da liegt es nun. und weil man ja auch nicht immer alle sozialen strukturen verweigern kann. und überhaupt. und sowieso. und mir ist sogar etwas eingefallen.
bislang ist mir noch überall, wo der fragebogen abgearbeitet wurde, ein wenig schwer gefallen, die antworten aufmerksam bis zum ende zu lesen. da tauchen nicht selten derart erlesene werke auf, die mir beschämend wenig assoziation und erhellung bescheren. ich arbeite weder bei der frankfurter buchmesse, noch lese ich literaturfachzeit- schriften. auch ‚aspekte‘ habe ich seit jahren nicht mehr gesehen. ich kenne ja noch nicht mal die top ten aus der spiegelhitparade. ich gebe es ehrlich zu: ich bin leider ziemlich ignorant, was neuerscheinungen im literarischen betrieb angeht. (ich fürchte, ich bin überhaupt ignorant, was irgendwelche neuerscheinungen angeht…) o.k. pippi langstrumpf und ingeborg bachmann, ellen von unwerth und man ray – die sagen sogar mir etwas.
vielleicht kann ich ja hiermit einen volkstümlichen beitrag leisten. vor zwanzig jahren hätte ich gewiss titel als antworten geliefert, die vor sophistication nur so gestrotzt hätten. damals las ich mehr, begieriger als heute. ich erinnere mich beim besten willen nicht mehr vollständig, was ich schon alles gelesen habe. da ich als kind ein ausgesprochen bewegungsscheuer stubenhocker war, war lesen meine lieblings- beschäftigung. von sechs bis zehn diverse märchen- und mädchen- bücher, pippi natürlich. ab elf ging es dann an die erwachsenenregale in der leihbücherei. zwischen elf und vierzehn habe ich leicht kon- sumierbare schinken von simmel über marie louise fischer bis zu dem grauenhaften (im gegensatz zu herrn simmel, der noch eine vertretbare moral hatte) konsalik gelesen. und fanny hill. und playboy. das elter- liche readers digest und pearl s. buck aber auch eichendorffs tauge- nichts. historische romane dagegen mochte ich noch nie. so wenig wie kostümfilme. ich nehme an, der mangelnden wahrscheinlichkeit an authentizität wegen.
und dann wurde es langsam immer schwerer verdaulich. ich versuchte allen ernstes mit fünfzehn, den ungelenken satzbau von herrn kant zu durchschauen, von echter neugier getrieben. ein martyrium. las viel simone de beauvoir und ein bißchen quälerischen sartre. reise- beschreibungen auch (‚zen oder die kunst ein motorrad zu warten‘ war damals sehr populär), bildbände über aztekische kulturen, die ikonen der pop art, castaneda, viele autobiographien, jack kerouac (ich erinnere die faszination von ‚tristessa‘, on the road auf englisch war auf dauer allerdings anstrengend), william kotzwinckle, thoreau, whitman. ulysses als bildungsbürgerlich abgesegnete zumutung (heute noch). versuchte es immer wieder mit beckett, gelangweilt, wollte es nicht zugeben. plötzlich lasen alle den herrn der ringe. mich nervte der unerotische kaffeekränzchen-kult um irgendwelche schlumpfgeschich- ten und ich verweigerte mich. ebenso totalverweigerung bei ‚per anhalter durch die galaxis‘ und ‚die nebel von avalon‘ (nach dem hype des letzteren zog ich mir jahre später den lore-roman für esoteriker doch noch rein – kitsch verkauft sich eben immer). jede menge wallraff, ein paar feministinnen, gerne nancy friday, klassiker wie ‚die scham ist vorbei‘. wieder und wieder henry miller, und hesse natürlich, franziska von reventlow und vieles mehr. das alles so von 15 bis 20. danach habe ich meine lektüre nicht mehr namentlich präsent, kaum aufzeichnungen darüber. ich habe immer selbst viel geschrieben. und ich erinnere eine leidenschaftliche spurensuche nach dylan thomas, die mich bis nach wales zu seiner hütte trieb.
man könnte jetzt die bücherregale nach gekauftem und gebliebenem sondieren, da fallen mir doris lessing und gabriele wohmann auf. erich kästner. tucholsky. mascha kaleko. rupert sheldrake. meyrinck. mircea eliade. viele mythologische abhandlungen, religiöses. psychologi- sches. ethnologisches. ästhetisches. metaphysisches. pathologi- sches. astrologische lehrbücher. todesforschung immer ein thema, und immer wieder biographisches. hier steht ein buch über die liebe zwischen lasker-schüler und benn. oder die biographie von miles davis. jimi hendrix. nico. uschi obermaier. eva-maria hagen. andy warhols tagebücher. renate schmidt. ich las auch immer viel geliehene bücher aus bibliotheken, heute noch.
das schöne am älterwerden ist ja – irgendwann ist einem nichts mehr peinlich. ich bin schon ziemlich nah an diesem stadium.
ok. ich fange mal an.
1. du steckst in der welt von fahrenheit 451, welches buch möchtest du sein?
meine antwort auf die hier wörtlich stehende variante der frage lautet überaus profan: ich möchte bitte gar kein buch sein, sondern lieber die vorstufe, vor der papierherstellung, noch vor dem sägewerk.
auf die fahrenheit-genau-genommene-variante, mit dem auswendig- lernen zum verinnerlichen die antwort: ich hasse auswendig lernen wie die pest. ich kann mir ausschließlich liedtexte merken, sonst nix. ich hasse es so sehr, klassische texte auswendig zu lernen, wie ich es liebe, sie zu sprechen. freiwillig lerne ich garantiert überhaupt nichts auswendig. und wenn, dann müsste es schon einen anderen zweck verfolgen, als mich erinnernd an formulierungen zu berauschen. ich denke mir in der allergrößten not lieber selber etwas aus. so hänge ich nun wahrlich an keinem buch der welt. schon eher an geschriebenem, das direkt an mich gerichtet war. vielleicht den einen oder anderen wohlgeratenen liebesbrief.
wenn ich unbedingt aber doch ein buch auswendig lernen muss, dann entscheide ich mich für das survival-lexikon von rüdiger nehberg (ehre, wem ehre gebührt).
2. warst du je in eine figur aus einem buch verknallt?
bestimmt. wie soll man sich an all die figuren erinnern. ich war viel- leicht irgendwie verknallt in die grüblerisch-leidenschaftliche figur ‚richard burton, der unvollendete schriftsteller’, wie er in der biographie von melvynn bragg erscheint. oder – achtung – jetzt wird’s richtig banal – in die männliche hauptfigur aus einer trivialen aber unterhaltsamen steinzeitsaga. ‚ayla‘ heißt die hauptdarstellerin des mittlerweile fünf oder ich weiß nicht wieviele teile umfassenden gleichnamigen werkes und ihr geliebter hieß jondalar. er war die mich erotisch-ästhetisch ansprechende variante vom märchenprinz. irgendso ein geiler zotteliger typ, hypersensibel und sehr körperbetont. gewissermaßen. ziemlich interessante stellen in dem buch… nicht verknallt aber fasziniert bin ich nach wie vor bei einem gewissen herrn mephistoteles. den finde ich ziemlich anziehend. verknallt ist wohl der falsche ausdruck.
3. welches buch hast du zuletzt gekauft?
gleichzeitig gekauft: das bereits erwähnte ‚im wolfspelz’ von wolfgang joop und den bildband ‚victor brauner, surrealist hieroglyphs’
4. welches buch hast du zuletzt gelesen?
(zuletzt heißt vor dem, das man gerade am wickel hat?)
auch schon erwähnt (wie gesagt, ich habs mit biographien) christine kaufmann: ‚christine kaufmann und ich‘, davor paul bowles – rastlos.
5. welches buch liest du gerade?
ich lese im moment etwas faul im erwähnten wolfspelz herum. vielleicht lese ich es aber auch nicht mehr zu ende, und hole mir neues futter. ich kokettiere mit diversen expeditionsberichten und einer abhandlung zur geschichte der raf. auch dutschkes tagebücher interessieren mich. oder endlich derek jarmans letzte aufzeichnungen.
6. welche fünf bücher nähmst du mit auf eine einsame Insel?
fällt mir sehr schwer, darauf zu antworten. ich glaube, ich würde am liebsten fünf bücher mit leeren seiten mitnehmen, die ich selbst fülle. ja. eigentlich am liebsten das. oder bereits geschriebenes und gut abgehangenes zur weiteren selbstanalyse. vielleicht auch für regentage ein bißchen wondratschek, den ich sehr liebe. oder zum noch mal lesen etwas dickes wie isabel allendes ‚paula’. über das sterben ihrer tochter. so einen dicken wehmütigen schinken (andere bücher von ihr, außer ihrem wirklich schönen sinnlichen aphrodite- kochbuch-bildband reizen mich dagegen gar nicht, solche romane sind absolut nicht mein ding. ich konnte auch mit marquez‘ hundert jahren einsamkeit nichts anfangen – genauso wenig wie mit notebooms bejubelter ‚folgenden geschichte‘ (der mir aber als mensch sympathisch ist) und noch viel weniger – ganz andere ecke – den thirty-something-trivialitäten der neueren deutschen pop-autoren oder wie das heißt oder was die da machen). dagegen schon eher lust auf paul auster oder herrn de winter. oder connie palmen, nah mit ihrem requiem i.m.
ich habe bei meinen letzten reisen festgestellt, dass ich nicht mehr zum lesen komme, und mir unterwegs auch nichts fehlt. erleben und hin und wieder schreiben war wichtiger als lesen. allerdings waren das auch keine reisen mit längerem strandaufenthalt oder derglei- chen. wenn schon buch, dann inhalt möglichst unbekannt. am liebsten erzählungen von wirklich erlebten reisen mit expeditions-charakter, archaischem bezug. das liebe ich sehr. mit lyrischem kann ich unterwegs nicht viel anfangen, da ist zuviel eigenes erleben. das ist dann eher für sehr spezielle momente, die eher zuhause stattfinden und dann zelebriert werden. da wird dann schon mal über rainer maria geflennt.
wenn vielleicht auch noch a.more.s lust hätte, mit diesen fragen ein wenig zu spielen, würde es mich besonders freuen. (auch fragebogen- hasser wie ich machen hin und wieder eine ausnahme, wie man sieht)
rimbaud. hier, links von meinem knie, liegt ein schönes taschenbuch aus paris. mein bruder brachte es mir mit. ich musste damals viel französisch lernen, und er fand es eine gute idee… ‚arthur rimbaud – un poète‘. ich fand die idee auch gut. und artaud hat angefangen mich zu faszinieren, nachdem der gute blixa bargeld ihn irgendwo erwähnte – ich brauchte nur ein bild zu sehen – diese augen. schwarz oder weiß, leben oder tod.
manches fällt einem nur gerade nicht ein, obwohl geliebt. ich las mit fünfzehn, sechzehn einiges von hesse. ich erinnere, dass ich mehrere notizen über den text ‚bäume‘ machte. da hermann hesse so überaus beliebt bei schwärmerisch veranlagten jungen menschen war, geriet er irgendwie zu einem autor, der mit häme bedacht wird. das ist für mich bis heute nicht nachvollziehbar. ich las dann ungefähr zwanzig jahre nichts mehr von ihm, bis mir narziss und goldmund geschenkt wurde, das mich tief rührte. ich glaube, ich hätte vieles darin, wenn nicht alles, mit fünfzehn oder zwanzig – oder auch dreißig gar nicht begriffen. so denke ich, dass man manches buch, zu dem man in einem gewissen lebensalter keinen zugang fand, vielleicht später noch einmal versuchen sollte. es ist wie mit filmen. heute sehe ich manche filme aus einer ganz anderen perspektive als vor jahren. einige sind völlig bedeutungslos geworden, andere bekommen erst bedeutung. mit fortschreitendem erleben stellen sich andere gedankliche verbin- dungen ein.
„champagner darf nicht fehlen…“ sie gefallen mir. es war purer egoismus, sie auszuwählen. da mir ihre vielen zitate immer nachvollziehbar sind, dachte ich: herr a.more.s – minimaler aufwand – maximale wirkung. ich danke ihnen und werde wieder einmal den link entfernen (ich schlimme, ich). sie wissen aber schon, dass sie sich damit ein bißchen interessant machen, oder? ‚die gestundete zeit‘ steht jetzt ganz oben auf meinem denkzettel. und es ist völlig in ordnung, den luftraum freizuhalten. ich warf ja auch nicht, sondern legte es ganz vorsichtig ab. danke auch für die erinnerung an tomi ungerer, den ich sehr liebe.
stimmt. und ich durfte ja davon ausgehen, dass du es lesen würdest. das hat mich dann schon angeregt, ein bißchen mehr als nur titel auszuspucken. jetzt wird schon wieder was geworfen, habe ich bei fr. elle gesehen, zum wiederholten mal ein musikfragebogen. der wäre mir zu anstrengend. da müsste ich ja gleich hundert absätze schreiben… bloß nicht. interessant finde ich rückblickend, dass man von menschen, die man noch nie gesehen hat durch solche angaben tiefgreifende vorlieben erfährt, die man oftmals nicht in mehrjährigen verbindungen ausgelotet hat. oder einfach nie danach gefragt. schon witzig. ein wenig seltsam berührt hat mich, die häufige erwähnung des ulysses als mögliche insel-lektüre, nach dem motto: „da käme man dann vielleicht mal dazu“. ich halte das für eine faule ausrede – und erkenne daran, dass die menschen einen ziemlich guten instinkt zeigen, dahingehend, dass sie noch nie wirklich lust hatten, das dröge werk abzuarbeiten. ich versuchte es, einfach weil es als so ein ‚must‘ gehandelt wird einmal im jungendlichen alter, wobei ich relativ weit las und mich tödlich langweilte und nochmals, vor etwa sieben jahren. mein fazit lautet: überbewertet bis zum geht nicht mehr. muß man nicht gelesen haben. es war stilistisch für seine zeit ungewöhnlich, aber mir fehlt da jegliches feuer. man sollte sich nie voreilig von etablierten autoren oder werken beeindrucken lassen. auch bei diesem buch schrieb ein kritiker vom anderen ab. ulysses ist ideal als buchstütze (für meinen geschmack) aber mehr auch nicht. hätte es wirklich diese tiefgreifende substanz, würde es zahllose menschen dazu treiben es sofort zu verschlingen, und die lektüre würde nicht auf einen möglichst fernen sanktnimmerleinstag verschoben werden.
„Heute hier – morgen fort“ ist großartig, Robert Walser sowieso. Man Ray goutieren Sie auch. Läge Ihre Insel nicht ausgerechnet in Irland, ich hätte vorgeschlagen, die Bücherkoffer eventuell zusammenzulegen… aber ich nehme dann lieber Island oder Neuseeland oder noch lieber etwas völlig Imaginäres. Eine bretonische vielleicht.
Artaud war in den frühen 80ern so eine tragische Heldenfigur. Ich bin dann ja immer etwas
rückständigmißtrauisch, zumal ich es nicht so mit den Surrealisten (bzw. mit der Vergötterung derselben) habe. Aber der Mann, zerrissen und gestoßen, war ein großer Aufwühler. Das gefällt mir natürlich.artaud hatte etwas vertraut manisches in seinem blick. mein bruder hatte solche augen. irrlichternd, bohrend, zwingend. vertraut.
jedes begonnene buch zu ende gelesen… einerseits verstehe ich die konsequenz, andererseits kann man seine zeit verschwenden. es gibt filme, da sollte man vielleicht schon von vorneherein genug instinkt haben, um sie gar nicht in betracht zu ziehen – aber es gibt ja auch häufig zwiespältige kritiken, die neugierig machen. der erste film, den ich im kino nicht bis zu ende angesehen habe, war die unsägliche schmonzette ’salz auf unserer haut‘ mit greta scacci. so etwas grottenschlecht platt zuckriges hatte ich bis dato (wenigstens im kino) nicht sehen müssen. ich war mit meinem damaligen südamerikanischen begleiter im kino und wir versuchten die langeweile zu überbrücken, indem wir uns ausgiebig mit uns selbst beschäftigten. aber irgendwann wurden die peinlichen dialoge so störend, dass man einfach gehen musste. der unerotischste, langweiligste film, den ich je im kino gesehen habe. wenigstens die ersten mir bekannten 45 minuten. dann sind wir abgehauen. ich glaube nicht, dass sich da noch viel gesteigert hat.
ein weiterer abgebrochener kinobesuch: irgendein film mit sandra bullock in einer drogenentzugsklinik. auch so ein klischeekäse. auch unerträglich klebriger film, aber bis zu ende geguckt und ein wenig über die zeitverschwendung geärgert: titanic (der neuere mit milchgesicht di caprio und der drallen winslett, nette titten). ich hätte so gerne geheult und konnte nicht (und ich heule normalerweise schnell und viel). nichts, aber auch gar nichts konnte mich zu tränen rühren (nein – halt: am anfang, ganz am anfang eine sequenz, wo die alte frau ihre edelsteinherz ins meer schmeißt, sich erinnernd, die fünf sekunden hatten was). äh – wo war ich stehengeblieben… jedenfalls – die zeit ist zu kurz um sich mit überbewerteten machwerken abzuquälen – es sei denn, man bekäme geld dafür.
ich glaube dir sofort, dass du spontan deinen fragebogen runter- geschrieben hast, so liest er sich. wie bei mir halt auch. ich habe ja auch diversen schwachsinn erwähnt, aber das gehört doch dazu. ich habe auch vieles nicht erwähnt, einfach, weil vergessen, nicht durch die wohnung gelaufen und nachgeguckt. was solls, so ist es halt wenn man schon mehr als drei bücher gelesen hat. manche fragebögen wirken schon ein bißchen bildungsbürgerlich zurechtgefeilt. aber das ist auch insofern interessant, dass sich ja dann die assoziation einstellt, aha: damit möchte jemand in verbindung gebracht werden. wir spucken ja alle stichworte aus, die dann zu eckpfeilern der assoziationskette werden, die als goldbunte mosaiksteinchen unsere virtuelle persönlichkeit pflastern. davon ist ja niemand frei.
ich dachte mir übrigens auch schon, nach deinen spreeblick- beschreibungen, dass du eine ähnliche wohnungsaussicht wie unser verehrter kid haben müsstest. stellte sich automatisch ein. was wir uns langsam so alles voneinander vorstellen… schon lustig.