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Spreebogen. Der siebzehnte März war vielleicht der erste Tag, an dem man, ohne Risiko zu spielen, ohne Schal vor die Tür konnte. Die Luft muss sehr mild gewesen sein. Ich habe mir zum ersten Mal das Elisabeth-Lüders-Haus aus der Nähe angeschaut, ohne hineinzugehen. Wie in einer Spielzeuglandschaft fahren die Ausflugsboote daran vorbei. Eigentlich müssten Playmobil-Männchen mit schwarzgelackten Prinz-Eisenherz-Frisuren drinsitzen. Keine blonden deutschen Touristen-Püppchen. So kleine Pärchen mit dunklem Pagenkopf. Japaner vielleicht – ja genau, Japaner könnten die Playmobil-Männchen spielen. Ich wäre bestimmt eine super Casting Direktorin geworden. Mir fällt eigentlich bei jedem, der mir entgegenkommt, die passende Filmrolle ein. Neulich habe ich durch die Scheibe von einem Fenster einen korpulenten Mann in einem Büro telefonieren sehen. Gegenüber von seinem Schreibtisch, der Richtung Fenster stand, war noch ein Schreibtisch mit einer jungen Frau. Ich glaube sie hatte einen blonden Pferdeschwanz und eine hochgeschlossene adrette Bluse an. Der Mann telefonierte und drehte sich dabei auf seinem Stuhl so ein bißchen nach Gutsherrenart hin und her. Er hätte sich eine Zigarre anstecken müssen, hat er aber nicht gemacht, was ich sehr schade fand. Es hätte ein original Fünfziger Jahre-Film mit Hans-Joachim Kuhlenkampff und Lilo Pulver sein können. Also nicht in dern Rollen von dem Mann und der Frau in dem Büro, sondern in weiteren Hauptrollen. Jedenfalls war der Dicke mit dem Telefon der Chef oder ein kleiner Abteilungseiter und die Blondine seine Stenotypistin. Also in meiner Phantasie. Sie hätte irgendwann das Diktat aufnehmen müssen und würde heimlich für den Sohn von ihrem komischen Chef schwärmen, was sie auch artig bei der Stange hält, den öden Job weiter zu machen, abgesehen vom kleinen Gehalt natürlich. Sie wäre ein bißchen rebellisch, innerlich, aber traut sich noch nicht so damit nach außen, weil sie ja in den Fünfziger Jahren gefangen ist. Sie tut mir ein bißchen leid. Bestimmt kriegt der alte Mann mit dem Telefon bald einen Herzinfarkt. Dann ist es vorbei mit „Fräulein Müller, bitte zum Diktat“. Dann hat es sich ausgemüllert! Wenn der Alte dann tot ist, kommt heraus, dass sein Sohn gar nicht sein leiblicher Sohn war, sondern von einem heimlichen Geliebten seiner Witwe stammt, ihrer großen Liebe. Er schaut ihm auch gar nicht ähnlich, das hat sich Fräulein Müller schon immer gedacht, dass es doch komisch ist, dass so ein unangenehmer, etwas grobschlächtiger Mann so einen zartfühlend und kultiviert wirkenden Sohn hat. Aber nun ist das Rätsel gelöst und die blöden Fünfziger Jahre sind auch endlich vorbei. Die Sixties stehen vor der Tür und Fräulein Müller darf jetzt Hippie werden und ihr Haar lösen und die blöde gestärkte Bluse ausziehen und wilde Musik hören. Schon super, wie sich die Zeiten so ändern. Ein Glück. Fräulein Müller weiß noch gar nicht, dass jetzt immer alles noch besser werden wird, aber sie hat schon so ein Gefühl. Fräulein Müller ist zum Tanzen aufgelegt. Wenn das so weiter geht, müssen die Siebziger ja ein Knaller werden und erst die Achtziger. Das entzieht sich der Vorstellungskraft von Fräulein Müller, dafür muss sie wahrscheinlich erst mal ein paar Drogen und LSD ausprobieren. Ich glaube, ich höre jetzt auf, Fräulein Müller durch die Jahrzehnte zu jagen. Wenn sie wüsste, dass es am Ende des Jahrhunderts sogar Internet gibt, wird ihr schwindlig. Und das möchte ich natürlich nicht. Außerdem muss ich wie üblich immer noch völlig oldschoolmäßig schlafen, das wurde trotz der abgespacten Evolution hier leider immer noch nicht geregelt. Scheiße, 02:27 Uhr!!! – aber dafür wissen Sie jetzt beinah alles über Fräulein Müller.
Ipsilon Ergo K. und Gaga Nielsen an Erdlinge in Berlin: Bitte um weitere Unterstützung der Erforschungs- und Dokumentationsarbeit wegen Evolution! Die Berliner Erdlinge sind Gaga Nielsen immer sehr entgegenkommend gegenübergetreten und haben keine Berührungsängste mit außerirdischen Lebensformen, dafür großen Dank. Interplanetarische Völkerfreundschaft!
P.S. David Bowie ist einer der Lieblingserdlinge von Gaga Nielsen und wird deshalb seit vielen Jahren erforscht!
P.P.S. Jetzt kann ich endlich auch erklären, wieso ich mich immer in den Anziehsachen vor den Expeditionen fotografieren muss! Die Bilder werden direkt auf Alpha Centauri gefunkt, damit die Bewohner meines Heimatsterns sehen, dass es wirklich stimmt, dass die Erdlinge verschiedene Kleidung tragen, was man bei uns nicht kennt. Auf Alpha Centauri bekommen alle Bewohner von Geburt an einen magischen, thermoaktiven Overall, der mitwächst und sich immer der Umgebung anpasst, in Farbe und Oberfläche, und die Temperatur ausgleicht. Ein Superanzug, der wie angegossen passt aber total bequem und flauschig ist! Wenn es mal kälter ist, also wenn ich zum Beispiel in den vereisten Regionen spazierengehe, heizt sich der Overall auf, dass man es immer schön warm hat. Von Außen sind wir gar nicht auf den ersten Blick zu erkennen, weil der Overall wie ein Chamäleon grün wird, wenn man im Urwald ist oder beige in der Wüste und so weiter! Ich habe schon mal überlegt, ob ich den Anzug bei einem Ausflug auf der Erde anziehe, aber dann ist mir eingefallen, dass es bestimmt total auffallen würde, weil die Berliner Erdlinge dann bemerken würden, dass sich der Anzug verändert, wenn ich zum Beispiel an einer bunten Graffiti-Wand vorbeilaufe oder im Winter warm werde wie ein Heizpilz! Dann wäre ich sofort entdeckt und könnte nicht mehr alles so gut beobachten! Deswegen hab ich neulich auch geschrieben, dass ich immer sehr darauf achte, dass meine Anziehsachen zu meinem Ausflugsziel passen, auch farblich! Das bin ich zum einen so gewohnt, von meinem Centrauri-Overall und zu anderen sollen die Berliner Erdlinge denken, dass ich eine von ihnen bin! Deswegen muss ich natürlich manchmal ganz schön lange überlegen, was ich anziehe! Ich kenne mich da noch nicht so gut aus, aber ich lerne jeden Tag dazu! Bis jetzt ist es noch niemandem aufgefallen! Meine Schwestern auf Centauri fragen mich immer, ob das nicht furchtbar anstrengend ist, jeden Tag andere Sachen anzuziehen! Dann sage ich: Ja! Mächtig anstrengend, aber auf der Erde ist das nun mal Brauch. Sie nennen es Mode! Auf Centauri sind meine Bilder von der Erde ziemlich beliebt. Es wird jeden Tag geguckt, was ich Neues anhabe und gesehen habe. So ähnlich wie Bunte und Gala auf der Erde!