31. Dezember 2010


Mein Eispalast taut ein bißchen. Einmal soll es noch kalt werden, sehr. Ich habe den Vorhang aus Eiszapfen gerade sehr lieb gewonnen, nachdem ich ihn erst spät entdeckte. Er soll noch ein bißchen wachsen. Die Märchen aus den Märchenbüchern erzählen nur eine neue Geschichte von Dingen, die es irgendwann irgendwo auf der Welt gegeben hat. Wie das Eis an meinem Dach. Noch nie war ein Winter in Berlin so märchenhaft. Keiner, den ich erlebte. Er kommt ganz nah zu mir heran. Ich finde das sehr freundlich, weil ich gar nicht in die Kälte muss. Alles wächst vor meinem Fenster, an meinem Dach. An diesen Winter werde ich als an einen Märchenwinter denken. Viel schöner, als der im letzten Jahr. Der Schnee kam erst am ersten Januar. Und lange begleitete er das frühe Jahr. Aber er war nicht so furios. An tiefen Schnee in meiner Kindheit kann ich mich auch erinnern, aber nicht an so schöne große Eiszapfen. Komm, bleib noch ein Weilchen hier, hier bei mir.
http://www.flickr.com/apps/slideshow/show.swf?v=71649

31. Dezember 2010


Mein Eispalast taut ein bißchen. Einmal soll es noch kalt werden, sehr. Ich habe den Vorhang aus Eiszapfen gerade sehr lieb gewonnen, nachdem ich ihn erst spät entdeckte. Er soll noch ein bißchen wachsen. Die Märchen aus den Märchenbüchern erzählen nur eine neue Geschichte von Dingen, die es irgendwann irgendwo auf der Welt gegeben hat. Wie das Eis an meinem Dach. Noch nie war ein Winter in Berlin so märchenhaft. Keiner, den ich erlebte. Er kommt ganz nah zu mir heran. Ich finde das sehr freundlich, weil ich gar nicht in die Kälte muss. Alles wächst vor meinem Fenster, an meinem Dach. An diesen Winter werde ich als an einen Märchenwinter denken. Viel schöner, als der im letzten Jahr. Der Schnee kam erst am ersten Januar. Und lange begleitete er das frühe Jahr. Aber er war nicht so furios. An tiefen Schnee in meiner Kindheit kann ich mich auch erinnern, aber nicht an so schöne große Eiszapfen. Komm, bleib noch ein Weilchen hier, hier bei mir.
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31. Dezember 2010

Noch zwei Fundstücke von Jan, diesmal vom 28. Mai 2008. Wir saßen in meiner Küche und alberten herum. Wie Kinder Chinesen spielen und die Augen zu Schlitzen ziehen. Aber vielleicht dachte ich auch über eine Straffung der Augenpartie nach. Es ist zu lange her. Und dieses, an einer Mauer in der Auguststraße. Schnell mal ein cooles Foto machen, los komm.

Foto: catonbed
Wenn ich es richtig zusammenkriege, war das der Nachmittag, an dem wir gemeinsam zum Strandbad Mitte, einem lauschigen Café in der Auguststraße gingen und auf einen Unbekannten trafen, den ich gerne kennenlernen wollte und dabei entstand der kleine Film „Geh hin und mach das Foto“, der mich immer noch amüsiert. Hab ihn gerade geguckt. Und dann weiter auf meiner Seite geschaut, was ich wie umbaue. Ließ die Filme laufen, vom letzten mit Farin bei Lumas fünf oder sechs Filme zurück. Es gab doch auch eine Reihe guter Momente in Zweitausendzehn. Als ich Helges Fuck The Tiger aufnahm. Das war ein schöner Abend. Und der Nachmittag im Viktoriapark. Und noch ein paar Tage, handverlesen. Warum soll auch alles schlecht gewesen sein. Ich hab mir den Arsch aufgerissen, wie immer eigentlich. Und es war nicht alles umsonst. Vielleicht umsonst, aber nicht vergeblich. Gage habe ich nie bekommen. Einen schönen Auftrag hab ich weitergegeben an Jan. Viel gearbeitet, auch um mich anders zu fokussieren. Als ich jung war, bin ich in vergleichbaren Situationen abgestürzt. Freiwillig. Habe mich systematisch betrunken. Den Abgrund ausgelotet. Jetzt rette ich mich, indem ich alles dafür tue, nicht auch körperlich abzustürzen. Das fängt einen ein bißchen auf. Man zeigt sich selbst Respekt. Eine Verbeugung vor der eigenen Inkarnation. Sich selber ein bißchen auf die Schulter klopfen. Sich selber gut tun. So spät habe ich schon ewig nicht mehr gebloggt. Gleich 4:07 Uhr. By random „Borrowed Tune“ von Neil Young. Last Song. Gute Nacht. Good Night, sleep tight.
~
I’m climbin‘ this ladder, My head in the clouds. I hope that it matters, I’m havin‘ my doubts. I’m watchin‘ the skaters fly by on the lake. Ice frozen six feet deep. How long does it take? I look out on peaceful lands with no war nearby. An ocean of shakin‘ hands, that grab at the sky. I’m singin‘ this borrowed tune, I took from the Rolling Stones. Alone in this empty room, too wasted to write my own. I’m climbin‘ this ladder, my head in the clouds. I hope that it matters.

26. Dezember 2010

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Nachdem ich mich in den letzten Wochen ausgiebig mit dem Meisterwerk „Die weisse Hölle vom Piz Palü“ beschäftigt habe, konnte mich heute Mittag nichts mehr halten und ich wollte den Berg selbst besteigen. Mit meinem Helikopter flog ich geschlagene drei Stunden bei heftigsten Schneeböen mit Windstärke 7 und überquerte die Alpen gen Italien, Richtung Lombardei, bis ich an der Grenze zur Schweiz die Berninagruppe vor mir liegen hatte.

Auf den herrlich sonnenbeschienen Schneefeldern der Diavolezza setzte ich zur Landung an und begann unverzüglich mit dem Aufstieg von der Südseite her, da mir die Nordwand aufgrund mehrfachen Studiums der Filmszenen doch gewaltigen Respekt einflößte! Bald würde es dunkel werden und ich musste mich beeilen. Kein Bergkamerad begegnete mir auf meinem steilen Weg, weit und breit keine Spuren im frischen Schnee, außer meiner eigenen. Oben am Gipfel des Palü erwartete mich eine geheimnisvolle, schneeüberdachte Höhle mit blau schimmernden Kristallzapfen! Dabei musste es sich zweifelsfrei um die Grotte aus Leni Riefenstahls Erstlingswerk „Das blaue Licht“ handeln. Eine andere Erklärung wollte mir – Triumph des Willens! nicht einfallen.

Noch vor Einbruch der Dunkelheit gelang mir der Abstieg über den Ostpfeiler des Palü, wobei sich dem Auge ein herrlicher Sonnenuntergang bot, den ich zu meinem großen Bedauern nicht einfangen konnte, da die Kamera aufgrund der Kälteeinwirkung nicht mehr korrekt arbeitete. Ein ganz und gar unvergessliches Naturerlebnis, an das man noch oft und gerne zurückdenkt. Ende!

26. Dezember 2010

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Nachdem ich mich in den letzten Wochen ausgiebig mit dem Meisterwerk „Die weisse Hölle vom Piz Palü“ beschäftigt habe, konnte mich heute Mittag nichts mehr halten und ich wollte den Berg selbst besteigen. Mit meinem Helikopter flog ich geschlagene drei Stunden bei heftigsten Schneeböen mit Windstärke 7 und überquerte die Alpen gen Italien, Richtung Lombardei, bis ich an der Grenze zur Schweiz die Berninagruppe vor mir liegen hatte.

Auf den herrlich sonnenbeschienen Schneefeldern der Diavolezza setzte ich zur Landung an und begann unverzüglich mit dem Aufstieg von der Südseite her, da mir die Nordwand aufgrund mehrfachen Studiums der Filmszenen doch gewaltigen Respekt einflößte! Bald würde es dunkel werden und ich musste mich beeilen. Kein Bergkamerad begegnete mir auf meinem steilen Weg, weit und breit keine Spuren im frischen Schnee, außer meiner eigenen. Oben am Gipfel des Palü erwartete mich eine geheimnisvolle, schneeüberdachte Höhle mit blau schimmernden Kristallzapfen! Dabei musste es sich zweifelsfrei um die Grotte aus Leni Riefenstahls Erstlingswerk „Das blaue Licht“ handeln. Eine andere Erklärung wollte mir – Triumph des Willens! nicht einfallen.

Noch vor Einbruch der Dunkelheit gelang mir der Abstieg über den Ostpfeiler des Palü, wobei sich dem Auge ein herrlicher Sonnenuntergang bot, den ich zu meinem großen Bedauern nicht einfangen konnte, da die Kamera aufgrund der Kälteeinwirkung nicht mehr korrekt arbeitete. Ein ganz und gar unvergessliches Naturerlebnis, an das man noch oft und gerne zurückdenkt. Ende!

25. Dezember 2010

click
Foto: catonbed
Jan scheint ein bißchen in seinem Archiv zu stöbern und schickt mir noch ein Bild aus dieser Reihe, das ich noch nie gesehen habe. „Für deinen Block“. Also für meinen Notizblock hier. Es ist nicht sensationell und vermutlich aus einer Bewegung entstanden, deswegen hat er es damals wahrscheinlich auch nicht verwertet, aber nicht untypisch. Heranschleichen an das Opfer. Es ist schon mehr als zweieinhalb Jahre alt, vom 17. Mai 2008. Die Bilder an der Wand sind von Sebastian Rogler, er hatte damals eine Ausstellung in der Galerie Sakamoto Contemporary. Neben dem Pfeiler, hinten erahnt man ein paar herumstehende Verstärker. So viel ist passiert seit dem. Meine Haare waren um einiges dunkler als heute. Kein Wunder der Natur allerdings. Den Ledermantel trage ich immer noch gerne, der war ein Glücksgriff im KaDeWe. Nachdem er im Schlussverkauf um die Hälfte reduziert wurde, konnte ich ihn mir gerade so leisten. Vierhundertfünfzig statt neunhundert Euro. Das war auch schon hart an meiner Grenze. Wie gerne ich ihn anziehe, kann man schon daran erkennen, auf wievielen Fotos ich ihn anhabe. Man könnte denken, mein einziges Kleidungsstück. Ich erinnere mich auch noch, was ich darunter anhatte. Ein schwarzes Oberteil und einen schwarzen Rock mit schwarzen Pailletten. Aber ich habe es ja nicht schwer, mich an solche Sachen zu erinnern, weil es meistens irgendein Foto davon gibt, wenn ich irgendwo war. Und die Kamera hab ich auch noch. Keine andere benutze ich so gerne. Sie hat schon Pflaster dran, sonst geht die Klappe vom Batteriefach auf. Ich habe heute sehr tief und gut geschlafen. Vielleicht auch weil das Bett frisch bezogen ist, da schlafe ich immer noch tiefer. Komisch eigentlich. Mal gucken, ob Jan noch mehr Bilder von mir findet. Einerseits gemein, aber eigentlich auch eine schöne Überraschung, Bilder so viel später zum ersten mal zu sehen. Wie altes Fotoalbum gucken.

25. Dezember 2010

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as every Dings. As everytime I feel like. Wie heißt das, was alle gerade feiern? Großes Kürbissuppenfest? Ich zeige mich da ja renitent bis zu einem Grad, der auf andere wie Trotz wirken muss. Aber ich muss Sie enttäuschen. Ich finde im Internet gibt es schon genug Weihnachtsdeko. In meiner Wohnung sind sowieso zu viele Staubfänger. Aber Kerzen gerne. Und gläubig bin ich natürlich auch. Ich glaube an die Nordmanntanne und die Schneeflocke. Auch Heidentum ist eine Religion. Insofern ist mir kein Kürbis zu schade, um ihn feierlich zu schlachten. Mit Inbrunst und Andacht.

25. Dezember 2010

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Was mir gefällt ist, dass der Schnee viele Umweltsünden bedeckt. Ich meine Bausünden. Stadtmöblierung. Geschmacksverirrungen. Rote Autos werden weiß. Gelbrote Spielplatzmöbel sind nur noch elegante weiße Erhebungen. Und dass er die Geräusche dämpft, mag ich auch. Den Lärm. Ach, ich mag ihn, wie er so da liegt und mich in Ruhe lässt. Ich mag seine Schwarzweißmalerei, weil ich eine Schwäche für Radikalisierung habe. Für klare Kontraste, Schwellenwerte. Schwarz oder Weiß. Ja oder Nein. Nacht oder Tag. Tanz oder Schlaf.

25. Dezember 2010

click
Foto: catonbed
Jan scheint ein bißchen in seinem Archiv zu stöbern und schickt mir noch ein Bild aus dieser Reihe, das ich noch nie gesehen habe. „Für deinen Block“. Also für meinen Notizblock hier. Es ist nicht sensationell und vermutlich aus einer Bewegung entstanden, deswegen hat er es damals wahrscheinlich auch nicht verwertet, aber nicht untypisch. Heranschleichen an das Opfer. Es ist schon mehr als zweieinhalb Jahre alt, vom 17. Mai 2008. Die Bilder an der Wand sind von Sebastian Rogler, er hatte damals eine Ausstellung in der Galerie Sakamoto Contemporary. Neben dem Pfeiler, hinten erahnt man ein paar herumstehende Verstärker. So viel ist passiert seit dem. Meine Haare waren um einiges dunkler als heute. Kein Wunder der Natur allerdings. Den Ledermantel trage ich immer noch gerne, der war ein Glücksgriff im KaDeWe. Nachdem er im Schlussverkauf um die Hälfte reduziert wurde, konnte ich ihn mir gerade so leisten. Vierhundertfünfzig statt neunhundert Euro. Das war auch schon hart an meiner Grenze. Wie gerne ich ihn anziehe, kann man schon daran erkennen, auf wievielen Fotos ich ihn anhabe. Man könnte denken, mein einziges Kleidungsstück. Ich erinnere mich auch noch, was ich darunter anhatte. Ein schwarzes Oberteil und einen schwarzen Rock mit schwarzen Pailletten. Aber ich habe es ja nicht schwer, mich an solche Sachen zu erinnern, weil es meistens irgendein Foto davon gibt, wenn ich irgendwo war. Und die Kamera hab ich auch noch. Keine andere benutze ich so gerne. Sie hat schon Pflaster dran, sonst geht die Klappe vom Batteriefach auf. Ich habe heute sehr tief und gut geschlafen. Vielleicht auch weil das Bett frisch bezogen ist, da schlafe ich immer noch tiefer. Komisch eigentlich. Mal gucken, ob Jan noch mehr Bilder von mir findet. Einerseits gemein, aber eigentlich auch eine schöne Überraschung, Bilder so viel später zum ersten mal zu sehen. Wie altes Fotoalbum gucken.

23. Dezember 2010

danza tratta da La montagna dell’amore, 1926


Ich mag diese Schwarzweiß-Version noch lieber. Heute Nachmittag kam das antiquarische Nuba-Buch im Schuber, mit einer unerwarteten Überraschung darin. Ich klappte das Buch auf und zwischen dem Vorsatz und der eingeschlagenen Klappe des Hochglanzeinbandes, der sehr pfleglich behandelt wurde, beinah wie neu, und das seit mittlerweile 37 Jahren, lagen sorgsam ausgeschnittene Seiten aus einem alten Stern. Ein umfangreicher mehrseitiger Artikel über Leni Riefenstahls Reisen zu den Nuba. Vermutlich von 1976, als sie den zweiten Nuba-Band herausbrachte. Ich muss ihn mal genau untersuchen. Ah – ich habe nachgesehen, Stern Nr. 41 von 1975. Der Artikel, der die Titelgeschichte dieses alten Sterns ist, trägt die Überschrift „Leni Riefenstahl sah, was noch kein Weißer sah – Nuba – das Fest der Messer und der Liebe“. Dreizehn Seiten. Schöne Überraschung. Weil ich so etwas auch früher gerne machte, umso mehr. Wenn ich in einer Zeitschrift einen besonders schönen Artikel fand, der mir gefiel, zu einem Thema für das ich brannte, bewahrte ich den Zeitungsauschnitt auf, in einem zugehörigen Buch oder was es auch immer war. Ich habe das Gefühl, dass das Buch verkauft wurde, weil der ursprüngliche Besitzer nicht mehr lebt und ein Nachlass aufgelöst wird, und der Erbe oder die Erbin nichts mit dieser wunderbaren Erstausgabe anfangen konnte und das Buch deshalb so preisgünstig verkaufte.
Wie schön es gemacht ist, die Nuba-Zeichnungen auf dem schönen Vorsatz-Papier. Solche Bücher können niemals durch ein e-book ersetzt werden. So wenig wie das signierte Monster von Veruschka, das ich ganz sicher bis zum Ende meines Lebens behalten und in Ehren halten werde. Das schönste Buch, das ich besitze. Am wertvollsten sind mir die Bücher, die eine innige Widmung haben, auch wenn es einfache kleine Bände sind, oder Taschenbücher. So wie der Liebesfrühling, den ich antiquarisch erstand und dessen Widmung in Kurrentschrift mir Eugene Fausts Schwiegerpapa entzifferte. Obwohl sie nicht mir galt, rührt sie mich so sehr als ob. Ein Buch, das mir Wolf Biermann signierte, ein bißchen albern, deswegen schön. Ich bat ihn, etwas Übertriebenes zu schreiben, das amüsierte ihn. Und so weiter und so fort. Ein Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan, in den Jan etwas sehr Anrührendes schrieb, vor eineinhalb Jahren. Und noch eines fällt mir ein. Und noch eines. Und das kunstseidene Mädchen, das Isa signierte, ja musste, und ich so gerne las. Oder das feine, kleine, schmale Berlin-Buch von Jeannot und Thorsten, denen ich mich von Herzen verbunden fühle, wenn wir uns auch nur selten sehen. Oder Helges Gekrakel auf seinem Hörbuch, das er gerade übrig hatte und mir albern und trunken nach einem stundenlangen lustigen Umtrunk im Green Door in der Nacht nach seiner Lesung in den Schoß legte. Und die Zeitung, auf den ich ihn bei unserer ersten Begegnung kritzeln ließ, weil ich mich wegen des Blättchens wieder an ihn erinnerte, den verrückten Helge Timmerberg, und deswegen überhaupt dorthin ging. Und noch eines, und noch eines, und noch so ein Buch, das an einen besonderen Augenblick gebunden ist und den man an dem Exemplar ablesen kann. Oder drei Worte in Goldbuchstaben mit einem Lackmalstift auf eine kleine Schallplatten-Hülle geschrieben. Oder eine selbstgemachte CD von Sebastian, wo ich den Link zu dem Bild gerade nicht finde. Von der Signatur gar nicht zu reden. Und noch eine. Lauter schöne Erinnerungen. Lauter Poesiealbum. Schön und unersetzlich wie eine Fotografie. Oder wie ein heute so seltener, handgeschriebener Brief, von einem Menschen, der einem etwas bedeutet. Man muss auch wieder Postkarten schreiben. In diesem Jahr bekam ich eine aus Konstantinopel, darüber habe ich mich sehr gefreut. Man erinnert sich noch, dass man dafür in ein Geschäft gehen musste und eine schöne Karte aussuchen und dann noch die Briefmarke. Meistens gibt es die ja dazu in fernen Ländern. Nur in Deutschland ist es ein bißchen komplizierter mit Karte plus Briefmarke. Man muss sich schon organisieren und weiß das deshalb besonders zu schätzen. Danke für alles. Ich wurde schon reich beschenkt, man vergisst es nur immer wieder, wenn der Wind gerade ein bißchen hart ins Gesicht weht. Und ein großer, von Hand gesägter Stern aus einem Baumstamm. Und ein Schälchen aus Perlmutt. Und ein Veruschka-Artikel mit Keksen in einem Briefumschlag. Und heimlich gebrannte Filme, die mir am Herzen liegen. Und ein Büchlein von Hiddensee. Hellblau. Und Konfekt. Und Komplimente. Und dass ich in Euren Träumen auftauche. Ihr seid ja alle verrückt. Und ich bin es auch. Und ich weiß auch gar nicht, warum mir das alles gerade einfällt. Das sind die Dinge, die ich in Ehren halten will und bewahren werde.

24. Dezember 2010


Foto: catonbed
„Sie liebten mich und sie hassten mich, alles zur selben Zeit. Darunter waren sehr nette Menschen auch. Und da war der Willy Brandt damals da, und da bin ich gegangen und wir haben da miteinander gesprochen. Und da war so eine richtige Frau, eine Berlinerin, und die sagte su mir: ‚Na? Wolln wa uns mal wieder vertrajen?‘ Aber da waren natürlich viele andere, die, die wollten mir das nicht verzeihen… Und das is ja, s‘ ja alle Liebesverhältnisse. Ja. Wenn der Eine weg geht, ist der Andere Beese, nich? Das ja nischt Neues, nich?“
Marlene Dietrich 7:17

23. Dezember 2010

danza tratta da La montagna dell’amore, 1926


Ich mag diese Schwarzweiß-Version noch lieber. Heute Nachmittag kam das antiquarische Nuba-Buch im Schuber, mit einer unerwarteten Überraschung darin. Ich klappte das Buch auf und zwischen dem Vorsatz und der eingeschlagenen Klappe des Hochglanzeinbandes, der sehr pfleglich behandelt wurde, beinah wie neu, und das seit mittlerweile 37 Jahren, lagen sorgsam ausgeschnittene Seiten aus einem alten Stern. Ein umfangreicher mehrseitiger Artikel über Leni Riefenstahls Reisen zu den Nuba. Vermutlich von 1976, als sie den zweiten Nuba-Band herausbrachte. Ich muss ihn mal genau untersuchen. Ah – ich habe nachgesehen, Stern Nr. 41 von 1975. Der Artikel, der die Titelgeschichte dieses alten Sterns ist, trägt die Überschrift „Leni Riefenstahl sah, was noch kein Weißer sah – Nuba – das Fest der Messer und der Liebe“. Dreizehn Seiten. Schöne Überraschung. Weil ich so etwas auch früher gerne machte, umso mehr. Wenn ich in einer Zeitschrift einen besonders schönen Artikel fand, der mir gefiel, zu einem Thema für das ich brannte, bewahrte ich den Zeitungsauschnitt auf, in einem zugehörigen Buch oder was es auch immer war. Ich habe das Gefühl, dass das Buch verkauft wurde, weil der ursprüngliche Besitzer nicht mehr lebt und ein Nachlass aufgelöst wird, und der Erbe oder die Erbin nichts mit dieser wunderbaren Erstausgabe anfangen konnte und das Buch deshalb so preisgünstig verkaufte.
Wie schön es gemacht ist, die Nuba-Zeichnungen auf dem schönen Vorsatz-Papier. Solche Bücher können niemals durch ein e-book ersetzt werden. So wenig wie das signierte Monster von Veruschka, das ich ganz sicher bis zum Ende meines Lebens behalten und in Ehren halten werde. Das schönste Buch, das ich besitze. Am wertvollsten sind mir die Bücher, die eine innige Widmung haben, auch wenn es einfache kleine Bände sind, oder Taschenbücher. So wie der Liebesfrühling, den ich antiquarisch erstand und dessen Widmung in Kurrentschrift mir Eugene Fausts Schwiegerpapa entzifferte. Obwohl sie nicht mir galt, rührt sie mich so sehr als ob. Ein Buch, das mir Wolf Biermann signierte, ein bißchen albern, deswegen schön. Ich bat ihn, etwas Übertriebenes zu schreiben, das amüsierte ihn. Und so weiter und so fort. Ein Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan, in den Jan etwas sehr Anrührendes schrieb, vor eineinhalb Jahren. Und noch eines fällt mir ein. Und noch eines. Und das kunstseidene Mädchen, das Isa signierte, ja musste, und ich so gerne las. Oder das feine, kleine, schmale Berlin-Buch von Jeannot und Thorsten, denen ich mich von Herzen verbunden fühle, wenn wir uns auch nur selten sehen. Oder Helges Gekrakel auf seinem Hörbuch, das er gerade übrig hatte und mir albern und trunken nach einem stundenlangen lustigen Umtrunk im Green Door in der Nacht nach seiner Lesung in den Schoß legte. Und die Zeitung, auf den ich ihn bei unserer ersten Begegnung kritzeln ließ, weil ich mich wegen des Blättchens wieder an ihn erinnerte, den verrückten Helge Timmerberg, und deswegen überhaupt dorthin ging. Und noch eines, und noch eines, und noch so ein Buch, das an einen besonderen Augenblick gebunden ist und den man an dem Exemplar ablesen kann. Oder drei Worte in Goldbuchstaben mit einem Lackmalstift auf eine kleine Schallplatten-Hülle geschrieben. Oder eine selbstgemachte CD von Sebastian, wo ich den Link zu dem Bild gerade nicht finde. Von der Signatur gar nicht zu reden. Und noch eine. Lauter schöne Erinnerungen. Lauter Poesiealbum. Schön und unersetzlich wie eine Fotografie. Oder wie ein heute so seltener, handgeschriebener Brief, von einem Menschen, der einem etwas bedeutet. Man muss auch wieder Postkarten schreiben. In diesem Jahr bekam ich eine aus Konstantinopel, darüber habe ich mich sehr gefreut. Man erinnert sich noch, dass man dafür in ein Geschäft gehen musste und eine schöne Karte aussuchen und dann noch die Briefmarke. Meistens gibt es die ja dazu in fernen Ländern. Nur in Deutschland ist es ein bißchen komplizierter mit Karte plus Briefmarke. Man muss sich schon organisieren und weiß das deshalb besonders zu schätzen. Danke für alles. Ich wurde schon reich beschenkt, man vergisst es nur immer wieder, wenn der Wind gerade ein bißchen hart ins Gesicht weht. Und ein großer, von Hand gesägter Stern aus einem Baumstamm. Und ein Schälchen aus Perlmutt. Und ein Veruschka-Artikel mit Keksen in einem Briefumschlag. Und heimlich gebrannte Filme, die mir am Herzen liegen. Und ein Büchlein von Hiddensee. Hellblau. Und Konfekt. Und Komplimente. Und dass ich in Euren Träumen auftauche. Ihr seid ja alle verrückt. Und ich bin es auch. Und ich weiß auch gar nicht, warum mir das alles gerade einfällt. Das sind die Dinge, die ich in Ehren halten will und bewahren werde.

21. Dezember 2010

21. Dezember 2010, 9:17 MEZ, der Erdschatten hat den Vollmond im Wendekreis des Krebses geschluckt. 22. Dezember 2010, 0.38 MEZ. Sonnwende im Steinbock. Ich werde schlafen. Auch um 6:34, wenn Merkur rückwärts in mein erstes Haus stolpert, damit ich es weiter aufräume. Aber wenn Venus im Skorpion um 10:47 im Sextil mit meinem Uranus und Pluto spielt, bin ich ganz wach.


Ich gehöre zur Erde! Ich sage das, wie ich auf meinem Kissen liege & fühle, wie die Hörner aus meinen Schläfen sprießen H. Miller

18. Dezember 2010

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Die letzten Stunden damit verbracht, noch einmal Die Macht der Bilder in der hier im Netz verfügbaren englischen Version The Wonderful, Horrible Life of Leni Riefenstahl, zu sehen. Mag siebzehn Jahre her sein. Kann sein, dass ich bei der damaligen Ausstrahlung auf Arte, die in mehreren Teilen erfolgte, eine Folge verpasst hatte. Leni Riefenstahl spricht in dieser Dokumentation, die neben anderen Preisen 1993 den Emmy in der Kategorie Arts Documentary erhielt, detailliert über ihre Herangehensweise, Bilder zu inszenieren. Um für den Olympiafilm den Winkel zu erhalten, in dem man die Hochspringer gegen den Himmel sehen konnte, wurde im Olympiastadion ein kleiner Schacht ausgehoben, in dem die Kamera in der Vertiefung positioniert wurde. Diese Idee wollte das Olympische Komitee zunächst untersagen, weil der Schacht eine Gefahrenquelle für die Sportler sei, aber sie setzte sich durch. Hunderttausende Meter Material wurden belichtet, zwei Jahre brauchte sie für den Schnitt, den sie alleine machte, wie bei allen ihren Filmen. Leni Riefenstahls visuelles Schaffen ließ ich zum ersten Mal 1986 oder 1987 näher an mich heran, als ich in der Amerika-Gedenkbibliothek ihren Bildband über die Nuba, der 1973 erschienen war, auslieh. Ein bestimmtes Bild faszinierte mich so stark, dass ich das Buch an der Stelle aufgeklappt auf einem Tisch an die Wand gelehnt hatte. Es begann ein fester Bestandteil meiner Wohnung zu werden. Es war in der Küche meiner damaligen Wohnung in Schöneberg. Ich gab das Buch monatelang nicht zurück und irgendwann kam eine Rechnung mit einer sehr hohen Gebühr für die Überziehung der Entleihungsfrist. Dafür hätte ich mir das Buch im Antiquariat kaufen können. Ich brachte es zurück und fragte, ob ich es kaufen könnte, aber die Bibliothek verkauft keine Bücher. Verständlich. Als es weg war, hatte ich das Bild so verinnerlicht, dass es auch in Ordnung war, das Buch nicht mehr zu haben. Seltsam, dass ich auch später nicht mehr darüber nachdachte, den Bildband zu kaufen. Beziehungsweise immer nur kurz darüber nachdachte, es aber nie tat. Wahrscheinlich hatte ich immer gerade nicht genug Geld übrig, wenn es mir wieder in den Sinn kam. Mittlerweile gibt es ja einige darüber, viel umfangreicher, als der schmale Band von damals war. (nach dem Eintrag kurzerhand ein antiquarisches Exemplar dieses ersten Bildbandes bestellt. „Im Leinen-Schuber“.)

Die auf dem Radar von gestern für morgen avisierte Sonne schien schon heute. Die Bilder entstanden, ohne dass ich die Wohnung verlassen habe, aus dem Fenster fotografiert. Dem Badfenster nach Norden und dem Wohnzimmerfenster in Richtung Süden.

17. Dezember 2010


Ich bin ein Mädchen aus Piräus und liebe den Hafen, die Schiffe und das Meer. Ich lieb‘ das Lachen der Matrosen, ich lieb‘ jeden Kuß, der nach Salz schmeckt und nach Teer. Wie alle Mädchen in Piräus, so stehe ich Abend für Abend hier am Kai, und warte auf die fremden Schiffe aus Hongkong, aus Java, aus Chile und Shanghai. Ein Schiff wird kommen, und das bringt mir den einen, den ich so lieb‘ wie keinen, und der mich glücklich macht. Ein Schiff wird kommen, und meinen Traum erfüllen und meine Sehnsucht stillen, die Sehnsucht mancher Nacht.
Fini Busch 1960

17. Dezember 2010

Man kann froh sein, wenn man gesund ist. Das meine ich ganz ernst. Es beschäftigt mich in letzter Zeit, in diesem Jahr sehr stark. In welchem Umfang man selbst dafür verantwortlich ist, inwieweit bestimmte Symptome die Folge von Lebensführung sind, solche Dinge. Und was man tun kann, um sich das Beste zu geben, den besten Baustoff, die besten Bedingungen. Erstaunlicherweise ist die besondere Motivation nicht durch ein Leiden motiviert, das mich plötzlich heimgesucht hat, sondern durch dessen plötzliches Verschwinden. Und gleichzeitig die parallele Beobachtung der Entwicklung eines vergleichbaren Leidens bei anderen. Klingt ein bißchen kryptisch jetzt. Es geht um das erstmalige Empfinden von Gesundheit nach dreissig Jahren. Wie ich inzwischen glaube, nicht wundersam. Andererseits bin ich mir nicht sicher, ob es das ist, was ich vermute, die Veränderung meiner Ernährungsgewohnheiten. Darüber rede ich bislang nur im engeren Kreis und sehe ziemliches Erstaunen in den Gesichtern. Vielleicht schreibe ich mal mehr darüber, wenn ich größere Gewissheit habe. Oder wenigstens in einem dieser Foren, in denen ich noch nie war, aber weiß, dass sie existieren und in denen es von Hilfesuchenden wimmelt. Spätestens im Sommer. Es geht um Asthma und dessen nicht-psychosomatische Ursachen. Wäre es psychosomatisch gewesen, hätte es mir in diesem Jahr, das mir nicht gerade ans Herz gewachsen ist (außer in eben dieser Hinsicht), schlecht gehen müssen. Sind unter meinen Lesern Allergiker? Wenn ja, gehe ich vielleicht doch darauf ein, warum es in meiner Hausapotheke nur noch Aspirin und Pflaster gibt und eine fast leere, seit geraumer Zeit nicht mehr benutzte Asthma-Spraydose mit überschrittenem Verfallsdatum.

15. Dezember 2010


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Berlin – 8°. So eine шапка (sprich Schapka) tut gute Dienste. Natürlich ist die Mütze nicht politisch korrekt, weil eine Menge Polyester sterben mussten, damit Frau Nielsen warmes Fell am Kopf hat. Der trotzige Kopf ist gut eingepackt und ich bin guter Hoffnung, Väterchen Frost weiterhin zu trotzen. Wenn der Winter nicht so winterig wäre, käme man sich ein bißchen übertrieben vor, aber der Winter tut ja gerade was er kann, damit man nicht völlig overdressed wirkt, im Sibirien-Look. In Sibirien soll es zur Zeit wärmer als in Berlin sein, hab ich neulich gelesen. Kann sich natürlich schon wieder geändert haben. Schade, dass ich zur Zeit keinen Alkohol zu mir nehme. Eigentlich müsste man zur Abrundung des Outfits alle halbe Stunde einen Flachmann mit Wodka aus der Manteltasche holen. Blöd. Ob ich wieder anfange zu trinken? Ich denke im Januar noch mal drüber nach. Oder vielleicht sogar schon am 31. Dezember. Erfahrungsgemäß dauert der Winter ja noch mindestens ein Vierteljahr. Reichlich Gelegenheit, um seine eigenen Meinungen zu überdenken.

15. Dezember 2010


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Berlin – 8°. So eine шапка (sprich Schapka) tut gute Dienste. Natürlich ist die Mütze nicht politisch korrekt, weil eine Menge Polyester sterben mussten, damit Frau Nielsen warmes Fell am Kopf hat. Der trotzige Kopf ist gut eingepackt und ich bin guter Hoffnung, Väterchen Frost weiterhin zu trotzen. Wenn der Winter nicht so winterig wäre, käme man sich ein bißchen übertrieben vor, aber der Winter tut ja gerade was er kann, damit man nicht völlig overdressed wirkt, im Sibirien-Look. In Sibirien soll es zur Zeit wärmer als in Berlin sein, hab ich neulich gelesen. Kann sich natürlich schon wieder geändert haben. Schade, dass ich zur Zeit keinen Alkohol zu mir nehme. Eigentlich müsste man zur Abrundung des Outfits alle halbe Stunde einen Flachmann mit Wodka aus der Manteltasche holen. Blöd. Ob ich wieder anfange zu trinken? Ich denke im Januar noch mal drüber nach. Oder vielleicht sogar schon am 31. Dezember. Erfahrungsgemäß dauert der Winter ja noch mindestens ein Vierteljahr. Reichlich Gelegenheit, um seine eigenen Meinungen zu überdenken.

15. Dezember 2010

Als ich von der S-Bahn zu meiner Wohnung lief, habe ich an den Zehenspitzen gemerkt, dass es wieder kälter geworden ist. Weil ich keine große Plastikschüssel oder so etwas habe, hab ich ein Fußbad in dem größten Suppentopf genommen, den ich habe. DREIMAL HABE IST SCHLECHTER STIL! Mit dem waldmeistergrünen Erkältungsbadezusatz aus dem Drogeriemarkt. Als ob die Fußspitzen sofort einen Turbo-Temperaturtransfer gemacht hätten. Nach fünf Minuten ist mir das Wasser schon lauwarm vorgekommen, die Füße haben alles eingesaugt! Man muss immer ganz schnell reagieren, wenn man ein bißchen gefroren hat und Gegenmaßnahmen einleiten. Nach dem Fußbad hab ich flauschige Socken angezogen, die ich vorher auf den Heizkörper im Bad gelegt habe. Bestimmt ist die Gefahr gebannt. Das ging noch mal gut! Eigentlich ist es auch praktisch, wenn es immer so ähnlich gleich kalt ist, also so kalt, dass man sich so warm wie möglich anziehen muss, wenn man vor die Tür geht. Ich ziehe seit ungefähr zwei Wochen fast jeden Tag dasselbe an. Man muss nicht viel überlegen, nur dazwischen Wäsche waschen. Prima! Außerdem merken andere doch sowieso nicht groß den Unterschied, ob ich einen schwarzen, weißen oder roten Rollkragenpullover anhabe. Ich ziehe jetzt immer die drei selben Pullover abwechselnd an, die am weichsten und wärmsten sind, den roten und weißen mit der Schneeflocke drauf und noch einen anderen. Und so Beinwarmhaltedinger über die Socken. Strumpfhosen kann ich nicht leiden. Die habe ich schon als Kind verabscheut. Obwohl ich inzwischen sogar ganz flauschige von einer Marke habe. Also Markenstrümpfe! Eigentlich ganz schön weich, aber ich ziehe lieber Hosen als Röckchen an. Ich habe nicht vor, in der S-Bahn jemanden zu verführen. Außerdem schaut man bei mir sowieso eher ins Gesicht, bilde ich mir ein.
Neulich musste ich – ha neulich ist gut – es war im Sommer – also neulich im Sommer musste ich wie gebannt auf das entblößte Bein einer jungen Frau in der S-Bahn schauen. Es war so vollendet schön. Sie war überhaupt ein Blickfang. Sie trug einen kurzen Rock und neben dem schönen Bein und dem Sitz ihrer Freundin lehnte eine Krücke. Ich konnte nicht ausmachen, zu wem die ausnehmend schöne Krücke gehören könnte. So ein altes, antiquarisches Modell, aus einem gegabelten Ast und am Griff mit Leder umnäht. Die S-Bahn war wieder einmal brechend voll, wie fast immer eigentlich und es wäre bei dem Gewusel schon ein Kunststück für sich gewesen zu identifizieren, welche Beine und Füße zu welchen Köpfen gehören. Neben dem bildschönen Bein und der Krücke waren noch ganz viele andere Beine, von den anderen Fahrgästen und davor standen auch noch Leute. Als sie am Hauptbahnhof aufstand, die Krücke nahm und mit ihrer Freundin, an deren Aussehen ich mich nicht im geringsten erinnern kann, das Abteil verließ, sah ich von hinten, dass Sie gar keine Verletzung am Bein hatte, aber dafür unverschämt lässig die schöne Krücke unter dem Arm trug. Das andere Bein war gar nicht verletzt. Sie hatte gar kein anderes Bein. Nur das eine, von mir bewunderte. Ein kerngesundes, wunderschönes. Man hatte nicht das Gefühl, dass irgendetwas an ihr falsch wäre oder fehlt. Nichts an ihrem Körper war erbarmungswürdig oder mitleiderregend. Ich sah ihr während der Bahnfahrt verstohlen ins Gesicht, so aus dem Augenwinkel, weil ich sie so sexy fand, ihren Gesichtsausdruck und ihre lebhafte Art. Dass ich ihren zweiten Oberschenkel nicht ausmachen konnte irritierte mich nur kurz, weil es so gedrängt voll war. So ein ganz stylisher Typ wie aus einer Hochglanz-Fotostrecke. Athletisch, groß, lange, glatte blonde Haare, sehr gut geschnitten, braun gebrannt, sehr weiße Zähne, sehr aufregender Mund, breites Lachen, blitzende Augen. So eine Frau wo man denkt, wenn ich ein Mann wäre, würde ich nervös werden. Dieser Eindruck hat mich noch lange beschäftigt. Seltsam, dass ich es jetzt erst schreibe. Ich hatte es wieder vergessen. Da wurde mir klar, wie nie zuvor, wie stark die Anziehungskraft eines Menschen von seiner eigenen Überzeugung abhängt. Sie wirkte unfassbar sicher. Ich bin mir absolut sicher, dass ihr die Männer wie verrückt hinterherlaufen. Total uninteressant, wieviele Beine sie hat oder nicht. Ungefähr so nichtig wie die Frage, ob sie fünfundzwanzigtausend oder dreißigtausend Haare auf dem Kopf hat. Völlig egal. Sie hatte eine vibrierende Körperspannung, wie ein trainiertes Model. Unglaublich. Und mit ihrer schönen Krücke und ihrem schönen einen Bein tanzte sie zur Rolltreppe und verschwand.

14. Dezember 2010

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Oder man stellt sich vor, die Zeit schlägt in verschieden großen Wellen an Land. Wenn man hinnimmt, dass die Welle groß ist, weiß man, dass man viel Kraft und Geschick braucht, um darauf zu reiten. Eine kleine Welle ist keine große Gefahr. Sie reißt nicht in die Tiefe. Man muss sich nicht so damit beschäftigen. Manche Wellen sind zu groß, um darauf zu reiten. Außer man glaubt an Jesus und wie die alle heißen. Ich glaube nur an das Maß an Kraft und wundersame Stärke, das ich in starken Zeiten an mir selbst oder anderen erlebt habe. Ich weiß gar nicht, ob mir schon einmal ein Wunder begegnet ist. Also so ein Wunder zum sich drüber wundern. Naturwunder hab ich schon viele bewundert. Aber ich dachte nie an Hexerei, sondern den einfachen, ganz normalen Zauber der Biologie, die meiner Meinung nach überhaupt keine Mystifizierung braucht, sie ist wunderbar und geheimnisvoll genug, so lange es noch irgendein Rätsel der Zellen und Energie, die sie wachsen und rotieren lässt, gibt. Und selbst wenn alle Formeln gefunden und alle Rätsel gelöst sind, wird der Zauber der Nervenbahnen eines Blattes im Gegenlicht immer bleiben.
Auf manchen Wellen kann man nicht reiten, das wäre Größenwahn. Irrsinn. So langweilig ist das Leben auch nicht, dass man den Abgrund herausfordern müsste, um sich zu spüren. Dafür bin ich mir auch viel zu nah. Ich bin mir zum Beispiel zu wertvoll, im Hinblick darauf, diese einmalige Beziehung zu mir selbst weiterführen zu wollen, und zu erleben, wohin die unwägbare Reise geht, um vor der Zeit aus dem Leben zu treten. Wenn man so etwas artikuliert, bedeutet es natürlich, dass man eine Weile oder immer wieder darüber nachgedacht hat. Es ist ein Dilemma, das viele kennen. Die Sehnsucht nach Auflösung, Schmerzlosigkeit, Leichtigkeit. Aber so lange man es nicht wenigstens einmal über einen längeren Zeitraum geschafft hat, das in diesem irdischen Dasein zu erfahren, hat man eine Aufgabe vor sich. Ein längerer Zeitraum, auf den man später als jene wunderbare Zeit zurückblicken kann. Weißt du noch? Ungetrübt. An die man sich erinnert wie an einen schönen Film ohne Riss in der Geschichte. Gibt es das? Eine strahlend helle, warme Zeit, wie eine Ära? Eigentlich muss es möglich sein, weil auch das Gegenteil möglich ist. Eine Frage, die man sich gar nicht stellt. Gibt es das, eine dunkle Zeit, über einen längeren Zeitraum.
Dunkel, wahrhaft dunkel ist, wenn man in einen lichtlosen Schacht fällt, und fällt und fällt und nicht aufschlägt. Schlägt man auf, ist man ohnmächtig. Wacht man wieder auf, spürt man die Knochen, die Verletzung. Man liegt da und der Kopf dreht sich wieder zum Licht, nach oben, dahin, wovon man fiel, in die Tiefe. Der Blick hält sich an dem fernen Licht fest. Man schaut nicht nach unten, wenn man auf dem Rücken liegt. Nach oben. Es sei denn, man schließt die Augen. Das muss manchmal sein. Man muss auch schlafen. Aber irgendwann ist es nicht mehr interessant, in der Regungslosigkeit zu verharren. Man will nicht erstarren, und wieder spüren, wie sich Bewegungen anfühlen. Dann fängt man vorsichtig wieder damit an, ganz vorsichtig. Bis man wagt, aufzustehen, sich wieder aufzurichten. Dann schaut man, wo ein Mauervorsprung ist, der Halt gibt, beim ersten Tritt, wenn man versucht, sich nach oben zu ziehen. Am besten, man schaut mittags, wenn die Sonne am höchsten steht und senkrecht in die dunkle Tiefe fällt. Dann kann man mit dem Blick ausloten, wo man Halt finden kann. Wie man sich behelfen kann.
Letzte Nacht bin ich sehr erschrocken. Ich habe etwas geträumt, das einen solchen Schmerz verursacht hat, dass ich einen tiefen Schmerzensschrei ausstieß. Es war tief im Schlaf und ich weiß nicht, ob ich nicht wirklich geschrien habe, im Schlaf und davon aufgewacht bin. Der Schmerz war wie ein Dolchstoß, aber waffenlos. Als ob in Sekundenschnelle alles zerstört wurde, was mir lieb und wichtig war, in diesem Augenblick. Ein furchtbarer Moment. Aber ich stand auf, früh, und vergaß über den Tag diesen seltsamen Moment im Traum. Mir ist, als hätte ich in der Nacht noch darüber nachgedacht, dass meine schlafenden Nachbarn vielleicht dadurch aus dem Schlaf geschreckt sein könnten, und dass sie gedacht haben müssten, dass jemandem furchtbare Gewalt angetan wird.
Wenn man sich auf die wichtigsten Überlebensfunktionen konzentriert, die kleinen Ablenkungen reduziert, gewinnt man eine Form von Klarheit in sich, die sich anfühlt, als könnte man die Parameter in seinem Leben besser einschätzen, gewichten und daraus folgern, was man beibehält und was nicht. Was absolut lebensnotwendig ist und auch, was für den Aufbau sorgt. Welche Elemente des Lebens aufstrebende Kräfte in sich tragen. Das zum Beispiel. Sich nach einem Tag, der auf eine schöne Art unspektakulär verlaufen ist, vor dem Schlafengehen solche Gedanken machen zu können. Sie aufzuschreiben, festzuhalten, lesbar zu machen. Für sich selbst und andere. Was für ein Luxus. Die Wohnung so warm, das weiche Bett so nah. Das gesunde Gefühl in den Knochen und Zellen. Die Verantwortung dafür auch endlich begriffen zu haben. Ich bin seit einiger Zeit in einer Phase, in der mir von Giften zugeneigten Hedonisten als wahnhaft diszipliniert belächelte Gesundheitsaktivitäten, meinerseits nicht mehr hysterisch vorkommen. Wahrscheinlich eine gängige Entwicklung in meinem Alter. Ich bin Mitte Vierzig. Ich begrüße es, wenn sich jemand nicht gehen lässt und der direkte Zusammenhang mit gesteigerter Sinnenfreude erkennbar ist. Wahrscheinlich könnte ich jetzt immer so weiter tippen, bis mir die Augen zufallen und ich meine Leser schnarchen höre. Morgen ist auch wieder ein Tag. Ich gehe jetzt ein bißchen nach Westen. Aber nur in meiner Wohnung, zu meinem Bett. Mit dem Kopf nach Süden und den Füßen nach Norden.

13. Dezember 2010

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Ich weiß es nicht. Vielleicht Pampelmuse. Zitronenbäume haben ganz andere Blätter, kleiner, glatter. Orangenbäume auch oder? Unscharf dahinter wächst eine Avocado. Soviel ist sicher, weil ich mich genau erinnere, den Kern in die Erde gesteckt zu haben und ich nicht so oft Avocado esse. Es ist eine Zitrusfrucht. Mandarine kann es nicht sein, weil ich nur selten Mandarinen esse, nie welche kaufe. Auf jeden Fall wächst es immer schneller und stärker und will keine besondere Behandlung. Bei mir gibt es sowieso nur Wasser. Wem das nicht passt, kann ja gehen. Und manchmal eine neue Schaufel Erde obendrauf. Und Sympathie. Viel Sympathie. Wohlwollen. Einen freundlichen Blick aber kein Gerede. Ich glaube sowieso viel mehr an wortloses Verstehen. Vorgestern in einem alten Tagebuch einen ewig langen Eintrag gelesen, in dem ich darüber sinniere, warum ich so ein geringes Mitteilungsbedürfnis habe, in Form von Sprechen. Ich war sehr erstaunt über den Eintrag, der fast neunundzwanzig Jahre zurückliegt, in einem geradezu philosophischen Ausbruch mündet, und seine Parallele zur Gegenwart. Damals hatte ich auch diesen Transit wie jetzt, diese Saturn-Venus-Konjunktion, und aus diesem Grund interessierten mich die Einträge und Ereignisse aus dieser Zeit. Saturn braucht etwa neunundzwanzigeinhalb Jahre für einen Umlauf um unsere Sonne, um an denselben Punkt zurückzukehren. Deswegen habe ich mir diesen Aspekt genauer angesehen, man erlebt ihn nur zwei, dreimal im Leben. Darüber denke ich in den letzten Tagen nach. Ich war froh, dass ich einiges hinter mir gelassen habe, was ich da las. Die Orientierungslosigkeit, nicht zu wissen, wie man von da wegkommt, wo man ist, nicht den geringsten Plan zu haben, aber den brennenden Wunsch, unbedingt weg zu wollen. Das scheinbar unlösbare Problem, nicht zu wissen, wie man sich alleine über Wasser halten soll. Damals war ich sechzehn, als ich das schrieb, ging noch zur Schule, träumte von der weiten Welt. Selbst eine andere Stadt zu sehen, hätte mich befriedigt, ich wusste nicht, wie man das angeht. Meine Eltern verreisten nie. Sie hatten ihren großen Garten und fanden, das wäre Urlaub genug. Sehr sesshafte Menschen, denen der Blick in die Ferne durch den Fernseher aus mir unerfindlichen Gründen eben reichte. Meine Freunde verreisten mit ihren Eltern oder anderen Freunden, aber nicht alleine. Ich war zu dem Zeitpunkt nur einmal am Meer gewesen, mit den Eltern einer Freundin. Ich durfte mit, ich glaube es war 1977. Oder 1979? Ich weiß es nicht mehr. Nur dass in der Hotel-Diskothek auf der damals jugoslawischen Insel Mali Losinj „Pop Muzik“ und „My Sharona“ lief. Und ich mit einem blonden, muskulösen Profi-Schwimmer der Jugendklasse aus Bad [ZENSIERT] techtelte. Nicht mechtelte allerdings, dafür fühlte ich mich noch zu jung. Er war sexy und braun gebrannt und hatte genauso eine Zahnlücke wie ich. Da sah ich das erste mal, dass das keine Behinderung sein muss, sondern sogar anziehend wirken kann. Irgendwie verwegen sah er aus. Wie hieß er bloß. Ich müsste nachschauen. Sein Vater war der Kurdirektor von Bad [ZENSIERT]. Oh là là. Diesen Zeitraum sollte ich besser mal checken, was ich da für einen interessanten Transit hatte.

Ich war doch schon beim Juni und Juli 1982. Reisen war also nicht drin, ich hatte kein Taschengeld gespart und keine Lust auf einen Job nebenher, auch nicht während der Ferien. Da wollte ich lieber ausschlafen und faulenzen. Ferienjobs klangen schrecklich, allesamt. Zeitungen austragen und dafür in der Dunkelheit und Kälte aufstehen. Oder irgendwas im Supermarkt einräumen. Ich las am liebsten Reisebücher. Ich notierte in einem Eintrag vom Juni 1982 „neue Bücher gekauft, „talk one’s head off“, „Anders reisen Paris“, „Anders reisen San Francisco“. Im Kopf war ich längst unterwegs. Gut, dass ich inzwischen einiges gesehen habe, das diese unbändige Sehnsucht, andere Länder, unbekannte Orte zu sehen, gestillt hat. Ich empfand das bis zu meinem zwanzigsten Lebensjahr als heftigstes Defizit. Das war streng genommen der einzige Grund, warum ich mich darauf einließ, zu arbeiten. Um mehr Geld zu haben, als nur das Dach über dem Kopf finanzieren zu können. Um zu reisen. In Länder, wo Pampelmusen und Avocados wachsen.

Ich las noch ein bißchen weiter, letzten Samstag, aber dann wurde mir dieses Erinnern an die Jugend zu dicht, die Details zu nah, die Zeit begann mehr zu leben, als ich es wollte. Aber wichtig war, zu sehen, dass es tatsächlich einen frappierenden Zyklus der Ereignisse und Gefühle zu geben scheint. Und demnach auch die Aussicht auf einen nächsten Zyklus, in dem etwas anderes vorrangig werden wird, als jetzt. Als sich die Konjunktion dem Ende neigte, im August 1982 hatte ich einen Schub, in dem ich wie wild anfing zu malen. Auf zerrissene Bettlaken, Aquarelle, Portraits. Eine Zeit der Zurückgezogenheit, in der ich in langen Sommerferien nur damit beschäftigt war, mich auf dem Dach der Garage des Hauses meiner Eltern zu sonnen, der abgeschiedenste Platz, den ich dort finden konnte, zu malen und Tagebucheinträge zu verfassen. Man musste über einen großen Regenwassertank mit einer gewissen Geschicklichkeit auf das Dach klettern, dazu fand niemand einen Grund, außer mir. Ich nahm mir etwas zu trinken und zu lesen mit und die Sonne brannte schattenlos auf meinen Körper. Mich beschäftigte der frühe Tod von Romy Schneider, die wenige Wochen vorher, Ende Mai gestorben war. Eines der Portraits zeigte sie. Zwei davon habe ich noch, hier in meiner Wohnung. Das andere auch ein Frauengesicht, halb eine alte Freundin, halb Patti Smith wirft immer Fragen auf, wenn es jemand sieht, heute. „Von wem ist das?“. Weil ich so etwas heute nicht mehr mache, kommt die Frage, aber ich konnte das. Niemand weiß woher. Und dann kam der September und damit mein Geburtstag. Wie erstaunt ich las, dass ich ihn feierte. Oder besser gefeiert wurde. Das war so untypisch für mich. Hätte mich jemand gefragt, hätte ich voller Überzeugung behauptet, dass ich noch nie eine nennenswerte Geburtstagsfeier gemacht habe. Aber im Jahr 1982 kamen einige Freunde vorbei und hatten Kuchen dabei. Einer war mit Grasmehl gebacken. Der andere eine schwedische Apfeltorte. Selbstaufgenommene Kassetten gab es als Geschenk und noch andere Sachen. Vorher schien ich eine eremitische Phase gehabt zu haben, denn ich brachte große Überraschung zum Ausdruck, in meinem Tagebucheintrag. Ich schien der Meinung zu sein, ich hätte mich zu sehr von allen zurückgezogen, um noch bedacht zu werden. An der Stelle des Geburtstagseintrages legte ich das kleine Tagebuch wieder weg. Seitdem denke ich darüber nach, wie der nächste Zyklus aussehen könnte. Sein Beginn. Der Anfang. Die Erneuerung. Alles auf Anfang. Nicht sofort, aber irgendwann, im kommenden Jahr. Ich ziehe mich zurück und sammle Kräfte, wie ein Bär, der Winterschlaf macht. Michael. Er hieß Michael. Und er trug eine rote, locker sitzende Baumwollshorts zum Schwimmen. Mit drei weißen Streifen auf der Seite. Nicht so ein blödes, engsitzendes Unterhosen-Modell. Und er hatte Haare wie der Bastian, nur ein bißchen länger. Und er war verdammt cool. Und es war 1979. Und ich war dreizehn. Ich hab das Foto gerade gesehen. Daneben klebt ein Zettel mit seinem Namen und der Adresse. Ich muss mal kurz den Winterschlaf unterbrechen und ins Internet.

13. Dezember 2010

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Ich weiß es nicht. Vielleicht Pampelmuse. Zitronenbäume haben ganz andere Blätter, kleiner, glatter. Orangenbäume auch oder? Unscharf dahinter wächst eine Avocado. Soviel ist sicher, weil ich mich genau erinnere, den Kern in die Erde gesteckt zu haben und ich nicht so oft Avocado esse. Es ist eine Zitrusfrucht. Mandarine kann es nicht sein, weil ich nur selten Mandarinen esse, nie welche kaufe. Auf jeden Fall wächst es immer schneller und stärker und will keine besondere Behandlung. Bei mir gibt es sowieso nur Wasser. Wem das nicht passt, kann ja gehen. Und manchmal eine neue Schaufel Erde obendrauf. Und Sympathie. Viel Sympathie. Wohlwollen. Einen freundlichen Blick aber kein Gerede. Ich glaube sowieso viel mehr an wortloses Verstehen. Vorgestern in einem alten Tagebuch einen ewig langen Eintrag gelesen, in dem ich darüber sinniere, warum ich so ein geringes Mitteilungsbedürfnis habe, in Form von Sprechen. Ich war sehr erstaunt über den Eintrag, der fast neunundzwanzig Jahre zurückliegt, in einem geradezu philosophischen Ausbruch mündet, und seine Parallele zur Gegenwart. Damals hatte ich auch diesen Transit wie jetzt, diese Saturn-Venus-Konjunktion, und aus diesem Grund interessierten mich die Einträge und Ereignisse aus dieser Zeit. Saturn braucht etwa neunundzwanzigeinhalb Jahre für einen Umlauf um unsere Sonne, um an denselben Punkt zurückzukehren. Deswegen habe ich mir diesen Aspekt genauer angesehen, man erlebt ihn nur zwei, dreimal im Leben. Darüber denke ich in den letzten Tagen nach. Ich war froh, dass ich einiges hinter mir gelassen habe, was ich da las. Die Orientierungslosigkeit, nicht zu wissen, wie man von da wegkommt, wo man ist, nicht den geringsten Plan zu haben, aber den brennenden Wunsch, unbedingt weg zu wollen. Das scheinbar unlösbare Problem, nicht zu wissen, wie man sich alleine über Wasser halten soll. Damals war ich sechzehn, als ich das schrieb, ging noch zur Schule, träumte von der weiten Welt. Selbst eine andere Stadt zu sehen, hätte mich befriedigt, ich wusste nicht, wie man das angeht. Meine Eltern verreisten nie. Sie hatten ihren großen Garten und fanden, das wäre Urlaub genug. Sehr sesshafte Menschen, denen der Blick in die Ferne durch den Fernseher aus mir unerfindlichen Gründen eben reichte. Meine Freunde verreisten mit ihren Eltern oder anderen Freunden, aber nicht alleine. Ich war zu dem Zeitpunkt nur einmal am Meer gewesen, mit den Eltern einer Freundin. Ich durfte mit, ich glaube es war 1977. Oder 1979? Ich weiß es nicht mehr. Nur dass in der Hotel-Diskothek auf der damals jugoslawischen Insel Mali Losinj „Pop Muzik“ und „My Sharona“ lief. Und ich mit einem blonden, muskulösen Profi-Schwimmer der Jugendklasse aus Bad [ZENSIERT] techtelte. Nicht mechtelte allerdings, dafür fühlte ich mich noch zu jung. Er war sexy und braun gebrannt und hatte genauso eine Zahnlücke wie ich. Da sah ich das erste mal, dass das keine Behinderung sein muss, sondern sogar anziehend wirken kann. Irgendwie verwegen sah er aus. Wie hieß er bloß. Ich müsste nachschauen. Sein Vater war der Kurdirektor von Bad [ZENSIERT]. Oh là là. Diesen Zeitraum sollte ich besser mal checken, was ich da für einen interessanten Transit hatte.

Ich war doch schon beim Juni und Juli 1982. Reisen war also nicht drin, ich hatte kein Taschengeld gespart und keine Lust auf einen Job nebenher, auch nicht während der Ferien. Da wollte ich lieber ausschlafen und faulenzen. Ferienjobs klangen schrecklich, allesamt. Zeitungen austragen und dafür in der Dunkelheit und Kälte aufstehen. Oder irgendwas im Supermarkt einräumen. Ich las am liebsten Reisebücher. Ich notierte in einem Eintrag vom Juni 1982 „neue Bücher gekauft, „talk one’s head off“, „Anders reisen Paris“, „Anders reisen San Francisco“. Im Kopf war ich längst unterwegs. Gut, dass ich inzwischen einiges gesehen habe, das diese unbändige Sehnsucht, andere Länder, unbekannte Orte zu sehen, gestillt hat. Ich empfand das bis zu meinem zwanzigsten Lebensjahr als heftigstes Defizit. Das war streng genommen der einzige Grund, warum ich mich darauf einließ, zu arbeiten. Um mehr Geld zu haben, als nur das Dach über dem Kopf finanzieren zu können. Um zu reisen. In Länder, wo Pampelmusen und Avocados wachsen.

Ich las noch ein bißchen weiter, letzten Samstag, aber dann wurde mir dieses Erinnern an die Jugend zu dicht, die Details zu nah, die Zeit begann mehr zu leben, als ich es wollte. Aber wichtig war, zu sehen, dass es tatsächlich einen frappierenden Zyklus der Ereignisse und Gefühle zu geben scheint. Und demnach auch die Aussicht auf einen nächsten Zyklus, in dem etwas anderes vorrangig werden wird, als jetzt. Als sich die Konjunktion dem Ende neigte, im August 1982 hatte ich einen Schub, in dem ich wie wild anfing zu malen. Auf zerrissene Bettlaken, Aquarelle, Portraits. Eine Zeit der Zurückgezogenheit, in der ich in langen Sommerferien nur damit beschäftigt war, mich auf dem Dach der Garage des Hauses meiner Eltern zu sonnen, der abgeschiedenste Platz, den ich dort finden konnte, zu malen und Tagebucheinträge zu verfassen. Man musste über einen großen Regenwassertank mit einer gewissen Geschicklichkeit auf das Dach klettern, dazu fand niemand einen Grund, außer mir. Ich nahm mir etwas zu trinken und zu lesen mit und die Sonne brannte schattenlos auf meinen Körper. Mich beschäftigte der frühe Tod von Romy Schneider, die wenige Wochen vorher, Ende Mai gestorben war. Eines der Portraits zeigte sie. Zwei davon habe ich noch, hier in meiner Wohnung. Das andere auch ein Frauengesicht, halb eine alte Freundin, halb Patti Smith wirft immer Fragen auf, wenn es jemand sieht, heute. „Von wem ist das?“. Weil ich so etwas heute nicht mehr mache, kommt die Frage, aber ich konnte das. Niemand weiß woher. Und dann kam der September und damit mein Geburtstag. Wie erstaunt ich las, dass ich ihn feierte. Oder besser gefeiert wurde. Das war so untypisch für mich. Hätte mich jemand gefragt, hätte ich voller Überzeugung behauptet, dass ich noch nie eine nennenswerte Geburtstagsfeier gemacht habe. Aber im Jahr 1982 kamen einige Freunde vorbei und hatten Kuchen dabei. Einer war mit Grasmehl gebacken. Der andere eine schwedische Apfeltorte. Selbstaufgenommene Kassetten gab es als Geschenk und noch andere Sachen. Vorher schien ich eine eremitische Phase gehabt zu haben, denn ich brachte große Überraschung zum Ausdruck, in meinem Tagebucheintrag. Ich schien der Meinung zu sein, ich hätte mich zu sehr von allen zurückgezogen, um noch bedacht zu werden. An der Stelle des Geburtstagseintrages legte ich das kleine Tagebuch wieder weg. Seitdem denke ich darüber nach, wie der nächste Zyklus aussehen könnte. Sein Beginn. Der Anfang. Die Erneuerung. Alles auf Anfang. Nicht sofort, aber irgendwann, im kommenden Jahr. Ich ziehe mich zurück und sammle Kräfte, wie ein Bär, der Winterschlaf macht. Michael. Er hieß Michael. Und er trug eine rote, locker sitzende Baumwollshorts zum Schwimmen. Mit drei weißen Streifen auf der Seite. Nicht so ein blödes, engsitzendes Unterhosen-Modell. Und er hatte Haare wie der Bastian, nur ein bißchen länger. Und er war verdammt cool. Und es war 1979. Und ich war dreizehn. Ich hab das Foto gerade gesehen. Daneben klebt ein Zettel mit seinem Namen und der Adresse. Ich muss mal kurz den Winterschlaf unterbrechen und ins Internet.

12. Dezember 2010

http://www.flickr.com/apps/slideshow/show.swf?v=71649

Muss ich mir hier jedesmal irgendwelche Geschichten aus den Fingern saugen? Bilder müssen reichen! Die Wiederholung der Motive ist beabsichtigt und hat System. Zweck der Übung ist, dass sich die Abbildungen gut einprägen und darüber qualifiziert diskutiert werden kann. Also bitte. Bei mir ist der Himmel natürlich so gut wie immer blau, weil ich eben weit genug oben bin! Haha! Ausgetrickst. Bewölkten Himmel würde ich mir persönlich auf Dauer auch gar nicht bieten lassen. Eine Frage der Willensstärke und des Durchsetzungsvermögens. Denken Sie mal darüber nach.

12. Dezember 2010

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Muss ich mir hier jedesmal irgendwelche Geschichten aus den Fingern saugen? Bilder müssen reichen! Die Wiederholung der Motive ist beabsichtigt und hat System. Zweck der Übung ist, dass sich die Abbildungen gut einprägen und darüber qualifiziert diskutiert werden kann. Also bitte. Bei mir ist der Himmel natürlich so gut wie immer blau, weil ich eben weit genug oben bin! Haha! Ausgetrickst. Bewölkten Himmel würde ich mir persönlich auf Dauer auch gar nicht bieten lassen. Eine Frage der Willensstärke und des Durchsetzungsvermögens. Denken Sie mal darüber nach.

11. Dezember 2010


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Minus zehn. Oder dreizehn. Aber alles im Griff. Wenn alles so leicht zu handeln wäre, wie sich warm anzuziehen, wenn es draußen kalt ist. Vielleicht ist das aber nur meine irrige Perspektive. Vielleicht ist ja alles so leicht in den Griff zu kriegen, wie sich warm anzuziehen, ich hab es nur noch nicht gecheckt. Ha! Ich versuche, die Erwartungen an mich selbst und an mein Leben, dem Wetter anzupassen. Also mich nicht im Bikini auf den Balkon zu legen, im Dezember. Man würde sich bestimmt erkälten, das ahnt man schon vorher. So ähnlich ist es mit dem anderen Wetter, dem atmosphärischen, das ohne Schneeflocken daherkommt. Temperaturschwankung, Temperaturabfall ist nicht immer eine Reaktion auf eine Aktion oder im ursächlichen Zusammenhang mit einer selbstgesteuerten Handlung. Im Grunde schwimmt man wie ein Fisch mit der großen Welle, mit der Strömung. Die Strömung kommt aber nicht von dem bißchen Gewedel mit der Flosse. Man muss schauen, dass man nicht gegen die Strömung kämpft. Das wäre Energieverschwendung. Man muss auch nicht hektisch paddeln, um an die Spitze des Schwarms zu kommen, der in eine Richtung treibt, die einem nicht gefällt. Ich sehe, wohin die Strömung geht und irgendwann wird sich die Richtung wieder ändern. Kann sein, dass man in dem befremdlichen Gewässer etwas entdeckt, das man nicht kannte. Und dann etwas versteht, über das große Meer. Den Ozean.

11. Dezember 2010

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Der erste Schnee, vor einer Woche. Aus dem Küchenfenster nach Osten. Ich habe mich schon oft gefragt, wie dieser Raum von innen aussieht. Wenn Licht ist, kann ich erkennen, dass Bilder an der Wand hängen. Es scheint ein kaum unterteilter, ziemlich großer Raum zu sein. Die Fenster gehen nach Westen. Wer auch immer dort wohnt oder arbeitet, sieht Sonnenuntergänge. Ich kann nicht erkennen, ob es eine Terrasse nach hinten gibt. Ohne Terrasse nach draußen ist die Wohnung nur halb so interessant. Vielleicht gibt es ja eine. Wäre ja schade sonst, bei so einem Filetstückchen in Mitte, in der Auguststraße. Wenn ich irgendwann wieder einmal umziehe, dann nur in einen anderen Adlerhorst. Oder eine Hütte in der Wildnis.

11. Dezember 2010

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Nur vier Wochen her. Der Bastard verliert die Haare. War mir noch nie so vor die Augen und ins Bewusstsein gekommen, die Ähnlichkeit mit dem Lichten der Haare. Oben könnte man schon ganz leicht mit dem Kamm durchkommen. Aus meinem Winkel sehe ich die fünf Bastard-Schwarz-Pappeln (so heißen die wirklich) fast wie einen Baum. Bestimmt dreimal jeden Tag schaue ich in die Richtung, seit fast zwölf Jahren schon. Wahrscheinlich hätte es mir auch nichts genützt, wenn ich im Biologie-Unterricht besser aufgepasst hätte, weil ich nicht glaube, dass wir solche Feinheiten wie die verschiedenen Pappel-Sorten durchgenommen haben. Getreidesorten und Schlangen und Echsen waren im Unterricht dran, das weiß ich aber auch nur, weil ich ein altes Schulheft gefunden habe, mit Bildern drin. Die meisten kennen als Pappel nur diese lanzenförmigen Bäume in Alleen, wie eine kleine Armee, das sind Pyramiden-Pappeln. Die eigenwillige Schwarz-Pappel ist ein seltener Baum geworden und vom Aussterben bedroht. Das auf den Bildern ist eine Kreuzung aus der eingeführten kanadischen Schwarz-Pappel und der europäischen Schwarz-Pappel. Vielleicht hat sie sich auch selber gekreuzt und lauter kleine Bastarde auf die Welt geworfen. Weil die Bastarde schneller wachsen und nicht so hohe Ansprüche an ihre Unterkunft haben, haben die Berliner Gärtner die Idee gehabt, es wäre doch ein guter Baum, wenn man einen neuen Park anlegt, dann hat man schön schnell große Bäume drin. Dass es Bastard-Schwarz-Pappeln sind, hab ich erst vor ein paar Wochen rausgekriegt, weil ich dachte, es ist doch eine Schande, dass ich den Namen von japanischen Kürbissorten kenne, aber nicht mal weiß, wie der Baum vor meiner Nase mit Vornamen heißt. Ist übrigens gar nicht so leicht zu erkennen, wegen Verwechslungsgefahr. Die heimischen Schwarz-Pappeln, die am liebsten an Flussauen wachsen und gerne alleine stehen, habe eine dunklere Rinde und eine wildere Krone, nicht so artig und rund wie mein gelber Helium-Ballon.

Aber ich hab sie gerne, die Bastarde vor meiner Nase. Sie sind mächtig groß, bestimmt dreissig Meter. Die Berliner Traufhöhe ist zweiundzwanzig Meter hab ich gelesen, und der Turm von der Sophienkirche dahinter neunundsechzig Meter. Sie sind auf jeden Fall schon größer als die Häuser. Manchmal sitzen Hunderte kleiner Vögel drin und piepen. Wenn er wieder Blätter hat, der Bastard-Baum und seine Geschwister, kann ich den Wind darin rauschen hören. Im Frühling, Sommer, Herbst und Winter. doch , – wirklich, auch jetzt. Weil ich mich gut erinnern kann, an seinen Windgesang. An Deinen Windgesang.

10. Dezember 2010

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Mag sein, dass man die Einstürzenden Neubauten und ihre Protagonisten jetzt nicht unbedingt mit Lustigkeit in Verbindung bringt, aber es gab sehr lustige Momente. Besonders als ein Gast sich gegen Ende des Abends investigativ nach dem Eheleben der beiden, Danielle de Picciotto und Alex Hacke erkundigte (nicht verwechseln bitte mit dem Schreiber Axel Hacke). Ob man denn bei diesem abenteuerlich vagabundierenden Leben überhaupt noch ein solides Eheleben führen könne. Danielle hatte eine Sekunde diesen Gesichtsausdruck, den Sprachen Lernende manchmal haben, wenn sie eine neue Phrase hören. Sie ist Amerikanerin, lebt seit 1987 in Berlin und spricht verblüffend akzentfrei Deutsch. „Was ist ein solides Eheleben?“. Der Berliner Sender Alex hat ein paar Ausschnitte von dem Abend aufgezeichnet, kann man hier sehen. Ich mag es, wie Alexander Hacke Danielle anschaut, wenn sie erzählt. Ein warmer, respektvoller Blick. Die beiden haben Spaß miteinander. Und sie machen mit dem, was sie gemeinsam tun, die Welt schöner. Ich habe eine genaue Vorstellung davon, wie sich das anfühlt, leicht wehmütig. Besonders gefiel mir, als sie erzählten, dass sie ein Prinzip verfolgen, nämlich Dinge zusammenzubringen, die eigentlich nicht zusammengehören, und so etwas Neues in die Welt zu bringen. Grenzen zu überschreiten, Polaritäten zu verbinden. Das habe ich gut verstanden. An den beiden ist nichts, was ich nicht verstehe. Das geht mir selten so. Danielle schrieb mir, dass sie die Bilder mag, das freut mich sehr.

09. Dezember 2010


»Während vieler Monate gültig: Diese Zeitqualität wirkt stark auf die mitmenschlichen Beziehungen. Auch die solidesten Verbindungen sind einer Prüfung ausgesetzt, und Sie und Ihr Partner fragen mit wachsender Intensität nach der menschlichen Qualität der Verbindung. Eine schwache, labile Beziehung unterliegt der gleichen kritischen Bewertung, und deshalb könnten Sie hier zu dem Schluß kommen, daß sie nicht erhaltenswert ist. Nutzlos gewordene Beziehungen brechen jetzt wahrscheinlich auseinander, auch wenn Sie oft zögern, Abschied zu nehmen. Gleiches gilt für Freundschaften.
Jetzt haben Sie das Bedürfnis, sich von Ihren Mitmenschen zurückzuziehen. In dieser Zeit müssen Sie feststellen, wer Sie sind, was Ihre Individualität ausmacht, und wie sich diese Werte in Ihren mitmenschlichen Beziehungen bewähren. Vielleicht kommen Sie zu einigen desillusionierenden Erkenntnissen über Ihre Beziehungen. Auch Verbindungen, die Sie als gut empfunden haben, mögen jetzt ihr Ende erreicht haben. Doch die Beziehungen, die diese Zeit gut überstehen, sind echt und wichtig. Es könnte auch eine schicksalhafte menschliche Beziehung neu in Ihr Leben treten, die etwa vierzehn Jahre später große Bedeutung für Sie gewinnen wird.
Auf einer ganz anderen Ebene könnte dieser Einfluß eine Zeit der Enthaltung anzeigen, während der Sie – vielleicht sogar freiwillig – auf viele kleine Freuden verzichten, die Ihr Leben bisher verschönt haben. Diesen Zustand sollten Sie zur Selbstprüfung nutzen, um sich die Bedeutung, die materieller Wohlstand für Sie hat, vor Augen zu führen.
Insgesamt sollten Sie diese Zeit dazu nutzen, bezüglich Ihrer Mitmenschen und Ihres materiellen Besitzes etwas auf Distanz zu gehen. In einer solchen Zeit der Zurückgezogenheit können Sie sich ein klares Bild über sich selbst und darüber machen, wer und was Sie sind, so daß Beziehungen und materieller Besitz in Zukunft auf einer solideren Erkenntnis der realen Verhältnisse beruhen und deshalb auch zuverlässiger und nützlicher sein werden.«

Robert Hand, Das Buch der Transite
[Transitierender Saturn in Konjunktion zu meiner Radix-Venus auf 15° Waage, Ende November 2010 bis Mitte September 2011]

06. Dezember 2010

Das schreibe ich am Siebten, aber das ist nur das Datum. Vor dem Schlafengehen ist immer noch der Tag vor Mitternacht. Ich geh gleich schlafen, weil ich sollte und weil ich gerade auf youtube in das Suchfeld ‚youtube‘ eingeben habe. Das ist ungefähr das Stadium, in dem man in Google ‚google‘ eingibt. Also schlaft schön, gute Nacht. Und ansonsten nicht böse sein. Ich hab eine schwierige Zeit. Wenn sie vorbei ist, sag ich Bescheid.

05. Dezember 2010

Meine Segenswünsche gehen heute an Frau Sofia Heck zum 108. und an Herrn Johannes Heesters zum 107. Wiegenfest. Ein wenig keck ist das schon von Sofia Heck, wenn sie Jopi als jungen Spund bezeichnet. Aber sie ist schließlich die Ältere und hat immer noch Lumpereien im Kopf. Herzlichen Glückwunsch.
Es singt für Sie Johannes Heesters den Titel „Mein Mädel ist nur eine Verkäuferin“.

05. Dezember 2010


16. Oktober 2010 am Gipsdreieck. Vielleicht habe ich das schon einmal geschrieben, was das ist, das Gipsdreieck. Wenn man als Vogel über die Ecke fliegt, in der das Haus steht, in dem ich wohne, sieht man ein begrüntes dreieckiges Stück Berlin mit zwei Spielplätzen, einer Wiese und Bäumen. Die drei Straßen an den Seiten des Dreiecks heißen Gipsstraße, Joachimstraße und Auguststraße. Ich wohne in einem Eckhaus mit zwei Fenstern zur Joachimstraße und zwei Fenstern und einem Balkon zur Auguststraße. Es gibt alte und junge Bäume. Die Spielplätze sind erst ungefähr fünf Jahre alt. Vorher war es einfach eine verwilderte Ecke im Gipsdreieck. Als ich Mitte Oktober aus dem Fenster schaute, nahm ich zum ersten mal die gelb werdenden Blätter wahr. Und die Rutsche auf dem Spielplatz weiter hinten, die silber durch die Blätter glänzte.
Vorher wurde vom Herbst immer nur geredet. In Elstal hatte ich ihn auch schon getroffen, zwei Wochen vorher. Aber jetzt war er auch hier. An manchen Tagen schaue ich aus dem Fenster und erinnere mich an die anderen Ausblicke, die ich aus meinen früheren Wohnungen hatte. Man hatte eigentlich keine große Lust, länger als unbedingt nötig aus dem Fenster zu schauen. Es gab keinen weiten Blick, keinen nahen Himmel, keine Bäume, wie in diesem kleinen Park. Auch wenn alles andere schwierig ist, weiß ich, dass ich hier in Sicherheit bin. Wenn es wieder wärmer wird, lasse ich das Fenster auf, dann kann ich die Kinder hören, die da unten spielen. Quieken und quaken. Es hört sich immer freundlich an, was die Kleinen so plappern. Vielleicht ist es ein privilegierter Ort, an den es keine prügelnden Eltern zieht. Das mag sein.
Der freundliche Jupiter stand am Ende des vierten Hauses, als ich diese Wohnung fand, da ist er jetzt auch wieder. Das vierte Haus ist das Zuhause. Und da ist mein Saturn im Geburtshoroskop. Jupiter und Saturn sind Kontrahenten oder besser gegenteilige Prinzipien. Jupiter verschenkt, Saturn erwartet Leistung. Da gibt es nichts einfach so. Kann man sich ein Zuhause erarbeiten? Wenn man das Gefühl nicht dort empfindet, wo man geboren wurde, hat man jedenfalls einen Grund darüber genau nachzudenken, wo man dieses Gefühl haben könnte, von dem immer alle reden. Begreifen, welche Dinge man wirklich braucht, um ein Gefühl von Zuhause zu haben. Für mich ist die Sprache ein wichtiger Teil, um mich heimisch zu fühlen. Wenn ich den Klang einer Sprache oder eines Dialekts nicht mag, will ich weg. Es fühlt sich an, als ob jemand im Radio einen Sender mit ungeliebter Musik eingestellt hat, die man so schnell wie möglich abstellen will.
Es gab keinen Schulausflug, keine Kurzreise, die mein inneres Bild illustriert oder untermauert hätte. Das war nicht nötig. Ich spürte sofort, dass ich hier richtig war und nicht mehr zurückkehren würde. Manchmal denke ich, vielleicht löse ich eines Tages das Rätsel, das Geheimnis, was mich so sehr hierher zog, ohne je vorher einen Fuß in die Stadt gesetzt zu haben. Warum es mir so vertraut war, vom ersten Tag, dieses Berlin. Was hab ich da für eine alte, geheimnisvolle Geschichte? Oder habe ich einfach nur zu viele Fernsehserien geschaut, die in Berlin spielen? Aber das kann es auch nicht sein, denn einige Vorabendserien handelten auch in München. Polizeiinspektion 1 mit Walter Sedlmayr, Elmar Wepper und Uschi Glas zum Beispiel. Da wollte ich nie hin, obwohl ich die Sendung gerne geschaut habe. Die konnten in Sachen Heimatgefühl Harald Juhnke nicht das Wasser reichen. Für keine andere Stadt der Welt empfinde ich so. Obwohl ich architektonische Schönheit anerkennen kann. Aber woanders ist kein Teil von mir. Da ist nichts. Aber hier finde ich alles, worin ich mich wiedererkenne. Es ist der Geist von Uranus, die Selbstverständlichkeit, mit der man Eigenwilligkeit ausleben darf und dafür keinen Argwohn oder hochgezogene Augenbrauen erntet.
Am meisten fiel mir Mitte der Achtziger Jahre, als ich hierherkam, abgesehen von den viel breiteren Straßen als im Rest der Republik auf, dass sich Berliner mit konservativer Gesinnung schrägen kulturellen Strömungen gegenüber in einem Maß liberal verhielten, dass man sie in Bayern sofort als links verschubladet hätte. Das gefiel mir gut. Es gab in den Achtzigern einen S-Bahn-Abfertiger mit einer grasgrünen Irokesenfrisur, vorschriftsmäßig trug er dazu das dunkelblaue S-Bahn-Jackett. Wenig später konnte man gewagte blaue und pinkfarbene Kurzhaarfrisureneperimente bei Damen in der Altersgruppe von 20 bis 50 sehen, die ein bißchen Farbe in ihren Büroalltag bringen wollten. Das sah nicht immer schick und elegant aus, aber meistens lustig. Jedenfalls habe ich immer noch viel Freude an den Eingeborenen. Wenn in der S-Bahn zwei Bauarbeiter oder Handwerker erzählen, was sie nach Feierabend vorhaben, spitze ich die Ohren und freue mich, dass ich das hören darf. Mir ist eigentlich völlig schnurz, was sie da reden, Hauptsache, sie berlinern ordentlich. So richtig schlimm. Da geht mir das Herz auf. Wie früher, wenn Harald Juhnke mit den Damen vom Grill gescherzt hat. Da war ich zuhause. Keine Ahnung was das ist. Aber ein schönes Gefühl. Na ja, auch ein blindes Huhn findet einmal ein Korn. Wenigstens ist das Heimatproblem gelöst. Und die anderen Sachen kommen später. Rom wurde auch nicht an einem Tag gebaut.
http://www.flickr.com/apps/slideshow/show.swf?v=71649

05. Dezember 2010


16. Oktober 2010 am Gipsdreieck. Vielleicht habe ich das schon einmal geschrieben, was das ist, das Gipsdreieck. Wenn man als Vogel über die Ecke fliegt, in der das Haus steht, in dem ich wohne, sieht man ein begrüntes dreieckiges Stück Berlin mit zwei Spielplätzen, einer Wiese und Bäumen. Die drei Straßen an den Seiten des Dreiecks heißen Gipsstraße, Joachimstraße und Auguststraße. Ich wohne in einem Eckhaus mit zwei Fenstern zur Joachimstraße und zwei Fenstern und einem Balkon zur Auguststraße. Es gibt alte und junge Bäume. Die Spielplätze sind erst ungefähr fünf Jahre alt. Vorher war es einfach eine verwilderte Ecke im Gipsdreieck. Als ich Mitte Oktober aus dem Fenster schaute, nahm ich zum ersten mal die gelb werdenden Blätter wahr. Und die Rutsche auf dem Spielplatz weiter hinten, die silber durch die Blätter glänzte.
Vorher wurde vom Herbst immer nur geredet. In Elstal hatte ich ihn auch schon getroffen, zwei Wochen vorher. Aber jetzt war er auch hier. An manchen Tagen schaue ich aus dem Fenster und erinnere mich an die anderen Ausblicke, die ich aus meinen früheren Wohnungen hatte. Man hatte eigentlich keine große Lust, länger als unbedingt nötig aus dem Fenster zu schauen. Es gab keinen weiten Blick, keinen nahen Himmel, keine Bäume, wie in diesem kleinen Park. Auch wenn alles andere schwierig ist, weiß ich, dass ich hier in Sicherheit bin. Wenn es wieder wärmer wird, lasse ich das Fenster auf, dann kann ich die Kinder hören, die da unten spielen. Quieken und quaken. Es hört sich immer freundlich an, was die Kleinen so plappern. Vielleicht ist es ein privilegierter Ort, an den es keine prügelnden Eltern zieht. Das mag sein.
Der freundliche Jupiter stand am Ende des vierten Hauses, als ich diese Wohnung fand, da ist er jetzt auch wieder. Das vierte Haus ist das Zuhause. Und da ist mein Saturn im Geburtshoroskop. Jupiter und Saturn sind Kontrahenten oder besser gegenteilige Prinzipien. Jupiter verschenkt, Saturn erwartet Leistung. Da gibt es nichts einfach so. Kann man sich ein Zuhause erarbeiten? Wenn man das Gefühl nicht dort empfindet, wo man geboren wurde, hat man jedenfalls einen Grund darüber genau nachzudenken, wo man dieses Gefühl haben könnte, von dem immer alle reden. Begreifen, welche Dinge man wirklich braucht, um ein Gefühl von Zuhause zu haben. Für mich ist die Sprache ein wichtiger Teil, um mich heimisch zu fühlen. Wenn ich den Klang einer Sprache oder eines Dialekts nicht mag, will ich weg. Es fühlt sich an, als ob jemand im Radio einen Sender mit ungeliebter Musik eingestellt hat, die man so schnell wie möglich abstellen will.
Es gab keinen Schulausflug, keine Kurzreise, die mein inneres Bild illustriert oder untermauert hätte. Das war nicht nötig. Ich spürte sofort, dass ich hier richtig war und nicht mehr zurückkehren würde. Manchmal denke ich, vielleicht löse ich eines Tages das Rätsel, das Geheimnis, was mich so sehr hierher zog, ohne je vorher einen Fuß in die Stadt gesetzt zu haben. Warum es mir so vertraut war, vom ersten Tag, dieses Berlin. Was hab ich da für eine alte, geheimnisvolle Geschichte? Oder habe ich einfach nur zu viele Fernsehserien geschaut, die in Berlin spielen? Aber das kann es auch nicht sein, denn einige Vorabendserien handelten auch in München. Polizeiinspektion 1 mit Walter Sedlmayr, Elmar Wepper und Uschi Glas zum Beispiel. Da wollte ich nie hin, obwohl ich die Sendung gerne geschaut habe. Die konnten in Sachen Heimatgefühl Harald Juhnke nicht das Wasser reichen. Für keine andere Stadt der Welt empfinde ich so. Obwohl ich architektonische Schönheit anerkennen kann. Aber woanders ist kein Teil von mir. Da ist nichts. Aber hier finde ich alles, worin ich mich wiedererkenne. Es ist der Geist von Uranus, die Selbstverständlichkeit, mit der man Eigenwilligkeit ausleben darf und dafür keinen Argwohn oder hochgezogene Augenbrauen erntet.
Am meisten fiel mir Mitte der Achtziger Jahre, als ich hierherkam, abgesehen von den viel breiteren Straßen als im Rest der Republik auf, dass sich Berliner mit konservativer Gesinnung schrägen kulturellen Strömungen gegenüber in einem Maß liberal verhielten, dass man sie in Bayern sofort als links verschubladet hätte. Das gefiel mir gut. Es gab in den Achtzigern einen S-Bahn-Abfertiger mit einer grasgrünen Irokesenfrisur, vorschriftsmäßig trug er dazu das dunkelblaue S-Bahn-Jackett. Wenig später konnte man gewagte blaue und pinkfarbene Kurzhaarfrisureneperimente bei Damen in der Altersgruppe von 20 bis 50 sehen, die ein bißchen Farbe in ihren Büroalltag bringen wollten. Das sah nicht immer schick und elegant aus, aber meistens lustig. Jedenfalls habe ich immer noch viel Freude an den Eingeborenen. Wenn in der S-Bahn zwei Bauarbeiter oder Handwerker erzählen, was sie nach Feierabend vorhaben, spitze ich die Ohren und freue mich, dass ich das hören darf. Mir ist eigentlich völlig schnurz, was sie da reden, Hauptsache, sie berlinern ordentlich. So richtig schlimm. Da geht mir das Herz auf. Wie früher, wenn Harald Juhnke mit den Damen vom Grill gescherzt hat. Da war ich zuhause. Keine Ahnung was das ist. Aber ein schönes Gefühl. Na ja, auch ein blindes Huhn findet einmal ein Korn. Wenigstens ist das Heimatproblem gelöst. Und die anderen Sachen kommen später. Rom wurde auch nicht an einem Tag gebaut.
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05. Dezember 2010

Meine Segenswünsche gehen heute an Frau Sofia Heck zum 108. und an Herrn Johannes Heesters zum 107. Wiegenfest. Ein wenig keck ist das schon von Sofia Heck, wenn sie Jopi als jungen Spund bezeichnet. Aber sie ist schließlich die Ältere und hat immer noch Lumpereien im Kopf. Herzlichen Glückwunsch.
Es singt für Sie Johannes Heesters den Titel „Mein Mädel ist nur eine Verkäuferin“.

05. Dezember 2010

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13. Oktober 2010. Der Tag, als ich ein paar Sachen in mein Atelier brachte, auf den Malermeister wartete, der die Fensternasen streichen wollte und mich tief schnitt. Mit dieser zerbrochenen Scherbe einer Scheibe eines Bilderrahmens, die mir aus den Händen glitt. Die tiefe Narbe am linken Zeigefinger ist gut verheilt. Nur wenn ich sie berühre, ist die Stelle empfindlicher als andere. Eine kleine Irritation. Die Zellen haben sich anders sortiert, gruppiert, orientiert, als sich die Wunde schloss. Eine innere Narbe. Es wird eine Weile spürbar bleiben. Auch wenn man es nicht sieht. Die Bilder enstanden, bevor ich mich verletzte. Seit dem war ich nur einmal wieder dort. Um die Fenster zu schließen. Kein weltbewegender Eintrag. Nur damit die Bilder ein bißchen Geschichte kriegen. Und so einfach war es nicht, die Sachen dort hin zu bringen. Seit der blöden Rechtschreibreform bin ich total verunsichert, was man zusammen und auseinander schreibt. ich war früher so souverän. Das ärgert mich. „Dort hin zu bringen“ oder dorthin zu bringen? oder dorthinzubringen? Ich bin ganz durcheinander und habe auch längst die Lust verloren, im Duden nachzuschauen, das ist mir alles zu blöd, zudem es bei manchen Sachen jetzt mehrere mögliche Schreibweisen gibt. Damit sollte man sich nicht aufhalten. Also bitte keine hilfreich gemeinten Belehrungen. Es ist mir langsam schnurzpiepegal. Es ist doch völlig in Ordnung, wenn man eine Variante wählt, die irgendwann in den letzten fünfzig Jahren als richtig galt. Ich wollte jetzt aber auch keinen Eintrag über die Rechtschreibreform verfassen. Es gibt eben nichts, was ewig gleich bleibt. Bevor man anfängt zu faseln, sollte man den Blogeintrag beenden und speichern und veröffentlichen. Geht ja nicht um den Literaturnobelpreis. Wobei ich die Wahl der letztjährigen Preisvergabe nicht nachvollziehen kann. Wurst. Egal.

04. Dezember 2010

GAGA VOREVA. Frau Nielsen war am zehnten Oktober vor Eva in Laune und hat auf die Schnelle beim Verlassen der Wohnung zwei Fotos gemacht. Ich hatte lange geschlafen, lange gefrühstückt, mochte mich und machte mich, Windschutzbrille auf der Nase, Kamera in der Hand, in Vorfreude und Mantel auf den Weg, um einen schönen Nachmittag mit meiner Freundin Sabine bei Eva-Maria Hagen im Berliner Schlossparktheater zu verbringen. Man muss die Gunst der Stunde nutzen, denn auch ich bin nicht jeden Tag in der Laune, fotografiert zu werden. Ganz im Gegenteil. Ich hasse es, fotografiert zu werden. Außer von Peter Lindbergh. Oder Herb Ritts. Ach so, der ist ja schon tot. Na ja, auf jeden Fall ist fotografiert werden prinzipiell eine schlimme Sache, sofern der Fotograf sich nicht die Mühe macht, die Lichtverhältnisse und meinen Schädel ausreichend zu studieren und in wohlbedachter Weise, Lichtquelle und Objekt zu koordinieren. Das Ergebnis sollte bitte gleichzeitig äußerst schmeichelhaft und authentisch sein. Das sollte eigentlich möglich sein. Schließlich kann ich das auch.
Unlängst wieder schwierige Erfahrung gemacht. Eine menschlich sehr nette Fotografin hat überschwänglich versucht, mich mit Komplimenten zu motivieren, aber ich ahnte, das wird nichts. Wenn mir schon jemand sagt, ich soll das Kinn 5 Millimeter weiter nach vorne recken („Ja! So ist schön, so ist super! Ganz, ganz toll!“) und dann noch bitte den Kopf noch um ungefähr zehn Grad nach rechts drehen („Ja! So! So ist es fast schon perfekt! Jetzt wieder ein bißchen mehr nach links, nur ein bißchen!“) und dabei auf ihre Nasenspitze gucken („Ja! Fast! Jetzt war gerade schön!“). Man kommt sich vor wie im Geometrieunterricht. Sie war sehr begeistert von ihren Bildern. Ich merkte schon, als die Fotos entstanden, dass das Licht zu flächig gesetzt war, um nicht zu sagen flach. Platt frontal, so leicht von oben, damit alle Linien im Gesicht schön verschwinden, und zwar gnadenlos. Bloß keine Schatten unter den Augen oder sonstwo, oder andere interessante Charakter- oder Lebensspuren. Ich habe ja nichts dagegen, wenn diese Nasolabialfalten etwas gemildert werden, aber das war einfach langweiliger Murks. Nach solcherlei Erfahrungen wird mir regelmäßig übel, wenn die fertigen Bilder mein verkrampftes Gefühl bestätigten. Dabei war sie sehr nett und bemüht und hat, wie bereits erwähnt, nicht mit Komplimenten gespart. Kurz trat der Gedanke an mich heran, dass das möglicherweise System hat.
Prinzipiell habe ich nichts gegen superlative, auf andere möglicherweise übertrieben wirkende Adjektive einzuwenden, wenn von mir die Rede ist. Aber es sollte schon ehrlich gemeint sein. Sie wirkte eigentlich auch recht vertrauenswürdig, aber ich fühlte mich an dem Tag gar nicht superlativ, eher so mittel. Ich war und bin nicht auf Kommando locker und sage das auch vorher, daher traue ich dem Braten nicht, wenn mir jemand trotz dieser Vorwarnung die geringsten Anweisungen gibt. Ich will meinen Kopf so halten, wie ich ihn eben halte und auch meine Schultern nicht unnatürlich nach hinten biegen, schließlich bin ich keine Schaufensterpuppe. Ich will auf einem Foto aussehen, wie ich mich fühle und nicht wie jemand denkt, wie die Nullachtfuffzehn-Körperspannung im Oberkörper sein müsste. So ein Scheißdreck. Wir haben uns bei einem Foto von ungefähr Hundert darauf geeinigt, dass sie es nicht wegschmeißen muss. Das war eigentlich eher ein Akt der Versöhnlichkeit meinerseits, damit die Frau nicht die totalen Komplexe kriegt. Sie tat mir leid. Ich hatte schon ein schlechtes Gewissen, weil ich bei keinem Bild in ihren Jubel einstimmen konnte. Das Bild wurde dann noch vom Assistenten, der interessanterweise nicht in den Jubel einfiel (und dadurch im unmessbaren Bereich in seiner Kompetenz stieg), gephotoshopt und mir einige Zeit später auf einer CD übergeben. Er hat noch was an den Augen gemacht, wie ich hörte, irgendwie aufgehellt.
Als ich die CD in den Rechner schob, und die Bilddatei öffnete, wurde mir wieder schlecht. Der Bereich meines Gehirns, der für schlimme Erinnerungen zuständig ist, wurde aktiviert und ich erinnerte mich an die Zeit mit ca. elf, als ich riesige Minderwertigkeitskomplexe hatte. Unter anderem wegen meiner Zahnlücke, wegen der ich als Kind oft und gerne gehänselt wurde (und die ich heute übrigens nicht mehr schlimm finde, sogar im Gegenteil). Vielleicht wäre das Bild ja auch weniger unbrauchbar, wenn das Licht nicht so eindimensional gesetzt gewesen wäre. Ich weiß, dass man ganz gute Fotos von mir machen kann, wenn ich breit lache. Ich lache nämlich auf dem Bild. Und das muss man erstmal schaffen, ein Bild auf dem jemand lacht, so zu machen, dass man sich eigentlich nur auf eine unattraktive Art albern findet. Ein breites Lachen ohne Sinn. Das war es nämlich. Ich hatte keinen sonderlichen Grund, so zu lachen und versuchte es nur, um mich kooperativ zu zeigen. Ich wollte nicht als zickige Spielverderberin dastehen und der enthusiastischen Frau mit der Kamera diesen kleinen Gefallen tun. Dazwischen lachte ich dann auch mal natürlich, nämlich als ich ihr sagte, dass es viel besser funktionieren würde, wenn sie mir die Anweisung gäbe, auf keinen Fall zu lachen. Das würde die Wahrscheinlichkeit unermesslich erhöhen. Und dann musste ich lachen. Da hat sie aber leider gerade nicht abgedrückt. Dumm gelaufen. Der Datenträger wurde mit Unterstützung meiner Haushaltsschere entsorgt.
Das Herz und Hirn beim Einfangen eines Menschen ist, dass man eine schöne Atmosphäre hinbekommt und das Objekt der Begierde gut beschäftigt ist. Und sei es nur mit anderen Gedanken. Dieser Mensch, den man fotografieren will, muss sich so richtig fühlen dürfen, wie er von sich und von Natur aus gedacht ist. Mit dieser ureigenen, seltsamen Art, den Kopf vielleicht immer ein kleines bißchen schief zu halten. Und jederzeit, falls es sich ergeben sollte, darf gelacht werden. Nicht, weil es eine dahingehende Anweisung gegeben hat, sondern weil man ein heiteres Gespräch führt. Zum Beispiel darüber, wie furchtbar es sein kann, fotografiert zu werden. Alles andere ist Quatsch mit Soße.

Hochachtungsvoll
Gaga Nielsen

04. Dezember 2010

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Eva-Maria Hagen

Sollte man sich in aller Größe anschauen. Ich mag sie sehr gern. Dieses Weib. Ihre Urgewalt. Und ihre Zartheit. Unter den Malerinnen ist sie mir sowieso die Liebste. Ich schreibe nur ganz klein, dass sie sehr aufgeregt war. Aber auch das ist an ihr sympathisch. Wenn ich mit Mitte Siebzig noch so die Beine schmeißen kann wie Eva-Maria, ist nichts zu befürchten. Den Surabaya Johnny singt sie mal eben so, aus dem Handgelenk. Sie ist wunderbar, auch wenn sie am frühen Nachmittag die Seiten in ihrem Buch nicht so schnell finden konnte, wie sie wollte. Sie erwähnte, was für eine ungewohnte Zeit es sei, um auf der Bühne zu stehen. Ich sehe ihr alles nach und ziehe unter allen Umständen meinen Hut. Ganz tief.

04. Dezember 2010

GAGA VOREVA. Frau Nielsen war am zehnten Oktober vor Eva in Laune und hat auf die Schnelle beim Verlassen der Wohnung zwei Fotos gemacht. Ich hatte lange geschlafen, lange gefrühstückt, mochte mich und machte mich, Windschutzbrille auf der Nase, Kamera in der Hand, in Vorfreude und Mantel auf den Weg, um einen schönen Nachmittag mit meiner Freundin Sabine bei Eva-Maria Hagen im Berliner Schlossparktheater zu verbringen. Man muss die Gunst der Stunde nutzen, denn auch ich bin nicht jeden Tag in der Laune, fotografiert zu werden. Ganz im Gegenteil. Ich hasse es, fotografiert zu werden. Außer von Peter Lindbergh. Oder Herb Ritts. Ach so, der ist ja schon tot. Na ja, auf jeden Fall ist fotografiert werden prinzipiell eine schlimme Sache, sofern der Fotograf sich nicht die Mühe macht, die Lichtverhältnisse und meinen Schädel ausreichend zu studieren und in wohlbedachter Weise, Lichtquelle und Objekt zu koordinieren. Das Ergebnis sollte bitte gleichzeitig äußerst schmeichelhaft und authentisch sein. Das sollte eigentlich möglich sein. Schließlich kann ich das auch.
Unlängst wieder schwierige Erfahrung gemacht. Eine menschlich sehr nette Fotografin hat überschwänglich versucht, mich mit Komplimenten zu motivieren, aber ich ahnte, das wird nichts. Wenn mir schon jemand sagt, ich soll das Kinn 5 Millimeter weiter nach vorne recken („Ja! So ist schön, so ist super! Ganz, ganz toll!“) und dann noch bitte den Kopf noch um ungefähr zehn Grad nach rechts drehen („Ja! So! So ist es fast schon perfekt! Jetzt wieder ein bißchen mehr nach links, nur ein bißchen!“) und dabei auf ihre Nasenspitze gucken („Ja! Fast! Jetzt war gerade schön!“). Man kommt sich vor wie im Geometrieunterricht. Sie war sehr begeistert von ihren Bildern. Ich merkte schon, als die Fotos entstanden, dass das Licht zu flächig gesetzt war, um nicht zu sagen flach. Platt frontal, so leicht von oben, damit alle Linien im Gesicht schön verschwinden, und zwar gnadenlos. Bloß keine Schatten unter den Augen oder sonstwo, oder andere interessante Charakter- oder Lebensspuren. Ich habe ja nichts dagegen, wenn diese Nasolabialfalten etwas gemildert werden, aber das war einfach langweiliger Murks. Nach solcherlei Erfahrungen wird mir regelmäßig übel, wenn die fertigen Bilder mein verkrampftes Gefühl bestätigten. Dabei war sie sehr nett und bemüht und hat, wie bereits erwähnt, nicht mit Komplimenten gespart. Kurz trat der Gedanke an mich heran, dass das möglicherweise System hat.
Prinzipiell habe ich nichts gegen superlative, auf andere möglicherweise übertrieben wirkende Adjektive einzuwenden, wenn von mir die Rede ist. Aber es sollte schon ehrlich gemeint sein. Sie wirkte eigentlich auch recht vertrauenswürdig, aber ich fühlte mich an dem Tag gar nicht superlativ, eher so mittel. Ich war und bin nicht auf Kommando locker und sage das auch vorher, daher traue ich dem Braten nicht, wenn mir jemand trotz dieser Vorwarnung die geringsten Anweisungen gibt. Ich will meinen Kopf so halten, wie ich ihn eben halte und auch meine Schultern nicht unnatürlich nach hinten biegen, schließlich bin ich keine Schaufensterpuppe. Ich will auf einem Foto aussehen, wie ich mich fühle und nicht wie jemand denkt, wie die Nullachtfuffzehn-Körperspannung im Oberkörper sein müsste. So ein Scheißdreck. Wir haben uns bei einem Foto von ungefähr Hundert darauf geeinigt, dass sie es nicht wegschmeißen muss. Das war eigentlich eher ein Akt der Versöhnlichkeit meinerseits, damit die Frau nicht die totalen Komplexe kriegt. Sie tat mir leid. Ich hatte schon ein schlechtes Gewissen, weil ich bei keinem Bild in ihren Jubel einstimmen konnte. Das Bild wurde dann noch vom Assistenten, der interessanterweise nicht in den Jubel einfiel (und dadurch im unmessbaren Bereich in seiner Kompetenz stieg), gephotoshopt und mir einige Zeit später auf einer CD übergeben. Er hat noch was an den Augen gemacht, wie ich hörte, irgendwie aufgehellt.
Als ich die CD in den Rechner schob, und die Bilddatei öffnete, wurde mir wieder schlecht. Der Bereich meines Gehirns, der für schlimme Erinnerungen zuständig ist, wurde aktiviert und ich erinnerte mich an die Zeit mit ca. elf, als ich riesige Minderwertigkeitskomplexe hatte. Unter anderem wegen meiner Zahnlücke, wegen der ich als Kind oft und gerne gehänselt wurde (und die ich heute übrigens nicht mehr schlimm finde, sogar im Gegenteil). Vielleicht wäre das Bild ja auch weniger unbrauchbar, wenn das Licht nicht so eindimensional gesetzt gewesen wäre. Ich weiß, dass man ganz gute Fotos von mir machen kann, wenn ich breit lache. Ich lache nämlich auf dem Bild. Und das muss man erstmal schaffen, ein Bild auf dem jemand lacht, so zu machen, dass man sich eigentlich nur auf eine unattraktive Art albern findet. Ein breites Lachen ohne Sinn. Das war es nämlich. Ich hatte keinen sonderlichen Grund, so zu lachen und versuchte es nur, um mich kooperativ zu zeigen. Ich wollte nicht als zickige Spielverderberin dastehen und der enthusiastischen Frau mit der Kamera diesen kleinen Gefallen tun. Dazwischen lachte ich dann auch mal natürlich, nämlich als ich ihr sagte, dass es viel besser funktionieren würde, wenn sie mir die Anweisung gäbe, auf keinen Fall zu lachen. Das würde die Wahrscheinlichkeit unermesslich erhöhen. Und dann musste ich lachen. Da hat sie aber leider gerade nicht abgedrückt. Dumm gelaufen. Der Datenträger wurde mit Unterstützung meiner Haushaltsschere entsorgt.
Das Herz und Hirn beim Einfangen eines Menschen ist, dass man eine schöne Atmosphäre hinbekommt und das Objekt der Begierde gut beschäftigt ist. Und sei es nur mit anderen Gedanken. Dieser Mensch, den man fotografieren will, muss sich so richtig fühlen dürfen, wie er von sich und von Natur aus gedacht ist. Mit dieser ureigenen, seltsamen Art, den Kopf vielleicht immer ein kleines bißchen schief zu halten. Und jederzeit, falls es sich ergeben sollte, darf gelacht werden. Nicht, weil es eine dahingehende Anweisung gegeben hat, sondern weil man ein heiteres Gespräch führt. Zum Beispiel darüber, wie furchtbar es sein kann, fotografiert zu werden. Alles andere ist Quatsch mit Soße.

Hochachtungsvoll
Gaga Nielsen

02. Dezember 2010


Der Himmel ist ja immer blau. Man ist nur nicht immer weit genug über den Wolken. Es ist schon ein apokalyptisches Gefühl von zur Hölle zu fahren, wenn man im Flieger sitzt, aus der Sonne kommt und sich das Fluggerät beim Landeanflug aus tiefblauer Sphäre durch eine dicke Wolken-Beton-Decke bohrt. Ich finde das unheimlich. Nicht, dass ich gerade aus der Sonne käme. Eher im Gegenteil. Aber ich habe ein gutes Gedächtnis. Und darunter regnet es. Oder schneit. Umgekehrt ist schöner. Man muss zur Zeit ein bißchen über’s Wetter bloggen, das ist gerade ein Thema. Ich möchte die Sache heute vom gesundheitlichen Standpunkt beleuchten.
Es ist schon ein bißchen ungewohnt, dass man in diesen Tagen so wenige freudige Schneefalleinträge liest, wo diese Wettersorte doch sonst bei ihrer ersten Wiederkehr stets beschönigend Willkommen geheißen wird. Traditionell wurde in der Vergangenheit immer sehr von ausgedehnten Sonntags-Spaziergängen in verschneiten Landschaften geschwärmt und um sterbende Gletscher geweint. Auf Fotos finde ich das auch sehr schön, aber mir ist das schon immer zu kalt. Ich halte das, um ganz deutlich zu werden, sogar für gefährlich. Schon seit meiner Kindheit, wo ich immer an die frische Luft musste und im Winter Schnee schippen, weil die Eltern freiwillig in so einem Haus wohnten. Man selber musste sich als Kind auch dort aufhalten, gezwungenermaßen und demzufolge auch ein bis zwei Stunden mit Schnee schippen. Mitgehangen, mitgefangen. Das erwähne ich nur, damit niemand behaupten kann, ich wüsste nicht, wovon ich rede. Ich bin eine begeisterte Spaziergängerin, wenn es siebzehn Grad aufwärts hat, alles darunter ist mir zu frostig und halte ich persönlich für medizinisch nicht vertretbar. Die Augen tränen und die Nase läuft, was ich nicht in der Lage bin, anders als ein Zeichen einer gesunden Abwehrreaktion zu werten. Ohne Handschuhe frieren die Fingerspitzen ein, der Wind pfeift. Das hat mir und meinem Körper noch nie gefallen. Abhärtungsmaßnahmen wie kalte Duschen und Winterspaziergänge halte ich für verantwortungslosen Leichtsinn.
Erkältungen vermeidet man, in dem man sich von erkälteten Menschen und Kälte absondert, und nicht, indem man sich rudelweise ohne zeitliche Begrenzung und ohne Mundschutz im Freien aufhält. Aber auf mich hört ja keiner. Wollen wir doch mal sehen, wer hier ohne Erkältung durch den bösen Winter kommt! Ich propagiere Aufenthalte außerhalb von beheizten Räumen niemals länger als maximal zehn Minuten zu praktizieren. Das stellt bereits die Obergrenze dar. Als Empfehlung gilt: muss ich bei Minustemperaturen von A nach B und bin nicht in Eile, unterbreche ich den Kälteaufenthalt, in dem ich auf halber Strecke ein beheiztes Geschäft aufsuche. Man kann das auch dritteln oder vierteln usw. usf., um auf Nummer Sicher zu gehen. Praktisches Wegbeispiel von der S-Bahn-Haltestelle Hackescher Markt zum Gipsdreieck. Bei vertretbarem Wetter kann man die Strecke ohne Unterbrechung in zehn Minuten gehen (Schlendrian). Haben wir es eilig, benötigen wir sieben Minuten. Haber wir es sehr eilig und müssen ein bißchen rennen, schaffen wir es in fünf Minuten. Bei unwirtlichen Bodenverhältnissen wie jetzt, muss man mit zwölf Minuten rechnen. Hier ist eindeutig die erlaubte zehn-Minuten-Grenze für Kälteaufenthalte überschritten.
Daher empfehle ich die folgende Vorgehensweise: ich überquere die Ampel am Hackeschen Markt Richtung Rosenthaler Straße. Einkaufen muss man schließlich immer, also suche ich zielstrebig den Edeka-Supermarkt gegenüber von den Hackeschen Höfen auf und halte mich dort 5 bis 15 Minuten auf, um Dinge des täglichen Lebens zu kaufen und meine Körperwärme zu regulieren. Nebenan ist Rossmann, Shampoo und Klopapier ist eigentlich auch irgendwie dauernd alle, also ergreife ich die Gelegenheit, erneut etwas Wärme auf Vorrat zu speichern und dennoch meinem Ziel etwas näher zu kommen. Gut temperiert nähere ich mich der Kreuzung Weinmeisterstraße. Das Tragen der schweren Einkaufstüten regt kontinuierlich den Kreislauf an und ich wirke aktiv dem Abfallen der Temperatur entgegen. Wir nähern uns Butter Lindner auf der linken Seite, ca. hundertfünfzig bis zweihundert Meter schräg gegenüber vom Drogeriemarkt entfernt. Da man wie immer anstehen muss, ist in den nächsten zehn Minuten nicht mit Kälteeinwirkung zu rechnen. Hier gilt es, sich von der Eingangstür fern zu halten und unmäßige Nähe zu inkognito erkälteten Kunden (Achtung!: Hochziehen, Räuspern, aufgeraute Nasenlöcher) zu meiden bzw. den Schal, der uns stets als Mundschutz dient, nur für die Dauer des Verkaufsgesprächs zu entfernen.
Sind wir bei Butter Lindner fertig, überqueren wir die Sophienstraße und begeben uns so schnell wie möglich zum Eingang der teilüberdachten, gut geschützen Sophie-Gipshöfe, um ohne übermäßigen Körperwärmeverlust in ca. drei bis vier Minuten am Ziel zu sein. Neuerdings bietet sich noch ein weiterer Wärmestopp an, da neulich ein Riccardo Dingsbums-Schuhladen Ecke Sophienstraße oder ist es Ecke Gipsstraße (?) aufgemacht hat. Das ist allerdings nur eine Empfehlung, wenn Geld gerade gar keine Rolle spielen sollte. Das war jetzt auch nur ein Wegbeispiel. Sicher entdecken Sie nach Lektüre dieses Eintrags ausreichend Möglichkeiten bei sich, um unnötig lange Aufenthalte in der Kälte zu modifizieren und somit Ihren persönlichen Beitrag zur Volksgesundheit zu leisten.
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Und immer daran denken: DER HIMMEL IST BLAU

02. Dezember 2010


Der Himmel ist ja immer blau. Man ist nur nicht immer weit genug über den Wolken. Es ist schon ein apokalyptisches Gefühl von zur Hölle zu fahren, wenn man im Flieger sitzt, aus der Sonne kommt und sich das Fluggerät beim Landeanflug aus tiefblauer Sphäre durch eine dicke Wolken-Beton-Decke bohrt. Ich finde das unheimlich. Nicht, dass ich gerade aus der Sonne käme. Eher im Gegenteil. Aber ich habe ein gutes Gedächtnis. Und darunter regnet es. Oder schneit. Umgekehrt ist schöner. Man muss zur Zeit ein bißchen über’s Wetter bloggen, das ist gerade ein Thema. Ich möchte die Sache heute vom gesundheitlichen Standpunkt beleuchten.
Es ist schon ein bißchen ungewohnt, dass man in diesen Tagen so wenige freudige Schneefalleinträge liest, wo diese Wettersorte doch sonst bei ihrer ersten Wiederkehr stets beschönigend Willkommen geheißen wird. Traditionell wurde in der Vergangenheit immer sehr von ausgedehnten Sonntags-Spaziergängen in verschneiten Landschaften geschwärmt und um sterbende Gletscher geweint. Auf Fotos finde ich das auch sehr schön, aber mir ist das schon immer zu kalt. Ich halte das, um ganz deutlich zu werden, sogar für gefährlich. Schon seit meiner Kindheit, wo ich immer an die frische Luft musste und im Winter Schnee schippen, weil die Eltern freiwillig in so einem Haus wohnten. Man selber musste sich als Kind auch dort aufhalten, gezwungenermaßen und demzufolge auch ein bis zwei Stunden mit Schnee schippen. Mitgehangen, mitgefangen. Das erwähne ich nur, damit niemand behaupten kann, ich wüsste nicht, wovon ich rede. Ich bin eine begeisterte Spaziergängerin, wenn es siebzehn Grad aufwärts hat, alles darunter ist mir zu frostig und halte ich persönlich für medizinisch nicht vertretbar. Die Augen tränen und die Nase läuft, was ich nicht in der Lage bin, anders als ein Zeichen einer gesunden Abwehrreaktion zu werten. Ohne Handschuhe frieren die Fingerspitzen ein, der Wind pfeift. Das hat mir und meinem Körper noch nie gefallen. Abhärtungsmaßnahmen wie kalte Duschen und Winterspaziergänge halte ich für verantwortungslosen Leichtsinn.
Erkältungen vermeidet man, in dem man sich von erkälteten Menschen und Kälte absondert, und nicht, indem man sich rudelweise ohne zeitliche Begrenzung und ohne Mundschutz im Freien aufhält. Aber auf mich hört ja keiner. Wollen wir doch mal sehen, wer hier ohne Erkältung durch den bösen Winter kommt! Ich propagiere Aufenthalte außerhalb von beheizten Räumen niemals länger als maximal zehn Minuten zu praktizieren. Das stellt bereits die Obergrenze dar. Als Empfehlung gilt: muss ich bei Minustemperaturen von A nach B und bin nicht in Eile, unterbreche ich den Kälteaufenthalt, in dem ich auf halber Strecke ein beheiztes Geschäft aufsuche. Man kann das auch dritteln oder vierteln usw. usf., um auf Nummer Sicher zu gehen. Praktisches Wegbeispiel von der S-Bahn-Haltestelle Hackescher Markt zum Gipsdreieck. Bei vertretbarem Wetter kann man die Strecke ohne Unterbrechung in zehn Minuten gehen (Schlendrian). Haben wir es eilig, benötigen wir sieben Minuten. Haber wir es sehr eilig und müssen ein bißchen rennen, schaffen wir es in fünf Minuten. Bei unwirtlichen Bodenverhältnissen wie jetzt, muss man mit zwölf Minuten rechnen. Hier ist eindeutig die erlaubte zehn-Minuten-Grenze für Kälteaufenthalte überschritten.
Daher empfehle ich die folgende Vorgehensweise: ich überquere die Ampel am Hackeschen Markt Richtung Rosenthaler Straße. Einkaufen muss man schließlich immer, also suche ich zielstrebig den Edeka-Supermarkt gegenüber von den Hackeschen Höfen auf und halte mich dort 5 bis 15 Minuten auf, um Dinge des täglichen Lebens zu kaufen und meine Körperwärme zu regulieren. Nebenan ist Rossmann, Shampoo und Klopapier ist eigentlich auch irgendwie dauernd alle, also ergreife ich die Gelegenheit, erneut etwas Wärme auf Vorrat zu speichern und dennoch meinem Ziel etwas näher zu kommen. Gut temperiert nähere ich mich der Kreuzung Weinmeisterstraße. Das Tragen der schweren Einkaufstüten regt kontinuierlich den Kreislauf an und ich wirke aktiv dem Abfallen der Temperatur entgegen. Wir nähern uns Butter Lindner auf der linken Seite, ca. hundertfünfzig bis zweihundert Meter schräg gegenüber vom Drogeriemarkt entfernt. Da man wie immer anstehen muss, ist in den nächsten zehn Minuten nicht mit Kälteeinwirkung zu rechnen. Hier gilt es, sich von der Eingangstür fern zu halten und unmäßige Nähe zu inkognito erkälteten Kunden (Achtung!: Hochziehen, Räuspern, aufgeraute Nasenlöcher) zu meiden bzw. den Schal, der uns stets als Mundschutz dient, nur für die Dauer des Verkaufsgesprächs zu entfernen.
Sind wir bei Butter Lindner fertig, überqueren wir die Sophienstraße und begeben uns so schnell wie möglich zum Eingang der teilüberdachten, gut geschützen Sophie-Gipshöfe, um ohne übermäßigen Körperwärmeverlust in ca. drei bis vier Minuten am Ziel zu sein. Neuerdings bietet sich noch ein weiterer Wärmestopp an, da neulich ein Riccardo Dingsbums-Schuhladen Ecke Sophienstraße oder ist es Ecke Gipsstraße (?) aufgemacht hat. Das ist allerdings nur eine Empfehlung, wenn Geld gerade gar keine Rolle spielen sollte. Das war jetzt auch nur ein Wegbeispiel. Sicher entdecken Sie nach Lektüre dieses Eintrags ausreichend Möglichkeiten bei sich, um unnötig lange Aufenthalte in der Kälte zu modifizieren und somit Ihren persönlichen Beitrag zur Volksgesundheit zu leisten.
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Und immer daran denken: DER HIMMEL IST BLAU