


Ich hatte zu wenig gelesen, bevor ich loszog, um sofort zu wissen, wofür diese bizarr verrottende Plattensiedlung auf dem Gelände des Olympischen Dorfes gebaut wurde. Ich ließ mich treiben und sah plötzlich verlassene Mietskasernen ohne Fensterscheiben. Man konnte bunte Kacheln erkennen und in frohen Farben gestrichene, verbleichende Wände, bröckelnde Farbschichten. Durchblicke zu den weiter entfernten Bäumen. Lichtreflexe, so kraftvoll, dass ich einen Moment bedauerte, alleine da zu sein. Ich hätte gerne jemanden an die Wand gestellt und abgeschossen. Man wäre einfach durch die Fenster eingestiegen und hätte das letzte Sommerlicht auf einem Gesicht eingefangen, einer maigrünen oder blauen Wand. Tiefes Blau mit Weiß wie auf Postkarten aus Santorin. Griechenland spielen oder Portugal. Und Zitronengelb, verwaschen vom Regen. Himmel arizonablau. Ich lese später, dass es Unterkünfte für die Offiziere der russischen Armee und deren Angehörige waren. Man hat gar nicht so viel Gelegenheit, Verfall an unspektakulären Bauten zu studieren, weil sie meistens abgerissen werden, bevor sich diese wunderlichen Dinge einstellen. Wenn ich es recht erinnere, zogen die sowjetischen Truppen 1993 ab. Siebzehn Jahre. In dieser Stunde war das Licht am schönsten.
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Elstal III Russische Armeeunterkünfte
Ich bin unbedingt geneigt, zwei Augen zuzudrücken. In den zweifingerdicken Nielsen-Jahrbüchern werden auch die schönsten Kommentare abgedruckt. Dieser von Ihnen bekommt eine eigene Seite. Es ist schön, wenn jemand versteht, was man tut.
Vor wenigen Tagen las ich von einer weiteren verlassenen Heilstätte. Dem Waldhaus in Berlin-Buch. Am interessantesten ist es für mich, wenn diese Orte in einer landschaftlich erkundenswerten Umgebung sind. Von Beelitz habe ich gehört, mir war aber der Zustand nicht geläufig. Ich mag es, wenn sich die Grenzen von Innen- und Außenräumen auflösen, verbinden. Wüstenhaft. Es ist wie ein reinigender Prozess. Atmosphärische Katharsis. In dem Zusammenhang von reinigend zu sprechen wird nicht jeder verstehen. Ich empfinde die spürbare Menschenhand, die gerade noch wirkte, manchmal eher als Verschmutzung. Im Gegensatz zur Freude an solchen Expeditionen, möchte ich eher ungern in einem alten Gebäude leben. Die Stimmen, Leben, Geschichten, Erinnerungen die darin wirken, sind mir nicht angenehm. Nur die Villa von Pippi Langstrumpf könnte mir gefallen. Da wüsste ich, dass schöne, sinnvolle Dinge passiert sind. Ich war sehr angenehm berührt, als ich erfuhr, dass ich die zweite Bewohnerin meiner Wohnung werden würde. Vorher lebte nur ein jüngerer Mann darin, zwei Jahre. Er hat keine spürbaren unangenehmen Spuren hinterlassen. Ich spüre hier nur mich und mein grenzenloses Universum. Ein schönes Gefühl.
Beelitz-Heilstätten Die Beelitzer Heilstätten, berichtete der Tagesspiegel im August 2010, wurden inzwischen eingezäunt, ein Sicherheitsdienst schiebt Wache und die Investoren haben wieder einmal Pläne: ein Baumkronenpfad, für den Anfang. Außerdem sollten die historischen Gebäude „in den nächsten Jahren restauriert und für Hotellerie, Gastronomie und ‚gehobenes Wohnen‘ ausgebaut werden.“ Fragt sich bloß, ob sie dafür auch genug Geld haben. Allein die Kosten für den 600 Meter langen Baumkronenpfad wurden mit sechs bis sieben Millionen Euro veranschlagt.
Dem Bericht zufolge waren die Beelitzer Heilstätten offenbar ein Hot Spot für Fotografen und Partyvolk. Dann ist ja alles ausreichend dokumentiert. Bewachtes Gelände zu entern ist nicht mein Stil. Ich hab gerne meine Ruhe. Ich gucke mir dann lieber gelegentlich das Waldhaus in Berlin Buch an.
Heilstätten, Beelitz Ich war im Juni 2010 dort, da gab es diesen Sicherheitsdienst noch nicht. Und wie gesagt, es war wirklich sehr eindrucksvoll. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass der recht rasante Verfall wirklich noch umfangreich aufgehalten werden kann. Dächer sind schon lange undicht, Bäumchen wachsen aus den Fassaden, die Wände sind oft komplett durchfeuchtet, ganze Raumdecken sind heruntergebrochen usw. Die Kosten eines möglichen Erhaltes – immerhin steht ja alles unter Denkmalschutz – steigen wohl mit jedem Monat des fehlenden Schutzes ins Unermessliche (Lawine). Mir war auch ein wenig unverständlich, wieso nicht wenigstens vergleichsweise kostengünstige Not-Dächer installiert sind. Und die große Frage ist natürlich auch, wer dort wirklich leben wollte; auch das Städtchen Beelitz selbst machte schon einen recht verlassenen Eindruck. / Aber das ist nur die eine Wahrnehmung. Meine andere ist fasziniert von diesem Anblick der Endlichkeit. Auch aus restauratorisch-theoretischer Sicht könnte man vielleicht sagen: Dann geben wir das eben dem Verfall hin. Die Realitäten, leider, ermöglichen keinen weiteren Erhalt.
Ich lese es so, dass dieser verrottete Bereich gerade die Attraktion sein soll, der Baumwipfelpfad den Einblick in die von der Natur zurückeroberte Ruine gewähren soll. Das klingt nicht nach kompletter Sanierungsabsicht. Vermutlich gibt es noch irgendwelche Gebäudeteile, die in besserem Zustand sind und die werden dann saniert. Oder entkernt und neu aufgebaut, so dass nur die alte Fassade bleibt.
Wie gesagt, viel wird davon abhängen, ob die Eigentümer und Investoren das Geld zusammenkratzen können. Denn 2008 verkündigten die schon einmal große Pläne für das Anwesen (hier noch die Infobox zum Artikel). Damals hieß es noch, es sollte eine „Mischung aus Medizin und Wohnen“ werden. Klinikpläne hatte der vorige Eigentümer aber auch schon einmal. Hat nicht funktioniert, er ging pleite. Dann war von einer Akademie für Immobilienmanagement die Rede, aber die kam auch nicht. Nur ein Ehepaar wohnte dort, schrieb Kerstin Decker 2003 in Die schwindende Stadt, eine Geschichte, die mir im Gedächtnis blieb.
Eigentlich erstaunlich, dass die nicht schon viel früher einen Zaun darum gezogen haben, wenn ich so darüber nachdenke.
Außer Honecker, der im April 1990 dorthin flüchtete, trieb sich zu Wendezeiten auch ein Serienmörder dort herum, unter anderem tötete er die Frau eines russischen Offiziers und deren gemeinsames Baby (in der Haft änderte der Täter seinen Vornamen in Beate). Später drehten Detlev Buck, Roman Polanski und Tom Cruise in den Heilstätten.
Die Schneeeule war 2009 auch mal dort und brachte einige Bilder mit.
Die Bilder aus dem OP sind ja umwerfend. In der Tat sehr sehenswert. Vielleicht gerade so bizarr, weil in Kliniken Hygiene und Sauberkeit eine so übergeordnete Rolle spielt. Wie das Antiseptische gnadenlos den Organismen weichen muss.