zwiespalt.
s-bahn. straßenmusikant betritt den wagen. einer, den ich schon mal aus dem augenwinkel gesehen, aber noch nicht gehört habe. was schon was heißen will, wenn man häufig ein- und dieselbe strecke fährt. langhaarig, irgendwieblond. er kündigt mit englischem akzent auf deutsch an, dass er jetzt ein lied spielen wird. sympathischer, unaufgeregter gesichtsausdruck. markantes gesicht. verwaschene, leicht abgerissene klamotten. sieht aus wie ende dreißig. er fängt an. die ersten akkorde erinnern zwar angenehm aber doch wenig originell an eagle eye cherrys save tonight. es ist allerdings ein anderes lied. vermutlich von ihm selbst. ich höre einen moment auf zu lesen und warte auf den gesang. er fängt an. unspektakuläre, verwechselbare stimme. leicht quäkend. langweilige tonlage. er singt nicht falsch, leiert seine reime im passenden rhythmus. die rhythmische gitarre ist im vordergrund. er hat ein gutes rhythmusgefühl. ich überlege zum ersten mal seit langem überhaupt wieder, ob ich einem s-bahn-musikanten geld gebe. überlege. überlege. sein gesang ist derart uninteressant, dass ich denke, wenn er geld dafür kriegt, wiegt er sich in der vorstellung, mir hätte die darbietung rundherum gefallen und er sollte in der kombination weitermachen. vielleicht sollte er ja. was weiß ich.
während ich noch überlege, schlurft er mit aufgehaltener hand vorbei und ich gebe ihm nichts. er ist mir sympathisch und klampft ganz nett, aber ich will ihn nicht als musiker entlohnen. es beschäftigt mich noch. bis jetzt. welche macht man ausübt, in dem man jemanden materiell für eine bestimmte darbietung unterstützt – oder eben nicht. vielleicht hätte ich ihm eher geld gegeben, wenn er nur die hand aufgehalten hätte. aus sympathie. weil er versucht, sich am rande einer kon- ventionellen existenz durchzuschlagen. und weil abenteuerlust in seinen augen funkelt. und weil man mut braucht, um sich mit einem selbstgemachten lied vor einer meute zu präsentieren. jetzt denke ich darüber nach, wie ich eigentlich ticke. er hat übrigens weit mehr geld von fahrgästen bekommen, als die meisten anderen, die sich sonst abmühen. es war besser, es war trotz der leicht abgekupferten melodie origineller, als das was sonst geboten wird. aber es war – nichts besonderes. ich bin manchmal schon ganz schön hart.

7 Antworten auf „26. mai 2006

  1. habe ich heute irgendwie den tag der straßenmusik verpasst? alle bloggen nur darüber. na gut. geh ich halt zum lehrter bahnhof, bisschen straßenmusik mit lichteffekten hören, wa?!

  2. Andersrum Hier hast du einen Euro, aber hör bitte auf zu singen.

    Durch das ganze superstargehabe im Fernsehen sind die ansprüche ganz schön hochgeschraubt.

  3. Mir geht es manchmal umgekehrt.
    Auf dem Heidelberger Bismarckplatz saß eine Zeitlang ein Obdachloser mit einer C-Blockflöte, auf der er grausam falsch deutsche Volkslieder flötete, immer abwechselnd, eine Strophe geflötet, eine Strophe gesungen. Sein Gesang war noch schrecklicher als sein Flötenspiel, beides allerdings sehr leise, verschüchtert. Ich habe ihm immer etwas gegeben, weil es mich so gerührt hat, mit was für einer Verzweiflung da einer versucht, seine Würde zu wahren, indem er wenigstens irgendetwas tut für das Geld, um das er die Leute bittet.

  4. Ich find’s schon einen Unterschied, ob jemand als Musiker gut ist (wie etliche fantastische Russen, die mit ihrer Violine in zugigen U-Bahn-Schächten stehen) oder auch nur sich Mühe gibt, oder ob jemand glaubt, ein Instrument in der Hand zu halten und was hinzurotzen berechtige ihn zum Einsammeln von Ojro. Ärgerlicherweise nehmen letztere deutlich zu.

  5. ich kenne das sehr gut, dass mich manche begebenheiten lange beschäftigen. weil sie mich anregen, nachzudenken und nachzuspüren. beim ersten lesen dachte ich, ob du es wohl bereust, ihm kein geld gegeben zu haben.
    doch das glaube ich nicht, denn für den moment war es stimmig. die differenzierten gedanken kamen erst im nachhinein. wie wunderbar wäre es doch, manchmal eine pfeilschnelle klarheit zu haben, die einen intuitiv „richtig“ reagieren liesse.

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