Alb.Traum.
Freundin, nicht weiter identifizierbar, überlässt mir eine Karte für ein ausverkauftes Tom Waits-Konzert. Ich gehe alleine hin und befinde mich eng gedrängt mit tausenden Besuchern dreissig Minuten vor Konzertbeginn in der Vorhalle (zur Hölle, har har), die aussieht wie der große Saal vom Berliner Metropol am Nollendorfplatz. Es gibt neben einem direkten Zugang zum Konzertsaal in der unteren Etage, eine Freitreppe zur oberen Etage, von wo aus man das Konzert auch verfolgen kann. Der Menschenstrom bewegt sich in Zeitlupe in Richtung dieser beiden Zugänge, ich mittendrin.
Plötzlich taucht neben mir ein ziemlich groß gewachsener und figürlich recht sportlich wirkender Mann auf. Etwa Ende Dreissig, Gesicht und Frisur nicht genau identifizierbar, irgendwie dunkelblond, kurzhaarig, leicht gelockt, unauffällig. Am ehesten noch ein Typ wie Torwart Jens Lehmann, im Gesichtsausdruck allerdings weit weniger sympathisch und komplett humorlos.
Er hat mit reinweg niemandem Ähnlichkeit, den ich kenne und läuft trotz einer Krücke flink wie ein Wiesel. Möglich, dass er etwas hinkt. Ich finde ihn weder erwähnenswert attraktiv noch gerichtsnotorisch unattraktiv. Er bewegt sich ziemlich schnell an mir vorbei. Ruckartig dreht er sich plötzlich wie vom Donner gerührt um, als fiele ihm etwas Lebenswichtiges ein.
Er kommt, so schnell er mit seiner Krücke kann, (und er kann schnell) auf mich zu, wobei er ununterbrochen aufgedreht auf mich einredet, konsequent untermalt von keinem Lächeln. Mit hektischen Gesten und leicht bedrohlichem Tonfall sucht er mir klarzumachen, welche unwiderruflich wichtige Bedeutung ich für sein künftiges Leben hätte („Frau meines Lebens“), wobei er mich immer wieder an den Schultern packt. Ich höre mir die haarsträubende, keinerlei Widerspruch duldende Eröffnung an, dass wir dringend, ja zwingend, ab sofort das weitere Leben miteinander verbringen müssten und er ‚verabredet‘ sich mit mir zum unverzüglichen Beziehungsauftakt auf der oberen Ebene, um das Konzert gemeinsam zu verfolgen.
Vor lauter Überrumpelung sage ich weder ja noch nein. Ich bin komplett sprachlos und versuche dabei noch freundlich zu bleiben, indem ich nur benommen wie ein sediertes Schaf nicke, was er als Zustimmung zu seinen Plänen interpretiert. Er hastet die Treppe hoch, damit er bloß nichts vom Konzertanfang verpasst und ruft noch im Befehlston „bis gleich!“.
Ich stehe immer noch belämmert unten. Mir dämmert, dass das eine doch recht merkwürdige Ansprache war und höhere Intelligenz befiehlt mir deutlich, diesem Herrn aus dem Weg zu gehen, ergo die von ihm in dem Raum gestellte „Verabredung“ für oben, sowie den weiteren Lebensweg, einfach zu übergehen und mich alsbald vom Ort des Schreckens zu entfernen.
Das Konzert ist vorbei. Es ist nicht ganz klar, ob ich es nun gesehen habe oder nach dieser seltsamen Begegnung sofort gegangen bin. Möglicherweise blieb ich aus Neugier auf das Konzert, versteckt zwischen den anderen Besuchern, wohlwissend, dass dieser Fremde oben fanatisch nach mir Ausschau hält. Obgleich ich unzweifelhaft spüre, dass er nicht hundertprozentig richtig zu ticken scheint, habe ich ein leicht schlechtes Gewissen, weil ich ihm keine klare Absage erteilt habe, wie ich es normalerweise tun würde, da er mir wegen seiner leichten Körperbehinderung leid tut.
An irgendeinem der nächsten Tage zuhause, in absoluter Gewissheit, dieses merkwürdige Intermezzo sei Schnee von gestern, erhalte ich einen Anruf von meiner Mutter. Sie lässt mich streng wissen, dass sie und mein Vater seit ein, zwei Tagen aufopferungsvoll einen seelisch gebrochenen, körperbehinderten jüngeren Mann im Rollstuhl bei sich beherbergen, der sich als mein künftiger Mann und damit ihr Schwiegersohn vorgestellt hätte, und vor lauter Enttäuschung über mein unmögliches Benehmen (ich hätte ihm die denkbar größten Versprechungen gemacht und ihn dann unverhofft ins Bodenlose fallenlassen) Verständnis, Schutz und Unterschlupf sucht.
Während meine menschlich ganz tief von mir enttäuschte Mutter ihrer Empörung Ausdruck verleiht, sehe ich vor meinem geistigen Auge Bilder, wie sie dem geschwächten und abgemagerten Krückstockmann aus dem Metropol, der nun mit einer karierten Decke über den Beinen im Rollstuhl sitzt, behilflich ist, den Rollstuhl treppaufwärts in Richtung meines früheren Kinderzimmers zu transportieren. Dort wohnt er nun, mit der Zusage meiner Eltern auf lebenslanges Wohnrecht und Pflege.
Das mehr als unerquickliche Telefonat ist gerade beendet, als ich bei meiner Blogrunde registriere, dass die Angelegenheit bereits über die Blogosphäre hinaus, im ganzen Internet (Startseite t-online, yahoo news, Spon) allerhöchste Wellen moralischer Empörung schlägt. Im Sekundentakt kommen E-Mail-Anfragen für meine längstens überfällige, ausstehende offizielle Stellungnahme zu meinem untragbaren, skandalösen Verhalten.
Die Boulevardpresse hat eine Titel-Geschichte für die nächste Ausgabe vorgesehen. Illustriert mit einem großformatigen Bild, das den jungen Mann, der nun bei meinem Eltern im Rollstuhl hockt, nur in Unterhose zeigt. Ein mageres, blasses Bürschchen. dessen linkes Bein bis unter das Kniegelenk amputiert ist. Daneben steht eine hellgraue Plastikprothese.
Kleiner wichtiger Einschub: ich erblickte gestern beim launigen nachmittäglichem Blättern in einer Berliner Boulevardzeitung in einem Café, ein Bild von Heather Dingsbums, der streitlustigen Exgattin von Herrn McCartney, das sie an eine Wand gelehnt, nur mit einer Handtasche und einer Art Federboa bekleidet zeigt. Ihre Beinprothese steht auf dem Bild ein, zwei Meter neben ihrem halben Bein auf dem Boden. Ein Bild, dessen Veröffentlichung sie gerne rückwirkend untersagen würde.
Aber zurück zu meiner eigenen Odyssee. Von sämtlichen Schmierfinken werde ich als niederträchtiges, mitleidsloses Frauenzimmer ohne Anstand und Moral dargestellt, das keinen Respekt vor behinderten Menschen hat. Kein deutschsprachiger Blogger lässt es sich entgehen, seinem Entsetzen ob meines empörenden Verhaltens wortreich Ausdruck zu verleihen. Innerhalb weniger Stunden wird die Schuldzuweisung meines nicht eingehaltenen Beziehungsversprechens als unumstößliche Tatsache gehandelt, die vor allem deshalb nach Bloggermeinung umso schwerer wiegt, als ein behinderter Mensch betroffen ist.
In meiner unaussprechlichen Not beginne ich hektisch verzweifelt, einen Blog-Eintrag zu verfassen, in dem ich alles schreiben will, wie es wirklich war, aber ich werde nach jedem halben Satz ausgeloggt und muß mich neu einloggen und komme nicht voran. Ohne Unterlass klingelt das Telefon mit Journalistenanfragen aus aller Welt, im Abendprogramm kommen auch schon die ersten Sensationsberichte. Frauke Ludowig schaut mich vorwurfsvoll an.
Zu allem Überfluss vertippe ich mich vor lauter Panik im Wettlauf gegen die Zeit, bei den html-tags für kleinere und größere und fettere und kursive Schrift, mache falschrume Klammern und sehe kein Land mehr, weil mein Ruf bereits komplett ruiniert ist. Als ich gerade erst zweieinhalb Sätze fertig habe und die ARD für 20:15 eine Sondersendung zum Thema „Umgang mit behinderten Menschen“ ankündigt, höre ich endlich den gottverdammten Wecker.
Wir halten zu Ihnen, Frau Gaga. Gemeinsam identifizieren wir dann den Kerl als Heiratsschwindler, der mit seiner Mitleidsnummer arglose Eltern unschuldiger Bloggerinnen ausnimmt. Das gibt dann erst eine Story! Und eine andere bekannte Bloggerin, ihres Zeichens Anwältin, verklagt den Kerl anschließend wegen Betrugs und Verleumdung auf Schadensersatz und Schmerzensgeld und gewinnt haushoch. So.
Pfui! Ich hätte mir ein solch unsensibles Verhalten Ihrerseits bislang auch nicht träumen lassen. So kann man sich in einem Menschen irren. Mir geht es ebenso wie Ihrer Frau Mutter – ich bin nur noch entäuschter, weil ich Sie schließlich nicht so gut kenne, während Ihre Mutter schließlich wissen muss, was sie von Ihnen zu erwarten hat. So eine sind Sie also, Frau Gaga….
Ich bitte um Vergebung, Frau gaga, wenn durch meine hier niedergeschriebenen Artigkeiten doch ein wenig von dem subtlien Werben durchgekommen ist, was letztendlich zu dem entsetzlichen Traum führte.
Ich kann Sie dann nur auf die harmlosere und entspannende Realität vertrösten, sollten Sie sich dereinst zu einem realen Kontakt durchringen können.
@’Tja mein Lieber‘ Der Punkt ist wohl nicht, wie Dr. Schein wieder rauskommt, der Punkt ist vielmehr, dass SIE beinahe schon drinnen sind! Geben Sie Acht, Frau Gaga! Ist Ihnen das Geschäftsgebaren dieses Herrn mit seiner teuren ‚Nur-Privat‘-Kundschaft nicht längst durchsichtig? Es geht ihm mit seinen provokativen Interventionen doch nur um Ihre dauerhafte psychische Destabilisierung, damit Sie letztlich sein Wartezimmer füllen! Und zack liegen Sie auf dem Diwan und erzählen munter drauflos! Und dann wird es heißen (was wetten wir?): „Ja nun, ein Fall wie der Ihre, meine Liebe, das kann man nicht in Wochen oder Monaten messen …“ etc.etc. Cave cave cave!
Ich bin doch noch garnicht müde!
Jetzt könnte ich mich mal mit ’ner 1A Traumanalyse revanchieren…
Natürlich stehe ich hinter Ihnen.
das ist doch garnichts.
mir träumte just letzte nacht im tv käme eine scientology-verfilmungsmarathon (mini serie in 8 teilen, starting im 18ten jahrhundert – und vanessa redgrave in einer der hauptrollen – in der tvzeitschrift war das ganze als subtiles religionsbashendes drama bejubelt, ich wollte es mir nicht entgehen lassen!)
volle vorfreude platzierte ich mich also vor meinem grossen 50er jahre bildschirm in meinen einzigen wunderbar bequemen tv-sessel. beige. vermutlich auch den 50ern.
und wie recht ich hatte…
gerade wollte ich nach dem auf dem boden stehenden mixgetränk greifen fällt mir auf das mein sesselchen einen dicken arm hat. einen arm in einem overall. ich schrecke vom sessel auf und sehe was mich da so wohlig umbrauste – mein sessel ist hella von sinnen!
ich entschuldige und empöre mich eine weile…nach einigem hin+her einige ich mich mit sesselhella dass es in anbetracht der nicht vorhandenen sitzlandschaftssituation das klügste sei wenn ich mich wieder in hella platziere und mit ihr gemeinsam das scientology drama zu ende sehe – schliesslich seien wir beide grosse freunde von redgrave und wollten tom cruise am kreuz sterben sehen – oder so.
ugh! (hella hat natürlich in den werbepausen immer ein bisschen versucht mich zu begrabbeln, und ich habe das so höflich wie möglich abgewehrt, wollte ja meinen platz nicht verlieren)
Liebste Gaga, ich habe das für Dich geregelt.
die erinnerung an jene albträume sind ja beweise allein der tiefen, ja tie-hef-testen traumatisierung. und ich muss oft mit -1 bekundungen rechnen. noch jetzt weiss meine ganze körperhinterseite wie sich hella von sinnen anfühlt! no offense to hella, aber…
ABER!
aber! oh aber!
fällt mir noch ein….
der addi ?! bewahre….noe, peter fischinger ist das. galerist. so i’ve been told. hitler hab ich aber auch irgendwo. aber der hatte ja beine. beide.
[…] Peter Fischinger fällt. Das rechte Knie knickt ein, und das Bein gibt nach. Den Mund reißt er auf wie verblüfft. Er greift in die Luft. Einmal, zweimal, dann endlich bekommt er eine haltende Hand zu fassen. „Geht schon“, brabbelt er erschrocken. „Geht schon“, haspelt er erleichtert und lässt die Hand nicht mehr los. Die Welt des 70-Jährigen, die er sich in 35 Jahren Arbeit erschuf, die kleine Kunstgalerie in Stuttgarts Mitte, hat keinen sicheren Boden mehr. Er balanciert auf amputierten Stümpfen durch die Verkaufsausstellung, am ganzen Körper vibrierend, Mensch und Ersatzteil, Prothesen und Krücken, so zerrt die Schwerkraft an ihm.
http://www.focus.de/panorama/reportage/reportage-und-raus-bist-du_aid_210830.html