Alten Schulfreund im Internet aufgegabelt. Indirekt. Ich habe mich nicht bemerkbar gemacht. Mehr oder weniger zum ersten mal eine angenehme Überraschung. Wieviele doch in die Breite gehen. Der ist auch breiter geworden, aber eigentlich war er immer ein bißchen sehr schmal. Und ein alter Schwerenöter, vor dem kein Rockzipfel sicher war. Altes Klassenfoto gesehen, von 1981. Der einzige der noch lange Haare hatte. Die waren da ja schon nicht mehr angesagt. Aber er war immer auf Krawall gebürstet und hatte immer ein Grinsen im Gesicht. Das ist heute noch unverkennbar.
Er hat Spaß, spielt Keyboards in einer verrückten Band. Auf einem backstage-Foto bei myspace sitzt neben ihm eine Frau mit langen blonden Haaren, die genauso breit grinst wie er und denselben Nachnamen trägt. Was für ein lebensfrohes Paar. Glückliche Paare erkennt man daran, dass sie zur selben Zeit breit grinsen. Wenn nur einer lacht, ist irgendwas schief. Oder der eine immer wie ein strenger Elternteil guckt und der andere wie ein mehr oder weniger folgsames Kind. Wie oft man das sieht. Aber das Bild von ihm und seiner Frau, das ist super. Wenn ich das Foto nicht gesehen hätte, hätte ich mir fast überlegt, ob ich mich bemerkbar mache, haha.
Ich weiß gar nicht mehr genau, wie das zwischen uns war. Er war immer so auf Fummeln aus, alles was Frau war und nach Frau roch, so oft wie möglich anfassen, aber wir waren nur Freunde. Ich erinnere mich, dass ich ihn prinzipiell schon sexy und ein bißchen gefährlich fand und stolz war, dass er mit mir im Rauchereck stand und mir seinen Tabak zum Drehen leihte. Er war ja schon zwei Jahre älter und dementsprechend erfahrener. Alle Drogen schien er schon ausprobiert zu haben. Ich erinnere mich, dass er ziemlich witzig und belesen war, für die damaligen Verhältnisse und in Anbetracht unseres Alters. Er kam aus gutem Hause und hatte schon als kleiner Junge Klavierunterricht, und seine Finger flogen nur so über sein Fender Rhodes, dessen Klang ich liebte.
Alles sehr lässig, so aus dem Handgelenk. Ich glaube, ich habe ihn immer abgewimmelt, weil ich wusste, dass er sein Testosteron vor allem sportsmäßig loswerden will und ich ja auch immer in irgendwen anderen verliebt war. Das war dann witzig, weil er mir durch meine Unzugänglichkeit so ein Freundesvertrauen schenkte und ich das auf Augenhöhe empfand. Interessanter, als sein Betthäschen zu sein. Doch, das war schon eine lustige Freundschaft. Ich mochte das auch immer, wenn mich jemand so latent anbaggerte, wenn ich das Gefühl hatte, die Wahl zu haben.

Aber bei ihm nein zu sagen, bedeutete nicht gleich ihm das Herz zu brechen, das war sehr angenehm. Sonst hätte ich gar nicht so viel Zeit mit ihm verbracht. Da war ich immer vorsichtig. Wir mochten uns und taten uns nicht weh, weil keine unerbittliche Verstrickung im Spiel war. Auf einigen Fotos sieht er richtig gut aus. Da ist eine Serie in einem Tonstudio in Berlin entstanden. Er liegt quer über einem schwarzen Ledersofa im Studio, mit alberner Sonnenbrille auf der Nase. Schön, sich ein bißchen an ihn zu erinnern. Anfang wilder Zeiten.
Ja, alle sind in die Breite gegangen. Ich auch. Aber vielleicht hat das was mit der ganzen Erfahrung zu tun. Die muss ich ja auch irgendwo hinstecken.
[edit: stop making sense] Das war da oben etwas verkürzt formuliert, manche gehen auch mental in die Breite, weniger in die Tiefe. Ich hatte auch eine Phase, in der ich weniger agil war. Wenn sich jemand sichtbar wohl damit fühlt und das Ganze noch dynamisch wirkt, kann ich das durchaus ansprechend finden. Klar, verändert sich jeder stark zwischen 15 und 45. Ich könnte nicht einmal behaupten, dass diejenigen, die mir so grau geworden vorkommen (ich meine nicht die Haarfarbe), in Jugendjahren bunte Vögel waren. Muss ja auch nicht. Aber doch, ein paar gibt es schon, von denen ich gedacht hätte, sie gingen einen auffälligeren Weg und dass man die interessanten Spuren davon dann im Gesicht wiederfinden würde.
Bei einem alten Freund, bei dem es mich besonders interessieren würde, was aus ihm wurde, bin ich ziemlich irritiert, dass es keine Spur im Netz von ihm gibt, dabei hätte ich gedacht, dass er bestimmt internetaffin wäre, aufgrund seiner ganzen Art. Das ist heute schon ungewöhnlich, wenn jemand gar nicht auftaucht. Hab schon ein paar mal darüber nachgedacht, ob er vielleicht gar nicht mehr lebt.
Manche Männer sehen auch aus, als wären sie in den Achtzigern stehen geblieben, und das einzige was sich verändert hat, sind die lichter werdenden Haare und das Gewicht. Noch dieselben Klamotten, dieselbe Frisur. So was irritiert mich schon sehr. Ich denke da an einen Musiker, der noch mit denselben Liedern und demselben Konzept wie 1982 auf die Bühne geht. Ich bin dann irgendwie peinlich berührt, obwohl er sich ja damit offenbar wohlfühlt. Geht mich eigentlich gar nichts an. Vielleicht weil ich in den damals jungen Mann verliebt war und es auch gerne sähe, wenn aus den abgelegten Liebschaften noch vorzeigbare Leute geworden wären.
Da ist kaum jemand, den ich noch einmal treffen wollte. Ich bin da auch ausgesprochen unsentimental, stelle ich immer wieder fest. Der alte Scheiß von früher interessiert mich überhaupt nicht mehr und rührt mich auch nicht zu seligen Erinnerungen. Heute ist alles tausendmal besser. Erschreckend, wie viele den alten Achtziger-Jahre-Quark verklären. Wahrscheinlich, weil sie da ihre Hormone zum ersten mal gespürt haben. Jede Zeit hat tolle Musik und Moden hervorgebracht und ebenso gruselige. Wenn ich darüber nachdenke, was in der Musik aus den Achtzigern Bestand hatte, was immer noch zeitlos gut ist, fällt mir nicht so viel ein. Aber ganz sicher die Talking Heads mit ihrem Film „Stop making Sense“. Der überdauert alles. Da wirken sogar die breiten Schultern in den Anzügen cool. Von wegen Schulterpolster.
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Ein Freund von mir hat immer ein Wort benutzt, das glaube ich aus dem
ÖsterreichiPlattdeutschen kommt, um so eine undefinierte mentale, oft auch körperliche schwerfällige Schwammigkeit mit einem Anflug von Wohlstandsverwahrlosung (dabei allerdings auch noch selbstgefällig) zu umreißen. Er nannte das immer ‚bräsig‘.Ansonsten gilt:
„Jetzt sind die guten alten Zeiten, nach denen wir uns in zehn Jahren zurücksehnen.“
Peter Ustinov