Moschee Berlin
Der große englische Dichter Percy Bysshe Shelley schrieb in seinem Aufsatz Verteidigung der Poesie, ohne die klassische Dichtung sei eine moralische Gesellschaft gar nicht denkbar. Man könne vielleicht ohne die Werke bestimmter Philosophen auskommen, sagt er, aber es sei absolut unvorstellbar, wie der moralische Zustand der Weit wäre, wenn Homer, Dante, Petrarca oder Shakespeare nicht existiert hätten. Denn nur die Poesie besitzt die Macht, die schöpferischen Fähigkeiten des Menschen zur Entfaltung zu bringen. Nur die Poesie kann den Menschen moralisch „besser machen“, indem sie den Geist weckt und das Herz öffnet für neue, edle Ideen. […] Wenn wir nach der poetischen Tradition des Orients forschen, stellen wir auch hier fest: Es waren vor allem eine Reihe deutscher Philologen und Dichter, die den Wert der orientalischen Dichtung, vor allem der aus Persien, richtig einzuschätzen wußten. […] Wenn die persische Poesie hier in Deutschland geliebt und geschätzt wird, dann haben wir das Rückert zu verdanken. Und dies gilt nicht nur für die Poesie Persiens. […] So schreibt Rückert in dem Vorspiel zum Schi-King (Chinesisches Liederbuch) über Die Geister der Dichter
Ich fühle, daß der Geist des Herrn,
Der redet in verschiedene Zungen,
Hat Völker, Zeiten, nah und fern,
Durchhaucht, durchleuchtet und durchsungen,
Ob etwas herber oder reifer,
Ob etwas reicher oder steifer
Ihr seid Gewächs aus einen Kern
Für meinen Liebeseifer
Doch was manch Lied entwickelt, wie
Sollt‘ ich’s auf einmal vor euch offen hie,
Und wer hineinschaut, mag sich spiegeln.
Mög‘ euch die schmeichelnde Gewöhnung
Befreunden auch mit fremder Tönung,
Daß Ihr erkennt: Weltpoesie
Allein ist Weltversöhnung.
[ Auszüge aus dem Vortrag „Weltpoesie: Übersetzung als Völkerverständigung“ von Muriel Mirak-Weißbach auf dem „Festival persischer und deutscher Dichtung“ im April 2002 ]
08. Januar 2015
„(…) weswegen Fanatiker, speziell religiöse, Komik verachten. Sie vertreten eine todernste, einzige ewige Wahrheit, und der Witz – egal wie klug oder lustig er im Einzelfalle sein mag – bedroht diese Wahrheit. Religion (und so manch andere Weltanschauung) ist Wahnsinn im Kleide der Rationalität, Satire und Komik Rationalität im Kleide des Wahnsinns. Das eine muß das andere mißverstehen. Deshalb werden Vertreter des heiligen Ernstes der Komik stets mit Zorn begegnen. Und es ist ihr gutes Recht. Solange sie dies mit denselben Waffen wie Satiriker tun: mit Wort und Bild. Und nicht mit Maschinenpistolen.“
Tim Wolff, Chefredakteur Titanic
08. Januar 2015
(Im weiteren Sinne)
Unter all den furchtbaren Nachrichten, die wir täglich bekommen, gibt es ab und zu auch eine schöne: wie zum Beispiel die, daß Goethes West-Östlicher Divan jetzt erstmals ins Persische übersetzt worden ist. Oder daß das Werk von Mawiana Dschalaladin Rumi, Mathnawi, in die chinesische Sprache übertragen worden ist. Warum sind solche Nachrichten so wichtig?

Şehitlik Moschee Berlin
Der große englische Dichter Percy Bysshe Shelley schrieb in seinem Aufsatz Verteidigung der Poesie, ohne die klassische Dichtung sei eine moralische Gesellschaft gar nicht denkbar. Man könne vielleicht ohne die Werke bestimmter Philosophen auskommen, sagt er, aber es sei absolut unvorstellbar, wie der moralische Zustand der Weit wäre, wenn Homer, Dante, Petrarca oder Shakespeare nicht existiert hätten. Denn nur die Poesie besitzt die Macht, die schöpferischen Fähigkeiten des Menschen zur Entfaltung zu bringen. Nur die Poesie kann den Menschen moralisch „besser machen“, indem sie den Geist weckt und das Herz öffnet für neue, edle Ideen. […] Wenn wir nach der poetischen Tradition des Orients forschen, stellen wir auch hier fest: Es waren vor allem eine Reihe deutscher Philologen und Dichter, die den Wert der orientalischen Dichtung, vor allem der aus Persien, richtig einzuschätzen wußten. […] Wenn die persische Poesie hier in Deutschland geliebt und geschätzt wird, dann haben wir das Rückert zu verdanken. Und dies gilt nicht nur für die Poesie Persiens. […] So schreibt Rückert in dem Vorspiel zum Schi-King (Chinesisches Liederbuch) über Die Geister der Dichter
Ich fühle, daß der Geist des Herrn,
Der redet in verschiedene Zungen,
Hat Völker, Zeiten, nah und fern,
Durchhaucht, durchleuchtet und durchsungen,
Ob etwas herber oder reifer,
Ob etwas reicher oder steifer
Ihr seid Gewächs aus einen Kern
Für meinen Liebeseifer
Doch was manch Lied entwickelt, wie
Sollt‘ ich’s auf einmal vor euch offen hie,
Und wer hineinschaut, mag sich spiegeln.
Mög‘ euch die schmeichelnde Gewöhnung
Befreunden auch mit fremder Tönung,
Daß Ihr erkennt: Weltpoesie
Allein ist Weltversöhnung.
[ Auszüge aus dem Vortrag „Weltpoesie: Übersetzung als Völkerverständigung“ von Muriel Mirak-Weißbach auf dem „Festival persischer und deutscher Dichtung“ im April 2002 ]
08. Januar 2015
„(…) weswegen Fanatiker, speziell religiöse, Komik verachten. Sie vertreten eine todernste, einzige ewige Wahrheit, und der Witz – egal wie klug oder lustig er im Einzelfalle sein mag – bedroht diese Wahrheit. Religion (und so manch andere Weltanschauung) ist Wahnsinn im Kleide der Rationalität, Satire und Komik Rationalität im Kleide des Wahnsinns. Das eine muß das andere mißverstehen. Deshalb werden Vertreter des heiligen Ernstes der Komik stets mit Zorn begegnen. Und es ist ihr gutes Recht. Solange sie dies mit denselben Waffen wie Satiriker tun: mit Wort und Bild. Und nicht mit Maschinenpistolen.“
Tim Wolff, Chefredakteur Titanic
07. Januar 2015

https://www.flickr.com/apps/slideshow/show.swf?v=1811922554






Peter Brüchmann, Galerie Hiltawsky, 19. Juni 2014. „(…) ist ein deutscher Fotograf. Er porträtierte die Bühnen- Film- und Musikstars der 1950er bis 1980er Jahre. Brüchmann wuchs in Berlin auf. Von 1949 bis 1952 machte er eine Lehre bei der Mode- und Porträtfotografin Lotte Söhring. (…) 1958 wurde er kurzzeitig Bildreporter im Berliner Büro der Frauenzeitschrift Constanze, Ende 1958 zog Brüchmann nach Hamburg, wo er weiterhin für Constanze, sowie für Schöner Wohnen und Stern tätig war. 1963 wurde er Redaktionsfotograf bei der Bild am Sonntag. 1964 wechselte er nach München, wo er anfangs für die Zeitschrift Revue arbeitete. Von 1966 bis 1967 war Brüchmann Fotograf bei der Zeitschrift Quick. 1961 dokumentierte er den Besuch der Beatles (…) in Hamburg, eine Reportage, die 1966 in der Quick erschien. Seit 1968 war er freiberuflich als Fotograf unter anderen für Quick, Freundin, Playboy, Lui und vor allem für twen tätig. Brüchmann porträtierte die Bühnen- Film- Literatur- und Musikstars der 1950er bis 1980er Jahre, anfangs in Schwarz/Weiß, später in Farbe. 1967 und 1968 entstanden auf dem Münchner Filmball des Burda-Verlags zahlreiche Aufnahme, bekannt sind die dort entstandenen Fotografien von Romy Schneider. (…) Die Fotosammlung des Deutschen Historischen Museums (DHM) in Berlin besitzt 49 Schwarzweiß- und 38 Farbabzüge seiner Arbeiten aus den Fünfziger bis Achtziger Jahren. Brüchmann lebt in Berlin.“








„Brüchmanns grosse Passion aber waren die Frauen. Die Begegnung mit einer ihn faszinierenden Frau und die Aussicht, sie zu fotografieren. (…) Das erste, was Hannelore Elsner bei einem Umzug an die Wand der neuen Wohnung pinnt, ist das abgegriffene Foto, das Brüchmann früh von ihr gemacht hat.“.


Peter Brüchmann war an diesem Abend nicht anwesend, was sehr schade war. Es ist ihm nicht mehr möglich, so etwas wahrzunehmen. Es hätte ja sein können, dass er trotz seiner zweiundachtzig Jahre noch Kraft für einen Ausflug innerhalb von Berlin hat. Das war auch die einzig mir verständliche Erklärung, und es hat mich auch ein wenig erschüttert. Seine Bilder, die wir sehen, bleiben ewig jung, auf der Höhe der Kraft der Abgebildeten, das Zeugnis des Blickes von einem Menschen, der die Gabe hatte, das ganze Zusammenspiel von Licht und Gegenwärtigkeit zu ermöglichen und den Zeitpunkt zu erfassen, und das Bild auszulösen. Das Bild aus-lösen, herauslösen aus dem Strom der Zeit, der Vergänglichkeit, gebannt für alle Ewigkeit. Amen. Als ich in das Gästebuch schrieb, wusste ich, dass er es gar nicht lesen wird können. Er wird es nie erfahren. Nicht einmal mehr, wo überall seine Bilder in Ausstellungen gezeigt werden. Aber vielleicht ist es auch weniger schmerzhaft, als wir uns das im vollen Besitz unserer geistigen Kräfte und unseres Erinnerungsvermögens vorstellen können. Vielleicht sehnt man sich auch nicht so sehr nach etwas, das man kaum erinnern kann. Und schwelgt dafür in dem, das tief verankert ist. Vielleicht ist sein Geist ja noch in der Zeit dieser Bilder. Und die Gegenwart nur ein flüchtiger Ablauf von ähnlichen Bildern, nicht wichtig genug, um erinnert zu werden. Kaum jemand kennt heute den Namen Peter Brüchmann. Anders als F.C. Gundlach. Aber seine Bilder kennen wir. Es gibt einen Namen dazu. Als ich vor einigen Tagen die Aufnahmen veröffentlichte, die ich von Michael Ballhaus und Christian Brückner gemacht habe, konnte ich gar nichts schreiben, weil das von mir zwischen den Bildern verlinkte Video auch alles sagt, was mich bewegt. Man muss auch niemandem erklären, wer Michael Ballhaus ist. Peter Brüchmann vielleicht schon. Deshalb schreibe ich es hier noch einmal ins Internet: Danke für Ihr schönes Werk, lieber Herr Brüchmann. Auch wenn Sie das niemals lesen werden. Aber vielleicht können Sie es ja irgendwie fühlen, irgendwo irgendwann.









04. Januar 2015

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Beharrungsvermögen und Esprit, Konzentration und Reaktion. Schnelligkeit und ein siebter Sinn. Verbindliches Wesen, Geduld. Erotischer Intellekt, Eleganz. Dynamik, Disziplin, Spannkraft. Hingabefähigkeit. Kontrolliert eruptive Spontaneität. Hohe Flexibilität und Kultiviertheit. Tänzerische und Sprachbegabung. Keinesfalls örtliche Gebundenheit. Gesundheitliche Stabilität. Körperliche Belastbarkeit. Ein ansprechendes, überdurchschnittlich gepflegtes und trainiertes, zeitgemäßes Erscheinungsbild mit gleichbleibender, branchenüblicher Konfektionsgröße wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Fotomodell. Dafür muss man geboren sein. Und keinesfalls divenhaft. Obwohl man jederzeit divenhaft aussehen können muss. Daran erkennt man einen Profi.


Ximena ist Italienerin. Eine hoch gewachsene. Eine Erscheinung. Sie tauchte in der Galerie mit Steve auf, den Jan schon recht lange kennt und auch oft abgelichtet hat. Bei manchen Kreaturen spürt man einen Impuls im Bereich, der für Instinkt zuständig ist, er befiehlt dem Handgelenk, die Kamera anzuwerfen, auch wenn sie vorher im absoluten Tiefschlaf war. Dass keine umständlichen Erlaubnisverhandlungen erforderlich sind, wie gelegentlich bei Privatdiven, macht alles noch selbstverständlicher, als ohnehin schon. Virtuos einfach. In einer Sekunde ein spannungsgeladene Pose, in der nächsten das Gegenteil, völlige Unaffektiertheit. Ich kenne Frauen, die schauen Männer, und zwar nur Männer, gezielt an, wie es Ximena in ihrem fotografisch motivierten Rollenspiel treibt. Und wenn eine Frau in die Sichtachse kommt. erstarrt die Rolle für einen Moment zum Gefrierpunkt. Das ist der Unterschied zwischen einer privat tätigen Femme Fatale und einem Fotomodell. Das Modell verkauft die Ware lasziver Blick. An alle, die sie brauchen. Ohne geschäftliches Feindbild. Wenn man gerne laszive Blicke wirft, ohne diesen Beruf ausuzüben, ist man gut beraten, seinen Radius nicht zu deutlich geschlechtsspezfisch zu definieren. Es ist ein noch schöneres Spiel, auch mit Menschen zu flirten, die nicht zur erotischen Zielgruppe gehören. Es vergrößert die Lebenslust, die Lebensfreude. Kleiner Abschweif. Ich mochte diese Situation mit Ximena und Steve. und Jan natürlich. Sie war nur für wenige Tage in Berlin und Jan hat sie am Tag darauf noch einmal fotografiert. Auch sehr schön. Wenn ich nicht fotografieren würde, hätte ich kaum Anlass zu solchen Events zu gehen. Sobald Jan da ist, ergibt sich eine besondere Dynamik, die ich mag. Und ihm geht es umgekehrt ebenso, glaube ich. Weiß ich. Das ist schön und unterhaltsam. Meistens kann ich es verstehen, wenn ihm jemand fotografisch besonders interessant erscheint. Denn oft empfinde ich es genauso. Ximena einzufangen war eine Freude.




04. Januar 2015

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Beharrungsvermögen und Esprit, Konzentration und Reaktion. Schnelligkeit und ein siebter Sinn. Verbindliches Wesen, Geduld. Erotischer Intellekt, Eleganz. Dynamik, Disziplin, Spannkraft. Hingabefähigkeit. Kontrolliert eruptive Spontaneität. Hohe Flexibilität und Kultiviertheit. Tänzerische und Sprachbegabung. Keinesfalls örtliche Gebundenheit. Gesundheitliche Stabilität. Körperliche Belastbarkeit. Ein ansprechendes, überdurchschnittlich gepflegtes und trainiertes, zeitgemäßes Erscheinungsbild mit gleichbleibender, branchenüblicher Konfektionsgröße wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Fotomodell. Dafür muss man geboren sein. Und keinesfalls divenhaft. Obwohl man jederzeit divenhaft aussehen können muss. Daran erkennt man einen Profi.


Ximena ist Italienerin. Eine hoch gewachsene. Eine Erscheinung. Sie tauchte in der Galerie mit Steve auf, den Jan schon recht lange kennt und auch oft abgelichtet hat. Bei manchen Kreaturen spürt man einen Impuls im Bereich, der für Instinkt zuständig ist, er befiehlt dem Handgelenk, die Kamera anzuwerfen, auch wenn sie vorher im absoluten Tiefschlaf war. Dass keine umständlichen Erlaubnisverhandlungen erforderlich sind, wie gelegentlich bei Privatdiven, macht alles noch selbstverständlicher, als ohnehin schon. Virtuos einfach. In einer Sekunde ein spannungsgeladene Pose, in der nächsten das Gegenteil, völlige Unaffektiertheit. Ich kenne Frauen, die schauen Männer, und zwar nur Männer, gezielt an, wie es Ximena in ihrem fotografisch motivierten Rollenspiel treibt. Und wenn eine Frau in die Sichtachse kommt. erstarrt die Rolle für einen Moment zum Gefrierpunkt. Das ist der Unterschied zwischen einer privat tätigen Femme Fatale und einem Fotomodell. Das Modell verkauft die Ware lasziver Blick. An alle, die sie brauchen. Ohne geschäftliches Feindbild. Wenn man gerne laszive Blicke wirft, ohne diesen Beruf ausuzüben, ist man gut beraten, seinen Radius nicht zu deutlich geschlechtsspezfisch zu definieren. Es ist ein noch schöneres Spiel, auch mit Menschen zu flirten, die nicht zur erotischen Zielgruppe gehören. Es vergrößert die Lebenslust, die Lebensfreude. Kleiner Abschweif. Ich mochte diese Situation mit Ximena und Steve. und Jan natürlich. Sie war nur für wenige Tage in Berlin und Jan hat sie am Tag darauf noch einmal fotografiert. Auch sehr schön. Wenn ich nicht fotografieren würde, hätte ich kaum Anlass zu solchen Events zu gehen. Sobald Jan da ist, ergibt sich eine besondere Dynamik, die ich mag. Und ihm geht es umgekehrt ebenso, glaube ich. Weiß ich. Das ist schön und unterhaltsam. Meistens kann ich es verstehen, wenn ihm jemand fotografisch besonders interessant erscheint. Denn oft empfinde ich es genauso. Ximena einzufangen war eine Freude.




03. Januar 2015

Director’s Pick. Jan hatte vier Bilder. Paula, Kitty, eine blonde Italienerin und Anna. Das von Anna gefiel mir am besten, weil es impulsiv wirkt. Ich war überrascht, wie erwachsen sie ist, weil ich noch die beinahe kindliche Anna von vor fünf Jahren im Kopf hatte. Damals wie heute fasziniert mich die große Ähnlichkeit mit ihrem Vater. Wie sich sein Züge in einer weiblichen, anmutigen Version zeigen. Und die Freundinnen waren auch interessant zu beobachten, wie man spürte, dass ihnen die Situation einer Ausstellungseröffnung nicht so vertraut ist, sie sich aneinander orientieren, und immer Ausschau nach der anderen halten. Ich nehme an, sie sind danach noch in irgendeinen Club oder eine Bar, so schön aufgebrezelt wie sie waren. Diese vier Grazien. Mit ihren sexy Stiletto-Sandaletten, die die sowieso schon langen Beine noch länger machten. In dem Szenario tauchte noch eine weitere Grazie auf, die in Begleitung kam, eine sehr fotogene Italienerin, die auch ihr Geld damit verdient. Eine Erscheinung, so makellos, dass selbst das Tageslicht nichts zutage fördert, was man retuschieren müsste. Es ist nicht immer nur Retusche zu verdanken, wenn jemand beeindruckend aussieht. Die Bilder von Ximena nehme ich in eine extra Strecke, weil es trotz des identischen Ortes eine andere Situation war und es sehr viele sind.

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An diesem Abend hat mich auch ein älterer Mann (ca. 58 – 62) angesprochen, der unter den Gästen war. Da war ich froh, dass ich mit Irina ein Gegenüber hatte, das mich seiner Ansprache ausweichen ließ. Man ist nicht gut beraten, wenn man im fortgeschrittenen Alter noch denselben Kleidungsstil pflegt, der vor ca. fünfunddreißig bis vierzig Jahren als angesagte, lässige born-to-be-wild-Moderichtung für etwa Zwanzigjährige gelten konnte. Und dazu dann die passende Ansprache mit taxierendem Blick von oben nach unten. Wie damals in der Disco. So hieß das früher. Er wollte mir aber nicht seine Schallplattensammlung zeigen, sondern irgendwie experimentell von mir fotografiert werden, weil er es ‚drauf hätte‘ das zu beurteilen, da er ‚vom Fach‘ sei, ob ich was ‚drauf hätte‘. Danke, liebe Irina, dass du so tapfer an meiner Seite geblieben bist. Ich finde es nicht gerade einfach, wie man so jemandem beibringt, der das alles ja vermutlich durchaus nett und höflich und so weiter meint, und damit vielleicht in einer früheren Ära Erfolge erzielen konnte, dass er wirklich nicht im allergeringsten mein Interesse zu wecken vermag. Weder fotografisch noch erotisch. Also, so beizubringen, dass die Atmosphäre nicht komplett ins Griesgrämige kippt. So weit ich mich erinnere, habe ich mich damit aus der Affäre gezogen, ihm mitzuteilen, dass ich keine Zeit für die von ihm angedachten Experimente hätte, da wirklich sehr, sehr, sehr, sehr viel zu tun, und es deshalb auch keinen Sinn hätte, dass er mir seine Telefonnummer aufschreibt. Ob er in ca. zwei Jahren nochmal nachhaken dürfte? Das sieht ganz schlecht aus. In zwei Jahren habe ich voraussichtlich genauso viel zu tun. Tut mir ja sehr leid. Zum Glück musste ich nicht nur so tun, als ob ich mich dringend mit Irina unterhalte wollte, ich wollte es wirklich, und es war wie jedes mal sehr interessant. Der gute Mann hat seine Schallplatte dann noch an anderer Stelle ein weiteres Mal abgespielt. Mit etwas mehr Erfolg, wie es aussah. Irina und ich amüsierten uns, dass eine uns beiden sehr wohl bekannte Frau tatsächlich zugelassen hat, dass er mit seiner Pranke über ihren Hintern streift. Man wusste nicht, ob man lachen oder weinen soll. Irina und ich sind dann gemeinsam über den Winterfeldplatz zu unserer U-Bahn am Nollendorfplatz gegangen und haben weiter geredet. Fast hätte ich vergessen auszusteigen, vor lauter Gequatsche. Irina ist die Frau rechts im Fenster mit den Blumen, und auf dem letzten Bild ganz unten, von hinten. Ich habe sie schon häufiger fotografiert. Sie malt und macht auch Animationsfilme. Ich mag sie richtig gerne.









02. Januar 2015

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Viele Fotografen da. Rührt daher, dass es nicht nur die Eröffnung der Ausstellung des italienischen Fotografen Davide Monteleone war, sondern einer neuen Galerie, die zu einem Fotografie-Verlag gehört, der Kehrer Galerie vom Kehrer-Verlag. Da ist man gerne präsent. Zum Beispiel der Herr mit den grauen Schläfen, der sich so angeregt mit Jan unterhält und ein bißchen an Clint Eastwood in die Brücken am Fluss erinnert, ist der Fotograf Peter Maurer. Dass er nun auch viel durch Afrika gereist ist und dort für Reportagen fotografiert hat, ist ein Detail, wo ich denke, dass Filmfiguren doch oft eine lebensnahe Vorlage haben. Nichts wird wirklich erfunden. Alles sind Fragmente von Erinnerungen in einem neuem Kontext.





Man könnte zu jedem Einzelnen auf den Bildern etwas erzählen, aber ich habe nicht mit allen gesprochen. Mit einigen ja. Manche kenne ich auch ein bißchen näher. Es war recht voll, es gibt eine große Fotografenszene in Berlin. Bis vor der Tür standen sie, hätte ich jetzt fast geschrieben, aber gerade fällt mir ein, dass die beträchtliche Gruppe vor der Tür da draußen in der Mainacht stand, weil man dort rauchen kann. Jan und ich haben dort noch einen sehr netten Maler getroffen, den Herrn Zwinger, der auch seine Frau dabei hatte und wir vier sind dann die Potsdamer Straße nach oben gelaufen und rechts abgebogen, in ein Lokal, wo man draußen sitzen konnte. Und essen und trinken. War ein sehr anregender und lustiger Abend, auch weil der Herr Zwinger so lustig erzählen kann. Und seiner Frau habe ich von meiner Wienreise erzählt. Als es darum ging, wen ich da traf, also zwei Männer aus meiner Vergangenheit, hat der Herr Zwinger sehr die Ohren gespitzt. Ich musste schon wieder über ihn lachen. Was auch sehr ungewöhnlich war, also für mich, mal so unter vier – ach nein – es waren ja insgesamt acht Augen, die von Jan und seiner Frau mitgetrechnet, also jedenfalls im allerkleinsten Kreis einmal mit jemandem zu sprechen, der sich in einer Liga bewegt, von der viele träumen. Ich kann mich immer noch nicht über den Satz einkriegen „Die Vermögensplanung ist abgeschlossen.“ Mit so einem desinteressierten Tonfall. Langweilig, diese Geldgespräche. So ungefähr. Es ist also menschenmöglich, dass man mit seiner Kunst richtig gutes Geld verdienen kann, und dabei ganz unaufgeregt und unehrgeizig wirkt. Macht aber auch richtig gute Sachen, der Herr Zwinger. War also ein sehr bereichernder Abend.






